792
abgegangene Personenzug fuhr kurz nach Verlassen de« Bahnhofe« an einer Kreuzung mitten durch einen Güterzug, von dem 5 Wagen voll, ständig zertrümmert wurden. 4 Güterwagen entgleisten und fielen um. Der Heizer de« Personenzuges wurde leicht verletzt. — Ferner fand bei Schwanheim an einer Kurve ein Zusammen« stoß von zwei Waldbahnzügen statt. Die beiden Zugführer erlitten schwere aber nicht töd. liche Verletzungen.
Frankfurt a. M. 11. Okt. Der Zu- sammenstoß auf der Main-Neckar.Bahn heute Nacht hatte gewaltige Verkehrsstörungen zur Folge. Es hat sich noch eine Anzahl Passagiere als verletzt gemeldet, doch handelt es sich nur um leichtere Fälle. Erhebliche Verspätungen gab es während der Nacht und auch heute früh noch, sodaß die Reisenden in vielen Fällen die Anschlüsse nicht erreichen konnten. Die Reisenden von Berlin und Bebra benutzten von Offenbach die Lokalbahn und von Sachsenhausen die Straßenbahn nach dem Hauptbahnhof. Die Postsendungen von Berlin, Württemberg und Baden erreichten weder gestern Abend noch in der Nacht und heute früh im Haupibahnhof bei den Uebergängen die Anschlüsse. Der Materialschaden wird auf 50 000 ^ geschätzt. Die Ausräumungrarbeiten wurden im Laufe des Tages beendet. — Bei dem Waldbahn-Unfall in der Nähe vom Schwanheim erlitt der Zugführer de» Güterzuges einen Bruch des rechten Unter, schenke!». Der Zugführer der Personenzugs einen Bluterguß in den rechten Oberschenkel. Das Lokomotivpersonal kam mit geringfügigen Ver- letzungen davon. Von den Fahrgästen wurde einer leicht am Knie verletzt. Der Material- schaden ist unerheblich. Der Unfall ist auf das Versehen einer sonst als zuverlässig bewährten Beamten zurückzuführen.
Kaiserslautern 11. Okt. In dem Landfriedensbruchprozeß, in dem 18 Arbeiter angeklagt waren, am Himmelfahrtrtag aus Anlaß von Streikkrawallen die Zimmermann'sche Leimfabrik in Ludwigrhafen zerstört zu haben, ist heute, wie die Pfälz. Presse meldet, von dem Schwur, gericht Zweibrücken nach viertägiger Verhandlung das Urteil gesprochen worden. 17 Angeklagte wurden verurteüt, ein junger Arbeiter freigesprochen. Die Haupträdelsführer erhielten 1 Jahr bis 1 Jahr und 6 Monate Zuchthaus. Die übrigen An- geklagten wurden zu Gefängnisstrafen von 3 Monaten bi» zu 1 Jahr und 3 Monaten verurteilt.
Berlin 11. Okt. Zum Schicksal der Knebel'schen Jslandexpedition, bei welcher der junge Berliner Gelehrte vr. v. Knebel und sein Begleiter der Maler Rudloff, verschollen find, wird dem „Lokalanzeiger" aus Reykjavik telegraphiert: Bis jetzt find die Leichen de»
vr. Knebel und der Maler« Rudloff nicht gefunden worden. Eine dritte Expedition, die auf die Suche ging, ist neulich erfolglos zurückgekommen.
Berlin 10. Okt. Au» London wird über den Schiffbruch des Luftschiffs Nullt Secundu» gemeldet: Ehe der Ballon entleert wurde, bot er ein interessantes Schauspiel im Sturme dar. Der ungeheure zigarrenförmige Ballon stand auf dem Kopf und führte tolle Kapriolen aus wie ein wütender Elefant. Hundert Pioniere versuchten vergeblich, ihn festzuhalten. Die Stahldrossen wurden wie Zündhölzer verbogen. Hauptmann Kin g von den Ingenieuren in Alder- shot wurde telegraphisch zur Hilfeleistung berufen. Auch Oberst Cody traf nachmittags im Kristall- palast ein. Seine ersten Worte waren: „Welch ein hoffnungsloses Wrack! ' Er fand jedoch, daß die Maschine unverletzt war. Die Ueberreste des Ballons wurden in eine Kiste verpackt und nach Aldershot gesandt. Er soll ein neues Luftschiff gebaut werden.
Warschau 11. Okt. Nach telegraphischer Meldung au« Lodz überfielen dort 12 Bewaffnete eine Militär-Patrouille. Ein Soldat und ein Angreifer wurden getötet, 4 Soldaten und ein Passant verwundet.
Riga 11. Okt. In Lindenhof bei Wenden drangen gestern Mittag drei Banditen in die Gemeinderats.Sitzung, erschossen den Gemeindeältesten und den Schreiber und beraubten die Gemeindekasse.
Mailand 11. Okt. Als heute nachmittag einige Aurhilfsarbeiter der Gasgesellschaft nach dem Bahnhof gebracht wurden, um in ihre Heimat zurückzukehren, da der Gasarbeiterausstand beendet ist, wurden sie von den Arbeitern einer benach- barten Maschinenfabrik mit Steinwürfen angegriffen. Hierbei wurde ein Arbeiter verwundet und verschiedene Fensterscheiben zertrümmert. Karabinieri versuchten, der Ruhestörer Herr zu werden, wurden aber mit Steinwürfen empfangen. Die Karabinieri sahen sich veranlaßt, von der Waffe Gebrauch zu machen und gaben Feuer. 4 Arbeiter wurden verletzt, davon einer schwer, die 3 anderen leichter. Die Arbeiter zogen sich dann zurück. Mehrere Geschäfte, darunter auch die Gasgesellschaft hörten auf zu arbeiten. Auch die Straßenbahn stellte den Betrieb ein.
Vermischtes.
Die Revision im Prozeß Hau. Heute Samstag, 12. Okt., findet vor dem Reichsgericht die Revifionsverhandlung in dem vielerörterten Mordprozeß gegen den Rechtsanwalt Hau statt. Der Angeklagte wurde am 22. Juli nach fünf- tägiger Verhandlung von dem Schwurgericht in Karlsruhe zum Tode verurteilt und legte recht- zeitig Revision ein. Schon jetzt ist das Sekretariat
des Reichsgericht» mit Gesuchen um Eintrittskarten überlastet und noch immer neue Anträge laufen ein; die Gesuche rühren zumeist von Damen her, die augenscheinlich der Ansicht find, daß sie in Leipzig den Angeklagten Hau zu Gesicht bekommen werden. Das ist eine Verkennnng der prozessualen Sachlage, gleichwie es ein Irrtum ist, wenn man vor den Schranken des Reichsgerichts neue, auf- sehenerregende Sensationen erwartet. Das Revisionsverfahren in Strafsachen ist ein lediglich formales; genaue Bestimmungen darüber enthält die Strafprozeßordnung. Zunächst hat der An- geklagte Hau, da er sich nicht auf freiem Fuß befindet, keinen Anspruch auf Anwesenheit vor Gericht; er muß sich vielmehr durch einen mit schriftlicher Vollmacht versehenen Anwalt vertreten lassen. Die Hauptverhandlung beginnt mit dem Vortrage der Bericht erstattenden Reichsgerichts- rats. Hierauf werden die Staatsanwaltschaft sowie der Verteidiger mit ihren Ausführungen und Anträgen gehört; sodann erfolgt nach Beratung des Gerichtshofes die Entscheidung der Reichsgerichts. Damit hat die Verhandlung ihr Ende erreicht. Es ist von vornherein ersichtlich, daß bei dieser Sachlage von irgendwelchen interessanten Detail» nicht die Rede sein kann; das große Publikum dürfte als Zuhörer nicht auf seine Kosten kommen, da lediglich juristische Grundfragen zur Erörterung gelangen. Von allem diesen abgesehen bietet im übrigen der zur Verfügung stehende Raum de« ersten Strafsenats, vor dem der Fall Hau zur Verhandlung kommt, so wenig Platz, daß schon dieser Umstand es notwendig macht, die zahlreichen Gesuche unberücksichtigt zu lassen. — Außer der Revision Hau sind am selben Tage vor diesem Strafsenat noch fünf andere Revisionssachen angesetzt, so daß zu erwarten steht, daß der Fall Hau nicht lange Zeit in Anspruch nehmen wird. — Wie noch berichtet wird, ist soeben wiederum eine neue Broschüre über den Fall Hau im Verlage von Alfred Pulvermacher und Co., Berlin, erschienen; sie führt den Titel „Karl Hau. Der Roman ein problematischen Natur von einem Studiengenossen." Die Broschüre kommt nach längerer Erwägung zu einer Verneinung der Schuldfrage, soweit sie sich auf den Angeklagten Hau bezieht.
Herbstnachrichte».
Horrheim 11. Okt. Schon über die Hälfte verkauft zu gleichbleibenden Preisen 160 pr. 3 ül. Vorrat noch ca. 700 dl.
Besigheim. Bönnigheim 10. Okt. Weinlese in vollem Gang. Käufe bis jetzt 138 bi« 150 ^ pr. 3 dl. Beschaffenheit recht gut. Menge schlägt meistens etwas zurück. — Gemm- righeim 10. Okt. Lese heute beendet. Mehrere Käufe zu 160—163 pr. 3 dl. — Hessig- heim a. N. 10. Okt. Käufe zu 168—180 ^
„Aber niemand darf erfahren, am allerwenigsten der Amerikaner — er würde alle» vereiteln."
„Seien Sie unbesorgt."
„Und wo soll ich die Antwort hören? Ich darf mich in der Villa und in ihrer nächsten Umgebung nicht sehen lassen. Wollen Sie heute nachmittag um 5 Uhr hier an dieselbe Stelle kommen und mir die Antwort bringen?"
„Gern, Franz."
„O Dank, tausend Dank! '
Noch einmal preßte Franz Linden Inge» Hand an seine Lippen, schwang sich nach einem Gruß über den nahen Zaun und war bald auf der Straße verschwunden.
Inge sah ihm nach, noch unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen. Da wurden feste Tritte neben ihr laut. Sie wandte sich um, und ein leiser Aufschrei entfuhr ihren Lippen.
Neben ihr stand Mr. Williams.
Wo kam der auf einmal her? —
„Er zog grüßend den Hut, aber entgegen seiner gewohnten heiter freundlichen Art lag heute ein tiefer Ernst auf seinen Zügen.
„Ich sah den Monteur Franz Linden soeben von Ihnen fortgehen," sagte er ohne jegliche Einleitung.
Inge maß ihn mit einem erstaunten Blick. Hatte er ihr Gespräch belauscht?
„Das stimmt," erwiderte sie kurz.
„Was wollte er von Ihnen."
Ob da« vorangegangene Gespräch mit ihrem Spielkameraden ihre Stim- mung beeinflußt, ob dessen Anschuldigungen den Amerikaner in ihren Augen herabgesetzt hatten, oder ob dieser selbst sie durch seine Frage reizte? Sie fühlte einen heißen Trotz in ihrem Herzen aufsteigen.
„Das geht niemand etwa» an," war ihre Entgegnung.
Mr. William» sah sie mit einem Blick an, der ungläubiges Staunen, gemischt mit Mißbilligung aurdrückte und vor dem sie die Augen unwill- kürlich zu Boden schlagen mußte.
„Was haben Sie mit dem aufrührerischen Burschen zu tun?" fragte er weiter, ohne ein Auge von ihr zu lassen.
„Darüber bin ich keinem Rechenschaft schuldig," antwortete sie wie vorhin und warf den Kopf trotzig in den Nacken.
„Das vielleicht nicht. Doch in Ihrem eigenen Interesse bitte ich
Sie, mir den Grund seines Hierseins-bei Ihnen zu nennen. Der
Bursche führt nichts Gute» im Schilde. Sie wissen vermutlich» daß er von mir entlassen wurde."
„Ja, da» mußte ich leider hören, und ich finde es grausam und hart, einen fleißigen und tüchtigen Arbeiter so mir nichts dir nichts zu entlassen."
„Mir nichts dir nichts? Darüber haben Sie wohl kein rechtes Urteil."
„Doch-ich Hab es," erwiderte sie verletzt, „und ich finde er
ungerecht, einen zu entlassen, wo Papa allen Verzeihung versprochen hat."
„Doch wohl nur denen, die ruhig und gehorsam wieder an ihre Arbeit gingen, aber nicht denen, die sich trotz des Entgegenkommens widersetzlich betrugen."
„Ist e» denn ein Wunder, wenn er sich auflehnt? Sie knechten und
schinden ja die armen Arbeiter-Sie behandeln sie ja nicht wie
Menschen» sondern wie Maschinen," entfuhr es ihr fast wider Willen.
Ec stand einige Sekunden wie erstarrt.
„Wer sagt, daß ich das tue?" fragte er.
Inge antwortete nicht; sie sah zu Boden.
(Fortsetzung folgt).