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sein unbestrittener Erfolg bei dem Prozeß bereitet uns doh aufrichtige Genugtuung. Ob zwischen dem Fürsten Eulenburg und dem Reichskanzler noch eine so ungeteilte Hamonie besteht, wie es nach der Verhandlung fast scheinen könnte, wird man billiger Weise bezweifeln können. Die „Nr- tional-Zeitung" sagt: Man wird sagen können, daß der Prozeß so einwrndrfcei geführt worden ist, wie er nach unserer Strafrechtspflege nur geführt werden konnte. Das Privatleben von hoch und niedrig bedarf in gleicher Weise des Schutzes dagegen, daß eine in handwerksmäßiger Routine erstarrte Rechtspflege dauernd Vernunft in Unstnn, Wohltat in Plage verkehre. Die „Vosslsche Zeitung" meint: Er ist beschämend für das deutsche Volk, daß um eines perversen Burschen willen der erste Beamte de» Reiches und Staates vor Gericht erscheinen muß. Daß an dem irrtümlichen Gerede von der Homosexuellität des Fürsten Bülow nichts, rein gar nichts ist, wer hätte je daran gezweifslt? Dar „Berliner Tageblatt" schreibt: Es weht in diesen Tagen gegen dis bsdenklosen Skandalmacher ein scharfer Wind und man kann nur hoffen, daß dieser Wind uns von allen giftigen verpestenden Miasmen befreien wird. Es ist absolut nötig, den Grundsatz wieder aufzustellen, daß das Privatleben auch des Gegners vor der Polemik verschont bleiben muß.
Berlin 7. Nov. Ueber dis Beziehungen der Reichsregierung zum Grafen Zepp eli n erfährt dis „Vossischs Ztg." von unterrichteter Seite folgendes: Sogleich bet seinem Zusammentritt wird dem Reichstag ein Nachtragsetat vorgelegt werden» durch welchen dem Grafen Zeppelin die Mittel zum Bau seines zweiten Luftschiffs zur Verfügung gestellt werden. Die Höhe dieser Summe wird dis im laufenden Etat bereits zur Unterstützung der Zeppelin','chen Bestrebungen ausgeworfene Summe von 500000^ nicht erreichen. Außerdem schweben zur Zeit Erwägungen darüber, wie die jahrelangen Bemühungen des Grafen Zeppelin und seine großen Geldopfer in angemessener Weise entschädigt werden sollen. Auch hierüber wird dem Reichstag bald eine Vorlage zugehen. Daß durch diese Aufwendungen au» Reichrmitteln sowohl das bereit» vorhandene, als auch das im Lauf dieses Winters neu zu erbauende Luftschiff in den Besitz des Reichs übergehen werden, darf dabei als selbstverständlich angenommen werden. Hieraus geht hervor, daß die in einer Prrteikorrespondenz zum Ausdruck gebrachte Auffassung von der Unzulänglichkeit der Unterstützung der Zepprlin'schen Bestrebungen durch das Reich irrtümlich ist, vielmehr ist Graf Zsppllin persönlich über dar bei seinem letzten Aufenthalt in Berlin an maßgebender Stelle bewiesene Entgegenkommen
überrascht gewesen, da es seine allerdings bescheidenen Erwartungen nicht unerheblich übertraf.
Flensburg 6. Nos. Heute früh kurz nach 9 Uhr ist auf dem bei Murwik liegenden Schulschiff „Blücher der Dampfkessel explodiert. Bisher wurden 8 Tote aufgefundsn. Die Zahl der Verwundeten beträgt bi» jetzt 22. Alle verfügbaren Aerzte au» Flensburg sind nach der Unglücksstätte geeilt. — Amtlich wirk» hiezu gemeldet: Die große Zahl von 8 Toten und 22 teilweise schwer Verletzten erklärt sich, den bisherigen Nachrichten zufolge, aus dem Umstand, daß der Kessel die über ihm liegenden Decks durchschlagen hat, wodurch auch zahlreiche unbeteiligte Leute getötet wurden. — Den Kieler Neuesten Nachr. zufolge sind auf dem „Blücher" tödlich verunglückt: Der Obermaschinistenmaat Hild, der Maschinistenmaat Saul, der Obermaschintst Becker, die Torpedohetzer Köller und Teller, der Oberbootsmannrmaat Hein, der Heizer Schmidt und der Obermaat Niekau.
Flensburg 7. Noo. Ueber die Explosion auf dem Schulschiff „Blücher", wird weiter berichtet, daß während der Explosion sich das gesamte Deck hob, um gleich darauf wieder zurückzufallen. Die gewaltige Detonation wurde auf der gleichfalls auf der Station liegenden „Württemberg", die sich mit dem Kreuzer „München" zu einer Schießübung in dis Außenföhrde begeben wollte, gehört. Daraufhin kehrte die „Württemberg" mit forcierter Fahrt zurück. Inzwischen hatten die an Bord zurückgebliebenen Matrosen sich an die Rettungsarbeit gemacht. Den zu Hilfe eilenden bot sich ein furchtbarer Anblick. Hinter dem Schornstein war eine mehrere Meter breite Oeffnung entstanden, die von Backbord nach Steuerbord ging. Mehrere Pfeiler und Stützen waren wie Streichhölzer geknickt und erschwerten den Rettenden, die in beständiger Gefahr schwebten, von herabstürzenden Eisenstücken erschlagen zu werden, außerordentlich dar Rettungswerk. Die leicht Verletzten machten sich trotz ihrer Wunden sofort an die Rettung ihrer Kameraden. Im Augenblick des Unglücks befanden sich über 300 Mann vor dem Hulk auf dem Uebungsfahrzeug. Die Zahl der Toten beträgt 10. Matrose Leu und Heizer Kellner, welche sich beim Ausbruch der Katastrophe als Wachen an Bord befanden, wurden hoch in die Lust geschleudert und schrecklich verstümmelt ins Meer geworfen, wo sie durch Taucher aufgefunden wurden. Da» Gewimmer der Verunglückten war herzzerreißend. Mehrere Tote konnten nur durch die Namen in der Kleidung identifiziert werden. Dar Kommando wurde von Hunderten mit Anfragen von auswärtigen Verwandten bestürmt. Sämtliche Flaggen der
nähme an der gegen Brandt erhobenen Anklage verdächtig sein könne. Zeuge Gehlsen sagt aus, er habe einer Mitteilung de» Dr. Hirschfeld entnommen, daß ein sehr freundschaftliches Verhältnis zwischen dem Fürsten Bülow und Geheimrat Scheefer bestehe. — Dr. Hirschfeld sagt unter seinem Eide aus, daß ihm über homosexuelle Neigungen Bülows nichts Authentisches bekannt sei. — Es tritt nunmehr eine Pause bi» 2^/s Uhr ein. Um 2^ Uhr werden die Verhandlungen wieder ausgenommen. Kriminalkommissar von Tresckow sagt aus, daß ihm in seiner amtlichen Tätigkeit nichts über homosexuelle Neigungen der Fürsten Bülow zu Ohren gekommen sei. Darauf wird der Ziegeleibesitzsr Schmidt vernommen, der bekundet, daß er dem Beklagten nichts über homosexuelle Neigungen des Fürsten Bülo v gesagt habe. Der Angeklagte bemerkt, daß er sich vielleicht in der Person getäuscht habe. Ein weiterer Zeuge, Schultz hat dem Angeklagten gleichfalls nichts über homosexuelle Neigungen der Kanzlers erzählt. — Auf die Vernehmung weiterer 4 Zeugen wird verzichtet. Alsdann wird ein Telegramm der Polizei in Rom verlesen, wonach in den Akten des dortigen Polizeipräsidenten nichts über Beziehungen zwischen dem Fürsten Bülow und Geheimrat Scheefer enthalten sei. Der Verteidiger erklärt darauf, daß der Angeklagte die Ueber- zsugung gewonnen habe, daß er die schweren Beschuldigungen gegen den Fürsten Bülow nicht aufrecht erhalten könne. Der Angeklagte bedauert, daß der Fürst nicht mehr anwesend sei, er würde ihn sonst um Verzeihung bitten. — Das Urteil gegen den Angeklagten lautet auf I V« Jahre Gefängnis. Das Gericht beschloß die sofortige Verhaftung.
Berlin 7. Nov. Der Ausgang des Prozesses Bülow-Brandt wird von der hiesigen Presse als etwas selbstverständliches angesehen und bietet wenig Anlaß zu aufgeregten Kommentaren. Nur der „Vorwärts" behauptet, Bülow hätte als Mensch eine Schlappe erlitten. Die Leitung des Prozesses und das Urteil geben mehreren Blättern Anlaß zu einer Parallele mit dem Prozeß Moltke- Harden. Dis „Deutsche Tageszeitung" schreibt: In der Person ihres Führers stand diese ganze Sippschaft moralisch verlottecter Individuen mit ihrer phantastischen Veranlagung wie mit ihrer namenlosen Dreistigkeit vor den Schranken des Gerichts und wurde gerichtet. Die „Post" sagt: Fürst Bülow sagte jüngst, daß er den Prozeß gegen Brandt aus Gründen der öffentlichen Reinigung unternommen habe. Es wird allerseits mit hoher Freuds empfunden werden, daß diese Reinigung so gründlich erfolgt ist. Die „Germania" erklärt: Wir sind gerade keine enthusiastischen Verehrer des Reichskanzlers, aber
heimkehren, habe ich gewiß so weit überwunden, daß ich ihm kühl und gleichgültig gegenübertreten kann. Und nun sprechen wir nicht mehr von ihm, ich bitte dich, Mutti."
Dieser Gespräch hatte Frau Helmbrecht tief bewegt und mit bangem, sorgendem Mutterherzen fragte sie sich vergebens nach dem Grund, der Mr. Williams ihres Kindes Liebe verschmähen ließ. Hatte er selbst ihr nicht die Neigung in die Seele gepflanzt, hatte er sie nicht wachsen sehen? So blind ist kein Mann, daß ihm eines Weibes Liebe entgehen könnte, am wenigsten aber der Amerikaner mit seinen klaren, offenen Augen. Zu einem freventlichen Spiel hielt sie ihn für unfähig, aber — ein jäher Schreck durchfuhr sie — wenn er drüben in Amereika bereits Verpflichtungen hätte, wenn er vielleicht gar verheiratet wäre?
Diese Möglichkeit faßte sie als einzigen Ausweg fest ins Auge, und dennoch mußte sie sich auch hier fragen: Welchen Grund konnte er zur Verheimlichung seiner Ehe haben?
Solche Vorstellungen und Fragen verließen sie nicht mehr. Sie sprach fie nicht aus, um Inges reines Gemüt, das niemals auf einen solchen Verdacht gekommen wäre, nicht zu beängstigen und betrüben.
Sie bangte und sorgte um ihr Kind, aber sie hatte e» kaum nötig. Inge begann sich wieder aufzurichten. Sie nahm lebhaftes Interesse an der bevorstehenden Reise, freute sich, an die See zu kommen. War sie so leicht darüber hinweggekommen?
Niemand ahnte es, daß der Stolz allein ihr überwinden half.
8 .
„Ich stehe vor der Alternative: Entweder du hilfst mir, oder ich nehme vermittelst einer kleinen Kugel Abschied von der Welt."
Die Dame, an die die Worte gerichtet waren, hob langsam den Kop f und musterte die Gestalt des Mannes, der aufgeregt im Zimmer umherlief, ruhig von oben bis unten.
„Diese Redensart habe ich schon zu oft gehört, um ihr noch besondere Bedeutung beizumessen, „Hans."
Der Angeredete blieb plötzlich vor ihr stehen. In dem Ausdruck seiner Augen lag etwas Drohendes.
„Diesmal ist es mir bitterer Ernst. Aber ich sage dir, mein Untergang wird zugleich der deine sein."
Die Dame verfärbte sich etwas, aber sie blieb vollständig gefaßt.
„Ich wüßte nicht, warum und auf welche Weise."
„Aber ich weiß es. Wir find ja immer zusammen gegangen, den Weg, den du mich führtest."
„Natürlich I Für alle Mühe und Aufopferung nur Vorwürfe und schwarzer Undank. Warum ließest du dich so gutwillig von mir führen, he? '
Die stechenden, grauen Augen hafteten wie zwei Schwertspitzen auf ihrem Gegenüber.
Fräulein Beate Wegner war eine hagere, große Frau von ungefähr fünfundvierzig Jahren. Das Haar war noch blond und umrahmte im gekräuselten Scheitel das Gesicht. Letzteres hatte nicht unebene Züge, aber die Raubvogelnase, die eingekniffenen Lippen, der seltsam versteckte Zug um die Mundwinkel und der lauernde, stechende Blick der kleinen Augen machten es unsympathisch.
„Du verweigerst mir also deine Hilfe?" fragte ihr Neffe, der Rechtsanwalt Hans Grunow, jetzt statt aller Antwort.
„Ich kann dir nicht helfen."
»Ah."
Rechtsanwalt Grunows Augen bohrten sich förmlich in die seiner Tante. „Du wirst mich nicht im Stiche lassen, Tante," rief er fast befehlend.
„Ließ ich dich bisher jemals im Stich? Habe ich dir nicht geholfen, wo ich konnte?"
„Ja — wo du zugleich deinen Vorteil im Auge hattest."
„Spare dir solche unnützen Redensarten. Ich denke, wir beide hätten uns einander nicht» vorzuwerfen und könnten deutsch zusammen reden. Du freilich hast mir meine Opfer niemals gedankt."