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der Nacht in einer in der Nähe des Bahnhofs gelegenen Scheune, von bei der Regulierung beschäftigten Arbeitern durch Fahrlässigkeit verursacht. Der Orkan trieb da» Feuer über die Stadt, deren erste 37 Häuser und 12 Scheuern abbrannten. Den vereinigten Feuerwehren von 7 Nachbarorten, sowie dem von Schrö inberg requierierten Militär gelang es, ein größeres Quergebäude zu halten, wodurch das Weiterdringen des Feuers nach der Stadt verhindert wurde. Durch Versagen der Dampfspritze und durch Wassermangel wurden die Löscharbeiten sehr erschwert.
Berlin 16. Okt. Der Abgeordnete Bebel verurteilt im „Vorwärts" das Verhalten der badischen Landtags-Abgeordneten Kolb und Frank beim Begräbnis des verstorbenen Großherzogs. In den Ausführungen Bebels heißt er u. a.: Mit Gründen der Würde und des Taktes hat diese Huldigung nicht das Geringste zu tun. Sie stellt sich vielmehr vom Standpunkt der Partei als eins grobe Verletzung der Würde und des Taktes dar, die Beide ihrer Stellung in der Partei schuldeten. Es verrät einen Mangel an Nacken-Steifheit, die das erste Gebot für einen Mann ist, der im öffentlichen Leben steht. Gebietet die Würde und der Takt, einem toten Fürsten, der uns im Leben bekämpfte, das Trauergeleit zu geben, so gebieten doch wohl in Consequenz dieser Auffassung Würde und Takt dem Fürsten, einem verstorbenen Führer der sozialdemokratischen Partei, der sein Leben lang aus Idealismus für seine ehrliche Ueber- zeugung kämpfte, diesen zu Grabe zu geleiten oder einen Vertreter zu senden. Das fällt selbstverständlich keinem Fürsten ein und ich finde das in Ordnung. Aber Wurst wider Wurst!
Berlin 17. Okt. Die Brüder Wright, Erfinder eines neuen Flug-Apparates, die mitt ihrer 2o km langen Luftfahrt so viel Aufsehen erregt haben, befinden sich zur Zeit in Berlin, mit mehreren Interessenten Verhandlungen zu pflegen.
Aus Kleinflottbeck 17. Okt., wird gemeldet: Als der Reichskanzler Fürst Bülo w heute vormittag nach Hamburg sich begeben wollte um dem 1. Bürgermeister Dr. Stammann einen Besuch abzustatten, benutzte er für die Fahrt von, Kleinflottbeck bis zum Rathaus eine vor dem Parkhotel in Flottbeck stationierte geschloffene Automobildroschks der Bedaggesellschast. In der Nähe von Ottensen hatte die Droschke das Unglück, eine bejahrte Frau zu überfahren, die unmittelbar vorher die Chaussee kreuzte. Der Reichskanzler ließ sofort halten und verweilte an der Unglücksstätte, bis ärztliche Hilfe eingetroffen war, die leider nur den sofort eingetretenen Tod konstatieren konnte. Der Reichskanzler ließ durch einen in der Nähe befindlichen Polizeibeamten
die Nummer der Droschke und den Namen des Führers feststellen, den übrigens keine Schuld zu treffen scheint. Der Reichskanzler setzte später seine Fahrt nach Hamburg mit der elektrischen Straßenbahn fort. (Stuttg. Mpst.)
P a ris 17. Okt. Der Kolonialminister Lrcroix erklärte in einer Unterredung über die Kolonial- Skandale im französischen Kongozebiet, daß der Handelsagent Sailly verhaftet worden sei. Ein zweiter Handelsagent beging Selbstmord. Weitere Verhaftungen stehen bevor. Das Verfahren gegen die Schuldigen wird beschleunigt werden. Der Minister erklärte weiter, daß er diese Kolonial-Skan- dale bedaure. Was die wirtschaftliche Ausdehnung des französischen Kongogebietes betreffe, sei er der Ansicht, daß für den Augenblick diese Kolonie nicht im Stande sei, eine Anleihe aufzunehmen. Er meinte schließlich noch, daß den Wünschen der Kolonie entsprechend, die Jnfanterietruppen durch eine berittene Truppe ersetzt werden würde.
Wien 16. Okt. Usber Ragusa wird aus Montenegro berichtet: In den letzten Wochen wurden 2 Führer der groß-serbischen Nationalisten von Regierungs-Anhängern ermordet. Andererseits behauptet die Regierung, eine Verschwörung entdeckt zu haben, dis sich die Ermordung des Fürsten Nikolaus und seiner Minister zum Ziel gesetzt hat. Deshalb wurde ein Haftbefehl gegen 15 Führer der Opposition erlassen. 8 ehemalige Abgeordnete wurden wegen Hochverrats verhaftet. 3 konnten sich durch die Flucht nach Cattaro retten. In Niksttsch kommt es täglich zu Plänkeleien zwischen bewaffneten Oppositionellen und Rsgierungsanhängern. Die Redaktion des Oppositions-Organs Narodny Misao ist vollständig ausgeplündert worden. 4 Oppositionelle und 2 Anhänger des Fürsten wurden erschaffen. Auch aus, allen anderen Bezirken Montenegros werdm politische Morde gemeldet.
Warschau 16. Okt. Gestern fanden wiederum in Warschau und Lodz Massenverhaftungen statt. Es ist als erwiesen anzusehen, daß es den Polizeibehörden gelungen ist, durch ein weit verbreitetes Spionage-System die Reihen der revolutionären Sozialisten zu desorganisieren. Allgemeiner Aufsehen erregt, daß zahlreiche Revisionen, welche Nachts bei den Häuptern der nationalen Intelligenz stattfinden, nur durch Spionage gesellschaftlich hochgestellter Personen vorgenommen werden konnten. Dar Gefühl allgemeiner Unsicherheit greift um sich. Die Regierung beginnt mit Bestechungen vorzugehen, um eine Auflösung der sozial-revolutionären und nationalen Organisation durchzuführen.
Lodz 17. Okt. Heute früh wurde der Kassierer der Warenstation der Lodzer Eisenbahn, der von Kurieren und und 2 Kondukteuren begleitet war und 22 000
„Sie dürfen mich nicht wieder als Feind behandeln-ich will
nun einmal Ihr-Freund sein."
„Ich will." Inge schwieg sekundenlang. Ein klein wenig regte sich wieder der Trotz in ihr, aber das frohe, selige Gefühl, da» vielleicht die glückliche schnelle Erledigung der schweren Arbeit in ihr wachgerufen hatte, behielt doch die Oberhand, ja etwas von dem alten Uebermut brach plötzlich durch.
„Ja-gut-das heißt-wenn ich mich je wieder
über Sie-ärgern muß-dann ist die Freundschaft aus," rief
sie lachend.
„Sie haben sich schon einmal über mich geärgert?-O, wie
ich das bedaure-es war gewiß nicht meine Absicht und wird nie
meine Absicht sein-wollen Sie mir das glauben?"
„Ja."
Ihr war plötzlich ganz seltsam zu Mut geworden. Ein Beben ging durch ihren Körper, eine Angst, ein Aufruhr.
„Die Pflicht ruft-leben Sie wohl, Fräulein Inge, und ver
gessen Sie Ihr Versprechen nicht — ich baue darauf."
Noch ein Händedruck und er war fort. Auf dem harten Kies klangen noch eine Welle seine kräftigen Schritte, dann wurde es still, ganz still.
Nur die Weinblüten bewegten sich leise im Winde; in den Kronen der Bäume rauschte es. Inge stützte den Kopf in die Hände und lauschte diesen Tönen, die eine wunderbare Melodie für sie enthielten. Wovon sprachen sie ihr? Bon Seligkeit und Glück-von Leid und Weh?
Eine Stunde verging; sie hatte er kaum bemerkt.
Al» sie endlich aufstand und ihre Bücher zusammenpackte, lag ein sinnender Ernst in ihren Zügen, ein Ausdruck, der dem lachenden Kinder
Rubel mit sich führte, um sie bei der Lodzer Handelsbank abzuliefern, von 15 Bewaffneten überfallen. Die Räuber nahmen dem Kassierer das Geld ab; einer von ihnen wurde getötet, ein Polizeibeamter schwer verwundet.
St. Petersburg 17. Okt- In Kiew wütet die Cholera auf das heftigste. Alle Krankenbaracken find überfüllt. Täglich werden durchschnittlich 80 Erkrankungen gemeldet. Es herrscht Mangel an Krankenwagen. Unter dem Militär find gestern 20 Fälle vorgekommen.
London 16. Okt. Eine hiesige Juwelenfirma ist von ihrem Vertreter im Rom benachrichtigt worden, daß die Juwelen, welche für den König von Siam bestimmt waren zwischenRom und Neapel entwendet worden seien.
London 17. Okt. Dem „Globe" wird aus Hongkong telegraphiert: Dort verlautet, daß der Kaiser von China an einem ernsten Lungenleiden erkrankt sei. Er habe einen oder zwei Anfälle von Lun genbluten gehabt.
New-Dork 16. Okt. Gestern früh flogen die Sprengstofffabriken Dupont bei Fontanet (Indiana) in die Luft und zerstörten sämtliche Gebäude im Umkreis von V« Meile. Die Hitze der brennenden Trümmer brachten 10000 Faß Pulver in einem be- nachbartenMagazin zur Explosion. Nach den letzten Schätzungen wurden 35—40 Personen getötet und 600 verletzt. 1200 Personen wurden obdachlos. Das etwa eine Viertel Meile von den Pulverfabriken entfernt liegende massive Schulgebäude stürzte ein. Eine andere, zwei Meilen entfernte Schule zu Corl-Buff begrub einen Lehrer und 90 Kinder unter ihren Trümmern. Der Bahnhof in Fontanet wurde schwer beschädigt und in einem vier Meilen entfernten Zuge zersprangen alle Fensterscheiben und verletzten die Passagiere. Die ersten Explosionen in der Duponter Pulverfabrik und im Magazin löteten viele darin beschäftigten Angestellten. Hierauf flogen in Zwischenräumen von wenigen Sekunden zwei andere Fabriken in die Luft. Die Arbeiter in einigen Fabriken hatten bei der ersten Explosion die Flucht ergriffen, wurden aber von umherfliegenden Trümmern verletzt. Die Einwohner der Stadt Fontanet stürzten aus den Häusern und retteten sich so vor der Gefahr, unter den Trümmern begraben zu werden. 1 Vs Stunden nach der Explosion flog das einige hundert Meter entfernte, in einer Senkung gelegene Pulvermagazin in die Luft, wobei mehrere der am Rettungswerk Beteiligten verletzt wurden. Die Erschütterungen hiebei waren die furchtbarsten von allen. Ein in der Nähe der Pulverfabriken stehender Güterzug geriet in Brand. Die brennenden Trümmer machten die Bergungsarbeiten der unter dem
gesicht bisher fremd gewesen war. Und Inge war kein Kind mehr. Diese
eine Stunde hatte sie zur Jungfrau gereift.
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„Inge, Inge, was machen Sie denn heute nur?" fragte am anderen Tage der Professor Dr. Armur in der Literaturstunde, als Inge ganz gegen ihre Gewohnheit so merkwürdig zerstreute Antworten gab. „Wo haben Sie Ihre Gedanken? Bei uns doch sicherlich nicht."
„Nein," gab Inge offen zur Antwort und errötete unter den Blicken ihrer Feundinnen, die sie erstaunt betrachteten.
„Darf man erfahren, wo sonst?"
Der gefürchtete, aber auch angeschwärmte Lehrer fragte das mit leisem Spott im Ton.
„Ich dachte an-zu Hause," gab Inge zur Antwort.
„O, es ist doch niemand in ihrer Familie krank? '
„Gottlob, nein, Herr Professor," erwiderte Inge aber jetzt, „und — -ich dachte nur, daß ich nachher zu Papa gehen würde."
Sie blieb auch in den anderen Stunden zerstreut, nur in der eng. lischen übertraf sie alle anderen mit ihrer guten Uebersetzung.
„Sie find sehr fleißig gewesen, ich muß Ihren Eifer loben," sagte Miß Wilson.
Doch wie vorhin der Tadel berührte sie jetzt dar Lob blutwenig. Sie sehnte nur das Ende des Unterrichts herbei, wo sie wieder nach Buchenau zurückfahren durfte.
Endlich schlug die ersehnte Stunde. Mit einer gewissen Hast packte sie ihre Bücher und verabschiedete sich von ihren Freundinnen.
„Was hast Du nur heute, Inge? Du bist so ernst und still-"
fragten sie diese.
„Ach, laßt mich doch!" entgegnete Inge ungeduldig.
(Fortsetzung folgt).