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Tagesueuigkeiteu.

Calw 29. Juli. Unter den Arbeitern der Vereinigten Deckenfabriken wachte sich in letzter Zeit eine Bewegung behufs Lohnerhöhung und Verkürzung der Arbeitszeit geltend. Die von den Arbeitern eingereichten Forderungen wurden teilweise von den Arbeitgebern zugestanden, die Differenzen aber damit nicht beigelegt und legten daher am Samstag etwa 60 Arbeiter und Arbeiterinnen die Arbeit nieder. Wie die Sache enden und ob der Streik eine größere Ausdehnung nehmen wird, werden schon die nächsten Wochen zeigen, denn der ganzen Sachlage nach kann von einem längeren Streik wohl nicht die Rede sein. Der Fortbetrieb des Geschäfts ist nicht gehindert.

Calw 29. Juli. Die hies. Schützen» gesell schaft hielt gestern wieder ihr Nachbar­schießen ab, woran sich auf ergangene Einladung Schützen von Pforzheim, Neuenbürg, Hirsau und Weilderstadt in großer Zahl beteiligten. Das Schießen begann um 10 Uhr vormittags und dauerte mit einer Stunde Mittagspause bis 6 Uhr abends. An die Preisverteilung, welche in der Brauerei Dreiß stattfand, schloß sich ein gemein­schaftliches Abendessen. Nachstehend verzeichnen wir die Schützen, die sich der besten Resultate zu erfreuen hatten:

Standhaupt: 1. Preis vr. Autenrieth-Calw mit 49 Punkten, 2. Preis Carl Beißer-Calw mit 48 Punkten, 3. Preis Jung-Pforzheim mit 48 Punkten.

Feldhaupt: 1. Pr. König-Pforzheim, 50 Punkte, 2. Pr. Schützenmeister Deyle-Calw, 49 Punkte, 3. Pr. Alfr. Schmidt-Neuenbürg, 47 Punkte.

Preise, gestiftet vom früher. Schützenmeister H ippelein-Calw:

Standhaupt: 246 Ringe Schützenmeister Deyle-

Calw.

Feldhaupt: 214 Ringe Claß-Calw.

Ehrenscheibe: 1. Beißer-Calw. 2. Keiner-Neuenbürg, 3. Beyrlen-Babenhausen, 4. Adolf Beyrlen-Weilder- ttadt, 5- Großkopf-Neuenbürg. 6. Jung-Pforzheim, 7. Schütz-Weilderstadt, 8. Schützenmeister Deyle- Calw, 9. vr. Autenrieth, 10. Oberamtsbaumeister Kohler-Calw und noch weitere 8 Treffer.

Am 26. Juli wurde von der Ev. Ober­schulbehörde die Schulstelle in Würzbach dem Schul­lehrer Krauter in Hochdorf, sowie die erste Schul­stelle in Bernhausen, Bez. Pliningen, dem Schul­lehrer Bauer in Oberhaugstett überwagen.

Wildberg 29. Juli. Gestern Mittag wurde durch Flößer aus der Nagold die 36 Jahre alte Ehefrau des Metzgers Herrmann von Wild­berg au» der Nagold als Leiche heraus­gezogen.

Stuttgart 27. Juli. Gestern Nach­mittag wurde ein 6jähriges Mädchen auf der Kreuzung der Mönch- und Beyerstraße von einem Radfahrer umgeworfen. Das Kind hat starke Verletzungen im Gesicht erlitten.

Nürtingen 29. Juli. Eine hier wohn­hafte Frau Studenmond wurde tot in ihrer Wohnung gefunden. Das Gericht beschäftigt sich mit dem Fall.

Eßlingen 29. Juli. Die Konkurse, welche in letzter Zeit beim hiesigen Amtsgericht anhängig gemacht werden, nehmen einen auf­fälligen Umfang an. Während in den Jahren 1905 und 1906 im ganzen nur je 5 Eröffnungen stattfanden, sind es Heuer schon 8; wovon auf den Zeitraum vom 10. Juli bis heute allein 4 Verfahren entfallen.

Pforzheim 29. Juli Ern bedauerliches Geschick traf einen langjährigen und in hiesigen Vereinskreisen gern gesehenen Beamtest, Polizei­aktuar Webel. Derselbe wurde plötzlich geistes- krank und sollte heute nach der Heilanstalt Jllenau gebracht werden. Er benutzte einen unbewachten Moment, um sich aus dem Fenster auf die Straße zu stürzen, wo er mit schweren inneren Verletzungen und Oberschenkelbrüchen aus­gehoben wurde.

Karlsruhe 27. Juli. In der heutigen letzten Sitzung des Schwurgerichts richtete nach Bildung der Geschworenenbank der Vorsitzende, Landgerichtsdirektor vr. Eller an die Ge­schworenen folgende Ansprache:Wir find heute an dem letzten Fall der Tagung angelagt und da nun die Herren, die nicht gezogen wurden, entlassen sind, will ich nicht verfehlen, den Ge­schworenen für ihre mühevolle, anstrengende, ungewöhnliche Anforderungen stellende und man darf sagen, soweit es den großen Fall betrifft, aufreibende Tätigkeit den Dank auszusprechen. Es waren große Anforderungen an die Ruhe Ihres Bewußtseins, Ihre unerschütterliche Ueber- zeugung und Ihren Mannesmut gestellt. Sie haben sich bei Ausübung Ihres schwierigen Amts als echte deutsche Männer bewährt und dafür gebührt Ihnen der Dank des Gerichts."

Von der Tauber27.Juli. DemSchaf- markte in Rothenburg waren 900 Stück zu­geführt. Es zeigte sich rege Kauflust und die Preise stellten sich etwas höher. Hammel- kosteten 5265 ^ und Schwänzer 6474 Im Laufe dieser Woche sind die Preise für fette Schweine wiederholt gestiegen und wurden 48 und 50 --Z per Pfd. Lebendgewicht gezahlt.

Berlin 27. Juli. Der König von Siam gedenkt am 3. August in Kiel zu landen, um eine Besichtigung der dortigen Germania-Werft vorzu­nehmen. Am 4. August ist die Ankunft in Berlin vorgesehen. Außer einer Besichtigung der Tele- funken-Station Nauen, die am 6. August vormitt, stattfinden soll, sind besondere Besuche hiesiger Etablissements nicht vorgesehen. Am 9. August

erfolgt die Ankunft in Braunschweig zum Besuch des Regenten. Von dort reist der König nach Paris. Im September ist eine Reise nach Mün­chen und Wien geplant. Von anderer Seite wird noch gemeldet, daß der König dem Kaiser am 8. August seinen Besuch in Wilhelmshöhe abstatten werde.

Berlin 27.Juli. Das lenkbare Militär­luftschiff hat heute einen neuen erfolgreichen Aufstieg gemacht. Es ist Nachmittags von der Jungfernhaide nach Spandau und zurückgesegelt. Gegen 2*/s Uhr war der Ballon unter Führung des Hauptmanns von Sperling abgefahren und vor 3 Uhr bereits kehrte er zurück.

Berlin 27. Juli. Die Schandtaten an den 3 unschuldigen Kindern im Norden Berlins haben die Polizei die ganze Nacht hin­durch in Tätigkeit gehalten. Die Beamten wurden verteilt und die Nachforschungen überallhin mit Ablösungen vorgenommen, bisher ohne Erfolg. Heute Vormittag fand auf dem Polizeipräsidium eine Konferenz statt, in der die einzelnen Ergebnisse zusammengetragen wurden. Oberregierungsrat Hoppe instruierte die Beamten dahin, die Mütter und Kinder auf den Spielpätzen und in den Straßen in der Gegend der Prenzlauer-Allee ebenso wie in der ganzen übrigen Stadt zu be­fragen, ob ein Mann in den letzten Tagen die Kinder durch Anerbietungen von Geld in Haus­flure zu locken versuchte. Außerdem befahl der Polizeipräsident von Borries» daß sämtliche uni­formierten Schutzleute und dienstlich abkömmliche Beamte während des ganzen Tages sich bemühen sollen, von Müttern und Kindern die Beschreibung eines Mannes zu bekommen, der vielleicht mit der Tat in Verbindung zu bringen ist. Man hofft auf diese Weise endlich ein genaueres Sig­nalement des Täters zu bekommen.

Berlin 27. Juli. Glücklicherweise waren die ersten Nachrichten über die Bluttaten im Norden Berlins, welche von 5 ermordeten Kindern sprachen, übertrieben. Ein Kind hat sein Leben unter den Händen des Unholdes gelassen, ein zweites liegt tödlich verletzt im Krankenhause, ein Drittes ist verhältnismäßig glimpflich davon ge­kommen und bereits vernommen werden. Des Täters war man bis zu früher Morgenstunde nicht habhaft geworden. Auf seine Ergreifung hat die Polizei eine Belohnung von 1000 ^ ausgesetzt. Gestern wurde zwar ein etwa dreißig­jähriger Mensch verhaftet und wäre fast von der erregten Volksmenge gelyncht worden; doch ist es sehr zweifelhaft, ob dieser mit den Taten in Verbindung steht, da das vernommene Kind in ihm den Täter nicht wieder erkennen konnte. In der Prenzlauer Allee fand ein Knabe auf einer Bank neben dem einen Tatort einen Zettel, der mit dem Teil einer auseinander­

gemacht, die ererbten Schulden des Hochseligen an den Nachbar zu tilgen und hatte sich mit dem lächelnden axrös nous Is äoluxo und dem ver­mehrten Defizit der gräflich Ellingenschen Stammgüter auf dem porösen Gewissen in die prächtige Familiengruft zurückgezogen.

Der gute Herr Großmann sah also dem neuen Herrn im nachbarlichen Schlosse mit wenig Vertrauen entgegen, nachdem er jahrelang stillschweigend da drüben" die unverantwortliche Wirtschaft mit angesehen hatte. Nachdem die Herren ihn gründlich mit unendlicher Liebenswürdigkeit angepumpt hatten, ließen sie die nachbarliche Freundlichkeit allmählich erkalten, als die Summen bereits eine unheimliche Höhe erreicht hatten, und sahen dann eines Tages ein, daß der alte Großmann doch eigentlich ein recht unverschämter Plebejer sei.

Man hatte ihn eben zu sehr verzogen und beeilte sich, diesen Fehler nach Kräften zu verbessern, indem man den Nachbar so viel wie möglich ignorierte.

Als der Plebejer es aber sogar einmal wagte, die bescheidenen Zinsen seines Kapitals in höflichster Weise zu fordern, ließ man ihm durch den Rechtsanwalt der Familie mitteilen, daß er sein Geld schon bekommen würde, und damit war für immer der aufdringliche Mensch erledigt und lediglich nur noch eine, wenn auch etwas hohe Ziffer im Schuldbuche derer von und zu Ellingen.

Großmann war zwar ein sehr guter und rücksichtsvoller Mensch, aber er war ein Mann der Arbeit, ein echter Sohn des Volkes. Sein bürger­liches Gefühl war durch das Benehmen der beiden Verstorbenen aufs tiefste beleidigt und er war fest entschlossen gewesen, gegen den Erben mit uner­bittlicher Strenge vorzugehen. Es war ja sein sauer verdientes, sein ehrlich erworbenes Geld, das er den Herren geliehen und das diese für zahllose noble Passionen und unnoble Abenteuer aus dem Fenster geworfen hatten, ohne auch nur Mene zu machen, ihm jemals die Zinsen seines Kapitals zu bezahlen. Er hatte absolut keinen

Grund zu rücksichtsvoller Schonung gegen den Erben dieser beiden Gewissen- >

losen, und da er sich naturgemäß des alten Sprichwortes erinnerte, daß der Apfel nicht weit vom Stamme fällt, so hatte er auch das Bild des neuen Gutsherrn schon in seiner Phantasie fix und fertig, als eines Tages ein kleines, elegantes Dogcart an der Freitreppe seines Schlosses vorfuhr, und er den Diener in der Ellingenschen Livree erblickte. Wenige Minuten später stand er in seinem Empfangszimmer dem neuen Erben der morschen Herrlichkeit, dem jungen Werner, gegenüber, dessen Wesen und Auftreten ihn vom ersten Moment schon für sich einnnahm. Werner machte den Nachbarn seinen Antrittsbesuch, und zwar Herr Großmann zuerst. Dann war er von selbst zögernd auf den wichtigen Punkt der offenen Geldfrage gekommen und hatte mit treuherzigen Worten sein lebhaftes Bedauern ausgedrückt und dem alten Herrn herzlich gedankt, daß er solange schonungs­voll mit der Geltendmachung seiner berechtigten Ansprüche gewartet hatte. Dann hatte er mit ihm lange und eingehend über die Art der Rückzahlung des großen Kapitals gesprochen, uud dabei war Großmann höchlichst erstaunt und sehr angenehm überrascht gewesen, wie Werner über den Stand der Dinge auf Schloß Ellingen schon orientiert war, welch tiefen Blick er in die ganze Verwahrlosung der gesamten Wirtschaft schon getan hatte, und wie klar und richtig dieser noch so junge Kopf rechnete und kalkulierte.

Großmann war ihm weit, sehr weit entgegengekommen, und in seiner Freude hatte ihn Werner für den Sommer zu sich auf einige Tage eingeladen in dem instinktiven Drange, unliebsame Erinnerungen möglichst zu verwischen.

Und heute sagte sich der gute Mann nun mit Gattin und Sohn aus freien Stücken an.

Werner war zwar nicht gerade unangenehm berührt, denn er wußte sich sehr wohl zu erinnern, daß er Herrn Großmann sehr eindringlich aufgefordert hatte, einige Zeit seinlieber Gast" zu sein, aber Gattin und Sohn, die er noch gar nicht kannte, mit eingeladen zu haben, entsann er sich nicht.

(Fortsetzung folgt.)