462

Prinzipien sondern nach seinen Bedürfnissen ge­regelt werde; er muß durchaus praktische Politik treiben und einen Ausgleich der Gegensätze schaffen. Er hat eine soziale Fürsorge allen Ständen an- gedeihen zu lassen und insbesondere die Segnungen einer gehobenen Kultur einem jeden aus dem Volk zugänglich zu machen. Wenn der Liberalismus wieder zur Macht gelangt, dann wird er auch seinen Einfluß im Sinne einer freiheitlichen Ge­setzgebung und Verwaltung geltend machen. Es ist nun ein Zurückstellen aller kleinen Sonder- interessen, ein entschiedenes Zusammengehen aller Liberalen zum Segen des Vaterlandes nötig. Alte Zwistigkeiten müssen vergessen werden und die jetzigen ruhigen Zeiten sollen dazu benutzt werden, um den liberalen Gedanken in weite Volkskreise zu tragen. Die packenden Ausführungen des Redners fanden den lebhaften Beifall der Ver­sammlung. In der sich anschließenden Debatte äußerten sich die Vertreter der anwesenden Parteien sowie der Landtagsabgeordnete Stauden- meyer in zustimmendem Sinn. In seinem Schlußwort konnte der Vorsitzende unter der Zu­stimmung aller Anwesenden es zum Ausdruck bringen, daß der schöne Verlauf der Versammlung die hiesigen Liberalen in dem Bestreben der Einigung einen guten Schritt weiter geführt habe.

Herrenberg 8. Juni. Der Ankaufs­preis für Schweinefleisch ist nachgerade soweit gesunken, daß die Metzger im Bezirk Schweine schon zu 48 Pfennig Lebendgewicht einkaufen können. Auf dem heutigen Schweinemarkt waren 48 Läufer- und 200 Milchschweine zuge- führt. Es kosteten Läufer- 4075 Milch­schweine 2033 ^ pr. Paar. Verkauf gut.

Stuttgart 8. Juni. (Wochenmarkt.) Auf dem heutigen Großmarkt waren 300 Körbe mit Kirschen zugeführt, die zu 2228 -g pro Pfund raschen Absatz fanden. Der Gemüsemarkt verzeichnete Gurken zu 3050 -H, Blumenkohl zu 2050 -g, Kohlrabi zu 510 H, Kopssalat zu 58 --Z, Endivien zu 810 pro Stück, ital. Bohnen zu 3035 .A Brockelerbsen zu 2530 pro Pfd., Unteriürkheimer Spargeln kosteten 5070 Schwetzinger Spargeln 40 bis 50 -iZ pro Pfd. Die Spargelzeit geht übrigens ihrem Ende entgegen. Auf dem Seefischmarkt kosteten Schellfische 3035 -H, Seezungen 60 -rZ, Knurrhahn 25 Merlans 25 A Seehecht 45 --Z. An den Wildbretständen gab's Rehschlegel zu 5 bis 6 Rehziemer zu 69

Stuttgart 8. Juni. Die Zentral­vermittlungsstelle für Obstv er Wertung gibt auf Grund der Erhebungen des K. statistischen Landeramts von Mitte Mai d. I. nachstehende Zusammenstellung über Obstaussichten in Württem­berg. Es stehen 1. die Aepfel: sehr gut nirgends, gut in den Oberämtern Böblingen, Leonberg, Stuttgart (Stadt und Amt) Rotten­

burg, Sulz, Ellwangen, Biberach, Ravensburg. Sehr gering dagegen in den Oberämtern Maul­bronn, Waiblingen Nagold, Nürtingen, Spaichingen, Tübingen, Göppingen und Wangen. 2. Die Birnen: sehr gut nirgends, gut in den Ober­ämtern Böblingen, Cannstatt, Stuttgart (Stadt und Amt), Horb, Neuenbürg, Mergentheim, Neres- heim, Biberach, Blaubeuren und Leutkirch; dagegen sehr gering in den Oberämtern Waiblingen, Nagold, Tübingen, Gaildorf, Oehringen, Welz, heim. In allen übrigen Oberämtern stehen Aepfel und Birnen nur gering bis höchstens mittel.

Bad Mergentheim 9. Juni. Einen guten Kauf machte die Frau des Kohlenführers Guenzer hier. Sie erstand bei der Versteigerung des Nachlasses von dem verstorbenen Kutscher Dehm einen Rock um ein paar Mark und fand in demselben zu Hause 75 ^ vor. Nach An­zeige beim Bezirksnotariat wurde ihr zur Freude bedeutet, daß das Geld ihr Eigentum sei.

Tübingen 8. Juni. Einige durstige Brüder vergnügten sich an der Vertrauensseligkeit eines studentischen Corps, für welches eine Kiste mit Flaschenweinen im Hausdurchgang der Wirtschaft lagerte. Als die Flaschen zum fröhlichen Feste aufsahren sollten, zeigte sich eine unheimliche Lücke in dem Vorrat.

Tübingen 8. Juni. Ein Student Pfeiffer aus München, welcher schon im März in einer Buchhandlung einige Bücher entwendet hat, wurde verhaftet als er in hiesigen Buchhandlungen ge­brauchte Bücher verkaufen wollte und hiebei neue stahl. Er war vollständig mittellos und soll auch anderwärts es ähnlich gemacht haben.

Tübingen 9. Juni. Auf dem Ge­fangenentransport hierher hat sich der Agent Steinhäuser von hier, der seit Jahren für eine badische Krankenkasse Geschäfte machte, und viele Kunden betrogen hatte, im Ortsarrest während der Mittagspause erhängt.

Ulm 8. Juni. Beim Brieftaubenwett­flug um den Königspreis am 2. Juni ab Metz fiel der Preis dem Verein Kolumba-Ulm zu, der von 64 Tauben 55, das sind 86 °/ zurückerhielt.

Ulm 8. Juni. Auf dem Platze vor dem Augsburgsrtor in Neu-Ulm, auf dem seit Jahren das Volksfest abgehalten wird, wurde gestern beim Ausrichten eines Bierzeltes ein Skelett bloß­gelegt, das V- m unter der Erdoberfläche lag. Man vermutet ein Verbrechen und glaubt, daß die Leiche entweder von auswärts hiehsr ver­bracht und verscharrt, oder das Verbrechen bei Gelegenheit eines Volksfestes begangen wurde, da hiebei allerlei fahrendes Volk sich hier aufhält.

Karlsruhe 8. Juni. Frau Hau, geborene Molitor, Gattin des wegen Mordes hier in Unter­

suchungshaft befindlichen Rechtsanwalts Hau, er­tränkte sich gestern im See bei Pfäffikon in der Schweiz.

Frankfurt a. M. 8. Juni. Aus Anlaß des Kaiser-Rennens im Taunus werden anfangs nächster Woche 30 Kriminalbeamte unter Führung von Kriminal-Kommissaren nach der Rennstrecke abgehen. Während der beiden Renntage befinden sich auch 120 Frankfurter Schutzleute unter Führung von Kommissaren unter den Absperrungs- Mannschaften. Die ersten Wagen der Her- komerfahrt, die bekanntlich am 11. Juni in Frankfurt endet, werden an diesem Tage nicht vor 3 Uhr nachmittags hier eintreffen. Das Ziel befindet sich östlich der Riederhöfe auf der Hanauer Land- straße, wo auch ein großes Restaurationszelt er­richtet wird.

Berlin 8. Juni. Der Justizminister hat hat es abgelehnt, die Staatsanwaltschaft zur Er­hebung der öffentlichen Anklage gegen Maximilian Harden wegen der gegen den Grafen von Moltke gerichteten Artikel derZukunft" an­zuweisen. Graf Moltke hat daraufhin, wie der Lokal-Anzeiger erfährt, schon gestern die Privat­klage eingereicht.

Berlin 8. Juni. Die von anderen Blättern gebrachte Meldung, daß Fürst Philipp zu Eulen bürg gegen Maximilian Harden Straf­antrag wegen Beleidigung gestellt und die Staats­anwaltschaft diesem Anträge bereits Folge gegeben habe, ist unrichtig. Dagegen hat Fürst Eulenburg bei der Staatsanwaltschaft von Prenzlau, die für Liebenberg zuständig ist, Strafanzeige gegen sich selbst erstattet, um auf diese Weise eine gericht­liche Untersuchung der ganzen Angelegenheit zu veranlassen.

Graz 8. Juni. Vom Schneeberge sind drei Touristen und zwar ein Bäckermeister aus Neunkirchen und zwei Studenten aus Wien 15m tief in eine Schlucht hinabgestürzt. Nur mit großer Mühe konnten sie von der ausgesandten Rettungsmannschaft geborgen werden. Alle drei sind schwer, aber nicht lebensgefährlich verletzt.

Linz 8. Juni. Der hier wohnhafte Baron Hammerstein stieß auf einer Automobilfahrt mit einem Radfahrer zusammen. Letzterer erlitt schwere Verletzungen, während Baron Hammer­stein nur leichter verwundet wurde.

Barcelona 8. Juni. Als in der Vor­stadt Pueblo Nuevo der Luftballon Cierzo aufsteigen wollte, in dem der Graf Mendoza Cotinas, seine Gemahlin, ein Bruder und ein Freund Platz genommen hatten, erboten sich Arbeiter, beim Loslassen des Ballons zu helfen. Zwei junge Burschen hatten sich hiebei in die Taue verwickelt und wurden vom Ballon mit in die Höhe gerissen. Dem einen gelang es, sich am Tau herabgleiten zu lassen. Der andere klammerte sich fest und stürzte als ihn die Kräfte

In dieser Nacht ereignete sich in Plouvenec nichts Schlimmes. Gegen Mitternacht landeten zwei Männer geräuschlos am Strands, nicht weit von Morots Speicher, schlichen behutsam über den Grasplatz, bückten sich, flüsterten eine Weile zusammen und kehrten nach ein paar Minuten eilig dahin zurück woher sie gekommen waren. Als das leichte Plätschern ihrer Ruder verklungen war, kam ein kleiner Mann, der sich bis dahin hinter einem benachbarten Hause verborgen gehalten und gewissenhaft vermieden hatte das Jncognito der beiden zu durchdringen, schnell aus seinem Versteck hervor, ging auf das Gebüsch zu und trat mit dem Fuße einen einzigen kleinen Feuerfunken aus, der im Grase flimmerte.

Die hübsche kleine Guenn," sprach er dabei lächelnd zu sich selbst. Sie ist wirkich ein gutes Kind, jetzt wird sie ja wohl mit mir zufrieden sein. Seltsamer Weise ist auch mir wohler zu Mute, als wenn ich den alten Rodellec und Loic Nives hätte einsperren müssen. Denn natürlich ist Loic Nives der andere. Das kluge, kleine Ding! leider scheint sie keine besonders hohe Meinung von mir zu haben."

Der Polizeichef seufzte und dachte auf dem Heimweg an Guenns schöne, strahlende Augen.

16. Kapitel.

Des Morgens arbeitete Hamor jetzt regelmäßig auf einem alten Strandboot, das Guenn geschickt in die Nähe der Fähre gebracht hatte. Er begann damit von hier aus die Wälle, die Festungswerke, den steinernen Torweg und die Felsen aufzunehmen; daheim im Atelier entwarf er dann zahlreiche Skizzen von Guenn, wie sie das große Ruder handhabte; - erst nachdem wohl ein halbes Dutzend größerer und kleinerer Entwürfe ent­standen waren, meinte er die rechte Auffassung gefunden zu haben. Es herrschte ein stillschweigendes Uebereinkommcn, daß ihn sein kleines Gefolge überall hin begleitete. Jeanne, wie immer mit ihrem Strickzeug bewaffnet,

nichts ahnend von dem, was sich in ihrer nächsten Nähe entwickelte; Nannic, stundenlang schweigend vor sich hinbrütend, mit undurchdringlicher spöttischer Miene alles beobachtend, einen eigentümlichen, erwartungsvollen Ausdruck in seinen bleichen Zügen. Die Leuts, die den Tag über mit der Fähre kamen und gingen, sahen nur den eifrig beschäftigten Maler, von einem Boot aus zeichnen, das in einiger Entfernung draußen ankerte und in dem ein junges Mädchen stand, mit dem Ruder kräftig gegen die Strömung ankämpfend, außerdem zwei Kinder am Steuer. Das fiel niemand auf.

Die Maler waren ja alle ganz versessen auf das alte, graue Ge­mäuer, obwohl nach der Meinung der Bauern und Seeleute, die Plouvenecer Kirche mit den neuen, frisch geweißten Wänden weit schöner anzusehen war. Jeder wäre jedoch mit Hamors Wahl einverstanden gewesen, der gewußt hätte, daß Guenn Rodellec, vas Kleinod des Dorfes, dazu erkoren war, dem Bilde erst warmes Leben zu verleihen, wie die Sonne den kalten Steinen der Festung.

Als Hamor, nach langen Vorstudien, zu einem endgültigen Entschluß in betreff seines Werkes gelangt war, betrieb er die Arbeit auf dem schwimmenden Atelier mit Feuereifer. Die Mädchen fanden ihn umgänglich und mitteilsam, und in Nannics hochstrebendem Herzen schien der Geist der alten bretonischen Barden wieder zu erwachen:Wäre ich am Kap Rar: daheim wollt' ich führen ein Bovt mit Seelen Seelen Seelen," sang er feierlich.

Das wäre kein schweres Geschäft, Nannic; Seelen sind wohl eine leichte Fracht."

O nein Monsieur, das sind sie nicht!" rief Guenn eifrig.

Nun, ich weiß über sie freilich nicht sonderlich Bescheid," versetzte er lächelnd.

(Fortsetzung folgt.)