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^ 176. Amts-
und Änzeigeblmt für den Bezirk Calw. 82. Jahrgang.
Brscheinungstage: Dienstag, Donnerstag, Samstag, Sonntag. Jnsertionspreis 1l> Pfg. pro Zeile für Stad t «rs Bezirksort«; außer Bezirk 12 Psg.
Dienstag, den 5. November 1907.
Lbonnemrntspr. ind. Stadt pr. Bterielj. Mt. 1.10 mcl.DrLgerl. AterteljLhrl. Postdezugtprets ohne Bestellg. f. b. Orts- u. Nachbar, ortsoerkehr IM!,, f. d. sonst. B«I«ßr Dl I.ts, Bestellgeld 2l> Bsg.
Amtliche Bekanntmachungen.
An die Ortsvorsteher nnd die Wahlvorsteher für die letzte Landtagswahl.
Nachdem Landtagsabgeordneter Staudenmeyer im Landtag für definitiv legitimiert erklärt worden ist, sind die in jeder Gemeinde versiegelt aufbewahrten Landtagswahl-Stimmzettelnunmehrzuvernichten.
Die Wahlumschläge und Stimmzettel von der Reichstagswahl find dagegen noch weiter auf- znbewahren, da die Wahlprüfung im Reichstag noch nicht erledigt ist.
Calw, 4. November 1907.
K. Oberamt.
Voelter.
Die Ortsbeh'örden
werden benachrichtigt, daß vom 6. November 1907 an in Oberkollwangen, vom 3. Januar 1908 an in Deckenpfronn und vom 18. Februar 1908 an in LiebelSberg Kochknrse abgehalien werden. Weiteren Anmeldungen wird entgegengesehen.
Calw, 4. November 1907.
K. Oberamt.
Voelter.
Tagesuenigkeiten.
Calw 2. Nov. Das herrliche Wetter, dar zur Freude von Alt und Jung, immer noch anhält, läßt die Pflanzenwelt noch nicht zur Ruhe kommen. In den Gärten treiben namentlich Rosen und Dahlien stets neue Knospen und Blüten. Gänseblümchen, Löwenzahn, Erdbeeren und auch Veilchen fangen wiederholt an zu blühen und zu all diesen Frühlingskindern, dis unser Kontorpult schmücken, kam heute noch ein neues, nemlich ein selbst zu Tage gekrochener munterer
Maikäfer. — Da wir noch gar keinen Nachtfrost hatten, sind die Himbeeren zweiter Ernte (Sorte Fastvlff und and.) Heuer zu schönen Früchten ausgereift.
(Amtliches aus dem Staatsanzeiger.j Se. König!. Majestät haben am 10. Oktober ds. Js. allergnädigst geruht, die evangelische Pfarrei Gültlingen, Dekanats Nagold, dem Pfarrer Widmann in Steingebronn, Dekanats Münfingen, zu übertragen.
L. Stammheim 2. Nov. Am letzten Mittwoch schied Herr Lehrer Bickel aus unserer Gemeinde um nach seinem neuen Wirkungskreis Lausten a. N. überzusiedeln. Am Vorabend der Abreise versammelte sich die hiesige Bürgerschaft im schön dekorierten Waldhornsaale um mit der scheidenden Lehrsrsfamilie noch einige fröhliche Stunden zu verbringen. Hiebei hielt der Vorstand des Veteranen-Vsreins eine längere Ansprache und hob die Verdienste des uns so wert gewordenen Mannes hervor. Nun folgten Gesangs- vorträge des Liederkranzes, besten Dirigent und Vorstand Herr Bickel war, sowie Reden und Toaste von verschiedenen Mitbürgern, sowie von Herrn Oberförster Wurm und Herrn Pfarrverweser Brecht. Ein Tenor-Solo, sowie ein heiteres Gedicht vorgetragen von Vereinsmitgliedern des Lisderkranzes fanden allgemeinen Beifall, auch die hiesige Musikkapelle erheiterte den Abend durch ihre schönen Weisen. Nur zu bald nahte die Stunde des Scheidens und jeder ging mit dem Gefühl nach Hause: wir haben einen Mann verloren der uns so oft mit Rat und Tat zur Seite gestanden ist und den wir sehr vermissen. Am Mittwoch Nachmittag versammelte sich der Liederkranz vor der Wohnung des Herrn Lehrers, um ihn nach der nahegelegenen Bahnstation Althengstett zu begleiten. In der „Traube"
wurde noch ein Abschiedsschoppen getrunken und nun ging» dem Bahnhof zu, woselbst der Liederkranz noch ein Abschiedslied sang. Unter Hochrufen setzte sich der Zug in Bewegung und viele Hände winkten dem Scheidenden nochmals ein Lebewohl zu.
Stuttgart 2. Nov. Heute früh wurden die Bewohner der äußeren Lerchenstraßs in größte Aufregung versetz*. Bei der Ringosenziegelei von Gottlob Wiedmann in der Lerchenstraße hat man eine weibliche Leiche gefunden. Es ist das 13 jährige Töchterchen des Spezereiwarenhändlers Jakob Schab el. der in der Lerchenstraße 52, in nächster Nähe der Ziegelei Laden und Wohnung in einem Untergeschoß inne hat. Sofort angestellte umfangreiche Untersuchungen haben ergeben, daß wahrscheinlich ein Lust- mord vorliegt. Eine Anzahl Verhaftungen find im Zusammenhang mit der Tat bereits vorgenommen worden. Unter den Verhafteten befinden sich auch einige Arbeiter der Ziegelei, doch hat der Täter noch nicht ermittelt werden können. Die Untersuchung schwebt noch. Das Kind liegt in der Frühe des heutigen Tages in dem kleinen Laden der jammernden Eltern, der von einer großen Menschenmenge umstanden ist. Wie uns von anderer Seite noch gemeldet wird, ist die 14jährige Klara Schäkel gestern abend von ihren Eltern fortgeschickt worden, um leere Bierflaschen zu sammeln. Als da» Kind nach längerer Zeit noch nicht heimgekehrt war, gerieten die Eltern in Angst und ließen nach dem Kinde suchen. An einem Zaun liegend wurde es gefunden.
Stuttgart 4. Nov. Zu dem gewaltsamen Tode der 14jährigen Klara Schabet, Tochter des Spezereiwarenhändlers Jakob Schabel, verlautet jetzt mit Bestimmtheit, daß das Kind nicht einem Lustmörder zum Opfer gefallen, sondern zur Ab-
Der verlorene Sohn.
Roman vonElsbeth Borchart.
(Fortsetzung.)
7.
Der nächste Morgen brach an. Heller, warmer Sonnenschein lag auf den Fluren; er tauchte die Erde in eitel Gold und Licht. Und alles was da lebte und webte, regte sich. Die Blumen entfalteten ihre Kelche, dis Käfer krochen aus ihrem nächtlichen Versteck hervor, und die gefiederten Sänger stimmten ihr Morgenlied an:
„Die Erde braucht Sonne zum frohen Gedeihen,
Und der Mensch braucht ein Herz, dem er seines kann weihen."
Inge war schon früh auf, das heißt, sie hatte die ganze Nacht wenig geschlafen. Der Schrecken des vorangegangenen Abends lag ihr wohl noch zu sehr in den Gliedern, und die Angst um ihn, der durch Nacht und Dunkel nach seiner Wohnung gehen mußte, hielt sie noch lange wach. Angestrengt lauschte sie hinaus. Nichts Verdächtiger ließ sich vernehmen. Er war doch wohl sicher in seinem Zimmer angelangt.
„Gott gebe es!"
Inge betete so heiß und inbrünstig, wie sie noch nie gebetet hatte. Dann erst legte sie sich nieder. In ihrer Seele stieg etwas auf, das alle Schrecken, alle Furcht überwand und vergessen machte, etwas Gewaltige», Beseligendes. Sie drückte das heiße Gesicht in die Kiffen und schluchzte. So fand er einen Ausbruch, was ihr da» Herz zu sprengen drohte.
Der Morgen fand sie rosig und frisch wie immer. Kein Schatten lag auf dem blühenden Gesicht, kein Schleier trübte die strahlenden Augen.
Heute war ihr achtzehnter Geburtstag.
Sie stand im Zimmer neben den Eltern, wo diese ihr einen Tisch voller Liebesgaben aufgebaut hatten. Mit dankbar kindlichem Empfinden
küßte sie die Lieben, die ihr so reichliche Gaben beschert hatten. Und doch war ihre Freude eine andere wie sonst, gleichsam verklärt durch etwas Höheres.
Eine unbezwingliche Sehnsucht und frohe Zuversicht, ein jubelndes Hoffen auf etwas Großes, Herrliches, das ihr heute noch begegnen müsse, das lag in dem Ausdruck der Augen, in jeder Bewegung, in jedem Wort.
Die Eltern hatten sich nach dem gemeinsam eingenommenen Frühstück zurückgezogen. Da hielt Inge es nicht länger im Zimmer aus. Hinaus in die Maienpracht! Hinausjubeln das selige Glück ihrer achtzehn Jahre, des schäumenden, heiß empfindenden Jugendblutes und Jugendmutes!
Sie trat auf die Veranda, wo sich gestern das Schreckliche ereignet hatte und ein unbestimmbarer leiser Jubellaut entfloh ihren Lippen.
Vor ihr stand Mr. Williams.
Er trug ein Bukett von herrlichen roten Rosen.
Sie sah nicht die bleiche Farbe seines Gesichts, die dunklen Ränder unter den umflorten Augen, sie sah nur ihn, dem ihr ganzes reines Herz entgegenjauchzte. Ihre Wangen waren mit Purpurröte übergoffen und in ihren Augen lag ein strahlender Glanz.
„Fräulein Inge — ich wollte Ihnen Glück wünschen, so viel Glück, wie es nur erdenkbar ist."
Er sprach hastig und seine Stimme klang seltsam und trübe.
„Nehmen Sie diese Rosen und — und denken Sie, daß niemand es so treu mit Ihnen meinen kann — als — Inge, Inge, war ist Ihnen? "
Sie war bleich geworden, und ihre zitternden Finger vermochten kaum den Rosenstrauß zu halten.
„Ich danke Ihnen von Herzen," stotterte sie verwirrt.
Er nahm ihre kleine Hand und preßte sie an seine Lippen, wieder und wieder. Dann sah er auf. Beider Blicke begegneten sich, sie ruhten minutenlang ineinander, so heiß und fest, als könnten sie sich nimmer von einander reißen.
Plötzlich ein Schreckenslaut — des Amerikaners Gesicht wurde aschfahl,