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Stuttgart 29. Okt. (Strafkammer). Die schon öfters vorbestrafte Dierstmagd Barbara Jung von Kirchheim Amt Heidelberg entwendete hier einem Herrn eine goldene Uhr mit Kette im Wert von 300 Die gestohlenen Sachen wollte sie auf der Pfandleihanstalt versetzen, sie wurden aber, da der Beamte Verdacht schöpfte, zurückbehalten und dem Bestohlenen, der inzwischen Anzeige bei der Polizei erstattet hatte, wieder eingehändigt. Das Urteil gegen die Angeklagte Jung lautete auf zehn Monate Gefängnis.
Reutlingen 29. Okt. (Viehmarkt.) Zugetrieben waren: 340 Ochsen, 1 Farren, 288 Kühe, 172 Rinder, 166 Kalbeln, 66 Kälber, 400 Milchschweine und 60 Stück Läuferschweine. Preis für Mastochsen 900—1100 Zugochsen 550 bi» 900 Kühe 230—450 Kälber 70 bis 120 Milchschweine 10—18 ^ und für Läuferschweine 25—50 Der Handel gestaltete sich sehr lebhaft.
Enzweihingen OA. Vaihingen 28. Okt. Der ledige Stallschweizer Gottlieb Krazeisen vom Pulverdinger Hof war nach eingetretener Dunkelheit in der Scheuer seines Dienstherrn mit dem Herabwerfen von Preßstrohballen vobr Oberling aus beschäftigt. Hiebei scheint er wohl infolge Fehltritts in die Tenne abgestürzt zu sein, wo er einige Zeit später von seinem Dienstherrn mit zerschmettertem Schädel bewußtlos und blutüberströmt aufgefunden wurde. Krazeisen wurde sofort in dar Bezirkskrankenhaus Vaihingen überführt, doch ist jede Hoffnung auf Erhaltung seines Lebens ausgeschlossen.
Obereßlingen 29. Okt. Gestern nachmittag 4 Uhr, brachte sich ein hier wohnender Russe einen Schuß inden Unterleib bei, sodaß er mit dem Sanitätswagen nach Eßlingen überführt werden mußte. Die Verletzungen sind nicht lebensgefährlich.
Biber ach 29. Okt. Vor einiger Zeit war man beinahe tagtäglich beunruhigt über die Brandnachrtchten, die aus dem Oberamt Gmünd kamen. Man erinnert sich, daß wir mit bedauerlicher Regelmäßigkeit auf immer wieder neue Brandfälle, die hauptsächlich Wirtschaften betrafen, zu sprechen kommen mußten. Eine große Aufregung hatte sich der ganzen Gmünder Einwohnerschaft bemächtigt, die erst nach einiger Zeit der Ruhe wieder etwas zurückgegangen ist. Jetzt kommen aus dem Oberamt Biberach derartige bedauerliche Nachrichten. Innerhalb weniger Wochen hat cs heute Nacht zum fünften Mal in unserem Oberamt gebrannt. Gegen V-8 Uhr abends brach in dem großen Anwesen des Oeko- nomen Josef Rief in Kirchberg an der Iller Feuer aus. Der Gebäudeschaden wird auf 15000 veranschlagt. Näheres ist noch nicht zu erfahren.
Friedrichshafen 28. Okt. Heute abend sammelten sich hier die Hirtenkinder aus Tirol, um in die Heimat zurückzukehren. Mit Extraschiff
fuhren sie nach Bregenz. Ein Herr aus Schramberg wollte den jungen Leuten eine kleine Freude bereiten und ließ 500 Brote und 230 Würste auf ihr Schiff bringen.
Straßburg 28. Okt. Der bisherige Statthalter der Reichslande Fürst zu Hohenlohe-Langenburg verabschiedete sich mit der folgenden öffentlichen Kundgebung: „Der Bevölkerung Elsaß-Lothringens sage ich in dem Augenblick, wo ich das Land verlasse herzlich Lebewohl. In den 13 Jahren, wo ich durch die Gnade seiner Majestät des Kaisers die Verwaltung dieses herrlichen Landes geleitet habe, war es mein Bestreben, nach besten Kräften dem Allgemeinwohl zu dienen. Von ganzem Herzen danke ich für das viele Freundliche und Gute, das mir im Lande stets entgegengebracht worden ist. Ich bitte die Elsaß-Lothringer, meiner auch künftig freundlich zu gedenken, wie auch mein Herz stets dem Lande Elsaß-Lothringen gehören wird." Der Fürst, der sich gestern nach Langenburg begeben hat, wird zu seiner Erholung nach Nizza fahren.
Berlin 29. Okt. Der Großherzog von Toskana liegt nach den vorliegenden Nachrichten in Salzburg im Sterben. Die Lähmung der Beine ist eine vollständige. Eine Augenoperation wird als unmöglich erklärt, weil hinter dem grauen Star wahrscheinlich eine Lähmung der Sehnerven ist. Gestern abend wurde das Eintreffen des Ehepaars Toselli in Salzburg erwartet, ebenso das des Erzherzogs Heinrich aus München.
Berlin 29. Okt. Das Urteil im Har - den-Moltke-Prozeß wurde heute Vormittag 10 V- Uhr gefällt. Das Urteil lautet frei- sprechend für Harden, indem das Gericht annahm. daß keine Beleidigung vorliege, da Harden den Beweis für die Wahrheit der Angaben in seinem Artikel erbracht habe und da bei dem Grafen Moltke tatsächlich homo-sexuelle Anlagen vorliegen.
Berlin 29. Okt. Das Urteil im Prozeß Moltke-Harden findet eine sehr geteilte Aufnahme. Auf der einen Seite wird es als durchaus berechtigt anerkannt, auf der anderen Seite mit Kopfschütteln entgegen genommen. So schreibt beispielsweise die „Vossische Zeitung": Dem Grafen Moltke ist weder bewiesen worden, daß ein Makel an seiner Ehre haftet, noch, daß er die Entschließung des Kaisers beeinflußt oder auch nur zu beeinflußen gesucht habe. Liegt aber gegen den Grafen Moltke politisch nicht» von Belang, persönlich nichts als seine angebliche homo-sexuelle Veranlagung, nicht etwa eine homosexuelle Verfehlung vor, so ist die Frage berechtigt: Hat ein alter General, der im Felde geblutet und 40 Jahre lang in Ehren seine Pflicht getan hat, dieses grausame Schicksal verdient? Kann ihm, dem harmlosesten der ganzen Gruppe der Beschuldigten Mitgefühl verweigert werden? Sehr entrüstet ist die „Deutsche Tageszeitung", welche
sagt: Wir brauchen kaum zu sagen, daß es für uns selbstverständlich ist, daß das Gericht nach bestem Wissen geurteilt hat, aber mit aller Schärfe müssen wir betonen, daß wir uns keines Urteils entsinnen können, daß nach unserer Ueberzeugung auf einseitigerer und schwankenderer Grundlage aufgebaut war. Die „Post" meint: Harden ist freigesprochen worden; das kann nicht überraschen. Die höhere Instanz wird vielleicht anders urteilen. Die Unzulänglichkeit des Schöffengerichtes und der Verteidigung des Privatklägers und die außerordentliche Anmaßung und Geschicklichkeit der Verteidigung des Beklagten haben leider den bisherigen Gang des Prozeßes zum Schaden des Staates und des zweifellos bedauernswerten Klägers beeinflußt. Dagegen treten die „Berliner Neuesten Nachrichten" für Harden ein und sagen: Er ist das Spiegelbild bestimmter Zeiterscheinungen. Mit Bewunderung solcher Persönlichkeiten heilt man die Schäden der Zeit nicht. Aber auch die anderen, die so großes Aergernis an ihm nehmen, mögen bedenken, daß der Hebel anderswo anzusetzen ist, als bet diesen Persönlichkeiten. Die „Volkszeitung" meint: Der Freispruch, den das Schöffengericht als Volksgericht gefällt hat, ist ein erfreulicher Protest gegen die gerade in Preußen so zahlreich wie nirgends auftauchenden Versuche, der Presse die Aufdeckung arger Mißstände im Staatsleben zu verneinen.
Wien 29. Okr. Im Walds von Lemberg fand ein Pistolenduell zwischen zwei Mädchen, der 20jährigen Reiter und der 19- jährigen Mana, beide Praktikantinnen in einer Speditionsfirma, statt. Im ersten Gang wurde die Mana leicht verwundet, im zweiten Gang erhielt die Reiter einen Kopfschuß, an dem sie im Krankenhaus starb. Die Ursache des Duells ist, daß beide Mädchen einen Hauptmann liebten, der ihnen die Heirat versprochen hatte.
Warschau 29. Okt. In Lodz greift die Anarchie um sich. Gestern früh fanden fast gleichzeitig vier Raubanfälle auf kaufmännische Kontore statt. Vor die Tür eines Kontors, dessen Inhaber sich weigerte, aufzuschließen, wurde eine Bombe geworfen. Im Kontor der Straßenbahn wurden 500 Rubel geraubt. Es ist erwiesen, daß die Räuberbanden zur Hälfte aus Mitgliedern der sozialistischen Kampf-Legion bestanden. Bei den Raubzügen werden Bomben und Pistolen benutzt, welche von sozialistischen Arsenalen zu anderen revolutionären Zwecken geliefert worden find.
Florenz 29. Okt. Heute reist aus Florenz der Rechtsanwalt Graf Mattaroli mit der kleinen Pia Moni ca und deren Bonne nach Deutschland ab. In Tirol übergibt Mattaroli die Prinzessin einer aus Dresden entgegengesandten Vertrauensperson des Königs von Sachsen. Frau Toselli erhält dafür die ausgedungene Rente von 40 000 Lire. Ueber alles Weitere, wie das Recht» ihre Kinder wiederzusehen, hat der König von Sachsen sich die Bestimmung Vorbehalten.
reichte dem anderen zum Abschied die Hand. Sie sprachen noch eine Weile; Inge achtetet« nicht darauf. Plötzlich schlug ein Name an ihr Ohr, der sie interessierte und jetzt aufmerksamer zuhören ließ. Das war der Name Franz Linden. Kcch hatte Seiffert gefragt, ob Franz Linden wieder einmal bei der Mutter gewesen sei.
„Gottlob, nein," erwiderte Seiffert.
„Warum sagst du „gottlob"?" fragte Koch.
„Weil er mir bei seinem letzten Besuch zu Weihnachten nicht gefiel. In seinen Augen lag nichts Gutes; er stieß Drohungen und Verwünschungen au». Du weißt ja, was damals an dem Streiktage geschah, Koch. Du bist der Einzige, der um mein Geheimnis weiß und wirst es bewahren."
„Du meinst, als er damals mit dem Messer auf Mr. Williams losging?"
Inge preßte die Hände vor Schreck zusammen, als sie diese Worte auf ihrem Lauscherposten vernahm. Koch fuhr fort: „Franz war von jeher ein leidenschaftlicher aufbrausender Mensch. Damals in der Erregung hätte er es wohl fertig gebracht» Mr. William» den Garaus zu machen, wenn du ihm nicht in den Arm gefallen wärest. Aber glaubst du, daß sein Zorn jetzt nicht längst verraucht ist?"
„Nein-ich glaube es nicht. Und leider ist ihm in seinem
blinden Haß alles zuzutrauen. Er hat zu Weihnachten gesehen und gehört, wie wir alle unseren Direktor verehren und ihm anhangen. Darum wird er seinen Haß auf einem anderen Wege zum Austrag bringen, als auf dem vielleicht anfangs beabsichtigten des Schürens und Hetzens."
„Du siehst hoffentlich zu schwarz, Seiffert. Jedenfalls wäre es besser gewesen, Mr. Williams hätte Lindens Haß durch die Entlassung nicht noch geschürt. Er mußte doch wissen, daß Franz es ihm nie vergeben würde."
„Es war ein gewagter Stück. Ein anderer hätte es wohl kaum
riskiert. Aber Mr. Williams fürchtet eben nichts und niemand; er ist ein ganzer Mann. Du hättest ihn nur sehen sollen, als er Franz mit dem Messer in der Hand vor sich stehen fand. Mit keiner Wimper hat er gezuckt."
„Er hätte ihn müssen verhaften lassen. Anstatt dessen gab er ihm noch ein Zeugnis, damit er wo anders unterkäme. Ob er ihn damit beschwichtigen wollte?"
„Das kann ich kaum annehmen; es muß ihn etwas andere» dazu bestimmt haben, doch, nun Koch, du mußt eilen, sonst kommst du zu spät zum Zuge. Adieu — — auf Wiedersehen."
Inge taumelte wie betäubt an die Wand. Sie war über das soeben Gehörte tödlich erschrocken. Darum also hatte Mr. Williams sie vor ihm gewarnt, und sie hatte ihn für hart und ungerecht gehalten! Warum hatte Williams ihr nicht gesagt, was geschehen war? Wollte er sie nicht er- schrecken, oder wollte er die ganze Angelegenheit überhaupt geheim halten? — Wenn Franz wiederkäme und meuchlings über ihn herfiele? Eine zitternde Angst befiel sie bei dem Gedanken. Wenn sie nur wüßte, wie sie ihn schützen könnte! Gottlob, daß Franz nicht mehr in Buchenau war; sie hätte sonst keine ruhige Stunde gehabt.
So dachte sie zuerst, nachher schalt sie sich, daß sie dergleichen» ihrem einstigen Spielkameraden zutrauen konnte. Koch hatte gewiß recht, wozu Franz in seiner damals so leidenschaftlichen Erregung fähig gewesen wäre würde er bei ruhiger Ueberlegung nimmer ausführen.
So suchte Inge fich zu beruhigen, aber die Angst wollte doch nicht von ihr weichen. Oft fuhr sie nachts aus beängstigendem Traum empor. Sie hatte Mr. Williams blutüberströmt am Boden liegen und daneben Franz Linden mit gezücktem Messer stehen sehen.
(Fortsetzung folgt).