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über die politische Lage zu berichten. Damals wurde beschlossen, regelmäßige Zusammenkünfte zu halten, damit die Mitglieder ihre Meinungen über die politischen Verhältnisse des engeren und weiteren Vaterlandes aussprechen und sich in ihren politischen Gesinnungen bestärken. So kam man am verflossenen Sonntag bei dem Mitglied, Herrn Konditor Wirt, zusammen. Der Vorsitzende, Herr Sägwerkbesitzer L. Wagner von Ernstmühl, eröffnete die Verhandlungen mit einem eingehen­den Bericht über die vor einigen Wochen gehal­tene Hauptversammlung der Deutschen Partei, der er mit mehreren hiesigen Mitgliedern per­sönlich angewohnt hatte. Hierauf hielt Herr Handelslehrer Fischer mit großer Beredsamkeit einen 1'/- ständigen, von nationalem Geiste durch­wehten freien Vortrag über die politischen und besonders wirtschaftlichen Verhältnisse des Reiches, in der er die Freude über das Errungene, über die seither bewährte Einsicht des nationalen Blocks und über die im Vergleich mit allen andern Nationen erfreuliche Lage unseres Vaterlandes Ausdruck gab und zu mutiger und freudiger Mit­arbeit an Erhaltung und Stärkung unserer Macht­stellung aufforderte. In sehr großer Anzahl waren die älteren Handelsschüler von Calw er­schienen, um von ihrem geschätzten Lehrer wert­volle und begeisternde Anregungen zu empfangen. Der große Beifall, der dem Redner von allen Seiten gezollt wurde, wird ihm bewiesen haben, daß seine Worte auf guten Boden gefallen find. Zum Schluß richtete Pfarrer a. D. Bosse rt noch an die anwesenden Jünglinge eine Ansprache, in der er Jugenderinnerungen aus dem Jahre 1848 mitteilte, um darzutun, wie große Güter unserem heutigen Geschlechts geschenkt sind, das die Sehn­sucht der Väter und Großväter nach Kaiser und Reich viel herrlicher, als jene es ahnten, verwirk­licht sieht. Befriedigt von diesem gelungenen Nachmittag trennten sich die Mitglieder mit dem Vorsatz, bald wieder zusammenzukommen, und in der Hoffnung, die Schar der Getreuen werde bei ähnlichen Darbietungen sich vermehren und der patriotische Sinn werde auch in Hirsau immer mehr die Oberhand gewinnen über Bestrebungen, die weder dem Ganzen noch dem Einzelnen zum Segen gereichen können.

X. Grunbach O.A. Neuenbürg 4. Juni. Letzten Sonntag feierte der hiesige Gesangverein Sängerbund das Fest seines 25 jährigen Be­stehens verbunden mit Preisgesang des Nagold­gausänger bundeS, dessen Mitglied unser Jubel­verein ist. Das Fest war vom Wetter noch ordent­lich begünstigt und nahm den sonst üblichen Verlauf. Um 10 Uhr begann in der neuerbauten, hübsch dekorierten Turnhalle der Wettgesang, an dem nur 10 Bundesvereine sich beteiligten. Nach dem Urteil deS Preisgerichts, daS aus den Herren Eberle- Künzelsau, Reinfurth-Karlsruhe und Wentzert- Stuttgart bestand, wurde diesesmal Vorzügliches geleistet, so daß z. B. in Klasse ^ bloß erste Preise zur Verteilung kommen konnten, während vor 3 Jahren auf dem Sängerfest in Liebenzell ein erster Preis nicht erreicht wurde. Es erhielten einen ersten Preis im Volksgesang Klasse : s. Sängerbund Grunbach mit 53'/- Pkt. (161) (dies ist nämlich der Durchschnitt der drei Preisrichter und in Wirklichkeit auch die richtige Punktzahl, wie sie seither immer gegeben wurde. Die Angabe der 3fachen Punktzahl bringt Unklarheit gegenüber dem seitherigen Maßstab.)

b. Freundschaft Bieselsberg mit 53 Pkt.,

c. Eintracht Effringen mit 52'/s Pkt., ü. Liederkranz Wildberg mit 51?/- Pkt., e. Liederkranz Hirsau mit 51'/- Pkt.,

k. Germania Schömberg mit 50 Pkt.,

In Klasse 6 (höherer Volksgesang) erhielten einen ersten Preis:

3. Eintracht Hohenwarth mit 63'/- Pkt.,

b. Freundschaft Unterreichenbach mit 63 Pkt.,

c. Freundschaft Tiefenbronn mit 60 Pkt.,

einen zweiten Preis:

3. Liedeikranz Liebenzell mit 46 Pkt.

Die Preisverteilung erfolgte abends 6 Uhr und wurde durch eine mit viel Beifall aufgenommene Rede des Gauvorstandes Bayer-Calw eingeleitet. Als Nachfeier wurde gestern ein Kinderfest abge­halten, das vom Wetter weniger begünstigt war, da der nötige Sonnenschein fehlte.!' ? ^

' Stuttgart 4. Juni7"(Sch ö f f e n g e r icht). In einer hiesigen Weinwirtschaft wurde des Oefteren von Gästen dem sogenannten Zwicken

(einem Kartenspiel) gehuldigt, wobei von den Spielern Beträge bis zu 10 ^ gewonnen wurden. Gegen den Wirt wurde eine Anklage erhoben, weil er das Spiel in seiner Wirtschaft geduldet hatte. Der Verteidiger machte geltend, das Zwicken könne nicht als Glücksspiel angesehen werden, da teils der Zufall, teils die Geschicklichkeit entscheide; es handle sich nur um eine harmlose Unterhaltung der Gäste. Das Schöffengericht sah das Zwicken als Glücksspiel an und verurteilte den Angeklagten zu 5 ^ Geldstrafe.

Kirchheim 4. Juni. Beim gestrigen Viehmarkt wurde ein Transport von 12 Stück Rindvieh eines Handelsmannes aus Göppingen von dem untersuchenden Oberamtstierarzt auf­gehalten, da 2 Stück der Maul- und Klauen­seuche verdächtig erschienen. Das betr. Vieh soll von Biberach gekommen sein. Der ganze Transport durfte nicht auf den Markt gebracht werden und es ist nun in einem hiesigen Stall einer Sperre von 7 Tagen unterworfen worden.

Heilbronn 3. Juni. Während am ver­gangenen Samstag 2 Arbeiter in einer hiesigen Fahrzeugfabrik mit einem Benzinbehälter an einem Automobil hantierten, explodierte plötzlich der Behälter und setzte die Kleider der Arbeiter in Brand. Die betroffenen Personen wälzten sich sofort auf dem Boden und erstickten so erfolgreich die Flammen. Trotzdem erlitt einer derselben am Arme so schwere Brandwunden, daß er sofort in ärztliche Behandlung genommen werden und später in das Krankenhaus gefahren werden mußte. Der angerichtete Sachschaden, dürfte sich auf nur etwa 130 ^ belaufen.

München 3. Juni. Bei gutem Wetter, wenn auch trübem Himmel, unternahmen heute die englischen Journalisten einen Ausflug nach Chiemsee. Der Verkehrsminister hatte einen Son­derzug nach Prien zur Verfügung gestellt. Wäh­rend der Fahrt wurde ein Lunch aufgewartet. Nach der Besichtigung des Königsschlosses auf der Herreninsel erfolgte dis Weiterfahrt nach der Fraueninsel. In Prien und auf der Fraueninsel hatte sich die Bevölkerung zur Begrüßung einge- funden. Es wurden Böllerschüsse abgefeuert und den Engländern Blumen zugeworfen. Auf der Fraueninsel veranstalteten die Einheimischen ein Fest mit Volksbelustigungen: Jodeln, Wettrudern und andere Vergnügungen, so daß alle Anwesen­den in fröhlichste Stimmung gerieten. Vor dem Verlassen der Insel hielt der Chefredakteur der Münch. Neuest. Nachr.", Dr. Trefz, in englischer Sprache eine herzliche Abschiedsrede, in welcher er den Wunsch aussprach, die Gäste möchten die während ihres Aufenthaltes in München und auf der Chiemsee-Insel empfangenen Eindrücke mensch- licher Kunst und landschaftlicher Schönheit mit in ihre Heimat nehmen. Mr. Stead erwiderte mit einer kurzen Rede, die mit einem herzlichen Auf Wiedersehen!" schloß. In München wieder angekommen, verweilten die Münchener Journa­listen mit den Engländern noch eine Stunde auf dem Hauptbahnhof zusammen. Beim Abschied wurden von etwa 20 Rednern deutscher und eng­lischer Zunge herzliche Abschiedsreden gehalten. Vor der Abfahrt des Zugs sangen auf dem Bahn­steig Gäste und EinheimischeDeutschland, Deutsch­land, über alles",Heil dir im Siegerkranz" und6loä Save 11i6 LinF". Unter stürmischem Jubel fuhr dann der Zug mit den Engländern nach Frankfurt ab.

Frankfurt a. M. 4. Juni. Um 7'/. Uhr ttofkn. die englischen Jouralisten von München mit Sonderzug hier ein. Zum Empfang waren der englische Generalkonsul sowie dar hiesige Lokalkomitee erschienen. Beim Verlassen des Bahnhofs spielte die Kapelle des 81. Jnf.- Regts. die englische Nationalhymne. Mit von der Stadt gestellten Wagen, die mit englischen und deutschen Farben geschmückt waren, fuhren die Gäste nach ihren Hotels.

Berlin 3. Juni. Der Kaiser hat nach der diesjährigen Parade zum ersten Male seit seinem Regierungsantritt die Feldzeichen nicht selbst zum Schloß zurückgeführt, was der viel­köpfigen Menge, die seiner auf den Straßen harrte, eine arge Enttäuschung bereitete. Wie dieB. Z."

nun von gut informierter Seite erfahren haben will, unterblieb der Heimritt des Kaisers an der Spitze seiner Truppen diesmal auf Anraten der Polizei, die infolge der vor ihr jüngst aufgedeckten russischen Umtriebe Anlaß zu besonderer Vorsicht zu haben glaubte.

Berlin 4. Juni. In der heutigen Ver­handlung des Pöplau-Prozesses wurde ein Schreiben des Reichskanzlers verlesen, in welchem er mitteilt, daß der Kaiser die er­forderliche Genehmigung für seine Zeugen-Aussage nicht erteilt habe. Er seinerseits habe sich dahin entschieden, dem Staatssekretär Freiherrn von Stengel, dem Staatssekretär Dernburg, dem Unterstaatssekretär Twele, dem Unterstaatssekretär von Mühlberg, dem Geheimrat von Holstein und dem Geheimrat von Franzius die Genehmigung zur Aussage nicht zu erteilen. Jedoch ermächtigte er die Herren Oberstleutnant Quade, Geheimen Lega­tionsrat Schmidt und die Hofräte Schulz, Henschel und Krüger vor Gericht als Zeugen auszusagen.

Warschau 4. Juni. Aus Lodz wird gemeldet, daß gestern Abend spät in der Konstan­tinstraße gegen eine Polizeipatrouille, nachdem zuerst von unbekannten Männern Schüsse abge­feuert worden waren, eine Bombe geschleudert wurde. 2 Geheimagenten, 1 Schutzmann, 2 Sol- daten, die Frau eines Geheimagenten und die Tochter eines Schlossers wurden schwer verletzt. In den benachbarten Häusern wurden die Scheiben zertrümmert und in das Straßenpflaster ein tiefes Loch.gerissen. Durch eine Salve des Militärs wurde eine junge Jüdin verletzt. Bei einer Hausdurchsuchung wurden 100 Personen verhaftet. Die Attentäter entkamen. Als Grund des Attentats wird der Umstand angegeben, daß zwei frühere Kampfgenossen der sozialdemokratischen Partei geheime Polizeiagentsn geworden sind und viele Partei-Mitglieder verraten haben. Die beiden Agenten, zwei Brüder namens Fromel sind ihren bet der Explosion erhaltenen Verletz­ungen erlegen. Insgesamt wurden 20 Personen verwundet.

Rom 3. Juni. Gestern Morgen um 11'/- Uhr unmittelbar nach Eröffnung des nationalen Schützenfestes auf den Wiesen der Farnesina, während die Rennfahrerkompagnien des 3., 4. und 5. Bersaglieriregiments und das Rennfahrer- Freiwilligen-Bataillon von Rom vor dem Könige defilierten, schlug ein Blitz in den Ballon des Luftschiffer-Parks ein, der wenige Minuten vorher aufgestiegen war und in einer Höhe von 300 m nordwärts trieb. Aus dem Ballon schlug eine dünne rot-grüne Flamme hervor und eine Minute später brach die Hülle weit auseinander. An­fangs sank der Ballon ganz langsam. Nach wenigen Sekunden aber begann der Korb, über dem die Seile wirr durcheinander wirbelten, rascher und rascher zu fallen, bis er zuletzt jäh wie ein Meteor zur Erde niedersauste. In der Gondel lag be­wußtlos der Führer, Hauptmann Ulivelli. Man hob den Verunglückten auf und brachte ihn nach Rom ins Spital. Während man ihn verband, trat der König, der vom Schauplatz herbeigeeilt war, in den Saal an das Bett des Verunglückten. Der König faßte schweigend die Hand Ulivellis. Der Hauptmann öffnete die Augen erkannte den König aber nicht mehr. Um 2 Uhr nachmittags war Ulivelli tot.

Madrid 3. Juni. Heute beginnt hier der Prozeß wegen des Bombenanschlags, der am Hochzeitstage des Königspaares verübt worden ist. Der Staatsanwalt erhebt die An­klage gegen 7 Personen und beantragt gegen sie Strafen von 9 bis 16 Jahren Gefängnis sowie Verurteilung zur Zahlung einer Entschädigung. In Madrid trat ein Komitee zusammen, um durch öffentliche Sammlungen ein Denkmal für die unschuldigen Opfer des Verbrechens zu errichten.

Reklameteil.

in Sigmarswangen (Württ.) mit, wie er auf einfache Weise von seinem langen und qualvollen Magenleiden befreit wurde.