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die Erschienenen und ganz besonders den für das Handwerk unermüdlichen Präsidenten von Mosthaf, während Stadtschultheiß Bauer die Versammlung namens der Gemeinde Nürtingen herzlich bewillkommnet« und dem Verbandstag einen gesegneten Erfolg wünschte. Präsident von Mosthaf führte in seiner Ansprache aus, daß er sich aufrichtig freue, daß seine redlichen Bestrebungen zur Hebung der Lage des Handwerks so lebhafte Anerkennung gefunden habe. Er ge- lobte wiederum, nichts zu versäumen, was den Interessen des Handwerks dienen könnte. Die Regierung werde alle Bestrebungen unterstützen, die mit anderen wirtschaftlichen Interessen vereinbar find. Allerdings könne sie sich nicht mit einem Berufszweig identifizieren, sondern müsse einen Ausgleich der Gegensätze erstreben. Das maßvolle Verhalten des Handwerker-Landes-Verbands konstatiere er gern und wolle daran erinnern, daß er dem Verband einen entscheidenden Einfluß in wichtigen Fragen eingeräumt habe. Es wurden sodann folgende Anträge der Versammlung unter, breitet: 1. Einführung von Zeugnisbüchern. 2. Herausgabe eines kleinen Wegweisers für junge Handwerker. 3. Beschaffung von Kreditmitteln für kleine Handwerker aus staatlichen Mitteln. Hierbei betonte Präsident von Mosthaf, daß es ein Mangel an Offenheit wäre, wenn er nicht sofort gegen diesen Antrag seine Bedenken äußere. Die Geldknappheit sei in allen Kreisen Grund zur Klage. Alle Stände litten gleichmäßig darunter. Die Gewerbebanken und Kreditanstalten, wären bis jetzt allen an sie gestellten Anforderungen gerecht ge> worden. Er möchte dringend davor warnen, daß man den vorgeschlagenen Weg beschreitet, denn die An- rufung des Staats sei eine sehr bedenkliche Sachs. Er sei fest überzeugt, daß unsere Kreditgenossenschaften nichts von Staatskredit wissen wollen. Man solle den allein richtigen Weg der Selbsthilfe nicht verlassen. 4. Invalidenversicherung für Handwerksmeister. 5. Zentralisierung der Verbände. Sämtliche Anträge wurden den Aus. schüffen zur Beratung überwiesen. Sodann er- stattete Handwerkrkammer-Sekretär Freytag- Reutlingen das Referat über „War ist am Sub- missioniwesen von heute verbesserungsbedürftig und verbesserungrmöglich? In erster Linie sei darauf hinzuwirken, daß eine Streikklausel in die Lieferungsoerträge ausgenommen wird. Sodann seien Schiedsgerichte einzusetzen, die darüber zu entscheiden haben, ob der Streik die Folge eines Verschuldens des Arbeitgebers oder der Arbeit- nehmer war. Diese Streitigkeiten seien nicht von ordentlichen Gerichten zu schlichten, sondern von ständigen Schiedsgerichten, wobei besonderer Wert darauf zu legen ist, daß die Entscheidung gleich in der ersten Instanz gefällt wird. Gemeinsame Kommissionen sollten auch eine gründliche Durchsicht der Bedingungen vornehmen. Das Submissionswesen sei kein Schmerzenskind des Einzelnen, sondern große Organisationen
müßten einheitlich die Frage regeln. Bei Aufstellung der Voranschläge sollte auch Sachverständigen und Handwerkerkreisen ein gewisses Recht eingeräumt werden und Fühlung mit den Gewerbetreibenden genommen werden. Besonders sei auch dem Mangel an Zeichnungen abzuhelfen, Nebenleistungen müssen von Hauptleistungen getrennt gehalten werden. Bei Vergebung der Arbeiten müsse auch darauf gesehen werden, daß die zur Führung des Meistertitels berechtigten Handwerker bevorzugt werden, das müsse vor allem bei Qualitätskonkurrenzen geschehen. Im Nahrungsmittelgewerbe sollten keine Submissionen ausgeschrieben werden. Um auf diesem Gebiet Wandel zu schaffen, sei es aber notwendig, daß der Handwerker und die Organisationen selbst helfend eingreifen. Der Handwerkerstand müsse kalkulatorisch, etwa durch Kalkulationskurse, besser erzogen werden. Die Hauptsache sei, den Handwerker zur Submission zu erziehen. Nachdem der Vorstand wiedergewählt war, wurde beschlossen, den nächsten Verbandstag in Winterbach im Remstal abzuhalten.
Oberndorf 15. Juni. Ein Unglücksfall von erschütternder Tragik ereignete sich heute vormittag dahier. Major Klumpp, Offizier des hiesigen Bezirksmeldeamts, istmit seinem 8jährigen Söhnchen Otto im Neckar ertrunken. Der Major wollte auf einem kleinen Bretterfloß, der von dem Badmeister gelenkt wurde, über den Neckar setzen, wobei das kleine Brettergefüge umkippte und alle 3 Personen ins Wasser fielen. Der Badmeister konnte sich retten. Major Klumpp, der in voller Uniform war, und seinen Knaben zu retten ver- suchte, wurde von den Fluten des angeschwollenen Stroms fortgerissen. Nach 1V--ständigem Suchen wurde seine Leiche gefunden, während diejenige des Kindes bis jetzt noch nicht gefunden ist. Major Klumpp, der anfangs der 50iger Jahre steht, kam vor 10 Jahren als Hauptmann von Straßburg nach Oberndorf und ist vor 3 Jahren zum Major befördert worden. Er ist von Obern- darf gebürtig, wo sein Vater Rotor war. Der Witwe und ihrem einzigen Töchterchen wendet sich allgemeine Teilnahme zu.
Frankfurt a. M. 15. Juni. Ein Benz- Wagen, der die Herkomerfahrt mitgemacht hatte, überfuhr gestern Nachmittag auf der Mainzer Landstraße einen 7jährigen Knaben, das Kind eines Arbeiters. Das Kind starb nach kurzer Zeit. Der Fahrer Gustav Schreck aus Mannheim zog im letzten Augenblick die Bremse, um das Unglück zu verhüten. Es war aber zu spät. Das Automobil rannte wider einen Baum. Der Chauffeur wurde auf die Straße geschleudert und erlitt eine Knieverletzung. Auf Anordnung der Polizei kam der verletzte Chauffeur in dar Elisabethen-Krankenhaus nach Bockenheim. — Der König von Siam, der gestern Mittag zu kurzem Aufenthalt hier ankam, und im englischen Hof
Wohnung nahm, fährt heute, Samstag, nach Baden-Baden, wo er zur Kur weilt, zurück und wird nach beendeter Kur sich nach Paris begeben.
Teplitz 15. Juni. (Pulverexplosion.) Infolge unvorsichtigen Umgehens mit Pulver durch einen Lehrling explodierte im Laden des Pulverhändlers Herold in Kaaden ein Pulverfaß. Eine Person wurde getötet, 8 erlitten schwere Verletzungen. Der Schaden beträgt 20 000 Kronen.
Petersburg 16. Juni. Der Kaiser richtete an den Senat einen Ukas, in welchem die Duma aufgelöst und die Neuwahlen auf Anfang September festgesetzt werden. Der Zusammentritt der neuen Duma soll Anfang November flattfinden. Außerdem wird heute ein kaiserliches Manifest über ein neues Wahlgesetz veröffentlicht werden.
Vermischtes.
Aus Kamerun. Der König von Banum, einer der intelligentesten Häuptlinge des Landes, ein junger Negerfürst, hat, wie uns unsere württem- belgischen Missionare von dort berichten, jüngst eine eigene Schrift für sich und seine Untertanen erfunden, die uns vielfach an die Hieroglyphen der alten Aegypter oder das Gepinsel der Chinesen erinnert. Er tat dies, weil ihm die arabische, von den Haussahändlern in seinem Lande eingeführte Sprache in seinem patriotischen Stolze nicht gefiel und weil er von der europäischen Kunst des Lesens und Schreibens doch sehr überrascht war. Deshalb faßte er den genialen Ge- danken, eine eigene Schrift zu schaffen. Er ließ durch seine Soldaten für jedes einsilbige Wort ein besonderes Zeichen erfinden, für mehrsilbige Wörter so viel Zeichen als das Wort Silben hatte, prüfte dann die eingelaufenen Zeichnungen genau, verbesserte sie und ließ dann seinen Beamten und Dienern selbst in dieser Silbensprache Unterricht erteilen. Von Missionar Göhring kaufte er dazu 50 Schiefertafeln für seine Palastschule, und mit Stolz und Eifer lernten seine Schüler die Schrift ihres Fürsten. Jetzt wechselt er täglich Briefe in der eigenen Schrift mit seinen Untertanen, führt sein eigenes dreifaches Tagebuch, worin er abends seine Einnahmen und Ausgaben registriert, Rezepte aufzeichnet und Erzählungen und Mitteilungen seiner Missionare notiert und jüngst hat er mit Missionar Göhring auch den Kalender verbessert und alle Märkte so auf Wochentage verlegt, daß der Sonntag immer frei bleibt. Mit ruhiger Ueberlegung, ernst und tatkräftig übt er als wirklich hochbegabter Negerfürst seine Herrschaft aus und hat dis gegen 2000 Köpfe zählenden Muhammedaner infolge der Streitigkeiten, die sie mit seinen Leuten anfingen, außerhalb seiner Hauptstadt in einem eigenen Dorfe nun angesiedelt. Er hat auch seine vorher infolge des Kriegs in Schutt und Asche liegende Residenzstadt neu Herstellen und zu einer Festung umgestalten lassen.
„Er will nur uns beide," tönte es seltsam im Herzen de» Pfarrers nach.
„Jetzt wird er einwilligen!" rief Guenn freudestrahlend, die bejahende Antwort aus seinen Mienen lesend.
Thymert trat zögernd näher. „Wenn Sie mich vielleicht mit im Boote malen wollten?" bat er mit der rührenden Einfalt eines Kindes. Hier bot sich ja ein unverhoffter Ausweg. Wie hatte er daran auch nicht gleich denken können! Wenn er, ein Bretagner, noch dazu aus ihrer Verwandtschaft, mit dem kleinen Mädchen nach Paris gehen könnte, dann mochten die fremden Leute immerhin neugierig in ihr glühendes, strahlender Antlitz starren, und ihre lieblosen, kecken Urteile über sie fällen, wenigstens stand sie dann nicht mehr allein und unbeschützt vor der gaffenden Menge.
„Das können wir uns ja noch überlegen," meinte Hamor, mühsam ein Lächeln zu verbergen trachtend. „Zuerst muß ich einen Studienkopf von Ihnen entwerfen. Ich bin Ihnen außerordentlich dankbar für Ihre Bereitwilligkeit, Monsieur Is eure, und werde Ihre Güte so wenig als möglich mißbrauchen. Zwei oder drei Sitzungen genügen vollkommen für meinen Zweck. Ich habe nämlich neuerdings daran gedacht, Sie als Johannes den Täufer zu verwerten. Es ließe sich allerdings noch darüber sprechen —" sein Blick glitt wohlgefällig und prüfend über die dunkle, mächtige Gestalt vor ihm — „aber doch: die Stimme eines Predigers in in der Wüste, hm, hm —" er murmelte, nur noch undeutliche Worte, während seine Künstlerblicke begierig auf der Erscheinung des Pfarrers weilten und die schaffende Phantasie ihm tausend neue Entwürfe vormalte.
Thymert hörte ihn nur mit halbem Ohr. Ihm war der ganze Plan verhaßt. Aber Guenn hatte ja gesagt, daß der Maler ihn ebenso gut haben müsse, wie sie selbst. Guenn wollte es so, das war Grund genug.
„War denn Johannes der Täufer uns Bretagnern ähnlich?" fragte das junge Mädchen neugierig.
„Einige bretagnische Züge hatte er wohl," erwiderte der eure trocken, worüber Hamor herzlich lachte, sogar Thymerts Lippen umspielte ein leiser Lächeln. „Uns Bretagnern," hatte Guenn gesagt, und wie ein linder Balsam war dieses Wort in sein wundes Gemüt gefallen. Sogar die große Staffelei, die so kecklich von seinem freien Eiland Besitz ergriffen hatte, schien ihm in diesem Augenblick weniger verhaßt.
„Jetzt lächeln Sie wieder, jetzt sind Sie wieder gut und lieb," rief Guenn triumphierend. „Wie froh bin ich, nun ich weiß, daß Sie Monsieurs Wunsch erfüllen wollen."
„Ich muß hinüber nach der Cigogne, dem alten Jean geht es schlechter," sagte der junge Priester hastig und stieg in sein Boot; „wenn Sie etwas brauchen, steht die alie Brigitte ganz zu Ihrer Verfügung." ^
»Konsisur is eure,« rief Guenn leise, der eigentümliche Ausdruck in Thymerts Gesicht hatte sie unruhig gemacht — „war ich vorhin unartig? Es tut mir so leid," setzte sie hinzu, nicht gerade sehr reumütig, aber mit einem unwiderstehlich schelmischen Blick ihrer offenen, ehrlichen Augen.
„Nein, Kind, du warst nicht unartig, nur aufgeregt."
„Mag sein, aber ich habe Sie doch verletzt," beharrte sie, „ich sch'« Ihnen an, Sie machten so —" sie preßte die Lippen aufeinander und ahmte den Priester nach.
„Kind, du kannst mich überhaupt nicht verletzen," rief Thymert mit überwallendem Gefühl. „Du kannst mir nicht wehe tun, selbst wenn du es darauf anlegtest, Guenn!" Er ruderte langsam an ihr vorbei; aus seinen traurigen Augen grüßte sie ein Strahl der zärtlichsten Milde und Nachsicht.
„Ja, Sie find gut," versetzte Guenn sorglos, dabei beobachtete sie Hamor unablässig und wartete auf sein Zeichen, „Sie sind ein Engel!" ,?ose 2 , Guenn!" rief der Maler.
(Fortsetzung folgt.)