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168 . Amis-

und ÄnzeigeölaLt für den Sejirk Lalw. 82. Jahrgang.

SrscheinungStage: Dienstag, Donnerstag, Sams­tag, Sonntag. JnserrionSpret« Ist Pfg. pro geile für Stad t «nd Sezirlsorte; außer Bezirk IS Psg.

Dienstag, den 22. Oktober 1997.

LLonnementSpr.in d. Stadt pr. Siertetj. MI. l.Idincl-Drügerl. St.rtrljllhrl.VsstbezugSpreir ohne Brstrüg. s. L. OrtS- u. Na.übai- ortSoertehr l Mt., f. d. sonst. Bert.hr Wt. I.IO, Bestellgeld SV Psg

Tagesueuigkeiteu.

* Calw 21. Okt. Einen Beweis von der Preissteigerung der Lebensmittel bil­dete der Wochenmarkt am vergangenen Samstag. Für das Pfund saure Butter wurden 1 ^ 45 aZ gefordert, ein Preis, der im ganzen Jahr noch nie bezahlt wurde. Die Käufer verzichteten bei diesem hohen Preis, der hauptsächlich durch dis nahe Kirchweih bedingt war, auf die zu teure Ware.

Calw. Der berühmte Barde Dr. Kriftel, dessen Sang in weiten deutschen Gauen widerhallt, soll nun auch den Kunstfreunden unserer Stadt bekannt werden. Für Mittwoch, den 23. ds. Mts. ist nämlich im Bad. Hofe die Veranstaltung eines seiner in der Fach- und Tagespresse Oesterreichs und Deutschlands vielgepriesenenDeutschen Sing­abende" angekündigt, in welchem er als Sänge r, Dichter und Komponist, ferner als Lieder-, Balladen- und Opernsänger und mit dem Vortrage urwüchsiger, deutscher Volkslieder, die er dem alten Brauche getreu sich selbst auf der Laute begleitet, als Lautenspieler auftritt. Der ob - seiner gewaltigen Pracht stimme und staunenswerten Vielseitigkeit allerwärtS gefeierte Künstler führt auf diese Weise den deutschen Sang vom Ur­sprünge im Volksliede bis zur Vollendung durch Meister Wagner vor, die Schaffenszett der Barden, aus welcher kein Werk erhalten ist, wiedergebend mit seinen eigenenBardengesängen", für deren Begleitung er sich auch ein entsprechendes Begleitinstruurent, dieBardenharfe", ersonnen hat. Nach dem übereinstimmenden Urteile der Presse ist Dr. Kriftel ein höchst eigenartiger und interessanter Künstler, der alle seine Gesänge frei aus dem Gedächtnisse vorträgt und über große Vortragskunst auf ernstem wie auf heiterem Gebiete verfügt. Man darf also, zumal der Konzertgeber durch sein erfolgreiches Auf­treten anläßlich des vorjährigen Sängertages des deutschen Sängerbundes im Festsaale der Wart­

burg sich als ebenbürtiger Nachfolger Walthers von der Vogelweide und somit als allerjüngster der Minnesänger erwiesen hat, mit Recht auf den bevorstehenden Kunstgenuß gespannt sein; näheres siehe im Inserat.

Calw 21. Okt. Heute früh erschoß sich der in der mech. Kratzenfabrik als Schlosser be­schäftigte 18jährige Sohn des Volkskaffeepächtsrs Deuschle hier. Der Tat sollen Unstimmigkeiten mit seinem Vater vorangegangen sein.

Herrenberg 19. Okt. Auf dem heutigen Schwei ne markt waren zugeführt: 180 St. Milchschweine; Erlös pro Paar 2436 70 St.

Läuferschwsine; Erlös pro Paar 7586 Verkauf gut.

Von der Aid 19. Okt. Seit einigen Jahren werden in unserer Gegend die Linsen in sehr ausgedehntem Maße angebaut. Heuer be­zahlen Händler 18 bis 20 ^ per Zentner. Der heurige Sommer trug sehr zur Vermehrung der Feldhühner und Hasen bei. Starke Ketten Rebhühner trifft man an und die Jäger bringen Hasen in großer Zahl zur Strecke. Ein großer Hase kostet 3.20

Leonberg 19. Okt. Wie dasLeonberger Tagblatt" au« Ettlingen meldet, erschoß sich dort der in den 40iger Jahren stehende Bauer H., weil er in einer Beleidigungssache mit 18 ^ bestraft worden war. Vor etwa 14 Tagen wollte sein Sohn seinem Leben durch Erhängen ein Ende machen, wurde aber noch rechtzeitig daran verhindert.

Stuttgart 19. Okt. Gestern abend 8'/s Uhr ist im Dachstock des Gebäudes der Vereinigten Trikotfabriken in Unter­türkheim ein Brand ausgebrochen. Dar Feuer, das eine größere Ausdehnung annahm, wurde durch die Freiwillige Feuerwehr Untertürk­

heim gelöscht. Der Materialschaden ist ein er­heblicher.

Stuttgart 19. Okt. (Strafkammer.) Ein gefährlicher Bettler ist der aus Württemberg aurgewiesene, ledige Glasmacher Hermann Winkelmann aus Reichenberg in Böhmen. Am 4. September wurde er in Cannstatt in einem Hause der Ulrichrstraße von Hausbewohnern in einem Zimmer, das er durch Herumdrehen des Schlüssels geöffnet hatte, angetroffen. Er hatte ein Paar Schuhe in der Hand, auch hatte er versucht zwei Kommodeschubladen herauszuziehen. Wegen versuchten Diebstahls erhielt er 4 Monate Gefängnis und wegen Bettels 2 Wochen Haft. Der verheiratete Taglöhner Wilhelm Zinser von Bernhausen, der am 7. September in einem dortigen Bauernhause in Abwesenheit der Be­wohner einen Kasten mit einem falschen Schlüssel öffnete und daraus 300 ^ und eine Hose ent­wendete, wurde wegm schweren Diebstahls zu 6 Monaten Gefängnis verurteilt.

Stuttgart 20. Okt. Die Herbst- Wanderversammlung der Deutschen Partei fand heute unter überaus zahlreicher Beteiligung in Eßlingen statt. In seiner Begrüßungsansprache erinnerte vr. Hieber unter Hinweis aus dis Geschichte Eßlingens an den Auf- und Niedergang des deutschen Volks, und Bürgertums. Bei den letzten Land- und Reichs- tagswahlen sei das Bürgertum und Bauerntum in vorbildlicher Weife in Eßlingen zusammen­gestanden. Beim Rückblick auf die Wiesbadener Tagung sagte Redner, daß man dort trotz aller Meinungsverschiedenheiten die Zusammengehörig­keit bei allen großen gemeinsamen Ideen aufs Neue freudig bezeugt habe. Man habe Baffer­mann verübelt, daß er gesagt habe, die National- liberalen seien der Kern des Blocks. Dieser

Der verlorene Sohn.

Roman vonElSbeth Borchart.

(Fortsetzung.)

Und er war damals so unerbittlich hart gewesen. Wie war es möglich gewesen?

Ein Klopfen an der Tür störte den grübelnden Mann auf. Mechanisch

Die Tür wurde geöffnet. Mr. Williams trat über die Schwelle.

Herr Kommerzienrat-ich störe Sie nicht?"

Nein, lieber Williams."

Helmbrecht raffte sich gewaltsam auf und streckte seinem Direktor die Hand hin.Kommen Sie-setzen Sie sich zu mir."

»Ihre Hand ist so kalt-, Sie fühlen sich doch nicht krank, Herr

Kommerzienrat?" fragte William» teilnehmend und blickte forschend in die gramverzerrten Züge Helmbrechts.

Nein, ich bin nicht krank, aber-ich kann es Ihnen nicht ver­

hehlen ich befinde mich in einer seelischen Stimmung und Niedergeschlagen­heit, die mir jegliches Interesse an Außendtngen geraubt hat."

.l^So gehe ich wieder, Herr Kommerzienrat."

nein, so war da» nicht gemeint. Bleiben Sie und setzen Sie fich zu mir. Sie wollten mir etwas Wichtiges Mitteilen?"

>--?Ja, die Geschäfsverbindung mit der Firma Hagenau u. Sohn ist abgeschlossen. Wir liefern jetzt die Maschinen."

Das ist erfreulich; wieder ein Schritt weiter, und so wird es in die Höhe hinangehen."

So hoffe ich."

Ein schweres Stöhnen kam aus Helmbrechts Brust.

Ihnen fehlt doch etwa», Herr Kommerzienrat."

Ja und nein, lieber Williams.-Heute ist ein trüber Erinner­

ungstag für mich, und der wirkt stets sehr nachhaltig auf meinen Körper

und Geist. An dem heutigen Tage-viele Jahre sind es her-

verlor ich-" seine Stimme brach-meinen Sohn-

meinen einzigen Sohn."

Sie hatten einen Sohn? Und --und er-starb?"

Wieder kam ein Aechzen aus Helmbrechts Brust, dann holte er tief und schwer Atem.

Er starb nicht-damals noch nicht-jetzt weiß ich nicht."

Abgebrochen und verworren klangen die Sätze. Der Amerikaner wußte sicherlich nicht, was er daraus deuten sollte. Mit vorn übergebeugtem Oberkörper saß er da und wartete ab bis Helmbrecht weitersprechen würde.

Es ist schlimmer als das", brach dieser endlich lo».Mr. Williams", er tastete nach der Hand des Ingenieurs.Sie haben fich mein Vertrauen

in jeder Hinsicht erworben-es wird mir wohltun, wenn ich Ihnen

die traurige Geschichte erzählen dürfte."

Sprechen Sie, Herr Kommerzienrat", erwiderte William« mit selt­sam bewegter Stimme,ich werde Ihr Vertrauen zu ehren wissen."

Ich hatte einen Sohn, aus erster Ehe meine erste Frau starb sehr früh. Er war ein hoffnungsvoller, begabter lebensmutiger Junge

-mit sechzehn Jahre schon in Oberprima. Die größten Hoffnungen

setzte ich auf ihn-er war meine Freude, mein Stolz. Da traf

mich der furchtbare Schlag. Mein Sohn war-zum Verbrecher ge­

worden."

Herr Kommerzienrat!" schrie Williams auf.

Helmbrecht richtete seinen glanzlosen Blick auf den Amerikaner. Er war eine unwillkürliche Bewegung, denn seine Augen sahen kaum einen Schimmer-kaum die Umriffe seiner Gegenübers.