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Birkenfelder, Calmvacher und Herrenalber Tagblatt

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Rr. 127

Neuenbürg» Donnerstag de« 2. Juni 1V38

S8. Jahrgang

Sas Land ohne Grenze

Der Reisende, der, aus dem Südosten deS Reiches kommend, bei Eg er das tschecho­slowakische Staatsgebiet betritt, sucht ver­gebens nach den Merkmalen einessremden Volkes". Hüben wie drüben dieselben wal­digen Höhen und Wiesentäler des Böhmer­waldes, dieselben anmutigen, sauberen Dör­fer und Weiler. Diesseits und jenseits der Grenzpfähle regt sich ein starkes und stolzes Bauerngeschlecht, seit Jahrhunderten mit der Heimaterde verwurzelt, und ringt dem spärlichen Boden das Leben ab. Und so wie m den Adern dieser Menschen das gleiche Blut fließt, wie ihre Zunge dieselbe Sprache spricht, wie ihr Denken und Fühlen ein ge­meinsames ist, so wölbt sich über demHüben und Drüben" derselbe blaue Himmel, und die grünen Waldrücken verbinden nur, sie trennen nichts So fährt man in ein Land ohne Grenze, ohne Neb er­gänz. Nur der sträfliche Uebermut der Sieger von Versailles" konnte einmal ein solches Verbrechen an 3V- Millionen Deut­schen gutheißen und zur Geschichte werden lassen.

Die buntgekleideten tschechischen Grenzbeamten in Eger, als erste sicht­bare Vertreter der Moldau-Republik, über­reichen dem deutschen Reisenden aus dem Reiche nach Vornahme der üblichen Kon­trollen einen farbigen Umschlag mit dem Ausdruck:Salve". Und mit wachsendem Erstaunen liest der Fremdling weiter:Will­kommen in der C.S.Il. und angenehmen Aufenthalt. Alle Wege führen nach Prag. Die ganze Welt sagt dies im Jubiläums- jahr, dem zwanzigsten seit der Gründung der C.S.R., denn Prag ist e i n e O a s e d e r Ruhe und des Friedens, eine grüne Insel der Beschaulichkeit und die billigste Stadt."

Solche Worte, daznhin in deutscher Schrift gedruckt, überraschen! Einen merk­würdigen Gegensatz zu diesem offiziellen Willkommen" bildet allerdings das Auf­treten der stark bewaffneten Mili­tär P o st e n."Auf jedem Bahnsteig dröhnen die Absätze der Soldaten. Und' als der V-Zug über Marienbad nach Pilsen durch die wundervolle Berglandschaft des Böhmer­waldes braust, wird der grüne Frieden der Wiesen und Wälder jäh unterbrochen durch die blitzenden Bajonette der tsche­chischen Wachen. Auf allen Bahnhöfen, Brücken und vor den Tunnels stehen sie, in ihre graubraunen Mäntel gehüllt und auf das Gewehr gestützt, und sehen mit miß­mutigem Blick demdeutschen Zuge" nach. In den Waldlichtungen sind in Zelt­lagern größere Militärabteilungen zu- sammengezogen: bei der Einfahrt nach Pil­sen waren Maschinengewehrposten sogar ans den Dächern der Bahnhofqebäude und Lagerschuppen sichtbar. Trotzdem seit langen, harten Wochen die sudetendeutsche Bevölkerung mit geradezu vorbildlicher Diszi­plin und Zurückhaltung ihren Leidensweg weiter geht. Trotzdem . .'.I

Als mit dem zwanzigjährigen Jubiläum der Tschechischen Republik gleichzeitig die er- sten Stürme über Prag fegten, die ein bal­diges Unwetter kündeten, da war das Idyll vorbei, wie Herr Tr. Hodza bedauernd ver­kündete. Ein Lustschloß brach jäh zusammen wr den elementaren Grundsätzen eines lautlichen Zusammenlebens. Was frivole lleberheblichkeit in 20 Jahren versäumte, rächte sich in wenigen Wochen bitter. So trat an die Stelle eines vorgetäuschten Sie­les die Erkenntnis, daß eine rasche und »dllige Wandlung aller Dinge nicht mehr abzuwenden war! Deshalb die überreizte Nervosität in derOase des Frie­dens und der Ruhe" und der blindwütige haß ans alles Deutsche!

Und trotzdem! Am W i I s o n ° Bahnhos !n Prag die Tschechen sind ihrem ameri- kaiillckM Geburtshelfer vorbildlich dankbar wird der Reisende von Scharen arbeits­loser Männer umringt, die unbedingt den Koffer desgnädigen Herrn" oder des Herrn Baron" tragen wollen. Und mit Küß die Hand" wird der Gast vom Auto- lenker empfangen wie einst vor 25 Iah- ren, als die Tschechen sich aus einem fehler­haften Nationalitätenstaat lösten, um dann selbst einen sclilimmcren zu gründen.

Der Geheimdienst am Werk

DurchsichtigeInformationen- des englische« Geheimdienstes veraulatzlen

die tschechische Mobilisation

Berlin, 1. Juni. Das große Rätselraten über den Urheber jenes irrsinnigen Gerüch­tes, das von deutschen Truppenbewegungen an der tschechischen Grenze wissen wollte und damit Europa in eine regelrechte Kriegspsy­chose versetzte, ist immer noch nicht beendet. Die Beantwortung dieser Frage ist darum so wesentlich, weil sie nicht nur Aufschluß über den Schuldigen an der Krise gibt, die sehr leicht zu einer Explosion hätte führen können, sondern darüber hinaus wieder ein Beweis für die Tatsache ist, daß auch heute noch ge­nau wie vor 21 Jahren Kriegsschuldmärchen erfunden werden würden, wenn irgend eine daran interessierte Stelle in Europa die Zeit dafür gekommen hält.

Wer man zuerst der sehr naheliegenden Ansicht, das; Prag der Erfinder jenes Ge­rüchtes über deutsche Truppenzusammenzieh- UNgen sei, und daß dieses dann von der Hauptstadt der Tschechoslowakei nach London gelangte, so stellt es sich heraus, daß diese Ge­rüchte genau den umgekehrten Weg nahmen. Wie dasHamburger Fremdenblatt" meldet, gehen ihm aus der tschechischen Wirtschaft Informationen zu, die sich überdies auf das Zeugnis eines führenden französischen Jour­nalisten, Jnles Saucrwein, berufen dürfen.

Wie diese«» nämlich von matzgeüenöcr tsche­chischer Stelle erklärt wurde, ist die tschechoslo­wakische Negierung am Abend des 2«. Mai aus London angerufen worden. Es wurde ihr bei dieser Gelegenheit mitgeteilt, der englische Geheimdienst (Intelligence Service) besitze be­stimmte Informationen darüber, daß reichs- deutsche Truppen sich auf die tschechische Grenze zu bewegten. Daraufhin wurde, so sei dem Journalisten gesagt worden, die tsche­chische Tcilmobilisierung angeordnet. Es habe sich mn Minuten gehandelt, und cs sei keine Zeit rnehr verfügbar gewesen, sich in Berlin über den Charakter der Truppenbewegungen zu erkundigen.

Der Versuch, dem Deutschen Reich die Ver­antwortung für eine Krise aufzubürden, die in England selbst als akute Kriegsgefahr be­trachtet wurde, wird also heute, 12 Tage spä­ter, in seinem ersten, entscheidenden Anfang dem englischen Intelligence Service zur Last

gelegt, und zwar geschieht dies durch eine tschechisch-französische Quelle.

..Prag die einzige Hoffnung der Komintern''

Belgrad, 2. Juni. Der -,Slowenetz", das Laibacher Organ des stellvertretenden Mini­sterpräsidenten u. Innenministers Koroschetz, veröffentlicht eine aufsehenerregende, aus Prag datierte Stellungnahme zu den jüng­sten Entwicklungen in der Tschechoslowakei.

Das Blatt untersucht das Ergebnis der Gemeindewahlcn in Prag und bemerkt:Das Anwachsen der kommunistischen Stimmen hat sehr unangenehm überrascht, denn auch die Sozialdemokraten konnten trotz ihres Rück­ganges noch 70000 zu den 100 000 kommuni­stischen Stimmen hinzubringen." Slowenetz wirft nun die Frage auf:Ist das die Praxis des Bündnisses mit den Sowjets?" und fährt fort:Auf alle Fälle wächst die kommunistische Partei in der tschechoslowakischen Hauptstadt überraschend schnell, sodaß ihre Gegner be­haupten können, daß sie sich zu einein gefähr­lichen kommunistischen Nest im Herzen Euro­pas entwickelt. Die Kommunisten sind auch diejenigen, welche einer Verständigungspolitik mit den Deutschen und Slowaken grössten Widerstand entgegensetzen.

Dieser Tage weilt der französische kounnu- nistischc Abgeordnete Pcri in Prag, der im Aufträge der Komintern die tschechischen Ge­nosse» beaufsichtigt und in seinen Besprechun­gen nachdrücklichst radikale Ansichten vertrat. Natürlich ist den Kommunisten am wenigsten an der tschechoslowakischen Republik selbst ge­legen. Die Kommtern «nächte nach dem drohenden Zusammenbruch in Spanien eine zweite günstige Gelegenheit erhalten, um in Europa einen blutigen Tanz aufführen zu könne». Den» ei» neuer Weltkrieg stellt mit dem damit verbundene» allgemeinen Zusam- mnbruch die einzige Hoffnung der Komintern bar, die Revolution zu entfachen, und so die Macht über alle Völker zu erlangen. Deshalb erstrevt auch die Komintern eine Verschärfung der politischen Konflikte in Europa und ver­sucht nunmehr kn der Tschechoslowakei zu er­reichen, was ihr in Spanien nicht geglückt ist.

Re Störte -er Achte Berlin-Nom

Grotze Rede des ungarische« Außenministers von Kanya Warnung an Prag

Buoapest, i. Juni. Außenminister von Kanya entwickelte im Abgeordnetenhaus zu Beginn der Verhandlungen über den Haushalt des Außenministeriums in einer großen Programmatischen Rede die all­gemeine Richtung der ungarischen Außen­politik und nahm hierbei eindeutig zu den außenpolitischen Problemen in der letzten Zeit Stellung.

Eingangs erinnerte er an die Schaffung des italienischen Imperiums, die Beseitigung der Nheinlandkontrolle und die Wiederverei­nigung Oesterreichs mit dein Reich. Durch diese Tatsachen sei die internationale Stellung Deutschlands und Ita­liens bedeutend besser geworden. Damit seien gleichzeitig die erbittertsten Feinde des Faschismus und des National­sozialismus immer mehr in den Hintergrund gedrängt worden. Dies gelte in erster Linie für die Genfer Liga.Ich sage offen", so er­klärte der Außenminister von Kanya,daß wir unsererseits schon lange keine Hoffnun­gen mehr in die Tätigkeit der Genfer Liga setzen. Wenn Ungarn dennoch weiter Mitglied dieser Einrichtung geblieben ist, so geschah dies deshalb, weil wir in Gens das Forum erblickten, vor dein Ungarn im An- gesicht der öffentlichen Weltmeinung das traurige Schicksal der ungarischen Minder­heit darlegen konnte."

Zusammenfassend erklärte von Kanya. .alle die Staaten und Einrichtungen, die käst

ausschließlich im Dienste der französischen Politik standen, sind geschwächt. Ihre Politik erfährt eine Modifizierung, die in erster Linie der Achse Berlin Rom zugutekommt." An­gesichts der Erfolge Francos stellte der Mini­ster dann fest, daßdie Politik der Achse BerlinRom in den grundlegenden wichtigen Fragen große Erfolge erzielt und fast gänzlich die Initiative in der europäischen Politik in die Hand genommen hat."

Der Außenminister verurteilte dann schärfstens die infame Pressehehe, die aus durchsichtigen Motiven angesichts der Ver­stärkung der Achse BerlinRom Gefahren erfinde, von denen beispielsweise die Nach­barn Deutschlands auch Ungarn be­droht seien. Zwischen dein ungarischen und dem deutschen Volk knüpften sich während des Weltkrieges und seither Jnteressenbande, die geradezu naturnotwendig zu einer auf­richtigen Pflege der deutschen Freundschaft führten.

Unter Hinweis auf die vielenguten Rat­schläge", die Ungarn jetzt von interessierter Seite für eine Neuausrichtung seiner Politik gegeben werden, stellte von Kanya fest: Un­garn ersehnt außenpolitisch die Normalisie­rung seiner Beziehungen zu den Staaten der Kleinen Entente und bemüht sich seit anderthalb Jahren mit Geduld und Selbst­verleugnung um die Erreichung dieses Zie­le«. Dis Verhandlungen zwischen Ungarn

und den Staaten der Kleinen Entente be­trafen hauptsächlich die Minderheitenfrage. Der Tschechoslowakei sei es nicht ge­lungen, mit ihren Nachbarn ein korrektes Verhältnis zu schaffen. Zwischen der Tsche­choslowakei und ihren drei Nachbarstaaten sei die Lage gespannt.

Die offizielle tschechische Politik habe dle ungarische Frage hochmütig behandelt, sich nach einer Großmachtrolle gesehnt und sich wenig um die in Ungarn herrschende Stim­mung bekümmert. Die tschechische Politik sei der Ansicht, daß die so außerordentlich vor­teilhafte Position der Nachkriegs-Tschecho- slowakei, die sich ausschließlich auf die Spitzen der Bajonette stützte, noch lange Zeit auf­rechtzuerhalten sei. Wenn sich Ungarn auch nur im geringsten rührte, sei die Tschecho­slowakei drohend aufgetreten und habe wie­derholt mit dein Kriege gedroht.

Die Weitere Entwicklung hängt davon ab, ob sich die tschechoslowakische Regierung end­lich zur Schaffung eines Statuts ent­schließe, daß die in der Tschechoslowakei lebenden zahlreichen Rationalitäten befriedigt werden. Es ist aber fraglich, ob sich die Prager Regierung nicht durch einen Einfluß gewisser Kreise zu allzu vielen politischen Spekulationen Hinreißen läßt, die unter kei­nen Umständen der Sache des Friedens die­nen könnten. Davon hänge eine dauerhafte Entspannung ab.

Zum Schluß erklärte Außenminister von Kanya, es wäre Selbsttäuschung, wenn man die gegenwärtigen Schwierigkeiten und Ge­fahren nicht sehen wollte. Es wäre aber auch ein Fehler, nicht anzuerkennen, daß bei säiNt- lichen Großmächten, die über Krieg und Frie­den entscheiden, ein e n t s ch l o s s e n e r und starker Friedenswille herrsche, der auch Ungarn beseele.

Verzweifelte Stimmung in Karlsbad

Bekanntgabe des Minderheitenstatuts am 20. Juni?

Paris, 1. Juni. Wie der Prager Vertreter desParis Midi" berichtet, soll das Minder­heitenstatut in seinen großen Zügen am 20. Juni veröffentlicht werden, und zwar in Form einer Rundfunkrede des Ministerpräsi­denten. Die Stimmung der Äevöl- kerung in den Badeorten, wie z. B. Karlsbad und Marienbad. vor allem der Geschäftsleute und Hotelbesitzer, sei ver­zweifelt. Di« Zahl der Badegäste und' Fremden sei auf ein Viertel zurückgegangen.

Wie weiter aus Betrachtungen einiger Pariser Blätter hervorgeht, scheint die feste Haltung der Sudetendeutschen ihre Wirkung nicht zu verfehlen. Der dein Quai d'Orsay nahestehendePetit Parisien" kommt auf englische Untersuchungen in Prag zu sprechen und meint, die Sudetendeutschen schienen nicht irgeirdwie die Absicht zu haben, gegen die Integrität oder Unabhängigkeit des tschechoslowakischen Staates vorzugehen. Der rechtsgerichteteJour" sagt, die Forde­rungen Henleinz berücksichtigten zum mindesten die Unabhängigkeit und Integri­tät der Tschechoslowakei. Wenn das Minder, heitenproblem als solches auch noch nicht abgeschlossen sei, so könne man doch sagen daß die Karlsbader Forderungen Henleinl eine GrundlagefürErörterungen darstellten. Dies scheine auch der englisch« Eindruck zu sein.

Aaser Schikanen gegen Engländer

Peinliche Erlebnisse bei einer Autofahrt

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dm Prag, 2. Juni. Die bekannte englische Aristokratin Lady Mixford, die sehr deutschfreundlich emgestellt ist, begab sich am Dienstag in Begleitung eines englischen und amerikanischen Journalisten, sowie deS sudetendeutschen Abgeordneten Wollner im Kraftwagen von Prag nach Karlsbad. Wenige Kilometer hinter Prag wurde der Wagen von tschechischen Polizei- und Gen­darmeriebeamten aufgehalten. Sie ver­langten die Oesfnung der Koffer. Da die Insassen schon vorher eine Kontrolle über sich ergehen lassen mußten, waren die Eng­länder über das Verhalten der Polizisten sehr empört.

In einem Koffer der Lady befand sich ein Bild Adolf Hitlers mit persönlicher Widmung, das die Beamten ohne eine Er-