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wirtschaftliche Bezirksverein, eine Molkereigenossenschaft oder eine andere Korporation dessen Aufnahme befürwortet und ob dieselben ihm zu diesem Zweck einen Beitrag und in welcher Höhe zugesagt oder in Aussicht gestellt haben.
Stuttgart, 22. Juli 1907.
v. Ow.
Tagesneuigkeiten.
Stamm heim 30. Juli. Infolge des furchtbaren Sturmes, der in verflossener Nacht tobte, ist die gestern neu aufgerichtete Scheuer des Hirschwirts Fischer zusammengestürzt.
Herrenberg 29. Juli. Die Hopfenanlagen, die mit ganz verschwindenden Ausnahmen noch gesund sind, machen erfreuliche Fortschritte und fliegen zum Teil schon auf. Wenn der Monat August, der Bringer und Nehmer der Hopfen, günstig verlauft, haben wir eine in Qualität wie Quantität gute Ernte zu erwarten.
Horb 29. Juli. Seit einigen Tagen hat die Witterung an Wärme bedeutend zugenommen. Auch die Nächte sind nicht mehr so kalt. In bevorzugten Anlagen steht die Hopfenpflanze in Blüte. Die im Wachstum zurückgebliebenen Gärten entwickeln den Verhältnissen entsprechend ein befriedigendes Wachstum, obwohl sie das Versäumte bei der vorgerückten Zeit nicht mehr nachzuholen vermögen. Für die in Blüte stehenden Pflanzen wäre ein durchweichender Regen sehr von Vorteil, da sich in harten Böden die Trockenheit durch das Gelbwerden der Blätter von unten herauf bemerkbar macht.
Stuttgart 30. Juli. Die zweite Kammer hat heute die Beratung des Eisenbahnbau- kreditgesetzes begonnen, das insgesamt etwa 38 Mill. anfordert. In Art. 1 werden 4 Mill. für den Bau von Nebeneisenbahnen bestimmt. Zunächst wurden genehmigt als erste Rate 500 000 für eine Nebenbahn von Böblingen über Weil im Schönbuch nach Dettenhausen unter Annahme einer Resolution, die Erbauung einer normalspurigen Nebenbahn von Schönaich nach Waldenbuch der Regierung zur Berücksichtigung zu empfehlen. Auch vom Regierungstisch wurde das Bedürfnis Waldenbuchs nach einer Bahn anerkannt. Auf diese Erklärung des Ministerpräsidenten ertönte von der Zuhörergalerie ein Bravoruf, was unzulässig ist, und Präsident von Payer zu der Mahnung ver- anlaßte, die Galerie möchte sich jeder Aeußerung enthalten, es würde ihm leid tun, wenn er sie räumen lassen müßte. Weitere 500000 wurden als erste Rate für die Bahn Balingen-Schömberg bewilligt. Längere Erörterungen knüpften sich an ein Projekt zur Verbindung von Donau- und Südbahn durch eine Nebenbahn Ehingen— Laupheim, wofür als erste Rate 500000 gefordert wurden. Die Kommission stellte den Antrag, diese Exigenz zu streichen und folgende Resolution anzunehmen: „Die Regierung zu ersuchen, den Ständen in dem nächsten Eisenbahnbaukredit
gesetzentwurf den Bau einer von Biberach abzweigenden, in Munderkingen einmündenden Nebenbahn zur Verabschiedung vorzulegen und die Herstellung einer Verbindungsbahn Ehingen—Laupheim für später im Auge zu behalten." vr. v. Kiene, sowie die Abg. Schick, Krug und vr. Späth beantragen 1. für eine Bahn Biberach—Munderkingen und Ehingen—Laupheim je 250000 eventl. 2. für eine Bahn Biberach—Munderkingen 500000 ^., sowie die Regierung zu ersuchen, die Herstellung einer Verbindungsbahn von Ehingen nach Laupheim für die nächste Finanzperioden ins Auge zu fassen. Geheimrat v. Balz rechtfertigte in erster Linie die Regierungsforderung mit einem früheren Verlangen des Hauses und sprach sich dann gegen den Antrag v. Kiene aus und zwar hauptsächlich aus staatsrechtlichen Gründen, da ein solcher Antrag in das Initiativrecht der Regierung eingreife. Auch Präsident v. Payer hatte "es als zweifelhaft erklärt, ob das Haus hier eine neue Bahn substituieren könne. Die Debatte endigte schließlich mit der Zurückziehung des als aussichtslos erkannten Antrags v. Kiene und mit der Annahme des Kommissionsantrags und zwar, soweit er sich auf den Bau der Bahn Ehingen bis Laupheim bezieht, gegen die Stimmen der Volks- pvrtei. Morgen berät das Haus die in einem Nachtrag zum Finanzgesetz enthaltenen Bauforderungen. Schluß der Sitzung nach 8 Uhr.
Stuttgart 30. Juli. Vor kurzem kam in unserem Lande der seltene Fall vor, daß sich Vater und Sohn um dieselbe Pfarrei meldeten; für den Vater sollte es die letzte, für den Sohn die erste Stelle sein. Der Vater trug bei der Bewerbung den Sieg davon.
Bietigheim 29. Juli. Ein frecher Einbruchsdiebstahl wurde heute Nacht bei einem Landwirt verübt. Als er seinen Dienstknecht, der ungefähr 12 Uhr nach Hause kam, hereingeloffen hatte, zündete er noch in den Stall und entdeckte zu seinem Schrecken einen aus dem Melkstuhl sitzenden mittelgroßen besser gekleideten ca. 30jährigen Mann, welcher auf den Zuruf was er hier tue rasch davonsprang ohne daß er hätte dingfest gemacht werden können. Bei weiterem Nachforschen fand man auf dem Platze stehend einen Kübel Wein, ferner unterwegs Rauchfleisch und Spuren von Kerzenlicht; auch hatte er in Küche und Keller sonst noch gehaust, wo Eier und ähnliches vermißt werden.
Bachlingen O.A. Gerabronn 29. Juli. Mühlenbesitzer Pfeifer hier ist laut „Neckarztg." im Besitz eines Karpfen, der eine Länge von 70 om und ein Gewicht von 20 Pfund hat.
Reutlingen 30. Juli. Heute morgen warf sich lt. „N. Tagblatt" eine etwa 30 Jahre alte Frau unter die Maschine eines hereinfahrenden Zuges und wurde gräßlich verstümmelt. Der Tod trat sofort ein. Die Frau dürfte in einem Anfall von Schwermut gehandelt haben.
Riedlin gen 29. Juli. Der Pferdemarkt wies heute eine Zufuhr von 280 Stück auf; der
Handel war flau bei Preisen von 170—800
— Dem Rindviehmarkt waren 1046 Stück zuge- führt, eine Zahl, die hier noch selten erreicht wurde. Leider waren nicht genug Kauflustige am Platz, so daß der Handel nicht recht lebhaft wurde. Die Preise gingen etwas zurück. Preis für Farren 300—700 für das Paar Ochsen 600—800 für Kühe 300—500 für Kalbeln 280—320 für Boschen 140-200
— Auf dem Schweinemarkt war die Zufuhr ebenfalls stark; die Preise bewegten sich bet recht lebhaftem Handel zwischen 32 und 40 ^ für das Paar Milchschweine.
Pforzheim 29. Juli. Gestern nachmittag hat sich am Schützenhaus, inmitten einer großen Masse Spaziergänger, ein lediger Dresdener Goldschmied erschossen.
Emmendingen 30. Juli. Ein gräßliches Unglück ereignete sich gestern nachmittag am Ausgange der Stadt auf der Straße nach Freiburg. Der 30 Jahre alte ledige Maurer Pius Buselmaier aus Oberhausen (Amt Emmendingen) fuhr auf seinem Rad direkt chi ein nach Freiburg fahrendes Automobil hinein und wurde durch den Anprall sofort getötet. Das Automobil gehört Herrn Eugen Siebe! aus Wiesbaden und konnte dieser sowie der Chauffeur namens Schlepp nach Aufnahme des Protokolls dis Reise wieder fortsetzen.
B ad e n 29. Juli. Die Villa Molitor in der Stadelhoferstraßs bildet immer noch das Ziel zahlreicher Spaziergänger, die freilich sehr unbefriedigt wieder davon gegangen sind, denn die Bewohner haben die Villa verlassen, die Läden sind geschlossen und am Eingang des Gartens befindet sich das übliche große Plakat auf dem mitgeteilt wird, daß die Villa zu verkaufen oder zu vermieten ist. Auch der Ort der Tat in der Nähe des Eingangs zu den Lindenstaffeln wird noch vielfach ausgesucht und die berühmt gewordene Frage erörtert, ob es möglich, in einer Viertelstunde von dem Ort zur Bahn zu gelangen.
Mannheim 30. Juli. Vor dem hiesigen Schöffengericht hatte sich ein 17 Jahre altes Mädchen, die Tochter des Maurers Georg Brand zu verantworten, weil sie ihren Vater verprügelt hat. Auf dem Gerichtstische lag ein Staubbesen. Sie will die Tat aus Zorn begangen haben, weil der Vater sie der Unzucht und ihre Mutter der Kuppelei beschuldigt habe. Der 48 Jahre alte Mann, der als Ankläger erschien, erklärte in jammerndem Tone: „Sie hat mich vom dritten Stock in den Hof hinunter gehauen, ich habe ihr Platz machen müssen, daß der Ersatz ins Haus konnte." Die Tochter wurde zu 10 ^ Geldstrafe verurteilt.
Elastizität eilte er die Stufen hinauf, um dem Grafen Gattin und Sohn, die ihm auf dem Fuße folgten, vorzustellen. Frau Marie Großmann war ein feines, schlankes Figürchen, das beinahe etwas Aristokratisches hatte, und die schlichte, ungemein vornehme Einfachheit ihres eleganten Reiseanzuges zeugte ebenso von dem feinen Takt der alten Dame, wie sie ihr gut stand und die Vortelle des schmalen Gesichtes mit den großen klugen Augen und dem graumelierten Haar voll zur Geltung kommen ließ.
Sie begrüßte den jungen Hausherrn und Komtesse Beate mit außerordentlicher Verbindlichkeit, ohne im mindesten devot oder kriechend zu sein, und Beate fühlte sich vom ersten Momente von der offenen und herzlichen Manier der alten Dame sympathisch berührt. Zuletzt kam der Sohn an die Reihe, der in seinem langen, durchaus modernen Gehrock und dem tadellosen Zylinder den Eindruck eines liebenswürdigen, aber ungemein schüchternen Kandidaten machte. Er war eigentlich ein hübscher Mensch, das Ebenbild der Mama, mit den feinen Zügen, dem zarten Teint und den sanften und doch sehr gescheiten grauen Augen. Nur schien er für diese makellose Salon- tollette noch nicht recht zu passen, obgleich man eigentlich nicht sagen konnte, warum» denn das nötige Alter hatte er bereits längst. War es die fast mädchenhafte Schüchternheit seines Wesens oder die sehr schlanke Figur, die ihm etwas Unreifes, ja Knabenhaftes verlieh trotz seiner 25 Jahre? Es ließ sich nicht entscheiden, aber trotz alledem hatte der junge Mensch ebenso viel Gewinnendes an sich, wie seine Mama. Beate überreichte der Gutsnachbarin einen prächtigen Strauß aus wunderschönen La France- Rosen und weißen Nelken, und der junge Gutsnachbar brachte der Komtesse ein duftendes Bukett der seltensten Blumen mit, die mit großer Sorgfalt ausgewählt waren, und bei deren Ueberreichung er bis an die Stirn errötete, wie ein Schulmädchen, das einen durchreisenden Potentaten begrüßt.
„Es ist ein gutes Omen," sagte lächelnd Werner in die kleine Ver
legenheitspause, „daß der erste Austausch zwischen unseren Gütern gerade duftende Blumen sind, gnädige Frau, und daß es gerade die Jugend dieser beiden Güter ist, aus deren Händen sie kommen!"
„Nehmen wir also das gute Omen an," lächelte Großmann herzlich, „denn unser aller Wunsch ist es ja, unsere Blumen wachsen und gedeihen zu lassen!"
„Das wird allerdings noch einige Mühe machen, lieber Herr Großmann," antwortete Werner, indem er der alten Dame galant den Arm bot.
„Na, das liegt ja ganz und gar am Gärtner," erwiderte Großmann, der neben ihnen ging, während hinter ihnen der junge Gutsnachbar wieder errötend Beate führte. „Glauben Sie mir, Herr Graf, ein tüchtiger Gärtner vermag viel, wenn er es ernstlich meint und seine Blumen richtig zu pflegen versteht, alles Unkraut ausrodet und nicht mehr ernten will, als der Boden trägt."
Werner verstand sehr wohl den Stich gegen die beiden Vorgänger, die drüben in der Schloßkapelle unter ihren steinernen Treppen lagen, und eine düstere Wolke flog über seine offene Stirn, als er ernst erwiderte: „Wenn aber Sturm und Hagel jahrelang über ein blühendes Land gezogen sind, wenn die Raupen so viel wie alles in langen Sommern abgefressen haben, dann steht der arme Gärtner vor einer Heidenarbeit und läßt manchmal mutlos den Kopf und die Arme hängen!"
„Das muß er nicht, Herr Graf," klang es fröhlich zurück, „denn die alte Sonne ist ja immer noch da und gibt immer neue Wärme und immer frische Lebenskraft — wenn der Boden nur gut ist! Und von drüben, wo Rommelsdorf liegt, soll schon kein Wetter aufsteigen, da bin ich selbst so ein bischen Wettermacher. Wenn's von Süden nicht kommt" — dabei wies er mit der Hand nach der Richtung, wo die Residenz lag — „vor dem Nordwind haben Sie Ruhe!"
(Fortsetzung folgt.)