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Nr. 23
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Kurt von Hellmers, Leutnant im ersten Garüeregiment zu Fuß, feierte Geburtstag.
Da er dienstfrei hatte, war es ein Morgen, den er ganz besonders auskostete. Er konnte sich wie ein Kind freuen über all die Pakete, die ihm die Post gebracht hatte. Seine Wirtin, eine brave Feldwebelswitwe, hatte sie ihm um den Frühstückstisch aufgebaut, und nun saß er, frühstückend und Pakete öffnend, in seiner bequemen Litewka da und genoß.
Zuerst das Paket seiner über alles geliebten Mutter. Er wußte es im voraus, es enthielt einen mächtigen Gugelhupf, den er gleich, wie er vor ihm stand, anschnitt.
Bald lagen rechts und links Packpapier und Kartons zu Haufen und vor ihm der Kaffeewärmer, ^en Tante Klothilde mit dem Monogramm des Regiments bestickt hatte, das schöne seidene Schlummerkissen mit Silberstickerei, die einem beim Schlafen das ganze schöne Muster ins Gesicht drückte; Anne, die Fünfzehnjährige, hatte sich daran verkünstelt. Eine Zigarrentasche, mit Glasperlen besetzt, vom Onkel Wilyelm, wollene Stößer für die Jagd, von der Tante Minna, eine Kiste Zigarren vom Vater.
Kurt zündete sich eine an, eine Brasil, eine von den ganz feinen, wie sie Papa nur am Sonntag rauchte, und schaute strahlend über all seine Herrlichkeiten hin, denn um die Mitte des vorigen Jahrhunderts waren das Herrlichkeiten.
Dann las er langsam die Briefe, die zum festlichen Tage eingetroffen waren, vom Vater, der als pensionierter General in Tilsit lebte, von der Mutter und allen seinen Lieben, bis ihm zum Schluß ein Brief in die Hände kam, dessen Handschrift er nicht kannte.
Es war eine Einladung zu einem Wohltätigkeilsabend der Frau Generalin von Alvenslcben.
Kirrt von Hellmers machte sich nicht viel aus derartigen Veranstaltungen, es war ja immer dasselbe.
Aber diesmal durchfuhr's ihn. Er wußte, daß bei der Generalin die Gaspari verkehrte.
Die Gaspari! Des Tanzmeisters Gaspari wunderschöne Tochter.
Es hatte viel Aufsehen erregt, als eines Tages die Generalin das schöne Mädchen an der Hand in ihren Salon einführte. Wie mit einem Zauberstab berührt öffneten sich alle Türen vor dem unendlichen Liebreiz, den das herrliche Geschöpf ausstrahlte.
Herren und Damen erlagen ihm gleichermaßen, denn sie besaß die seltene Gabe, die Huldigungen ihrer Anbeter taktvoll in die Schranken zurückzuwetsen und mit ihrem stillen Frohsinn die Herzen der Frauen zu gewinnen.
Fast dret Viertel eines Jahrhunderts sind hingegangen, seit der Zauber des schönen Mädchens oie Berliner Salons erfüllte und wenn nach Jahrzehnten ihre Besitzer als alte Leute von ihren Erinnerungen träumten, dann leuchteten ihre Augen auf, wenn sie der Gaspari gedachten, von deren großen strahlenden Augen noch ein Schimmer an einem Möbelstück haften mochte.
Kurt von Hellmers mit dem schüchternen, guten Kindergesicht, mit den fröhlichen Augen, liebte das schöne Mädchen. Er liebte es so keusch und zart, wie nur ein Junge lieben kann, der noch nie den Mut aufgebracht hatte, den Gegenstand seiner Liebe anzureden. Aber immer war es umschwärmt von Männern von Rang und Geist, so daß der schüchterne Junge sich am äußersten Naitde eines undurchdringlichen Verehrerkreises stehen sah.
Er fieberte ordentlich, als er die Einladung der Generalin in der Hand hielt.
Ob sie wohl da sein würde?
Hundertmal legte er sich im Laufe des Tages die Frage vor, so daß er am Ende ganz durcheinander war. Stieß am Hellen Tage den Kopf gegen einen Laternenpfahl, sang auf offener Straße vor sich hin, so daß sich die Leute umdrehten, weil ihnen das bei einem Gardeleutnant neu war.
So lang war ihm noch kein Tag vorgekommen.
Er mar einer der ersten Gäste. Die Generalin, eine Jugendfreundin seiner Mutter, legte gleich Beschlag auf ihn und bat, ihr beim Ordnen einiger Kleinigkeiten behilflich zu sein.
Immer wieder schaute er nach der Türe, ob das schöne Mädchen nicht über die Schwelle trete, war halb verlegen, halb verwirrt, so daß ihn die alte Dame mit einem verwunderten Blick streifte, der ihn über und über erröten ließ.
Endlich gab sie ihn, freundlich die Hand zum Kickse reichend, frei.
Da stand mit einemmal die Erwartete unter der weitgeöffneten Türe des Salons, das edle
Antlitz leicht nach rückwärts gewandt. Sie wartete auf ihren Bruder, in dessen Begleitung sie in Gesellschaft zu gehen pflegte, einen jungen, unreifen Burschen, dessen Wesensart in krassem Gegensatz zum Liebreiz seiner Schwester stand.
Und schon überschritt das Paar gemeinsam die Schwelle.
Kurt von Hellmers klopfte das Herz bis in den Hals, und seine Augen folgten der königlichen Gestalt, die schon nach wenigen Schritten von zahlreichen Anbetern umringt war.
Da wurde der arme Junge ganz traurig.^
Es würde eben gehen wir immer, er würde das Fest verlassen, ohne sich an das Mädchen hingetraut zu haben.
Er folgte ihr mit den Augen.
Das siel nicht weiter aus, denn alles schaute nach der Erscheinung, die einherschritt wie eine Königin und mit Augen um sich sah wie ein Kind rm Wunderland.
Ein Gedränge entstand, und Kurl von Hellmers sah. wie sich vom Handgelenk seiner Angebeteten ein Armband löste und ihm gerade vor die Füße rollte.
Schnell wie ein Gedanke bückte er sich und hob es auf.
Die Musik setzte wieder ein. und am Arm eines andern Tänzers schwebte die süße Gestalt davon.
Nun war der kleine Kurt Hellmers selig.
In der nächsten Tanzpause würde er zu ihr eilen, ihr das Armband überreichen, sie kennenlernen.
Schnell schob er das Kleinod in die Tasche, und freudestrahlend über sein unverhofftes Glück, ja beinahe übermütig stürzte er ein Glas Sekt hinunter, packte seinen Freund Schafsgotsch ausgelassen am Arm und zog ihn davon.
Schon nach wenigen Schritten stießen sie auf den Regimentskommandeur, der die beiden seiner Gemahlin vorstellte.
Ehrerbietig bat der junge Leutnant seine Kommandeuse um einen Tanz.
Aber damit war's nicht getan. Die Dame hatte Gefallen an dem jungen, frischen Mann
Hütte am Hang
Paul Grotz
/ Von 6eore? 8eiimüejcI«
O Welt, o Leben, sel'ge Lust! Ich zieh' mit guten Winden.
Es jauchzt die übervolle Brust, Kann kein Genüge finden.
Die Wolken eilen, meinem Tritt Weit, weit vorauszufliegen,
Und alle Gräser wollen mit, Und alle Halme biegen
Sich meinem Wanderschritt, und Weit Die goldenen Felder wallen.
Vom Walde her der Kuckuck schreit Wunschglück und Freud' uns allen!
Ein Vöglein singt, ein Vöglein fliegt Und bäumt auf hoher Linden.
Heut' muß ich, wenn nicht alles trügt, Das Glück am Wege finden.
Da legte sich ihm eine Hand auf die Schulter.
Erschrocken fuhr er zusammen.
Es war sein Freund Schafsgotsch.
„Kurt, schau nicht drein wie ein verliebter Primaner."
Der Angeredete, der ja vom Primaner gar nicht so weit entfernt war. errötete tief.
„Ich verstehe dich wirklich nicht, Erich."
..Aber ich verstehe dich. Kurt." sagte der andere plötzlich sehr ernst. ..schlag dir die Geschichte aus dem Kops. Kurt, heiraten kannst du das Mädchen nicht, und zum andern ist sie zu schade."
Unwillig riß sich Kurt von Hellmers los und drängte sich durch die Gäste schnurstracks au! die Gaspari los. um gerade noch zu hören, wie sie leider kür alle Tänze des Abends vergeben sei.
Da schlich sich der arme Junge wieder abseits.
Aber seine sehnsüchtigen Augen suchten immer wieder das schöne Mädchen, das sich selig der Lust des Tanzes hingab.
Dicht vor ihm schwebte sie vorbei, als die Musik abbrach.
gefunden und ließ ihn nicht so schnell los. ko sehnsüchtige Blicke er auch seiner Angebeteten nachschickte.
Endlich fand er eine Gelegenheit, sich zu empfehlen.
Aber da hatte er das schöne Mädchen schon aus den Augen verloren.
Eine Gruppe von Kameraden wollte ihn aufhalten. er drängte fort.
Da hörte man plötzlich, wie Türen geschlossen wurden, die Musik brach ab. aufgeregte Stimmen erklangen.
Der Bruder der Gaspari stieg auf einen Stuhl und verkündigte, seiner Schwester ler ein wertvolles Armband abhanden gekommen, anscheinend hätten sich Taschendiebe in das Wohltätigkeitsfest eingeschlichen. Damen und Herren sollten zwei Reihen bilden und sich untersuchen lasten, das sei das beste Mittel, den Dieb zu sangen.
Junge Leute, die sich der Frechheit deS Vor- schlages nicht bewußt wurden, klatschten Bei- fall.
Kurt von Hellmers war bei der öffentlichen Ankündigung des Diebstahls erbleicht. DaS einfachste von der Welt, vorzutreten, den
Sachverhalt klarzulegen, konnte er sich im ersten Schrecken nicht entschließen, er zauderte. und schon sah ei sich von den Kameraden in die Reihe gezogen, deren Durchsuchung ein schnell herbeigerufener Kommissar vornahm.
Bleich wie der Tod sah der junge Offizier dielen immer näher auf sich zukommen — wie gelähmt wußte er keinen Entschluß zu fasten.
Nun war's zu spät.
Die Ohren begannen ihm zu sausen, die Gedanken verwirrten sich der Boden wollte ihm unter den Füßen weichen.
Was run? Um Gottes willen, was tun?
Der Kommissar stand vor ihm.
Da riß er sich zusammen, trat aus den Kommissar zu. zoa das Armband aus der Tasche und übergab es chm. Mit stockenden Worten wollte er eine Darstellung des Falle? geben. Nach einigen Worten verstummte er.
Unter Todesstille notierte der Kommissar ^ den Namen. j
Hellmers hörte wie ewige zischelten.
Er schwankte, vor seinen Augen drehte sich alles.
Dann iah er die großen Augen der Gasparl erschrocken aus sich gerichtet.
Die Reihen lösten sich auf. murmelnd, bedrückt.
Da schlich sich der arme Hellmers hinaus, wie ein geprügelter Hund. — hörte noch, wie sein Freund Schafsgotsch einen Kameraden mit den Worten anschrie: „Aber das ist ja alles Wahnsinn!"
Den Blick mit dem ihn Kurt Hellmers ansah. hat der Gral nie vergessen, und ni? konnte er sich verzeihen, daß er dem Unglücklichen nicht gleich gefolgt war.
Er holte ihn nicht mehr ein.
Am andern Morgen fand der Bursche seinen Leutnant mit durchschossener Schläfe.
Das UjieAeMeii
Lkirrs von Stspbsn Ssorgl
So weit schien alles gut zu gehen.
Schon nach den ersten Proben konnte der junge Komponist Karl Maria von Weber, der zur Einstudierung seiner Oper „Syl- vana" nach Frankfurt gekommen war, feststellen. daß er der Uraufführung, die für Sonntag, den 16. September 1810. angesetzt war, mit den besten Hoffnungen entgegensehen konnte. Das Orchester war bewährt und zuverlässig. Sänger und Sängerinnen waren vorzüglich, die Rollen aufs beste verteilt. Und eine trefflichere Sylvana. als die reizende, zierliche, erst achtzehnjährige Caroline Brandt, hätte er sich nie wünschen können. So stand dem 16. September, dem Tag, an dem viel für ihn aus dem Spiel stand, an dem er sich nach einigen bescheidenen Erstlingsversuchen entscheidend der Öffentlichkeit stellte, aller Voraussicht nach nichts Besorgniserregendes gegenüber. .
Oder sollte auch diesmal im letzten Mo-. ment noch etwas dazwischenkommen? Das, war eigentlich bisher immer so gewesen in Webers Leben; er schien unter einem Unstern geboren zu sein, ein Verhängnis verfolgte ihn. das ihm in allen wichtigen Momenten etwas in den Weg warf. Doch diesmal befand sich Weber in durchaus zufriedener und zuversichtlicher Stimmung; in einer Froh- > stimmung, die sich sogar nicht nur auf dis. Gegenwart bezog, denn wenn er an die kleine, Caroline Brandt dachte — und daS geschah häufig genug —. stiegen ihm allemal recht freundliche und lichte Zukunftswünsche auf.
Aber der Unstern...
Mit der Einstudierung war es flott und löblich vorwärtsgkHangen. das Stück „stand" bereits. Da kam eines Tages, mitten in die Hauptprobe hinein, der Herr Direktor auf die Bühne gestürzt; mit rotem, wütendem Gesicht, eine große Papierrolle in der Hand. „Da haben wir's!" schrie er und entfaltete das Plakat, auf dem in Riesenlettern bekanntgegeben wurde, daß die berühmte fran- ' zösische Aeronautin Madame Blanchard am Sonntag, dem 16. September, einen Luftballonaufstieg veranstalten werde, zu dem die PP. Bevölkerung Frankfurts und der Umgegend höflichst eingeladen sei.
Ein Luftballonausstieg! Eine Sensation! Etwas noch nicht Dagewesenesl Und das ausgerechnet am Tage der Sylvana-Pre» miere!
..Zumachen können wir unsere Bude! Keine Maus kommt an diesem Tage in unseren Zirkus!" schnaubte der Direktor.
Das war ein Schlag. Diese unverhofft austauchende Konkurrenz stellte den ganzen Erfolg der „Sylvana" in Frage. Aber was. tun? Niedergeschlagen, hadernd mit feinem Schicksal, das sich ihm immer und immer wieder vernichtend in den Weg stellte, ging der Komponist umher. Uebermorgen sollte die Generalprobe steigen! Schließlich kam ihm in letzter Verzweiflung ein Gedanke, der vielleicht Rettung bringen konnte: Zu ihr gehen, diese Madame Blanchard aufsuchen und sie bitten, ihre Ballonfahrt auf einen früheren oder späteren Termin zu verlegen.
Weber machte sich unverzüglich auf den Weg. In der Gasthauswohnung der Lust- schisferin traf er jedoch nur die Wärterin mit dem vierjährigen Knaben an. „Wenn der Herr am Nachmittag noch einmal kommen möchte?"
„Nein, das ist leider unmöglich. Es ist eine Angelegenheit von höchster Wrchttgkclt. Es handelt sich um den Ballonaufstieg. Ist