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Calw. Der Holzhauer Seitz von Aichel­berg, welcher seinen Sohn erschossen hat, wurde vom Schwurgericht wegen Totschlags zu4Jahren Gefängnis verurteilt. Bei der Verhandlung brachte Seitz zu seiner Rechtfertigung vor: er habe in der Notwehr gehandelt und seinen Sohn nicht löten, sondern blos schrecken wollen. Die Be­weisaufnahme ergab, daß auch der Getötete selbst Schuld an den Zerwürfnissen trug, er war gegen seinen Vater roh und hatte ihn geschlagen. Dem Schutzvorbringen des Angeklagten stellte die Frau des Getöteten gegenüber, daß der Angeklagte so­fort nach dem Schüsse geäußert habe:So jetzt hast Eins". Diese Aeußerung war von mehreren Zeugen bestätigt worden.

n. Breitenberg. Unsere Gemeinde erfreut sich Heuer einer reichen Obsternte. Vieles ist noch unverkauft, namentlich auch sehr schönes Brechobst; z. B. wurde heute ein Apfel gepflückt, der 450 Gramm wiegt.

Stuttgart 24. Okt. In einem hiesigen Gasthaus wurde gestern ein Fremder, der sich als Goldarbeiter Karl Jäger von Lindach im Fremden­buch eingetragen hatte, erschossen im Zimmer aufgefunden. Es liegt Selbstmord vor. Ge­stern nachm, wurde ein Italiener von einem Schutzmann, dem er schon auf der Straße ver­dächtig erschienen war, in einem Hause der Jo- hannerstraße beim Mansardendiebstahl überrascht und festgenommen.

Crailsheim 23. Okt. Die hiesigen Bäcker, die zum Konsumverein teilweise in Lieferungsverhältnissen standen, haben dieses bis zum 28. gekündigt und als Grund die fortdauernde Steigerung der Mehlpreise angegeben. Man erwägt nun bei den Eisenbahnunterbeamten, die den hiesigen Konsumverein gegründet haben, den Gedanken der Errichtung einer Konsum­vereinsbäckerei.

Ulm 22. Okt. Ein Artikel in derUlmer Schnellpost":Nebenbahn oder Kraftwagenpost" ?, macht den Vorschlcg, anstatt 800 km Neben­bahnen, die aus ollen Gegenden des Landes zur Entscheidung der Regierung und Landstände ge­stellt seien und die eine Ausgabe von 80 Millionen Mark verursachen würden, Kraftwagenverbindungen zu schaffen. Er wird dabei berechnet, daß einem Kraftwagen eine durchschnittliche Tagesleistung von 100 km zugemutet werden könne, wobei (einge­rechnet die Reseivewagen) eine fünfmalige Hin- und Zurückfahrt von je 10 km angenommen wird. Demnach würden 80 Kraftwagen nötig sein, die bei einem Einheitspreis von 20000 ^ 1,6 Millionen kosten würden. Für Lastkraftwagen werden 0,9 Millionen berechnet, so daß mit 2,5 Millionen das gesamte Verkehrsbedürfnis von 800 km Nebenbahnen befriedigt werden könnte. Der Artikel wendet sich gegen das beim Landvolk bestehende Mißtrauen gegen die Automobile und weist darauf hin, daß sich im letzten Winter in Berlin die Kraftwagen allein dem Schnee ge­wachsen zeigten, so daß auch im Winter eine ge­regelte Durchführung des Betriebs gesichert er­scheine.

München 24. Okt. Der infolge der Bierpreis-Erhöhung in München drohende Bier- Boykott ist glücklich vermieden worden. Die Vertrauensmänner der Gewerkschaften und der sozialdemokratischen Partei haben lediglich beschlossen, die Mäßigkeitsbewegung zu unterstützen, von einem Boykott des verteuerten Bieres jedoch abzusehen.

Berlin 23. Okt. Vor dem Schöffengericht des Amtsgerichts Berlin-Mitte begann hente unter ungeheurem Andrange des Publikums, unter dem die ersten Gesellschaftskreise vertreten waren? die Verhandlung des Beleidigungs-Prozesses Moltke.Harden, welchem die bekannten Vor­gänge zu Grunde liegen. Zu Beginn der Sitzung teilte der Vorsitzende mit, daß eine Reihe der Zeugen nicht erschienen seien, darunter Fürst zu Eulen bürg, der zwar in Berlin anwesend, aber krank sei. Er sei bereit, eventuell aurzusagen, könne dies jedoch nicht vor Gericht tun. Auch eine Reihe anderer Zeugen hat sich entschuldigt. Dagegen sind Graf Moltke und Maximilian Harden persönlich zur Stelle. Nach Verlesung

der zur Anklage stehenden Artikel fragt der Vor­sitzende den Angeklagten Harden' ob er den Grafen Moltke der Homosexuellität habe bezichtigen wollen. Harden erwidert, er habe nicht gesagt, daß Graf Moltke homosexuell sei. Er habe nur gesagt, er sei ein Mann mit abnormem Empfinden. Graf Molike erklärt, im weiteren Verlauf der Ver­handlungen, seine Freundschaft mit dem Fürsten Eulenburg sei durchaus einwandsfrei. Alle An­griffe seien ungerechtfertigt. Gegen Mittag schlägt der Vorsitzende einen Vergleich vor, den Harden aber entschieden zurückweist.

Berlin 23. Okt. Im Prozeß Moltke- Harden wurde nachmittags Frau von Elbe, geschiedene Gattin des Grafen Moltke vernommen, welche die Angaben Hardcns über das abnorme Empfinden ihres früheren Ehemannes in vollem Umfange bestätigte. Das gleiche geschah durch ihren Sohn. Um 6 Uhr abends wurde die Be­handlung auf morgen 10 Uhr vertagt.

Berlin 24. Okt. (Prozeß Moltke- Harden). Ter Andrang des Publikums ist heute noch stärker als gestern. Justizrat Gordon bittet noch­mals, die Zeugen darüber zu vernehmen, daß Graf v. Moltke im Verkehr mit edlen Frauen sich stets ritterlich benommen und von der Ehe stets eine hohe ethische Auffassung bekundet habe. Justizrat Bernstein stellt noch weitere Anträge: Ich werde beweisen, daß in der Umgebung der Höchsten Personen viele Päderasten sich befinden. Das hat nicht Harden gesagt, das sage ich. Ob Fürst Eulenburg sich an den päderastischen Orgien be- teiligt hat, weiß ich nicht. Einer dieses Namens war, wie ein Zeuge sagen wird, dabei. Ob Graf Moltke davon gewußt hat, wird sich ergeben. Er stellt weitere Anträge, die u. a. die Lauterkeit der Motive, die Harden leiteten, bestätigen sollen. Unter lautloser Stille im ganzen Saal begründet Justizrat Bernstein eingehend seinen Antrag. Der Verteidiger behauptet, daß schon in Wien allge­meine Gerüchte gingen, daß Fürst Eulenburg homo-sexuell sei. Er werde es, wenn es bestritten werde, beweisen. Dem Kläger kann das unmög­lich entgangen sein. Bezüglich des Grafen Hohenau hat er ja bereits zugestanden, daß es ihm be­kannt war. Justizrat von Gordon bestreitet das Letztere. Harden sagt: In der Anklage wird be- hauptet, Graf Moltke habe verspätet Kenntnis von den Artikeln und derem Sinn erhalten. Diese Behauptung ist falsch. Freiherr v. Berger wird es bestätigen, der bald noch Erscheinen der ersten Artikel mit dem Grafen Moltke darüber gesprochen hat. Tr. Limann soll darüber Aus­kunft geben, daß Fürst Bismarck den Fürsten Eulenburg in der krassesten Form der Homo- sexuellität beschuldigt hat.

Berlin 24. Okt. Im Prozeß Moltke- Harden wurde die Beweisaufnahme heute fort­gesetzt. Unter Anderem bekundete der als Zeuge vernommene Kommandeur der Garde-Korps, Generalleutnant von Kessel, er könne nur sagen, daß Fürst Philipp Eulenburg mit dem Privat­kläger sehr befreundet gewesen sei. Ueber sexu­elle Vorgänge sei ihm nicht das mindeste bekannt. Der später als Zeuge vernommene Bollhart er­klärt, daß er 1895 bei dem Garde-Korps ein­getreten sei. Im Jahre 1896 habe er vom Rittmeister Grafen Lynar die Aufforderung er­halten, ihn in seiner Villa zu besuchen. Dort sei er einige' Male gewesen. Es waren dort Graf Hohenau und einige Herren in Zivil. Ob auch Graf Moltke dort war, könne er nicht sagen. Es sei seinerzeit ein Graf von Moltke in Pots­dam Flügel-Adjutant gewesen, von dem man sich derartiges erzählte. Graf Moltke bestätigt, daß er damals Flügel-Adjutant war. Der Zeuge schildert dann im weiteren Verlauf seiner Ver­nehmung nicht wiederzugebende Szenen» die sich beim Grafen Lynar abgespielt haben sollen. Auf weitere Anfrage erklärt der Zeuge noch, er glaube, daß auch Graf Moltke dabei gewesen sei, doch könne er es nicht auf seinen Eid nehmen.

Oppeln 23. Okt- Der tollwütige Hund, der in den Kreisen Breslau, Ohlau und Brieg zahlreiche Personen gebissen hatte, ist jetzt auch im Regierungsbezirk Oppeln aufgetaucht, wo ebenfalls viele Personen und Tiere von ihm ge­bissen wurden, lieber die beteiligten Kreise wurde die Hundssperre verhängt.

London 23. Okt. Aus Lissabon wird telegraphiert, daß soeben die Nachricht eingetroffen ist, daß am vorigen Samstag ein furchtbarer Sturm, verbunden mit Regengüssen und Erd­beben Portugal verwüstet habe. Nament­lich die nördlichen Distrikte seien schwer heimge­sucht worden. Aller Telegraphen- und Telephon- Verkehr ist unterbrochen. In Coimbra folgte der Ueberschwemmung furchtbares Erdbeben. Das Land steht in vielen Gegenden 18 Fuß unter Wasser. Viele Häuser stürzten ein, Hunderte von Stück Vieh wurden von den Fluten fortgerissen. Man fürchtet, daß die Städte Coimbra und Vagon sowie mehrere Dörfer total weggefegt werden. Die Brücke über den Duro wurde gänzlich fort­gerissen. Zahllose Unfälle sind vorgekommen und man erwartet eine allgemeine Hungersnot.

Rom 24. Okt. Ein Erdbeben von großer Heftigkeit hat die Provinz Calabrien in Schrecken versetzt. In Catazaro, der Hauptstadt Calabriens, stürzte die Bevölkerung, vielfach notdürftig bekleidet, heulend ins Freie. In Ferruzzano ist er vielen ge­lungen ins Freie zu entkommen, indes ist die Zahl Umgekommener noch unübersehbar. Der ganze Ort ist ein einziger Trümmerhaufen. Die Regierung hat bereits 1 Million Lire für die nötigsten Bedürfnisse gesandt. Alis weiteren Ort­schaften Sinopoli, Zoopastra, Bianconovo wird der Einsturz von Häusern mit vielen Todesfällen gemeldet.

Vermischtes.

Die Berliner Mission, die seit 1891 am Njassasee in Deutsch-Ostairika an der Arbeit steht, hat sich entschlossen, im Sangulande eine neue Missionsarbeit zu beginnen. Schon 1892 wurden Beziehungen mit dem Sanguvolke angeknüpft. Infolge eines Grenzabkommens hat die katholische Mission auf die Besetzung des Ge­biets verzichtet. Nun steht das Land dem vor­dringenden Islam offen, wenn die evangelische Mission nicht sofort einsitzt. Denn die Sang» find der angesehenste und bedeutendste Stamm des Njassagebietr. Sie wollen nicht länger zu den verachteten Buschnegern gehören, sondern suchen Anschluß an einer überlegeneren Kultur. Es handelt sich also darum, an einem der wich­tigsten Punkte Deutsch'Ostafrikas den Kampf mit dem Islam entschlossen aufzunehmen. Allerdings ist Sanguland, d. h das etwa 300 km lange, 75 km breite, fruchtbare und dichtbevölkerte Tal des oberen großen Ruaha feucht und fiebcrreich, also ein ungesundes Gebiet. Aber wenn die christliche Mission sich auf gesunde Hochländer beschränken, die volkreichen Tiefländer aber dem Islam überlassen wollte; könnte sie den großen Kampf um den schwarzen Erdteil nie gewinnen. Da der Islam die größte Gefahr unsrer Kolonial­politik ist, bedeutet die Gründung einer Station im Sanguland nicht nur eine missionarische, son­dern auch eme patriotische Tat.

Das Bennet-Nennen der Lüfte hat bisher die allgemein erwartete Entwicklung genommen. Die Konkurrenten trieben anfang- nördlich, dann östlicher, teilweise nach dem Staate Ohio zu und es scheint, als ob in den höheren Luftschichten günstigere Windströmungen vor­gefunden wurden, als in den tieferen. Nach den bisher vorliegenden Telegrammen hatten der deutsche BallonPommern" (Herr Erbslöh) und der amerikanische BallonUnited States" (Major Herscy) die Führung. Sie wurden bei Dayton (Ohio) gesichtet, wo Herr Erbslöh durch eine Bollondepesche meldete, daß er noch 1000 kx Ballast zur Verfügung habe. Nach den letzten Meldungen wurdePommern" zuletzt bei Ko­lumbus, 400 Meilen ostnordöstlich von St. Louis gesehen. Man glaubt, daß er Quebec erreichen wird. Ferner wurde gesichtet: der entgegen den ersten Meldungen doch gestartete BallonAbercron" und dieAmerica" in Indiana. Zwei amerika­nische Ballons wurden über dem Michigan-See gesehen. Der in Asbmy Park gelandete deut­sche Ballon Pommern (Führer Erbslöh) hat die etwa 1000 engl. Meilen lange Fahrt ab St. Louis in 39 Stunden 55 Minuten zurück­gelegt. Nunmehr sind bis auf den französischen Ballon Jsle de France (Führer Leblanc) die