890

der Auswahl der ortsüblichen Speisen, beim Ein­kauf der Lebensmittel u. s. f. werden regelmäßig einige Frauen aus der Gemeinde beigezogen. Der Kurs dauert gewöhnlich 6 Wochen und übermittelt den Schülerinnen neben einer gründlichen Fertig­keit in der Zubereitung einer guten, einfachen Haurkost die notwendigen Kenntnisse über das Kochwaterial und den Nährwert der Speisen. Außerdem werden die Schülerinnen ongeleitet und geübt im Geschirrspülen, Besteck-, Herd-, Zimmer- und Küchenreinigen, Besorgen der Küchenwäsche, im Tischdecken und Anrichten, welches sie alles abwechrlungsweise selbst besorgen müssen und wobei sie an die schönsten Tugenden der Haus, frau: in stiller Armut geübte Ordnung, Reinlich­keit, Pünktlichkeit und Sparsamkeit gewöhnt werden. Am Schluffe der Kurses findet eine Prüfung statt, deren unerbittliche Strenge darin besteht, daß die Prüflinge ihr eigenes Prüfungrfesteffen selbst essen müssen. Uebrigens haben die Genüsse dieses Prüfungsessens noch überall die Mütter und Väter der Schülerinnen und Freunde der Veranstaltung angelockt, die stets voll Lobs über die Vortrefflich- keit des Erreichten und Gereichten waren. Die Kosten des Kurses werden in der Hauptsache durch das 2025 betragende Schulgeld, sowie durch einen Beitrag der Gemeinde ausgebracht. Auf dem Land haben sich diese Kochkurse bisher sehr gut eingelebt. In der Stadt dagegen sind die wieder­holt genommenen Anläufe ergebnislos geblieben. Und doch sollte man meinen, daß es nicht bloß Haustöchter (denen ein Kochkurs in einem Gast- Hof zu teuer ist und zumteil Kenntnisse übermittelt, die sie in ihrem späteren Haushalt nicht verwerten können), sondern auch Fabrikarbeiterinnen, Frauen und Mädchen genug gäbe, denen daran gelegen wäre, die Kochkunst bei einer günstigen Gelegen­heit zu erlernen. Insbesondere den verehrten Ehestandskandidatinnen möchte ans Herz gelegt werden, daß e« Tanzen und Putzmachen allein nicht tut, sondern daß auch im 20. Jahrhundert die Liebe immer noch durch den Magen geht. Die Aufgabe eines 6-wöchigen Arbeitsverdienstes erscheint aufs Erste herb, macht sich aber sicher im Ehestand bezahlt. Der Kurs würde, da die Lehrerinnen im Winter auf dem Land benötigt werden, nach Ostern 1908 beginnen und voraus­sichtlich im evangelischen Vereinskaffeehaus abge­halten werden. Da der Reiseplan der Lehrerin aber rechtzeitig festgestellt werden muß, müssen die Anmeldungen jetzt schon erbeten werden. Zu zahl­reicher Beteiligung wird eingeladen und mündliche oder schriftliche Anmeldungen bis zum 23. November an Stadtschultheiß Conz erbeten.

Calw 16. Nov. Gestern fand in Ostels­heim die Wahl eines Ortsvorstehers statt, da Schultheiß Fisch er altershalber sein Amt nieder- gelegt hat. Hiebei ergab sich das überraschende Resultat, daß zwischen 2 Kandidaten Stimmen- gleichheit herrschte. Karl Ruf, Gemeinderat und Friedrich Gehring, led. Landwirt, erhielten je 47 Stimmen; Gemeinderat Schöffler war

mit 41 Stimmen der dritte. Es steht nunmehr die Entscheidung der Kgl. Kreisregierung zu und steht man dem Ausgang mit Spannung entgegen.

Z Deckenpfronn 15. Nov. Der heurige milde Spätherbst weckt schon Frühlingskinder zu neuem Leben. In einem Gärtchen hier ist ein blühender Schneeballenbaum zu sehen, und heute überbrachte man uns ein Sträußchen blühender Veilchen aus dem Walde.

-I- Wildberg 15. Nov. Zwischen 1 und 2 Uhr heute früh blieb plötzlich das Räderwerk der Braun'schen Mühle hier stehen. Als der Besitzer nach der Ursache forschte, sah er, daß ein Mann zwischen Wasserrad und Wandung ein­geklemmt war. Es war der Mahlknecht, der sich auf der Bedeckung des Wasserrads zu schaffen machte und dabei eingebrochen ist. Er wurde als Leiche hervorgezogen. Im Laufe dieser Woche hat die Privatbauschule des Archi­tekten Schittenhelm ihren Winterkurs begonnen, der von ca. 50 Schülern aus nah und fern be- sucht wird.

Neuenbürg 15. Nov. Es läßt sich nicht leugnen, daß unser Oberamtsbezirk bald eine un­rühmliche Aufmerksamkeit durch seine vielen Schadenfeuer erregt. Dem Brand von Schwann am Sonntag Nacht folgte vom Diens­tag auf Mittwoch das große Feuer in Dobel bei dem die von 5 Familien bewohnten Häuser des Maurers Karl Burkhardt, der Witwe Christine Ruf und ihrer Sohnes Friedrich Ruf eingeäschert worden sind. Der Maurer Burkhardt wurde wegen Ueberverficherung und Brandstiftungsver­dacht verhaftet.

Stuttgart 15. Nov. Die Gemeinde Hofen hat gegen die Entscheidung der K. Kreis­regierung Ludwigeburg in der Frage der bei Hofen zu errichtenden Kläranlage für die Abwässer von Groß-Stuttgart beim Ministerium des Innern Beschwerde eingereicht. Auch die Gemeinde Mühlhausen a. N., die Baum­wollspinnerei Arnold und Freiherr v. Palm, werden, wie von zuverlässiger Seite »mitgeteilt wird, in allernächster Zeit Beschwerde erheben.

Stuttgart 15. Nov. Die Ausgabe der neuen Zehnmarkscheine hat gestern bei der Reichsschuldenverwaltung gegen Rückgabe von Reichskassenscheinen zu 20 und 50 ^ begonnen. Bei der Reichsbank wird die Verausgabung in den allernächsten Tagen ihren Anfang nehmen. Zur Ausgabe gelangen im ganzen 9 Millionen Stück, also 90 Millionen Mark, von denen in der Reichsschuldenvsrwaltung etwa 50000 Stück täglich zur Ausgabe fertig gestellt werden. Die bisherigen Reichrkaffenscheine zu 20 und 50 ^ werden nach und eingezogen, um durch Reichs- banknoten zu den gleichen Beträgen ersetzt zu werden.

Tübingen 15. Nov. Oberhalb der Station Dußlingen geriet gestern früh eine Schafherde, wohl infolge des herrschenden Nebels, auf die

Eisenbahnlinie. 31 Schafe sind dabei über­fahren und getötet worden. Der Zugführer hat, wie es heißt, nichts von diesem Hindernis gemerkt. Einem hiesigen Gasthofbefitzer wurde in letzter Zeit ein Fischkasten, worin eine größere Anzahl Forellen zu gelegentlichem Verbrauch sich befand, von Angehörigen einer studentischen Kor­poration aus dem Brunnenbasstn an die Luft ge­setzt; durch diesen Unfug gingen die meisten Tiere zu Grunde.

Aalen 15. Nov. In der Nacht vom Dienstag auf Mittwoch ereignete sich, wie jetzt bekannt wird, auf der Straße AbtsgmündLein- rodcn ein schwerer und doch noch glücklich ver­laufener Unfcll. Etwa um 4 Uhr früh verlor eine mit drei Personen besetzte Kutsche in der Nähe des sog. Hohenrain plötzlich den festen Boden und rollte in einen Steinbruch hinab. Ein wert­volles Pferd blieb tot. die Droschke wurde zer­trümmert, und nur die drei Insassen, die von einem kleinen Geloge heimzukehren schienen, kamen mit Schürfungen davon.

Pforzheim 15. Nov. Der hiesige Platz mit seiner weltumspannenden Edelmetall-Industrie hat bis jetzt unter der allgemeinen wirtschaftlichen Abflaue nicht zu leiden gehabt. Gegenwärtig ist es nach der Erledigung der meisten Weihnachts­aufträge etwas ruhig, vielleicht ruhiger als letztes Jahr, doch ist der Geschäftsgang verhältnismäßig immer noch gut, und es werden auch stets noch Arbeiter gesucht. Die riesige Grundstücks, spekulation die im vorigen Jahr ihren Höhepunkt erreicht hatte, hat etwas nachgelassen. Die Preise sind jedoch nicht gesunken und werden gehalten in der Erwartung, daß mit dem Nachlassen des teueren Geldstandes auch der Liegenschaftsverkehr sich wieder lebhafter gestalten würde. Es ist wieder von der Eingemeindung des 2 Kilo­meter entfernten ungefähr 4000 Einwohner zählen­den Nachbarorts Dillweißenstein die Rede, doch gestalten sich die Verhandlungen wegen der beiderseitigen Bedingungen langwierig. Beide Gemeinden brauchen sich gegenseitig. Die Ein­gemeindung ist daher nur eine Frage der Zeit.

Pforzheim 15. Nov. In der Wirtschaft zurViktoria" hier, gab es gestern Abend große Aufregung. Der 27 Jahre alte Gelegenheits­arbeiter Christian Plocher von Hirsau erbrach sich, nachdem er einige Schoppen Most und b/g Liter Branntwein getrunken, sowie ein Stück Fleisch gegessen hatte. Man legte den Mann sodann in den Stall, wo er bald darauf starb. In seinem Halse befand sich noch ein Stück Fleisch, so daß angenommen wird, Plocher sei erstickt. Andere meinen, der Mann sei an einem Schlaganfall gestorben.

Karlsruhe 14. Nov. Eine Ehren, erklärung für Frl. Molitor. DieBadische Landeszeitung" veröffentlicht folgenden Brief des Redakteur» desBerliner Lokalanzeiger," Hans

Mutti, die ist schon überwunden. Inge Helmbrecht trauert keinem Manne nach, der sie verschmähte."

Inge."

Was willst du? Ich habe es doch nur beim rechten Namen ge­nannt. Ich verstand wohl nicht zu heucheln und ihm meine kindische Zuneigung zu verbergen und darum soll er nun sehen, daß ich mir nie etwas Ernstliches aus ihm gemacht habe ich will ihm zeigen"

Kind, Kind, du betrügst dich selbst dein Stolz allein ist es, der dir solche Worte eingibt. Du mußt Grunow zurückweisen."

Langsam stand Inge auf. Alle Farbe war aus ihrem Gesicht gewichen.

Nein ich werde ihm mein Jawort geben ich bin mit mir im Reinen."

Ah."

Ein banger Ruf durchzitterte die Luft, und mit zitternden Händen zog die Mutter ihr Kind zu sich heran.

Inge, Liebling, bedenke doch, was du tun willst. Ein ganzes Leben um um einer stolzen, trotzigen Aufwallung willen. Bleib doch bei uns, du brauchst doch nicht zu heiraten, birgt denn das allein das Glück?"

Wieder flog ein schmerzliches Lächeln um ihre Lippen.

Glaubst du, Mutti, daß es ein Glück für mich wäre, täglich stündlich in Buchenau mit ihm zusammen sein zu müssen?"

Er soll fort der Vater soll ihn fortschicken."

Niemals! Soll der arme blinde Mann um meinetwillen seiner einzigen Kraft und Stütze beraubt werden?"

Ein unendlich schmerzvoller Seufzer entquoll Frau HelmbrechtS L'ppen.

Da schlang Inge die Arme um ihren Hals und schmiegte ihre Wange an die der Mutter.

Worum grämst du dich? Hast du etwas gegen Grunow? Gefällt er dir nicht? Er ist stattlich, hübsch, liebenswürdig, und sieh, Mutti, ich glaube noch an das Glück! Warum soll es mir an seiner Seite nicht ebenso wie anderswo blühen? Soll ich es immer noch da suchen, wo es mir nie werden kann, soll ich so töricht sein, Dinge zu verlangen, die mir versagt sind? '

Frau Helmbrecht erschrack innerlich vor den kalten klugen Verstandes­regeln ihres bis dahin so heißblütigen, warm empfindenden Kindes, aber sie sagte nichts. Tränen kamen aus ihren Augen und tropften in ihren Schoß hinein.

Du bist doch so fromm, Mutti, nimm es doch als eine Fügung des Himmels," fuhr Inge fort.Was meinst du wohl wird Papa seine Zustimmung geben?" fragte sie darauf ablenkend, als sie sah, daß die Mutter noch immer mit ihren Tränen kämpfte.

Ich kann mir nicht denken, daß er sie verweigern wird. Grunow ist ihm schon als Freund seines verlorenen Sohnes lieb und teuer, und er ist ihm hier ein unentbehrlicher Gesellschafter geworden. Doch ich wünschte, er wäre nie zu uns gekommen. Ich ahnte, daß es so werden müßte."

Frau Helmbrecht hatte sich gefaßt und zog Inge auf den Stuhl neben sich nieder.

Du ahntest es?" fragte Inge und sah forschend in ihr Gesicht.

Ja, ich merkte längst, daß er dich mit besonderem Interesse be- trachtete, trotzdem er sehr zurückhaltend war und sich durchaus korrekt be­trug. Ich hoffte jedoch noch immer, daß ich mich täuschte, jedenfalls kam mir dein heutiges Geständnis sehr überraschend."

Mir auch. Aber sein schnelles Vorgehen erklärt sich aus dem Um­stand, daß er morgen wieder nach Berlin zurückreist." (Forts, folgt.)