612
ein Beweis für das gute Einvernehmen der leitenden Staatsmänner beider Reiche. Es hat eine vertrauensvolle Aussprache über alle aktu- ellen Fragen stattgefunden, in welcher eine er. freuliche Uebereinstimmung festgestellt werden konnte und auf beiden Seiten der Wunsch zu Tage trat, den Frieden und die Ruhe auf der Welt aufrecht zu erhalten. An den bestehenden Bündnir-Verhältnissen wird durch die Begegnung weder für Deutschland noch für Rußland etwas geändert. Es ist zu erwarten, daß der jüngste Zwischenfall in Marokko keine politischen Komplikationen zur Folge haben wird. Von russischer halbamtlicher Sette wird eine Erklärung entsprechenden Inhalts veröffentlicht.
Swinemünde 6. Aug. Während sich nach Beendigung der Manöver die Flotte in Marschformation setzte, um wieder nach Swinemünde zu gehen, wurde von der Deutschland signalisiert, der Zar und der Kaiser sprächen der Flotte ihre Anerkennung für ihre Leistungen ' aus. Tie Torpedoboote erhielten ein besonderes Lob. Der Zar hat, wie jetzt aus Gesprächen bekannt wird, während seines Aufenthaltes vor Swinemünde den Leistungen der deutschen Flotte wiederholt warme Loberworte gezollt. Der gestrige Torpedo-Angriff hat dem Zaren lebhafte Aeuße- rungen der Anerkennung entlockt.
Swinemünde 6. Aug. Die „Standard" mit dem Zaren an Bord ist heute Mittag mit ihren Begleitschiffen unter dem Salut der deutschen Hochseeflotte in See gegangen. Im Laufe des Vormittags fand an Bord der ruffischen Kaiser- Dacht ein Frühstück statt, von dem Kaiser Wilhelm gegen V-12 Uhr auf die „Hohenzollern" zurück, kehrte. Wenige Minuten darauf machte der Zar dem Kaiser einen kurzen Abschiedsbesuch. Nach- dem der Zar auf den „Standard" zurückgekehrt war, lichteten die ruffischen Schiffe den Anker und dampften ab. Eine Viertelstunde nach Ab- gang des ruffischen Geschwaders setzte sich auch die Hochseeflotte in Bewegung in der Richtung nach Nordost, wobei sie sich von der „Hohenzollern" durch Salutschüsse verabschiedete.
Swinemünde 6. Aug. Zwischen Kaiser Wilhelm und Kaiser Nikolaus wurden heute bei der Abschiedsfeier an Bord des „Standard" Herz- liche Trinksprüche gewechselt.
Swinemünde 6. Aug. Die russischen Torpedozerstörer sind im Laufe des Nachmittags wieder in See gegangen. Einer von ihnen hatte den Unfall, daß sich eine Trosse in die Schraube verwickelte. Bei der heutigen Abfahrt des Stan- dard wird das Flotten-Flaggschiff Deutschland mit dem Prinz-Admiral an Bord ihm das Geleit geben. Es verlautet, daß der Kurs des Standard auf Sassnitz geht und daß Prinz Heinrich den Zaren bis dorthin begleiten wird.
Hamburg 6. Aug. Von der Besatzung des gestrandeten Packetfahrt-Dampfers „Teutonia" find alle Boote bis auf ein vertriebenes mit 16 Mann, von denen 7 Europäer und 12 Araber waren, gerettet worden.
Paris 5. Aug. Ueber das Eisenbahnun- glück bei Angers wird noch berichtet: Die Lokomotive, der Tender und ein Wagen dritter Klaffe des mit mäßiger Geschwindigkeit fahrenden Lokalzuges war eben auf der eisernen Brücke bei Ponts de Ce angelangt, welche über die an dieser Stelle sehr tiefe Loire führt, als ein Teil des Brückenbogens einstürzte. Die Lokomotive, der Tender und der Wagen dritter Klaffe stürzten ins Wasser. Der Heizer und der Zugführer konnten sich durch Schwimmen retten, der Maschinenführer und die Jnsaßen des Wagens ertranken. Die übrigen Wagen blieben auf dem Geleise stehen. Unter den Reisenden brach eine furchtbare Panik aus. Sechzehn Personen wurden mehr oder minder schwer verletzt. — Es scheint jetzt festzustehen, daß das Eisenbahnunglück durch die veränderte Lage einer von der Hitze ausgedehnten Schiene und die dadurch herbeige, führte Entgleisung verursacht worden ist. Die Verluste beziffert man auf 24 Personen, von denen 17 aus dem Wasser geborgen und ebenso wie der Lokomotivführer ihrer Persönlichkeit nach festgehalten find, während 6 Leichen noch nicht gefunden werden konnten.
Paris 6. Aug. Der Matin berichtet aus Tanger: Mohamed el Torres hat im Namen des Sultans an alle Legationen eine Note gerichtet, worin ersucht wird, sämtliche in Rabat ansässigen Europäer zu veranlassen, den Ort zu verlassen, da dort der Ausbruch von Unruhm zu befürchten sei.
Paris 6 Aug. Die „Agence Fournier" berichtet aus Mailand: Angesichts der Ankündigung eines allgemeinen Ausstandes für ganz Italien als Zeichen des Protestes gegen die klerikalen Skandale treffen die Behörden umfangreiche Vorbereitungen zur Aufrechterhaltung der Ordnung.
London 6. Aug. Der Standard meldet von autorativer Seite aus Madrid, daß Spanien entschlossen ist, mit Frankreich an einer bewaffneten Demonstration gegen Marokko zu- sammen zu wirken. Das Kanonenboot „Don Alvaro de Banner" erhielt Befehl, sofort nach Casablanca abzugehen. 500 Mann weitere Truppen werden in Cadix in Bereitschaft gehalten. Alle beurlaubten Offiziere und Mannschaften erhielten Befehl, zu ihren Regimentern zurückzukehren. 5 Bataillone stehen bereit, um sich innerhalb zweier Tage einzuschiffen.
London 6. Aug. Der stets wohl informierte Haager Berichterstatter der „Tribüne" meldet: Dis britische Regierung sei entschlossen, den 26 Mächten, die für die Abschaffung der Kontre- bande stimmten, vorzuschlagen, eine Konvention zu unterzeichnen, in der sie untereinander auf das Recht der Durchsuchung nach Kontrebande und deren Beschlagnahme verzichten, beides hin- gegen den Nichtunterzeichnern des Vorschlages gegenüber aber weiter ausüben wollen.
Haag 6. Aug. Deutschland accsptierte jetzt den Wunsch.Antrag Englands über dar Studium der Frage der Rüstungseinschränkungen, nachdem seine Neu Redaktion entsprechende Abänderungen erfahren hat.
Newyork 3. Aug. Der Bundesrichter Landis in Chicago verhängte durch ein heute erlassenes Urteil 29 240000 Doll, oder 122,8 Mill. Mark Geldstrafe über die Standard „Oil Company," weil sie im Jahre 1903 von den Eisenbahngesell- schasten rechtswidrige Frachtermäßigungen in 1426 Fällen angenommen hatte. Der Richter wandte in jedem einzelnen Fall das höchste Strafmaß an. Es ist dies wohl die höchste Geldstrafe, die jemals von einem Gerichtshöfe verhängt worden ist.
Kammer der Abgeordneten.
Aus dem Bericht über die Verhandlungen der Zweiten Kammer am 11. Juni sind wir in der Lage, nachstehend die Ausführungen unseres Abgeordneten Verw.-Akt. Staudenmeyer zu Kap. 43, Für milde Zwecke, Titel 3d, Kinderrettungsanstalt Stammheim OA. Calw (Baukostenbeitrag im ganzen 2000 ^ — verteilt auf die Etatsjahre 1907 und 1908 mit je 1000 —) im Wortlaut
zum Abdruck zu bringen:
Meine Herrn, als Vertreter des Bezirkes Calw möchte ich der K. Regierung für die Einbringung dieser Exigenz für die Kinderrettungsanstalt Stammheim zugleich im Namen der Anstaltsverwaltung verbindlichst danken. Durch die Bosheit von vier Anstaltszöglingen, worunter drei der Anstalt im Wege der Fürsorgeerziehung überwiesene Zwangszöglinge, wurden die Oekonomiegebäude der Anstalt an verschiedenen Ecken angezündet und sind bis auf den Grund niedergebrannt, und nur der im letzten Augenblick eingetrctenen Unentschlossenheit einiger im Komplott befindlicher Zöglinge ist es zu verdanken, daß nicht das Anstaltsgebäude selbst dem Brande zum Opfer gefallen ist. Die Anstalt hat durch den Brand abzüglich der Brandentschädignng einen Schaden von 10 000 erlitten und da ihr sonstige Mittel nicht zu Gebote stehen, war sie genötigt diesen Betrag gegen Verzinsung aufzunehmen. Sie hat außerdem noch eine Schuld, von Umbauten herrührend, von ca. 6 000 und da die Anstalt vollständig auf milde Beiträge angewiesen ist, so fällt es ihr außerordentlich schwer, das Geld für die Verzinsung dieser Schuld aufzubringen. Die Anstalt kann ihren wohltätigen Zweck nur durch milde Beiträge aus den weitesten Volkskreisen erreichen. Sie erhebt für die Zöglinge, die bei ihr untergebracht find, derzeit nur Kostgeldbeiträge von 60, 80 und 100 ^ per Jahr und nur für die Zwangszöglinge
erhält sie jährlich 150 während nach ihren Berechnungen nach dem derzeitigen Stande der Lebens- mittelpreise sie ein Kind allein für Verköstigung und Kleidung auf ungefähr 300 pro Jahr zu stehen kommt. Meine Herrn, wenn man fragt, was diese 4 Zöglinge veranlaßt hat, den Brand zu legen, so wußten sie Klagen absolut nicht vorzubringen. Sie haben vielmehr erklärt, daß sie sowohl mit der Behandlung in der Anstalt als mit der Beköstigung recht zufrieden seien und als der Untersuchungsrichter schärfer in sie gedrungen ist, hat endlich einer gesagt, ja, er habe nur das eine zu klagen, „die Spatzen seien hie und da zu groß gewesen." Also, meine Herrn, Sie sehen, daß hier nur die reine Bosheit dieser der Anstalt überwiesenen Fürsorgezöglinge an dem Brande schuld ist und es ist nach meiner Meinung voll und ganz begründet, wenn der Staat einen Beitrag für diese Anstalt zu ihrem Brandschaden gewährt und ich möchte das hohe Haus bitten, diese Exigenz zu genehmigen.
Aus der Sitzung am 6. Juli, zu Kap. 118, Eisenbahnen (Tit. 1, Aus dem Personen- und Gepäckverkehr:
Meine Herrn, mein Fraktionssreund, der Herr Abg. Storz, hat bei der gestrigen Generaldebatte die Frage der Milchversendung und -Beförderung mit einigen Worten gestreift. Bei der Wichtigkeit dieser Frage für den Bezirk, den ich in diesem hohen Hause zu vertreten die Ehre habe, muß ich noch mit einigen kurzen Bemerkungen hierauf zurückkommen.
Mannigfache Beschwerden und Wünsche, die zu meinen Ohren gekommen sind, haben mich veranlaßt, in der letzten Ferienwoche diese Frage bei wiederholtem Befahren der in Frage kommenden zwei Linien, der Nagoldtalbahn und der Schwarzwaldbahn, eingehender zu studieren und genaue Erhebungen über den Milchversand auf diesen Linien anzustellen.
Was zunächst die Nagoldtalbahn betrifft, so kamen an dem fraglichen Erhebungstag nach Pforzheim zum Versand von der Station Hochdorf an abwärts:
mit dem Frühzug: auf 11 Stationen zusammen 524 Milchflaschen mit 8528 I Inhalt, mit dem Abendzug: auf 9 Stationen zusammen 300 Milchflaschen mit zusammen 5390 I Inhalt, an einem Tag also insgesamt 824 Flaschen mit 140001 Milch. Aus der Schwarzwaldbahn kamen an einem Tag nach Stuttgart zur Versendung auf 7 Stationen 217 Flaschen mit ca. 4300 l Inhalt.
Bei der Geschäftslage dieses hohen Hauses muß ich mir versagen, aus die volkswirtschaftliche Bedeutung der Milchversorgungsfrage des näheren einzugehen, nur die eine Bemerkung vermag ich nicht zu unterdrücken: warum die an dem Milchversand nach Pforzheim beteiligten Landwirte bei der großen in Bettacht kommenden Menge Milch nicht schon längst dazu übcrgegangen sind, den Milch- versand durch Errichtung einer Milchzentrale in Pforzheim genossenschaftlich zu organisieren. Bei der Preisdifferenz von 6—10 Pf. pro Liter Milch zwischen Produzenten und Konsumenten müßte sich ein solches Unternehmen sicher ausgezeichnet rentieren, denn heute bleiben nach meiner ungefähren Schätzung allein ca. 8—10000 jährlich in den Händen der Zwischenhändler in Pforzheim.
Die gesundheitspolizeiliche Seite der Milch- versendungs- und Versorgungsfräge ist bei diesem Etatstitel vor 2 Jahren von dem Herrn Abg. Guoth näher behandelt und von ihm neben möglichst raschem Versand insbesondere die -Anbringung von Kühlvorrichtungen in den dem Milchttansport vornehmlich dienenden Gepäckwagen gewünscht worden. Der damalige Herr Staatsminister der auswärtigen Angelegenheiten hat zugesagt, Erhebungen anstellen zu lassen, in welcher Weise diesem Wunsche Rechnung getragen werden könnte, und ich darf vielleicht um Auskunft vom Regierungstische bitten, welches Resultat diese Erhebungen gezeitigt haben. Um eines möchte ich aber in dieser Beziehung die Leitung der K. Eisenbahnverwaltung noch bitten, nämlich Anordnungen dahin ergehen zu lassen, daß die dem Milchversand dienenden Gepäckwagen recht oft mit heißem Wasser gereinigt werden, denn durch das unvermeidliche Verschütten von Milch beim Ein- und Ausladen bildet sich Säure, durch welche die in einem solchen Gepäckwagen später zur Versendung kommende gesunde Mich während des Transports sehr leicht angesteckt, also ebenfalls sauer werden kann.
Für die Eisenbahnverwaltung ist die Milchversendungsfrage endlich nach ihrer betriebstechnischen Seite von größter Wichtigkeit, und in dieser Beziehung gerade muß ich bezüglich der Nagoldbahn und der Schwarzwaldbahn um Abstellung der zutage getretenen Mißstände ernstlich bitten, obwohl ich dankbar anerkennen muß, daß der derzeitige Leiterder Bettiebsinspektion Calw alleerdenklicheMühe sich gibt, nach Tunlichkeit hier Wandel zu schaffen.