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Erzählungen für den Feierabend
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nickend zu. Sein Hohn hatte sie angesteckt, sie war in diesem Augenblick erzürnt gegen alle Mächtigen und murrte, bevor sie in die Hütte ging: „Ja — die Mäust darfst umbrin- gen. dre Maikäser darfst zertreten, aber — Herr ist Herr und Narr ist Narr!"
Als er weggegangen war. reute es sie. daß ie sich hatte von seinem Zorn anstecken lasen. Jetzt, hinterher, kam ihr erst die tref- ende und richtige Antwort in den Sinn. Es habe allzeit gute und schlechte Herren ge- geben, es gebe sogar gute und schlechte Sennen. gute und schlechte Väter. Nicht jeder könne es ertragen, wenn er Macht über andere habe. Gäbe man aber gar allen Macht, so wäre gewiß, daß schier jede Krähe sich einbildete, sie sei ein Adler.-
Jacham Diet, der Meistersenn. ist zugleich ein leidenschaftlicher Wildschütz. Die Grün- röcke sind eifrig hinter ihm her. besonders der tückische Sepp Weinzierl, und Diets Frau, die tüchtige Marie-Ev lebt immer in der Angst um ihn. Sie ringt ihm wenigstens das Versprechen ab. daß er nicht nach dem Gewehr greift, bis das erwartete Kind geboren ist. Der Jacham Diet verspricht'?. Nun aber sällt einen Tag um den andern ein Adler auf der Viehweide ein, holt da ein Lamm und dort ein Lamm, ja einmal ein kleines Kind. Ein Schrecken läuft durch die Alpen.
Der kleine Gerhard, der am Boden gespielt hatte, rutschte jetzt an den Vater heran, umfaßte eines seiner Beine und wollte an ihm emporklettern. Er zupfte und wimmerte. Allein der Vater merkte nichts, er schaute eben starr in den erblassenden Himmel hinein. Auf einmal aber riß er den Buben hoch und zeigte mit ausgestrecktem Finger steil in die Höhe. „Lug, lug. Gerhard, siehst du's?" Aber der Bub haschte nur nach dem Finger des Vaters. „Lueg doch, lueg," schrie der Vater heftig, „siehst du den Punkt, den schwarzen Punktl" Er wandte sich eifrig zurück zu Marie-Ev: „Mutter, siehst du ihn!
Siehst ihn. Lueg doch!"
Marie-Ev suchte und suchte und sah nichts als die blasse Himmelswölbung. Jetzt flüsterte der Vater dem Buben zu: „Vögele, bös. bös . . . bös Vögele, er will mein Kindlein holen-"
Nun wurde der Punkt zum dunklen Ball und dann weitete er sich aus. zwei gespitzte Messer starrten von ihm weg. Schon hatte eine Elster den Steinadler erkannt und begann zu krähen und zu schimpfen. Unbeweglich in sich, aber mit großer Schnelligkeit, wie von einem Sturm herangeweht, kam der gewaltige Vogel vom Hochgrat her.
Jacham hob nochmal seinen Knaben hoch:
„Siehst du ihn — bös, bös! Er holt uns die Lämmer weg, er beißt, er sticht, Bub, er fängt die Kinder und die Murmele und zerreißt sie, komm . . . wir laufen, sonst nimmt er uns mit!"
Er wollte seinen Jungen nach Weise des Wildes lehren, aus Warnungsruse zu achten; aber der Kleine lallte und lachte nur. er war noch im Paradies und wußte nichts von Gefahren.
Indessen entstand auf der Alpe ein wah- rer Alarm. Die Bergdohlen schimpften mit wildem Gekrächze, die Ziegen lockten ihre Zicklein hinter Staudenwerk und Felsen, und die Buben fingen an, nach Stecken zu laufen und drohend mit ihren Geißeln zu schnellen.
Der Tiroler holte sogar den Käsesäbel aus der Küche und schwang ihn gegen den gehaßten Räuber. Dabei Pfiff jeder, der Pfeifen konnte, daß Marie-Ev die Ohren gellten.
Auch sie hatte nun schon lange diese winzige Gewitterwolke am Himmel gesehen, die jetzt, das ohnmächtige Gerenne und Geschrei da ^ unten für nichts achtend, hoch über der Hütte ihrer Bahn folgte, dann in Spiralen sich niederwand und endlich wie ruhend an einem Punkte verharrte. Plötzlich aber schoß der schwarze Ball wie ein Blitz nieder und verschwand hinter einem Grat. Der Tiroler . zeigte auf die Stelle hin und schrie wie verrückt: „Habt ihr's gesehen, habt ihr's gesehen!" Aber auf einmal drehte er sich um. und lief mit gesenktem Käsesäbel der Hütte
- zu. auch Zusann, die neben der Mutter » stand, griff mit jähem Schrecken an die
Schürze und suchte sie hinter die Türschwelle
- zu zerren. Denn der Vogel war wieder da » und strich so nahe und in seiner mächtigen
Flügelspanne und in all seiner wilden Kraft » sichtbar an der Hütte vorbei, daß alle eine Angst anwehte. Nur Jacham Diet, nachdem er Marie-Ev das Kind fast zugeworfeu . hatte, lief dem Räuber Steine werfend nach.
sein Gesicht war verzerrt, seine Augen blar- ' ten. Was den Adler besonders schrecklich ^ und abstoßend machie, war ein Tier, das er in seinen Fängen mit sich trug, ein Lamm, fast in seiner Größe. Jämmerlich hingen ihm Kopf und Läufe nieder, und blutige Tropfen fielen von seinen Wunden auf einen Stein.
Ohne Laut, scheu wie das böse Gewissen, brauste der Räuber mit machtvollem Flügelschlag dahin. Marie-Ev drückte das Kind an sich, von Ekel und kaltem Schaudern bebend.
Ihr Mann kehrte "zurück und blieb dann, als wäre ihm ein Gedanke gekommen, stehen. Auf einmal schrie er: „Jäger, he, Jäger, wo bist du jetzt? Hat man dich vielleicht angestellt, das Raubwild zu hegen! Und wir sollen keine Notwehr gegen die Räuber üben dürfen? Dort im Montafonischen. die Franzosengänger. wenn sie heimkehren, sagen ganz andere Sachen von dem. was wir dürfen und — was die Adler dürfen. Es ist noch gar nicht so lang her, daß die fürstlichen Herren ihre Landeskinder verkauft haben, als Kriegsleut für fremde Potentaten — sie sind wie die Adler, wenn man sie machen läßt."
Er biste förmlich auf der Alpe auf und nieder, und Marie-Ev gefiel er in seinem
Zorn. Sie sah ihm. ohne ein Wort zu sa- > ') Hölzerner Ring zum Faßen und For-
gen. mit niedergezogenen Brauen und leise j men der Käsemasse.
auS. — ich muß — ich muß. da« bin ich meinem Alpherrn schuldig, das muß ich. die Mutter sagt es auch — und wasch die Drei- wochen-Larbe. sie möchten frätzig werden — setz den Sauer zu — einen guten Schoppen und wart auf den Sauerbruch und nimm ihn ab mit der Schlüsse!"
Aber der Bube machte ein klägliches und dann ein ganz wildes Gesicht: „Nein. Vater, ich geh mit. ich Hab' dies noch nicht... ich möcht' den Adler fallen sehen! Nem — den Vorbruch kann doch der Kuhhirt schaffen — gell. Vater, ich darf — ich laust und hol' ihn — und das Waschen tu ich nach" —
Er sauste davon, obwohl der Vater ihm nachschrie: „Bigottskerle — tst's nicht genug, daß der Vater dies Blut hat. — her. her. in die Hütte!"
Aber auch er mußte laufen und konnte sich nicht mit seinem Buben herumzerren. Der
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Sommerliche Arbeit r
Schmtdhuber.
Sommersonne, Sommerluft.
Von dürrem Heu ein seiner Duft» Blauer Himmel. Lerchenschlag. Ich grüße dich, du Sommertagl
Sommertag. im Julibrand: »Leuchten über See und Land. Leuchten auf der Bäume Wipfet, Jahr aus seinem höchsten Gipfel!
Junger Wille, junge Kraft.
Sich durch Sommergluten schafft.
Daß Sommer auch zu Ende geht. Glaubt man nicht. Der Tag besteht.
H. N.
Als der Diet auf feine Alpe kam. lief ihm Bene ganz wild entgegen, der Steinadler habe aus der Fluhrinne ein Lamm geholt, der Hirtenbub habe ihn niederstoßen sehen.
Am andern Tag — er hatte eben den großen Laib in den Worb') gebracht und aus den Presfetisch gelegt, da kam Bene, der daran war. den Stall zu schorren, dahergerannt. „Vater, der Adler ist wieder da!"
Sie standen einen Augenblick später vor der Hütte und sahen in der flimmernden Sonne, ganz in den blaßblauen Himmel getaucht — etwas wie einen dunklen, erkalte- ten Stern — die Gefahr, den Räuber, schweben!
„Er kommt zur Scharte, wo es ihm gestern geglückt ist," rief der Vater, mit gebogenen Armen und zurückgepreßtem Nacken dastehend, als könne sich der Adler jeden Augenblick auf ihn Herabstürzen. So stand er wie zum Kamps auf Leben und Tod gefaßt. Tann duckte er sich davon — in die Holzlege — und kam mit seinem Doppelstutzen und dem Pulverbeutel wieder.
„Spann den Laib in die Presse, den kleinen Stein läßt weg. und zieh mir den .Fisch' Her
Adler schwamm gegen den Luststrom, aber er kam wie mit dem Strom daher und wurde groß wie ein ausgehendes Feuer. Nach einer Weile keuchte der Bub hinter dem Vater her: „Ich muß Euch doch die Schaf' zeigen, sie sind ganz hinten in der Scharte, kaum zu finden!"
Sie rannten und kletterten, stiegen auf und stiegen nieder, den Blick aus den steinigen, steilen Pfad und wieder — den Blick auf das hoch am Himmelsdach. gleichwohl aber jetzt schon deutlich als Steinadler von gewaltiger Spanne^erkennbare Tier gerichtet. Der Schweiß rann ihnen nieder, zwischen Tuifen hin schossen sie. immer gedeckt, der Bub auch den Schutz der Felsen suchend. Ter Bub stürzte in der Eile, schürfte sich die bloßen Knie blutig, aber lachte den Vater an. um nicht gar noch zurückgeschickt zu werden.
Nun war der Adler fast über ihnen. Er hörte auf zu schwimmen — schwebte in weiten Kreisen, suchte und ging suchend in Spiralen weiter und weiter nieder. Ter Tiet kroch noch voran, einen Felsen hatte er er- späht, auf dem er auflegen konnte — denn der Adler war noch in unmenschlicher Höhe und doch war an gewissen Bewegungen — vergleichbar jenen, die die Katze vor dem
Sprung macht, zu verkennen, daß er alle Augenblicke in die Schrunde niederstürzen konnte; dann würde ihn keine Kugel mehr einholen. Der Bub lag schon regungslos im Tulsenbusch. seine vorquellende Halsader klopfte, er ahmte unwillkürlich den Vater nach, wie er die Knie zurechtzuckte, die- Linke, die auf dem Felsen lag und den Lauf lenkte, vor Abgleiten sicherte, sich schüttelte, als wollte er alle Gelenke und Muskeln frei machen, sich straffte — Bene sah den Kops und die Flinte verwachsen — das eine Auge zu einem Schlitz sich engen, zwischen besten dunklen Borsten eine Kohle zu glimmen schien. Aber er spürte auch ganz deutlich, wie der mächtige Räuber da oben zielte — den Hakenkops tief gesenkt, jede Schwinge zum Absturz bereitend, die Krallen angezogen, die Entfernung wägend.
Aber wie der Bub nun fieberte, der Vater möchte zu spät kommen, und wie er selber den Finger krümmte — in sich htneinmah- nend: schieß, schieß doch! da hörte er unten am Rande der Tuifen ernen dürren Ast knak- ken. sah hin. sah einen grünen Hut und eine Feder. Jetzt war es weg — aber deutlich nun wieder und ein vorfühlender, im Gehen schwankender Flintenlauf. Der Sepp, der Jäger! erkannte er. und doch schwieg Bene und konnte und konnte den Vater nicht stören. Ah. nun fuhr der Strahl aus dem Rohr, der Schuß krachte, der Nachhall schlug von Wand zu Wand, der Adler stürzte steil in die Tuifen.
Jetzt, in die Pulverwolke hinein, schrie die grelle Stimme des Knaben: „Vater, ducken, der Jäger! Er schießt!'
Und der Diet, der sich eben zu feiner Beute bücken wollte, zuckte wie ein Blitz nieder und hinter einen Felsblock. Dann krachten jäh hintereinander zwei Schüste. Der Jäger, der den gefürchteten Mann nicht einmal angerufen hatte, erreichte den Gewarnten nur durch einen Streifschuß am linken Arm. Der flinke Diet aber, der wach genug geblieben war. um im Sprung nach der Zuflucht an den Angriff zu denken, schoß den im Busch fast verborgenen Jäger nieder. Ein grimmiger Fluch und Schrei meldete, daß der Adler, schütze nicht gefehlt habe.
Der Diet lud in Eile, da er keinen Schuß - mehr in seiner Flinte hatte, und verkroch sich zugleich tiefer in die Tuifen. Aber da kamen Hilferufe von dort her. wo der Jäger lag. Kalten Blutes machte er erst seine Ladung fertig, dann kroch er. immer zum Schuß bereit. zu dem Schreienden. Jetzt meldete der Hund und — keine Angst mehr! — dem Gegner war das Jagdgewehr aus der Hand gefallen. Sepp wand sich am Boden, die Hei- delbeerstauden leuchteten von seinem Blute.
Er zerrte an seinem Wadenstrumpf. Das linke Bein war zerschmettert: stöhnend suchte er das rinnende Blut zu stopfen.
„Lump, miferabliger. hast geschossen ohne ' Anruf, von hinten her", fauchte Jacham den < Jäger an und gab dem Hund, der den Herrn ' mit wütendem Gekläffe verteidigte, einen Fußtritt — „du bist mir ein schöner Läf- i fres')I"
Der Jäger, der bleich und verfallen aus- * sah. stöhnte und fuhr fort, sein Bein zu i preßen. z
„Was Hab' ich verbrochen?" fuhr Jacham , Diet ingrimmig fort. „Der Adler holt Tag für Tag unsere Lämmer, und weil ich unsere ^ Lämmer verteidige — drum soll ich verschossen werden und nicht der Adler, du LäffreS — hinterrücks, das geht leichter!"
Jetzt kam der halb ohnmächtige Jäger zu sich. Er hob sein dunkelbraunes Auge gehässig zu dem über ihn gebückten Mann und schnaubte: „Man wird es dir schon zeigen! Wildkatzen ruft man net an! . . . Gib nur acht, du kimmst an den Galgen!"
Dann schrie er aus aller Macht: „Franz, Franz!"
Bene war mit dem Vater hergeschlichen. Jetzt rief er kühl und grell: „Vater, schlag ihn tot! Sonst zeigt er dich an!"
Im nächsten Augenblick hatte der Bub eine Ohrfeige, daß er die Halde hinabrollte. Der Diet aber beugte sich nieder, schnitt wortlos einen Streifen aus seinem linnenem Hemd und verband den Jäger. Tann sagte er: „So — und jetzt sag — bist du alleinig oder
nicht-ist das eine Lüg' mit dem Franz.
so mußt verrecken, wenn ich keine Meldung tu!-
Aber jetzt schrie der Bub und zeigte mit dem Finger auf den zweiten Jäger, jenseits der Schrunde, wie er sich eben durch die Büsche in die jähe Tiefe arbeitete.
„Siehst, ich könnt' dich und ihn abtun —
du tätst es machen, du-aber ich schieß
bloß in der Notwehr!"
Dann entwich er. Zu dem Knaben sagte er unterwegs: „Tu dich verstecken bei meinem Kameraden Dune . . . denn du hasi dumm und schlecht dahergeredet. Vorher aber gehst zur Mutter. Sagst ich Hab' über die Grenze weichen müssen. Und ich laß sie grüßen viel tausendmal. Und mein Versprechen
Dem starken Mann brach der Schweiß aus. und zum grenzenlosen Staunen des Knaben
') Alberner Mensch, hätt' ich-"