177. Amts- und AnzeigeblatL für den Oeprk Lalw. 82. Jahrgang.
«isch-inanzstage: Dienstag, Donnerstag, Samstag, Sonntag. JnsertionSpreiS Iv Psg. pro Zeile für Stadt and tzegjrttort«; außer Bezirk IS Psg.
Donnerstag, den 7. November L907.
Sdomrementjpr.ind. Stadt pr.Biertelj. Mk.l.ioincl.Drligeri. BirrtsljLhrl. VostdezuglpreiS ohne Bestell-. s. b. OrtS- u. Nachbar. ortSoerkehr 1 Mk.,f. o. sonst. K-rketzr Tür. t.t0. Bestellgeld »0 Pfg.
Amtliche Bekanntmachungen.
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im Jahre 1907 finden im Kontrollbezirk Calw wie folgt statt:
Kontrollstatton Calw am 9. November 3 Uhr nachmittags in der Turnhalle für die Gemeinden: Calw, Stawmheim, Neuhengstett, Altburg, Oberreichenbach, Rötenbach, Speßhardt, Sommenhardt, Zavelstein, Hirsau, Würzbach, Oberkollbach, Otten- bronn.
Kontrollstation Ltebenzell am 18. November 8'/e Uhr vormittags in der Turnhalle für die Gemeinden: Dennjächt, Ernstmühl, Liebenzell, Mött- lingeu, Monakam, Unterhaugstett, Unterreichenbach.
Kontrollstation Gechingen am 18. November 1'/- Uhr nachmittags bei der Kirche für die Gemeinden: Althengstett, Dachtel, Deckenpfronn, Gechingen, Ostelsheim, Simmozheim.
Kontrollstation Neubulach am 19. November 9 Uhr vormittags auf dem Lindenplatz beim Lamm für die Gemeinden: Neubulach, Teinach, Emberg, < Holzbronn, Altbulach, Liebelsberg, Oberhaugstett.
Kontrollstation Neuweiler am 19. November 12'/- Uhr nachmittags beim Rathaus für die Gemeinden: Neuweiler, Agenbach, Aichhalden, Bergorte, Breitenberg, Hornberg, Martinsmoos, Ober- kollwangen, Schmiey, Zwerenberg.
Zu den Kontrollverfammlungen haben zu erscheinen:
1. Die Herren Offiziere, Sanitätsoffiziere und obere Militärbeamte der Reserve.
2. Sämtliche Reservisten und zwar auch die als zeitig selb- uud garnisondienstunfähig und die als zeitig oder dauernd nur garnison- dienstfähig bezeichneten Mannschaften der Reserve.
3. Die als zeitig anerkannten Invaliden, Rentenempfänger und dauernd Halbinvaltden der Reserve.
4. Die zur Verfügung der Truppenteile und der Ersatzbehörden entlassenen Mannschaften.
5. Diejenigen Mannschaften, welche der Jahresklasse 1895 angehören und in der Zeit vom 1. April bis 30. September ins stehende Heer
eingetreten sind und von der diesjährigen Früh- jahrskontrollversammlung befreit waren.
Militärpässe nebst den darin befindlichen Kriegsbeorderungen bezw. Paßnotizen sowie Führungszeugnisse sind mit zur Stelle zu bringen.
Stöcke, Schirme, Cigarren u. s. w. sind vor Beginn der Kontrollversammlung abzulegen.
Orden und Ehrenzeichen sind anzulegen.
Unentschuldigtes Fehlen, sowie verspätetes Erscheinen wird mit Arrest bestraft.
Anzug der Herren Offiziere, Sanitätsoffiziere, und oberen Mtlitärbeamten der Reserve: Ueberrock oder Waffenrock und Mütze.
Calw, den 22. Oktober 1907.
König!. Bezirkskommando.
Vorstehendes ist in den Gemeinden durch die Ortsbehörden wiederholt auf ortsübliche Weise kostenlos bekannt zu geben.
Calw, 25. Oktober 1907.
K. Oberamt.
Voelter.
Tagesueirigketierr.
^ Calw. Es sei gestattet, auch an dieser Stelle auf den Familienabend der Ev. Gemeinde aufmerksam zu machen, der am nächsten Sonntag wieder wie in früheren Jahren im Saale des ^Badischen Hofs stattfinden wird. Das Bedürfnis der ev. Gemeindeglieder aller Stände, wenigstens einmal im Jahr sich in freier, geselliger Weise zusammenzuschließen und einander persönlich näher zu kommen, hat an diesen Abenden stets eine stattliche Zahl hiesiger Einwohner mit ihren Familien herbeigeführt. Da Heuer diese Vereinigung gerade am Geburtstag Luthers stattfinden soll, so ist ein willkommener Anlaß vorhanden, dieses größten Deutschen, dieses Bahnbrechers für die Entwicklung unseres Volks nicht nur auf kirch- lichem, sondern auf allen Gebieten des Lebens dankbar zu gedenken. Neben Deklamationen von Mitgliedern des Jünglingsoereins werden auch verschiedene musikalische Genüsse von hiesigen Damen und Herren dargeboten werden, so daß
wir uns wohl einen angenehmen und anregenden Abend werden versprechen dürfen.
Calw. Ein Boucher - Concert steht uns für den 9. November im Dreiß'schen Saale in Aussicht. Die beiden gottbegnadeten Künstlerinnen Geschw. Boucher find uns hier bekannte liebe Freundinnen, deren großartigem Geizen- und Klavierspiel das hiesige kunstfinnige Publikum schon öfters mit Entzücken gelauscht hat; sie sind Enkelinnen des Altmeisters Jean Alexander Boucher, der zu Paris, 91 Jahre alt, gestorben ist. Sein Renommee ist auf seine Enkelinnen in vollem Maß übergegangen. Wer das kunst« und seelenvolle Spiel der Geschw. Boucher einmal gehört hat, wird es nicht wieder vergessen. Musikliebende werden es gewiß auch diesmal nicht versäumen, den Boucher-Abend zu besuchen.
sAmtliches aus dem Staatsanzeiger.j Auf Grund der Erstehung der zweiten Dienst- Prüfung wurde unter and. Kandidaten die Befähigung zur Anstellung auf realistischen Hauptlehrstellen zuerkannt: vr. Dinkelacker, Alfred von Calw, Or. Ganzenmüller, Wilhelm von Calw.
Hirsau 4. Nov. Wohl selten mag das evangelische Deutschland das Reformation-fest dankbareren Sinnes gefeiert haben, als im laufenden Jahre, in welchem ihm von Rom aus so überaus deutlich gezeigt wurde, welch' hohe sittliche Güter ihm durch die gottbegnadeten Männer der Reformation zu teil wurden. So war es freudig zu begrüßen, daß am Nachmittag dieses Festtages auf dankenswerte Einladung des Herrn Sägewerkbesitzers Ludwig Wagner, des Vorstands der Ortsgruppe Hirsau der Deutschen Partei, sich in Ernstmühl eine Anzahl patriotischgesinnter Männer zusammenfand, um aus lauterer Quelle die geschichtliche Wahrheit über die Entstehung des so berühmten Klosters Hirsau zu schöpfen, von dem aus in vergangenenen Jahrhunderten die hohe Politik mehr geleitet wurde als Mancher anzunehmen geneigt ist. Herr
Der verlorene -Sohn.
Roman vonElsbeth Borchart.
(Fortsetzung.)
Jnge's Augen gingen zuweilen suchend umher, aber der Ersehnte kam nicht.
Was war nur geschehen? Was hatte ihn so verändert seit gestern? Und gerade heute in dem Augenblick, als sie bereit gewesen war, ihm das Höchste zu geben, was sie besaß, sich selbst — als sie in trunkener Seligkeit auf die Bestätigung dessen harrte, was ihr seine leidenschaftlichen Küsse seine heißen Blicke und Worte gestern verraten hatten: „Inge, ich liebe dich". Da hatte er sich in rätselhafter Verstörung losgeriffen und war davongestürmt, wie fliehend vor einer Gefahr.
Hatte sie sich getäuscht? Liebte er sie nicht? Floh er vor ihrer Liebe, die er nur zu deutlich in ihrem Gesicht hatte lesen müssen?
Wieder war es, als wenn etwas Eiskalter über ihr Herz lief.
Wenn nur dieser Tag erst zu Ende, wenn sie erst in ihrem einsamen Zimmer wäre und ihr junges Leid hinaurweinen und schreien könnte!
Aber noch tummelten sich die Paare munter im Garten, noch scholl lustiges Plaudern und Lachen durch verschlungene Wege.
Unterdeß eilte ein einsamer Mann auf abgelegenen Pfaden durch Wiesen und Aecker. Er trug den Hut in der Hand, und dis Frühlingsluft umkoste seine heiße Stirn. Planlos, kreuz und quer eilte er, wie einer, dessen Seele vergebens nach Ruhe und Frieden ringt- -
Und dennoch schien er ein bestimmtes Ziel zu verfolgen. Vor einem mit einem Gitter umzäunten Garten machte er endlich Halt.
Er war der Friedhof von Buchenau.
Er trocknete den Schweiß von der Stirn und trat ein.
Durch die Reihen der Gräber hindurch an hohen Kreuzen vorbei schritt er immer gerade aus.
Vor einem wohlgepflegten Grabe blieb er stehen, faltete die Hände und schien zu beten.
Mit einem Male stürzte er nieder, barg den Kopf mit einem schmerzvollen Aufschrei in die Hände und beugte sich auf das Grab, das mit Frühlingsblumen übersäet war.
Abgerissene, unverständliche Laute kamen über seine Lippen.
„Wahnsinniger — Verbrecher!"
Es gellte in seinen Ohren, und es packte ihn gewaltsam.
»Inge, Inge, warum bist du keine andere — warum ist dich liebe n für mich Sünde und Verbrechen."
Ec preßte die Fäuste gegen die hämmernden Schläfen.
„Ich muß fort — fort aus dem Hause — ich darf dis Schwelle nicht mehr betreten. Ausgestoßen — ausgestoßen — ein Fremdling, ohne Heimat! — Und die Sühne, die Lebensaufgabe, die ich mir stellte? Dahin — vergebens! — Und der blinde Mann, dem ich das Versprechen gab, ihn nicht zu verlassen, dem ich schwur, seine Rechte zu bewahren, für ihn zu wirken und zu arbeiten, bis — bis — ?
O, mein Gott — ich darf nicht fliehen vor der Leidenschaft, die mein Herz umkrampft. Aushalten muß ich, das schier Untragbare tragen bi» ans Ende. Dar ist die Sühne, das soll die selbstauferlegte Strafe sein. Ob ich es tragen werde? Ich bin ein Mann, aber sie, das süße Geschöpf, dem ich ahnungslos die Liebe zu mir in die reine Seele träufelte! Ihr Leid mit ansehen und sich sagen müssen: Du, du trägst die Schuld!"