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die Privatklage des Reichstagsabgeordneten Erz« berger gegen Lehrer Wörrle zur Verhandlung. Der Verteidiger des Angeklagten hat die in erster Instanz erhobene Widerklage gestern sofort bei Beginn der Verhandlung zurückgenommen. Die Berufung des Angeklagten wurde verworfen, auf die Berufung des Privatklügers aber das Urteil erster Instanz aufgehoben und der Angeklagte wegen Beleidigung zu der Geldstrafe von 50 zu Tragung der Kosten des Verfahrens beider Instanzen und zum Ersatz der dem Privatkläger erwachsenen notwendigen Auslagen verpflichtet. Auch wurde dem Privatkläger die Befugnis zugesprochen das Urteil binnen zweier Wochen nach eingetretener Rechtskraft auf Kosten des Angeklagten imBeobachter" zu veröffentlichen.

Frankfurt a. M. 28. Nov. Vor einiger Zeit erregte die Verheiratung des jungen Grafen Erasmus von Erbach-Erbach mit der Tochter einer Wäscherin Aufsehen. Die Ehe wurde für ungültig erklärt und Graf Erasmus entmündigt und in einer Nervenheilanstalt untergebrccht. Von dort entkam er n.cch der Schweiz und reiste dann nach Würzburg, wo durch ärztliche Sach­verständige festgestellt wurde, daß er nicht gemein­gefährlich sei. Infolge dieses Gutachtens erging eine Bestimmung für Bayern, daß Graf Eras- muß zwecks Verbringens in eine Irrenanstalt nicht festgenommen werden dürfe. Der Graf begab sich darauf nach Frankfurt a. M. um bei seinem Anwalt die notwendigen Schritte zur Aufhebung der Entmündigung einzuleiten. Tie Polizei erfuhr von seiner Ankunft und verhaftete ihn. Ver­mutlich wird er wieder in die Irrenanstalt ge- bracht werden.

Berlin 28. Nov. (Deutscher Reichstag.) Am Bundesrotstische v. Stengel, Dernburg, v. Rheinbaben und Schön. Auf der Tages­ordnung steht die erste Lesung des Reichshaushalts- Etats pro 1908. Schatzsekretär v. Stengel führt aus: Die diesmalige Etat-Ausstellung sii in Ein­nahmen und Ausgaben ungemein schwierig gewesen. Wenig sympathisch werde dem Hause wohl der finanzielle Abschluß dieser Aufstellung sein. (Große Heiterkeit.) Zunächst wolle er einige Worte über den Etat-Abschluß pro 1906 sprechen. Derselbe habe für die Bundesstaaten, die in dem Etat pro 1906 mit 82 Millionen belastet worden waren, eine wesentliche Entlastung gebracht. Auch der Ent- räuschnng, die die neuen Stenern bereitet hätten, gedenkt der Schatzsekretär. Die größte Enttäuschung: 12('/ Millionen Ausfall gegen den Etat-Ansatz habe die Fahrkartensteuer bereitet. Was das Jahr 1907 anlange, so müsse er sich bet dev Schätzung des Ereignisses große Reserve auferlegen. Soviel aber glaube er sagen zu dürfen, daß die Aussichten recht trübe seien (Hört, hört), sowohl in Bezug auf den Ertrag der Ueberweisunxssteuern wie in Bezug auf die Ereignisse der Eigenwirtschaft des Reiches. Es hätten sich Mehrausgaben und Mindereinnahmen ergeben und zwar beträchtliche Mehrausgaben. Auch

die Schuldzinsen seien gewachsen, pro 1907 schon 180 Millionen, pro 1908 würden es bereits 200 Millionen sein. Huo?que tanclem? Von den neuen Steuern habe die Erbschaftssteuer sich in ihrem Ertrage gehoben. Anders liege die Sache bei der Fahrkartensteuer, nämlich so, daß bereits erwogen werde, ob nicht das ganze System der Fahrkartensteuer geändert werden müsse. (Hört, hört. Ruf: Abschaffen ) In der allgemeinen Heiter­keit verhallen die folgenden Worte des Schatzsekretärs ungehört. Bei der Postve: Wallung seien die Ein­nahmen weiter gestiegen, freilich auch die Ausgaben. Der Ertrag der Erhöhung des Orts- und Nachbar- orisportos pro 1907 dürfte ungefähr auf 6 Millionen geschätzt werden. Nun zu 1908: Sparsamkeit sei dringendes Gebot. Jede Ausgabe werde auf ihre unbedingte Notwendigkeit geprüft; aber sparen lasse sich nicht überall, so nicht bei Ausgaben für die Schlagfertigkeit des Heeres und der Flotte. Das ordentliche Defizit betrage deshalb 124 Millionen. Niemand bcdaure es mehr, als die verbündeten Regierungen selbst, daß das Defizit diese Höhe er­reicht habe. Mit Ursache seien die gesteigerten Kosten der Natural-Verpflegung. Die letzte Steuer- Reform habe etwa nur 140 Millionen gebracht statt 240. Mit der Bewilligung erhöhter Ausgaben müsse die Bewilligung erhöhter Deckung Schritt halten. Jetzt bestehe die zwingende Notwendigkeit, neue Einnahmen zu schaffen, umsomehr angesichts neuer großer Aufwendungen. Redner geht dann ein auf die bereits bekannt gewordenen Details des neuen Etats pro 1908. (Reichskanzler Fürst Bülow ist inzwischen auf seinem Platz erschienen). Bezüglich der Erbschaftssteuer stelle er unter anderem fest, daß die Einnahmen daraus sich von Viertel­jahr zu Vierteljahr steigern. Daß diesmal auf die Schuldentilgung verzichtet und die dafür vorgesehen gewesenen 24 Millonen vielmehr zur Herabminderung der ungedeckten Matrikularbeiträge von 124 auf 100 Millionen verwendet werden sollen, das sei das Haus möge es ihm glauben den verbündeten Regierungen nicht leicht gefallen. Das Gesamtbild der Finanzlage sei sehr ernst. Der Notwendigkeit einer Sanierung werde sich Niemand verschließen. Die verbündeten Regierungen seien von der Not­wendigkeit neuer Steuern unbedingt überzeugt. Die Vorm beiten dazu seien auch bereits so weit gediehen (hört, hört), daß die Einbringung der be­treffenden Vorschläge im Bundesrat schon in aller­nächster Zeit bevorsteht. Ueber den Inhalt der Vorschläge könne er, solange der Bundesrat noch nicht Beschluß gefaßt habe, nichts sagen. (Heiterkeit.) Nur soviel müsse er schon jetzt erklären: direkte Steuern weide er nicht Vorschlägen. (Hört, hört.) Auch einer Initiative ans diesem Hause in Bezug auf neue Steuern würden die Regierungen nicht stattgebcn. Die verbündeten Regierungen würden einmütig jeden Versuch der direkten Steuern auf das Reich zu übertragen, grundsätzlich widerstreben. Die Sanierung dürfe nur auf dem durch die Reichs- Verfassung vorbehaltenen Gebiete der indirekten Steuern erfolgen, wenn die föderative Grundlage des Reiches gewahrt bleiben solle und da fehle es ja dem Reich nicht an Einnahmequellen, deren Er­schließung möglich ist. So könnten Branntwein-, Zucker-und Tabak-Steuer weiter ausgebaut weiden. Er hoffe, daß diesen Steuern eine Gestaltung ge­

geben werden könne, unter Schonung der Interessen der beteiligten Gewerbe, der Arbeiter und der Steuerträger. Staatssekretär des Retchsmarineamtes von Tirpiz nimmt dann das Wort zur Begründung der Flotteuvorlage. Redner versichert, daß die Re­gierung überzeugt sei, auch in Zukunft mit dieser Altersgrenze der Schiffe auszukommen. Zum Schluß betont der Staatssekretär das unbedingre Festhalten der Regierung an dem Flottengesetz. Abg. Or. Spahn (Zentrum) erörtert die Ausführungen des Freiherrn von Stengel und weist dabet auf einen großen Zwiespalt in den früheren und jetzigen Dar­legungen des Staatssekretärs hin. Redner geht dann den Etat-Voranschlag im Einzelnen durch und betont die forschreitende Verschlechterung dcr Retchs- finanzen. Das Zentrum werde an seinen alten Grundsätzen festhalten und neue Ausgaben nur be­willigen, wenn für sie Deckung vorhanden ist, und zwar eine Deckung, die nicht die Schultern der Minderbemittelten belastet. Was die neuen Steuer- Pläne der Regierung anlange, so werde das Zentrum sie an sich herankommen lassen. Das Zentrum sei stets ein Gegner aller Monopole gewesen und be­kämpfe auch Reichsvermögens- und Reichserbschafts­steuer. In seinen weiteren ausgedehnten Ausfüh­rungen bespricht Redner die auswärtige Politik, den Kaiserbesuch in England, die neue preußische Polen­vorlage, die er als verfehlt erachtet. Weiter erwähnt er den Moltke-Harden-Prozeß und besprich! zum Schluß die Bestrebungen zur Versöhnung zwischen den christlichen Konfessionen. Abg. von Richt­hofen (kons.) erklärt, seine politischen Freunde seien fest entschlossen unter Festhaltung ihres bisherigen Standpunktes jede direkte Steuer abzulehnen. Wir würden auch, falls etwa direkte Steuern mit anderen Steuern zusammengefaßt werden sollten, uns ge­nötigt sehen, das ganze Gesetz abzulehnen. Zur etwaigen Branntweinmcnopolvorlage werden wir erst Stellung nehmen, wenn sie vorliegt. Sympathisch stehen wir aber dem Monopol nicht gegenüber. Für ein Tabakmonopol würden wir nur dann eintrercn können, wenn Tabakbau, die Industrie und Tabak­arbeiter dadurch nicht geschädigt würden. Redner kommt dann noch auf den Moltke-Harden Prozeß zu sprechen, den er ausführlich behandelt. Reichskanzler Fürst Bülow: Der Abgeordnete Spahn hat über Verseuchung von ganzen Kavallerie­regimentern gesprochen. Ich weise diese unerwtesene Behauptung mit Entrüstung zurück. Unsere Armee ist in ihrem Kern vollkommen gesund. Der Kaiser würde auch alles mit eisernen Besen ausfegen, was zu seiner eigenen Reinheit und zu der Reinheit seines Hauses nicht paßt. Unser Adel und unser Bürgerstand ist so gesund, daß Ausschreitungen einzelner das nicht abschwächen können. Als Se. Majestät mich zuerst von dem was ihm berichtet worden war, in Kenntnis setzte, da war mein Rat: Majestät müssen sofort Vorgehen, um sich sein eigenes Schild und das Sch'ld der Armee rein zu halten und demgemäß hat Se. Majestät sofort gehandelt. Die Dezemberauflösung des Reichstags habe ich vorgeschlagen, weil das Zentrum, nachdem es durch Verweigerung der Mittel für Kolonialbahnbauten, durch Einmischung in unsere innere Verwaltung und durch Verweigerung des Kolonialamtes, nachdem es die Geduld der Regierung schon vorher auf seh harte Proben gestellt hatte und am 13. Dezember

Der verlorene Hohn.

Roman vonElsbethBorchart.

(Fortsetzung.)

Tie Herstellungskosten der neuen Maschine wären bedeutende, und wenn auch später ein Gewinn zu erhoffen sei, so wäre vorläufig dar Be­triebskapital nicht zu entbehren. Er gewähre ihnen aber aus den Einnahmen der Fat rik eine Zulage, deren Höhe genügend sei, einen glänzenden Haus- stand führen.

Grvnow hatte nichts erwidert und seine Enttäuschung zu verbergen gesucht. Innerlich war er empört. Nun konnte er weder seinen vielen Verpflichtungen Nachkommen, roch der Tante die geliehene Summe zurück­erstatten. Und diese drang in ihn und machte ihm Vorwürfe, sich nicht genügend vorgesehen zu haben.

Schweigend aber zähneknirschend mußte er es dulden, daß sie als täglicher Gast bei ihm aus- und eingiug, und dazu mußte er noch eine höfliche und zuvorkommende Miene ausstecken. Am liebsten hätte er sie, wie er sich aurdrückte,achtkandig zum Hause hinaurgeworfen," aber die Schuld an sie verbot es ihm. Er mußte sie immer wieder hinzuhalten und zu vertrösten suchen.

Als er damals die Wohnung für sich und Inge in der Rathenower- flraße, gegenüber dem Kriminclgericht gemietet hatte, ahnte er nicht, daß Beate bereits eine solche in nächster Nähe in Altmoabit für sich in Aussicht genommen hatte. Es war, als wenn sie ihn nicht aus den Augen lassen, sondern jeden Schritt von ihm überwachen wollte. Dieses Gefühl bedrückte und beklemmte ihn.

Nicht anders erging es Inge. Sie, die sich anfangs auf den mütter­lichen Rat und die Gesellschaft der älteren Dame gefreut hatte, fing an,

die häufigen Besuche derselben als etwas sehr bedrückendes zu empfinden. Trotzdem" Beate es niemals an Liebenswürdigkeit fehlen ließ und der jungen Frau ihres Neffen auf alle mögliche Weise schmeichelte, fühlte sie doch in ihrer Gegenwart ein Unbehagen, das sie sich selbst nicht zu erklären ver­mochte. Sie kam sich, wie der Gatte, überwacht und beobachtet vor, und das gab ihr ein unsicheres,. unruhiges Gefühl. Zudem fand sie noch, daß Hans seiner Tante nicht mit dem Respekt begegnete, den sie fordern konnte.

Es wurden oft heftige Worte zwischen ihnen gewechselt. Dieses alles wirkte so deprimierend auf sie, daß sie froh war, wenn ein Tag verging, ohne daß Tante Beate sich sehen ließ, oder wenn sie durch irgend eine Einladung ihrer Gesellschaft überhoben wurden.

Im Grunde hatte sie keinen sehr regen Verkehr. Außer einigen Kollegen ihres Mannes waren Volkmanns die einzigen, mit denen sie oft zusammenkamen. Besonders schloffen sich die beiden Frauen immer enger an einander an. Die Nähe ihrer Wohnungen Dolksmanns wohnten ebenfalls in Moabit ließ ein häufiges Stchsehen und Sichsprechen zu. Und Inge verlangte jetzt mehr nach der Freundin als zuerst.

Am Anfang hatte der Gatte sie noch ab und zu in ein Theater und Konzert geführt, oder sie trafen sich mit Freunden in einem Lokal oder faßen auch lesend und plaudernd still zu Hause. Allein hatte Grunow fein junges Weib fast nie gelassen.

Doch als seine Leidenschaft verrauscht war, hatte er nach und nach angefangen, ohne sie auszugehen. Bald schob er seinen Beruf vor, bald hatte er sich mit Kollegen verabredet.

Inge war viel allein. Sein Beruf mußte ihn in der Tat sehr in Anspruch nehmen. Er hatte sie deshalb jo nicht einmal im Sommer zu den Eltern nach Misdroy begleiten können, sondern sie hatte allein fahren müssen. Während er sein Weib jedoch in dem Glauben ließ, fein Beruf fessele ihn an Berlin, saß er wohlgemut in einem Modebad