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roten Mantel des Kaid, dessen Unerschrockenheit bei den letzten Angriffen der Marokkaner die größte Bewunderung der Franzosen erregt hatte. Man nimmt an, daß der Kaid getötet worden ist. Das plötzliche Verschwinden der Marokkaner wird von französischer Seite als Kriegslist betrachtet.

Madrid 25. Aug. Aus Cadiz wird berichtet, daß dort zahlreiche Briefe von Handels­leuten und Offizieren aus Casablanca eingetroffen sind. Die Handelsleute legen große Besorgnisse an den Tag. Die Offiziere ihrerseits sind über­zeugt, daß die Kabylen in der Umgegend von Casablanca zur Zeit nichts anderes bezwecken, als die Aufmerksamkeit von den anderen Hafen­städten abzulenken auf welche sie Angriffe planen. Matrosen des Kanonenbootes General Concha versichern, daß angeblich mehrere Deutsche, unter welchen man Offiziere vermutet, in Casablanca eingetroffen sind, um die Ereignisse an Ort und Stelle zu verfolgen. Anderen Berichten zufolge werden mehrere englische Kriegsschiffe nach Marokko entsandt werden, um dort Landungs- Manöver vorzunehmen.

London 23. Aug. Wie Lloyds Bureau" aus Gravesend meldet, ist der DampferMi­nerva" aus Hamburg, der am Freitag nachmittag in Tilbury angekommen und in Dock gegangen ist, am Donnerstag Morgen auf hoher See vor Borkum mit dem in Dünkirchen beheimateten SchlepperAbeille" zusammengestoßen, wobei der letztere gesunken sei. 12 Mann der Be­satzung seien ertrunken. Der Maschinist und 1 Mitreisender seien gerettet. DieMinerva" ist unbeschädigt.

London 24. Aug. Die Engländer in Casablanca beziffern ihren durch die Beschießung der Stadt verursachten Schaden auf 2*/s Millionen Mr. Murdoch ist in Tanger eingetroffen, um bei dem dortigen englischen Gesandten die Ersatzansprüche der Geschädigten geltend zu machen.

Warschau 24. Aug. Heute Vormittag überfielen unbekannte Männer an der Ecke der Uspölna- und Wielka-Gasse einen Beamten der Wiener Bank namens Kobzakowski. Ter 39jährige Mann wurde durch 7 Revolverschüsse getötet. Ein vorübergehender Russe wurde verletzt. Die Mörder, bei deren Tat es sich wahrscheinlich um einen Racheakt handelt, sind entkommen.

Petersburg 24. Aug. Banditen griffen in der Nähe des Bahnhofes einen Eisenbahnzug an, raubten 13,000 Rubel, töteten einen Oberst und verwundeten andere Personen, die sich in Begleitung des Kassierers befanden.

New-Aork 24. Aug. In dem Hospital für geisteskranke Verbrecher, das der Staat New- st)ork in Dannemora errichtet hat, ist es zu einer

gefährlichen Meuterei gekommen. Die Kranken verbarrikadierten sich in den Schlafsälen und machten Versuche, die Mauern zu durchlöchern, um ihre Freiheit zu gewinnen. Es entspann sich ein zweistündiger gefährlicher Kampf zwischen den tobenden Meuterern und dem Aufsicht?personal. Diesem gelang es schließlich, unterstützt durch eine große Zahl von Bewohnern des Ortes, die Wahn­sinnigen zu überwältigen. Bei dem Kampf wurde einer der Irrsinnigen getötet, 30 verwundet.

New-Dork 24. Aug. Eine große Feuers­brunst verursachte in Pittrburg für eine Million Dollar Schaden. 4 Feuerwehrleute trugen bei den Rettungsarbeiten schwere Verletzungen davon. In Cincinnatti ist ebenfalls eine Feuerrbrunst ausgebrochen, die gleichfalls für eine Million Dollar Schaden anrichtete.

Nerv.Aork 24. Aug. Wie jetzt durchstckert, ist die nervöse Erkrankung des Staatssekretärs Noot die Folge einer erregten Unterredung zwischen ihm und dem Präsidenten Roose- velt, bei der Root sich vergeblich bemühte, den Prä­sidenten zur Abänderung in dem Vorgehen der Re- gierunggegendieTrustszubewegen. Erbesuchtedieser Tage den Präsidenten Roosevelt, um in diesem Sinne auf ihn einzuwirken und setzte ihm in eindring­licher Weise auseinander, daß eine Fortführung der bisherigen Politik eine ernste Gefährdung des Wirtschaftslebens in der ganzen Union mit sich bringe. Die glatte Ablehnung, auf die seine angestrengten Bemühungen beim Präsidenten stießen, soll seinen nervösen Zusammenbruch herbei­geführt haben.

Vermischtes.

EinPatient, der 13Jahre imWasser gelebt hat. Aus Braunschweig schreibt man derFranks. Ztg." vom 22. ds.: Ein Patient, der 13 Jahre im Wasser gelebt hat, ist gestern im hie­sigen herzoglichen Krankenhause gestorben. Am 1. November 1894 stürzte der 20jährige Maurer Fer­dinand Schlimme aus Ahlshausen beim Pflücken von Tannenzapfen vom Baume und erlitt eine schwere Verletzung, die seine Aufnahme in das her­zogliche Krankenhaus erforderlich machte. Die Unter­suchung ergab, daß ihm in der Nähe des Steiß­beines die Wirbelsäule gebrochen und offen­bar an der Bruchstelle das Rückenmark zerquetscht war. Infolgedessen war eine Lähmung der unteren Körperhälfte einschließlich der Funktionen des Mast­darmes und der Blase eingetreten. Es entstand da­her für den Patienten die Gefahr des Durchlisgens, die zweifellos sein baldiges Ableben herbeigeführt haben würde. Um ihn zu retten, blieb nichts an­deres übrig, als ihn zunächst in ein permanentes Wasierbad zu legen. Da sich eine Operation als aussichtslos erwies, so mußte Schlimme schließlich sein Leben dauernd in einem solchen Wasserbade zubringen, ein Fall, der, soweit bekannt, bisher noch nicht zu verzeichnen gewesen ist. Dieses Wasserbad war also seitdem Schlimmes ständiger Aufenthalt/

worauf er dem Cerberus das wohlgefüllte Etui mit einem freundlichen Bitte" hinreichte, eine Manipulation, die das finstere Antlitz des Gewaltigen holdselig verklärte. Während Gehring seine Zigarre langsam anzündete, fragte er, scheinbar gleichgültig, halb über die Schulter:Ach da habe ich oben vergessen, zu fragen, wohin werden Fräulein Torosa die Briefe nachgeschickt?"

Nach Paris, gnädiger Herr," beeilte sich der Portier zu berichten.

Ja, ganz recht, das weiß ich aber nach welchem Hotel?"

Hotel äs Roms!'

Danke."

Die Zigarre brannte und Gehring trat auf die Straße, sprang in einen Ftacker und fuhr zum Telegraphenbureau, wo er eine Depesche folgenden Inhalts aufgab:

Herrn Baron Sosen. Paris, Boulevard des Italiens 9. Erbitte Näherer. Torosa wohnt Hotel äs Roms. Gehring."

Das Telegramm gab er in demselben Augenblicke auf, als Werner mit Heinrich aus dessen Hause trat, um gemeinsam mit ihm auf die Zu­kunft seines Stückes ein festliches Frühstück einzunehmen.

Vier Wochen waren inzwischen vergangen. Festgefrorener Schnee deckte die breite Chaussee, die zu dem Ellingenschen Schlosse führte, hüllte die stillen Waldbüume in seinen schimmernden Hermelin und breitete sich in schier endloser Fläche über die Felder und Aecker, so daß das alte Stamm­gut zwischen all den weißbehangenen, im Scheine der Wintersonne glitzernden Baumriesen begraben lag wie ein Zauberschloß im Märchenwald.

Ueber die Chausse klingelte ein breiter, wenig luxuriöser, aber dafür um so bequemerer Schlitten dem Gute zu, und behaglich in die Ecke gelehnt, den Pelzkragen in die Höhe geklappt, saß der alte Großmann neben seiner -Gattin.

seine Arbeits- und Schlafstätte. Um ihm diesen Aufenthalt möglichst angenehm und bequem zu ge­stalten, hatte man in den badewannenähnlichen Be­hälter einen Rahmen eingesetzt, auf dem der Körper ruhte. Eine auf dem Behälter angebrachte, horizon­tale, verschiebbare Tafel diente dem Kranken als Tischchen. Das beständig zu- und abfließende Wasser wurde durch eine selbständige Regulierung stets auf der angenehmen Temperaturhöhe von 2728 Grad Reaumur gehalten. Schlimme fand sich sehr bald in seine eigenartige Lebensweise; die Ernährung war gut, und er bekam ein kräftiges und gesundes Aussehen. Dabei entfaltete er in seinem feuchten Element ein lebhafte Tätigkeit. Er schnitzte Vogel­bauer, betrieb eine ausgedehnte Kanarienvogelzucht, fertigte Drahtarbeiten an, strickte und webte, und erlangte bald eine solche Kunstfertigkeit, daß die Erzeugnisse dieses merkwürdigen Kranken guten Ab­satz fanden und er einen leidlichen Verdienst hatte. Sogar Ansichtskarten mit seinem Bild fertigte er an. Einen Teil seiner Ersparnisse sandte er regelmäßig seiner bedürftigen Mutter, daneben konnte er sich von seinem Gelde einen Wagen kaufen, mit dem er zu gewissen Stunden durch Wärter oder Genesende ausgefahren wurde. Er konnte sich an dem Wachs­tum der Gartenanlagen erfreuen, ja er wurde auch hin und wieder auf kurze Zeit durch die Stadt ge­fahren, ohne daß das Publikum eine Ahnung von den eigenartigen Lebensverhältnissen des Mannes hatte. Außerhalb des Wassers klagte der Kranke über Schmerzen in der Grenzgegend des Rücken­marks, und immer wieder mußte er in sein Wasser­bad zurück, in dem er nun nach 12°/4 Jahren sein Leben beschließen sollte. In letzter Zeit hatte sich bei ihm eine eitrige Kniegelenkentzündung heraus­gebildet. Ein ausreichender operativer Eingriff war unmöglich, und die Entfernung des Etters durch Punktation schaffte nur vorübergehenden Erfolg. In den letzten Tagen stellten sich Fieber und die An­zeichen akuter Tuberkulose ein, und so ist der Mann, der über die bedenkliche Wendung seines Zustandes nicht mehr im unklaren gewesen zu sein schien und den Tod nicht mehr fürchtete, sanft entschlafen.

Landwirtschaftlicher Kezirksverein Calw.

Im Monat September wird ein Aufkauf von Kalbinneu auf dem Zuchtviehmarkt in Rottweil vorgenommen werden und wird der Verein hiezu einen Beitrag von 10°/« bis zum Betrag von 500 reichen.

Jedes Mitglied des landw. Bezirksvereins kann auf diesem Markt nach eigener Wahl einkaufen, ist aber hiebei an die Zustimmung der vom Verein ausgestellten auf dem Markt anwesenden Kommission gebunden. Dieselbe ist jedoch auch bereit, auf Be­stellung für Dritte Kalbinnen auszukaufen, sofern diese sich verpflichten, die für sie gekauften Kalbinnen gegen Bezahlung des Ankaufspreises und der Transportkosten unweigerlich zu übernehmen. Eine Versteigerung wird nicht vorgenommen.

Die Anmeldungen wollen spätestens bi- 1. September bei dem Vereinssekretär Fechter cingereicht werden.

Calw, 19. Juni 1907.

Der Vereinsvorstand.

Voelter, Regierungsrat.

Nebenher jagte Lord, der schottische Windhund, in großen Sprüngen, bald vor den Pferden hertanzend, bald mit wütendem Gebell eine Schar Krähen aufjagend, die dann mit heiserem Geschrei sich auf die Chaussee- bäume flüchtete.

Großmann und seine Gattin schienen sich sehr angelegentlich mit- einander zu unterhalten, und alle paar Minuten sah der gute Alte auf seine Uhr, als erschiene ihm der wohlbekannte Chaussceweg von Rommelsdorf nach Groß-Ellingen heute ganz besonders lang.

Als endlich der Schlitten, lustig klingelnd, in die geöffneten Tore des Gutrhofes einbog, und das dampfende Gespann vor der Rampe hielt, konnte er kaum abwarten, bis der alte Diener die Freitreppe heruntergeeilt kam, um ihnen beim Aussteigen zu helfen, und eilte seiner Gemahlin voraus die Stufen hinauf.

Ist Komtesse Beate zu Hause?" rief er dem Johann zu, der den Bescheid gab, daß seine Herrin die Herrschaften im Speisezimmer bereits erwarte, gerade in dem Augenblicke, als die Komtesse in der geöffneten Glastür erschien.

Verzeihen Sie den Ueberfall, Komtesse," begann Großmann, indem er ihr herzlich die Hand hinstreckte; wir haben gestern abend einen so wunder­lichen Brief von Ihrem Herrn Bruder und heute früh ein noch wunder­licheres Telegramm von unserem Sohne erhalten, daß Sie es der elterlichen, Neugier zugute halten müssen, wenn wir sofort anspannen ließen, um Sie zu überrumpeln."

Lächelnd erwiderte Beate, indem sie Frau Großmann begrüßte, die langsam ihrem stürmischen Gatten gefolgt war:Sie haben mich ganz und gar nicht überrascht, gnädige Frau, denn ich habe Sie bereits den ganzen Vormittag erwartet. Wären Sie nicht gekommen, so hätte ich mich zu Ihnen ausgemacht, um von Ihnen vielleicht ein Rätsel gelöst zu bekommen, vor dem ich seit gestern abend stehe." (Fortsetzung folgt.)