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144. Amts- und Änzeigeblatt für den Kezirk Calw. 82 . Jahrgang.
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Dienstag, de« 10. September 1907.
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Tagesnenigkeiten
Stuttgart 7. Sept. Die Versteigerung der Plätze für Schaubuden, Karussels u. s. w. für das diesjährige Volksfest fand gestern vormittag unter lebhafter Beteiligung auf dem Wasen statt. Der Festplatz ist bedeutend vergrößert worden, so daß mehr Plätze abgegeben werden konnten. Die Stadtgemetnde hat im letzten Jahr mehrere Wiesenplätze um 250 000 ^ angekauft; auch wurden zwei neue Straßen angelegt. Durchweg wurden höhere Preise erzielt als bei den letzt- jährigen Versteigerungen. Für den laufenden Meter wurden 20—83 ^ erlöst, gegen 20—60 im Vorjahr. Für 20 Plätze auf der Neckarseite wurden allein über 19 000 erlöst. Insgesamt kamen über 70 Plätze zur Versteigerung.
Stuttgart 7. Sept. In letzter Nacht um 1 Uhr gerieten in der Ludwigsburgerstraße einige Personen in Streit, in dessen Verlauf der 30 Jahre alte Metzger Johann Maier von Dettingen OA. Heidenheim, dem verheirateten Taglöhner Friedrich Maier einen Messerstich in den rechten und einem zweiten Beteiligten einen solchen in den linken Oberarm beigebracht hat. Dem Maier wurde die Hauptschlagader durchschnitten. Beide Verletzte kamen noch an das Hau» eines Arztes. Maier brach dort zusammen und wurde auf Veranlassung des Arztes in die Pragpoltzeistation verbracht, wo er alsbald gestorben ist. Die Verletzung des zweiten ist nicht lebensgefährlich. Der Täter ist festgenommen.
Stuttgart 7. Sept. Kartoffelgroßmarkt auf dem Leonhardrplatz. Zufuhr 600 Ztr. Preis 2 50 H bis 4 per Ztr.
— Krautmarkt auf dem Marktplatz. Zufuhr 700 Stück, Preis 20-22 ^ per 100 Stück.
Aus dem Albtal 4. Sept. Wie gefährlich gereizte Wespen find, zeigte sich
neulich auch in Herrenalb. Schulknaben entdeckten am Ufer eines Bachs ein Wespennest und überredeten einen vierjährigen Jungen, Wasser in den Eingang zu schütten, wodurch alle Wespen getötet würden. Kaum hatte der Junge diesen schlimmen Rat befolgt, so fielen zahlreiche Wespen über ihn her und zerstachen ihn so jämmerlich, daß sofort ärztliche Hilfe herbeigeholt werden mußte. Nur durch Vornahme einer Operation konnte das Kind im Leben erhalten werden. Es liegt zwar jetzt noch schwerkrank darnieder, befindet sich aber auf dem Wege der Besserung.
Reutlingen 8. Sept. Der erste Waggon ausländisches Mostobst wurde heute auf dem Güterbahnhof zum Verkauf gestellt, pro Zentner zu 6 — Auf dem Kartoffelmarkt kostete
der Zentner Kartoffeln 3 — Filderkraut
kostete das Hundert 20—25
Balingen 7. Sept. Hier hat sich eine Genossenschaft gebildet zur Gründung eine» Zementwerkes. Auf das Baukapital von 700000 ^ find bereit» 500000 ^ gezeichnet worden. Nach Aufbringung der Gesamtsumme wird mit dem Bau der Fabrik begonnen.
Ulm 7. Sept. Hier in Stuttgart und München find in letzter Zeit eine größere Zahl von Fahrräder gestohlen worden. Er ist nun gelungen, 3 Burschen festzunehmen, von denen 2 überführt find, diese Diebstähle ausge- führt zu haben. Bei dem dritten find die Verdachtsmomente so stark, daß auch er seine Beteiligung wird zugestehen müssen. Die 3 Burschen befinden sich hier in Haft.
Ulm 7. Sept. Gestern find hier 5 Extrazüge mit Truppen der 52. Jns.-Brigade durchgefahren. Die Züge beförderten 149 Offiziere, 3500 Mann, 241 Pferde, 14 Geschütze und
40000 Kilo Gepäck ins Manövergelände bei Waldsee bezw. Leutkirch und Blaubeuren.
Biberach 5. Sept. Die Eröffnungsfeier des neuen Wielandhauses, zu der der Verein für Kunst und Altertum eingeladen hatte, nahm einen sehr schönen Verlauf. Am Montag begannen die Festlichkeiten mit einem Begrüßungsabend für die zahlreichen auswärtigen Gäste, unter denen sich fünf Urenkel von Wieland befanden. Am Dienstag fand die Hauptfeier statt, die sich trotz der Ungunst der Witterung zu einer wahrhaft erhebenden gestaltete. Vormittags V-9 Uhr begrüßte Stadtschultheiß Müller die Festgäste in den Räumen de« Rathauses. Der älteste der anwesenden Nachkommen Wielands, Oberlandesgerichtsrat Peucer, dankte der Stadt und dem Kunst- und Altertumsverein für ihre Verdienste um da« Zustandekommen des Wielandmuseums. Ein stattlicher Festzug bewegte sich zu Wielands Gartenhäuschen, dem jetzigen Wielandmuseum, wo nach dem Vortrag des Mozart'schen „O Schutzgeist aller Schönen" durch den Liederkranz, Rektor Weizsäcker aus Calw eine Einweihungsansprache hielt. Nach dem Schlußgesang „Die Himmel rühmen" von Beethoven setzte sich der Zug wieder in Bewegung, zum Wtelanddenkmal, wo das Wielandlied von G. Jäger, komponiert von F. Ehr. Braun, die Versammlung weihevoll stimmte. Rektor Bruder legte einen Kranz nieder und gab der Huldigung der Stadt für ihren größten Sohn Ausdruck. Im Theater folgte nach dem Gesang von Schillers „An die Künstler" die meisterhafte Festrede von Prof.Dr. Seuffert aus Graz über die Entwicklung des Biberacher Wieland und seine Bedeutung nach dem neuesten Stand der Wissenschaft. Um 1 Uhr vereinigte ein Festmahl, gewürzt durch eine stattliche Zahl von Tischreden, über 200 Gäste. Ein Huldigungsgruß an den König wurde durch ein Telegramm erwidert
Gerettet!
Roman von Walter Schmidt-Häßler, Stuttgart.
(Fortsetzung.)
„Da hat der Johann wieder den Schlüssel stecken lassen!" hörte sie eine Stimme, während gleichzeitig draußen die Ankömmlinge stehen blieben.
„Da kann ja jeder, der Lust hat, Wein holen und Bier zapfen, so viel wie er will!" — „Wieviel Flaschen sollst Du denn bringen?" — „Vorläufig sechse," antwortete eine hellere Stimme, die offenbar einem Knaben gehörte, „nachher soll ich erst die andern holen!" — „Na, dann warte mal hier," brummte der erste, „ich werd' sie dir holen."
Damit stolperte der Betreffende über die Schwelle und mit hochklopfendem Herzen drückte sich Beate tiefer in die Mauernische, um nicht entdeckt zu werden.
Dann hörte sie das Klirren von Flaschen, die der eine dem andern auf den Arm packte; darauf gingen beide zur Tür hinaus, — die schwere Pforte fiel dröhnend ins Schloß, und mit Erschrecken hörte sie, wie der Schlüssel sich kreischend im Schlosse drehte und dann herausgezogen wurde.
Und die Schritte entfernten sich — die Stimmen der beiden wurden leiser und undeutlicher, bis sie sich nach und nach ganz in der Ferne verloren.
Sie war allein — gelangen!
Eine Zeitlang stand ste so zu Tode erschrocken, ohne sich zu rühren» ohne einen klaren Gedanken fassen zu können. Alle» da« hatte sie so überrumpelt, war so plötzlich gekommen, daß ste noch immer nicht zum Bewußtsein der Situation kommen konnte. Es war ihr alles wie ein Traum. Endlich wagte sie einen Schritt hervorzutun — sich in ihrem Gefängnisse umzublicken.
Sie befand sich in einem ziemlich großen, hofartigen Raume, der ganz mit wildwucherndem Grün bewachsen war, das sich auch an allen Seilen, aus allen Ritzen und Brüchen des Mauerwerkcs hervordrängte. Ihr gegenüber führte eine moosige, halbverfallene Steintreppe hinauf, und droben fiel in breiter Welle dar purpurne Licht des Abendrots drüber her, ein Beweis, daß sich über ihrem Gefängnisse kein Dach, sondern Bäume und Himmel wölbten.
Sie war von Natur nicht furchtsam, und wenn ihr jetzt das Herz ein wenig schneller schlug als sonst, so war er nur das Gefühl der plötzlichen absoluten Einsamkeit, de» unfreiwilligen Abgeschnittenseins, das ste unbehaglich berührte — sonst nichts!"
Plötzlich stutzte sie — und hielt den Atem an! — Sie glaubte zu träumen, und in heißer Welle schoß ihr das Blut ins Gesicht!
Von droben — dort, wo das Abendrot aus der weiten Bogenöffnung fiel — tönte eine menschliche Stimme zu ihr, eine Stimme, die sie kannte, die ihr wie der Gruß eines Engel» erschien. Sie rührte sich nicht, starrte lächelnden Mundes empor und lauschte. Es waren Verse, die ihr innerstes Herz erbeben machten in unsagbarem Glück, in heißer, zitternder Seligkeit. Verse eines Gedichtes klangen zu ihr herunter, das Heinrich vor nicht langer Zeit auf sie gemacht, das ihr galt und das er ihr zugesandt hatte mit einem duftenden Strauß erster Frühlingsveilchen!
Er war also hier, zu ihm rief sie da» Schicksal gerade in dem Augenblicke, wo sich ihr Herz so vereinsamt fühlte, und unwiderstehlich hörte sie es aufjubeln in ihrer Brust in bangem, seligem Entzücken.
Sie stand und lächelte, wie in einem süßen Bann befangen, fast hörbar schlug ihr das Herz, und glühend heiß stieg es in ihren Wangen empor.
Sie legte die Hand auf da» Eisengeländer, Schritt für Schritt stieg ste die Treppe empor, als wenn unsichtbare Hände sie leiteten, fast gegen ihren Willen, und gerade als Heinrich droben den letzten Vers in zärtlicher