Während in vielen geschichtlichen und zeit­genössischen Völkern das Fasten eine wichtige Uebnng darstellt, die mit weltanschaulichen, religiösen und wahrscheinlich auch hygienischen Vorstellungen verknüpft ist, findet man bei uns nur wenig Menschen, die in der Lage sind, ohne ärztliche Beobachtung und Anregung eine Fastenzeit durchzuführen.

Fasten als HeUmillel

Im allgemeinen ist man der Meinung, daß an Fastentagen wenig Arbeit verrichtet werden dürfe; Liegekuren an solchen Tagen werden häufig durchgesührt. Beobachtet man aber den Lebensrhythmus der Naturvölker, so muß man feststellen, daß bei ihnen das Fasten in eine Zeit erhöhter körperlicher Beanspruchung fällt, zum Beispiel wenn sie sich auf Jagd begeben oder anderweitig auf Nahrungssuche sind. Danach muß man entgegen der bei uns üblichen Meinung annehmen, daß die Lei­stungsfähigkeit des Organismus bei kurzen Fastenzeiten gar nicht so sehr abnimmt, lieber diese Dinge Klarheit zu schaffen, ist aber mit gewissen Schwierigkeiten verbunden. Zu objek­tiven Beobachtungen über das Fasten eignet sich weder ein fastender Patient, noch ein Hmigeckünstler. Es kommen nach Dr. Rol­len i u s nur zwei Versuche in Betracht: der Tierversuch und der Selbstversuch eines Arztes.

Dr. Noltenius hat nun eine Reihe von Selb st versuchen durchgesührt, wobei er jedes Mal über acht Tage gar keine feste Nahrung zu sich nahm. Es wurde täglich nur ein halber Liter Flüssigkeit getrunken. Wichtig ist nun, daß in der ganzen Zeit keine körperliche Rücksicht geübt wird. Tie ärztliche Praxis wurde wie immer ausge­übt. Zusätzlich wurden noch schwere körper­liche Anstrengungen eingelegt. Neben täg­lichen Freiübungen wurde an einem Tag Faustball gespielt, an einem anderen Tag einekünstliche Höllenfahrt' in der Unter­druckkammer des Luftfahrtmedizinischen In­stitutes in eineHöhe' von 6000 Meter unternommen, wobei außerdem noch eine anstrengende Fahrt am festhängenden Rad geleistet wurde. An einem weiteren Hunger­tag unternahm der Arzt noch einen 400- Meter-Schnell-Lauf. bekanntlich eine der an­strengendsten Uebungen in der Leichtathletik.

In diesen Tagen wurden nun von den beiden beteiligten Aerzten eine Reihe von Erfahrungen gesammelt. Der Hunger verschwand nach 2 bis 3 Tagen. Daraus wurde der Schluß gezogen, daß er kein Ausdruck für einen wirklichen Nähr­stoffmangel ist, sondern nur ein durch Ge­wohnheit entstandener Reflex. Außerdem bestand in der Fastenzeit kein starkes Schlafbedürfnis. Tie Müdigkeit war auch bei den geschilderten körperlichen An­strengungen nicht so groß wie zu anderen Zeiten. Man nimmt an. daß sich der Körper während der Fastenzeit einer Reihe von Ab- bauprodukten erledigt, die sonst das Müdig­keitsgefühl verstärken. Die Wirkungen auf ^den Blutkreislauf waren außerordentlich stark. Der Blutdruck sank ab, und der Puls wurde langsamer. Diese Veränderung der Bedingungen für den Kreislauf ist bei ge­wissen Erkrankungen, beispielsweise bei der Arteriosklerose, besonders erwünscht.

Eine Reihe von weiteren Messungen ergab.

daß der Hungerzustand gewisse Aehnlichkeit mit dem Verhalten des Körpers bei starkem sportlichem Training ausweist. Menschen, die schwereren körperliche» Anstrengungen nicht gewachsen sind, können demnach das Kör- pertrainingdurchFastentageer- setzen. Auch das Nervensystem wurde im Hunger einer möglichst objektiven Prüfung unterzogen. Man untersuchte mittels eines Apparates die Reaktionszeit aus die Beant­wortung eines Sinnesreizes, beispielsweise durch Llchteinfall hervorgerufene Reize. Sie war im Hunger verkürzt. Gleichzeitig soll auch die Auffassungsgabe in den Fastentagen beschleunigt gewesen sein. Alle diese Beob- achtungen stimmen etwa mit den Erfahrun- en des täglichen Lebens überein, aus der ereits hervorgeht, daß vorwiegend schlanke Menschen rascher und lebendiger, Dicke da­gegen phlegmatisch, eßlustig, müde und in ihren psychischen Leistungen langsam und träger sind. Der Gewichtsverlust bei achttägi­gem Hungern war insofern zum Teil nur scheinbar, als er innerhalb weniger Tage hinterher teilweise wieder aufgegeben wurde. Man führt ihn auf Wasserverlust und nur zum kleinsten Teil auf wirkliche Substanz­abnahme zurück.

Nach den Ergebnissen dieses Selbstversuches läßt sich das Fasten mit Sicherheit als eine unschädliche und heilsame Ein­wirkungsform auf den menschlichen Körper bezeichnen. Es muß je nach Lage der Dinge, besonders bei Leidenden, wie jedes andere Medikament dosiert werden. Doch er- setzt es gerade für diese das scharfe körper- liche Training.

Neue Behandlung akuter Mandelentzündung

Bei schweren fieberhaften Mandelentzün­dungen muß man sich im allgemeinen dar­auf beschränken, eine Behandlung des All­gemeinzustandes durchzuführen. Das Gur­geln ist zwar für die Mundpflege sehr wert­voll, doch konnte man durch Nöntgenver- suche Nachweisen, daß die entzündeten Man­deln selbst davon kaum betroffen werden. Man suchte einen möglichst sicheren Weg. die Gaumenmandeln selbst durch desinfi­zierende und entzündunghemmende Stoffe zu beeinflussen. Neuere Arbeiten haben gezeigt, daß ein solcher Weg jetzt gefunden ist. Und zwar kann man Medikamente in die Man­deln einbringen, indem man sie in die untere Nasen muschel injiziert. Es gelang auf diese Weise. Schwellungen der Mandeln innerhalb weniger Stunden zu bes­sern. Da die Entzündung dabei gleichzeitig zurückgeht, wird auch das Fieber günstig be­einflußt. Für schwerere Mandelentzündun­gen, besonders wenn sie mit einer Enge des Halses verbunden sind, ist hier ein neuer, schnell wirkender Heilweg gezeigt worden.

Auf allen Gebieten des Lebens arbeitet die Wissenschaft unaufhaltsam. Wir wollen nun heute unseren Lesern einige neue Forschungs­ergebnisse aus dem Reich der Medizin Mit­teilen.

Zur Beseitigung deS

Durstgefühls nach Operationen

hat man jetzt in Leipzig einen neuen Weg eingeschlagen. Der Kranken verabreicht man drei Stunden vor dem chirurgischen Eingriff

250 bis 300 Kubikzentimeter Hafer­schleim, wobei die durch den Röntgen­schirm bestätigte Wahrnehmung ausschlag- gebend war, daß flüssige Nahrung einen nor­malen Magen nach einem Zeitraum von zwei bis drei Stunden verläßt. Sobald der chirurgische Eingriff beendet und der Nar­kosezustand aufgehoben ist, erfolgt ein Dauertropfeneinlaus von 700 bis 1000 Kubikzentimetern Leitungswasfer. Hat sich das Befinden des Patienten noch nicht so weit gebessert, daß der Kranke bereits am Abend des Operationstages zu trinken ver­mag, dann wird der Dauertropfeneinlaus wiederholt, und zwar wird die erstmalig Verabfolgte Leitungswasfermenge beibehalten. Die Erfahrungen, die man mit diesem Ver­fahren gesammelt hat, sind auffallend gut. Zweidrittel aller Patienten waren durstsrei! Der Haferschleim eignet sich für diesen Zweck deshalb besonders gut, weil sich die Magen­entleerung rasch vollzieht, und dann auch, weil im Darm die Aufsaugung langsamer vor sich geht.

Um die Frage zu klären, inwieweit die Lebewesen von den

Kosmischen Strahlen

beeinflußt werden eine Frage, die fast ebensoviele Verneiner wie Bejaher hat. ging neuerdings ein amerikanischer Gelehr- ter dazu über, in einem etwa tausend Meter hinabreichenden Bergwerksschacht mehrere Mäusegenerationen herauszuzüchten und die Tiere ständig auf irgendwelche körperliche Veränderungen zu untersuchen. Zu gleicher Zeit wurden zu Vergleichszwecken mehrere andere Mäuscgenerationen über Tage ge­züchtet. Trotz peinlichster Untersuchungen ließ sich an den im Bergwerk ausgewachsenen Tieren nichts feststellen, was sich als Ver­änderungsmerkmal hätte deuten lassen. Ter amerikanische Wissenschaftler zieht daraus den Schluß, daß die Lebewesen von den kos­mischen Strahlen nicht beeinflußt werden, und daß auch der Mensch dabei keine Aus­nahme macht.

Von dem italienischen Arzt Dr. Boggian neuerdings angestellte Untersuchungen spre­chen dafür, daß der

Blinddarm

jenes sackähnliche Ende des Dickdarmes unter­halb der Eintrittsstelle des Dünndarms, keineswegs so bedeutungslos zu sein scheint, wie dies häufig angenommen wird. Boggmns Versuche lehrten, daß wässerige Aus­züge aus der Schleimhaut des Blinddarms nicht nur die Darmfunktionen regeln helfen, sondern daß sie auch zur Bil­dung von Salzsäure im Magen beitragen. (Der Magensaft enthält bekanntlich 0,3 Pro­zent Salzsäure und Fermente als wichtigstes Pepsin). Patienten, denen die Erkenntnisse der Boggianschen Versuche zugute kamen, konnten bemerkenswerte Erleichterun­gen der Verdauung feststellen, desglei­chen traten die früheren Druckgefühle in der Magenpartie nicht mehr in Erscheinung. Bei der Röntgenaufnahme fand man, daß sich die Entleerung des Magens wesentlich schneller als vordem vollzog. Man verabreichte den Kranken etwa eine Woche lang oder noch einige Tage länger dreißig bis vierzig Trop­fen der Flüssigkeit, und zwar handelt es sich um einen Auszug aus der Blinddarmschleim­haut junger Schlachttiere.

Sonnenlicht und Bronchitis

Bei neueren ärztlichen Untersuchungen ist man der Frage nachgegangen, ob es tatsäch­

lich möglich ist, daß das Sonnenlicht unter Umständen Bronchitis Hervorrufe. Die Untersuchungen an einem sehr umfangreichen Krankenmaterial und dazu sogar bei sehr starkem, unfiltriertem Sonnenlicht haben auch nicht in einem einzigen Fall schädliche Einflüsse der bezeichneten Art feststellen können. Ueberhaupt hat sich von jeher wieder bestätigt, daß in den Son- nenmonalen des Jahres die Bronchitis so gut wie gar nicht vorkommt, und daß die Krankheit lediglich in der Zeit kärglicheren Sonnenscheins hin und wieder in einigen Fällen eintreten kann.

Dieser Erkenntnis liegen die Wahrnehmun­gen zweier Jahrzehnte zugrunde, und auch die neueren Untersuchungen haben nicht im geringsten etwas Gegenteiliges erbracht. Sehr wohl aber ließ sich diese angebliche Sonnenbronchitis' aus anderen Ursachen erklären. So wären beispielsweise sehr leicht Einflüsse meteorologisch-klimatischer Art denkbar, auch Abweichungen bei der Durch­führung der Sonnenbestrahlung wären in Betracht zu ziehen. Vor allem bleibt Lym- phatikern. die ohnedies sehr viel mitErkäl­tungskrankheiten" und ähnlichen Erschermm- gen zu tun haben, eine gewisse Anpassung der Sonnenkur insbesondere im Anfangsstadium notwendig. Desgleichen könnte eineSonnen­bronchitis" aufkommen. wenn die Sonnenkur in Verbindung mit Wasserbehandlung, Ab- brausungen und dergleichen verabfolgt nn.rch

Amtlicher Grotzmarkt für Getreide und Futtermittel in Stuttgart vom 26. Mai. Die Erfassungsverhültnisse in Brot- und Futter­getreide haben sich noch nicht gebessert. Tie Nachfrage hält an. Am Markt für Mühlen­fabrikate sind keine Veränderungen eingetre­ten. Es notierten je 100 Kilogramm frei ver­laden Vollbahnstation: Weizen, württ., durch- schnittl. Beschaffenheit, 76/77 Kg.. Mai-Erzen- gerfestpreis: W 7 20.50, W 10 20.80, W14 21.20, W 17 21.50; Roggen, durchschnittliche Beschaffenheit, 71/73 Kg., Mai-Erzcugerfest- preis: R 14 17,60, N 18 18.10, RIO 18.30. Winterfuttergerst, durchschnittliche Beschaf­fenheit. 61/62 Kg Mai-Erzeugerfestpreis: G7 ,17.50, G8 17.80. Sommerfuttergerste durchschnittliche Beschaffenheit 59/60 Kg. Es können 50 Npf. Per 100 Kg. Aufschlag be­zahlt werden. Futterhafer, durchschnittliche Beschaffenheit, 48/49 Kg., Mai-Erzeugerfest­preis, H 11 16,90, H 14 17.40. Wiesenheu (lose) nominell 5,506,00, Kleeheu (lose) nominell 66.75, Stroh (drahtgepreßt) 3.00 bis 3.25 RM.

Mehlnotierung im Gebiet des Ge­treidewirtschaftsverbands Württemberg. Preise für 100 Kg., zuzüglich 0.50 RM. Frachtaus­gleich frei Empfangsstation. Weizenmehl mit einer Beimischung von 2530 Prozent Ker­nen Aufschlag 1 RM. per 100 Kg. Reines Kernenmehl 3 RM. Aufschlag. Weizenmehl mit einer Beimischung von 20 Prozent amt­lich anerkanntem Kleberweizen 1,25 RM. per 100 Kg. Aufschlag. Weizenmehl Basis-Type 790 Inland (bisher Weizenmehl I) Mai-Preis W7 27.70, W10 28,20, W14 28,80, W 17 28.80, Noggenmehl, Basis-Type 997 N 14 bis 15. August 1936 22.70 RM., R 18 23,30, R 19 23.50. Mühlennacherzeugnisse: Weizenkleie W 7 bis 15. August 1936 RM. 9.95, W 10 10.10, W14 10.30, W17 10.45, Roggenkleie R 14 bis 15. Juli 1936 RM. 10.10, R19 10,50. Weizen- und Roggen-Futtermehl jeweils bis zu 2.50 RM. per 100 Kg. teurer als Kleie. Für alle Geschäfte sind die Bedingungen des Neichsmehlschlußscheins maßgebend.

Venn cler Homme* Aol-Et

Von unserem Lericliterstatter v. ll,, l^ooäcrn, im klai

Wenn der Sommer kommt, spricht mar vom Frühling. Das äußere Anzeichen diese! Wechsels m der Witterung, in der Verwand lung der Natur besteht inLondon auf da! Menschliche hin bezogen darin, daß imme« zahlreichere Mädchen barbeinig herumlaufen Ebenso erscheint die Radlerin in kurzen Hös chen und im Sporthemd aus der Versenkunj ihres Winterschlafs. Ferner zieht der jungl Engländer die Sommerunrform an graue Flanellhose und Golfjacke. Auch sieh man die Mitglieder der Antihutliga die sich häufig dadurch auszeichnen, daß su keine Haare haben. Diese einfachen Festste!) lungen enthalten nun aber, wenn man sie dei Reihe nach geordnet und ausführlicher be> trachtet, allesamt spezielle englische Probleme Sie führen tief in die sozialen Unterschied« hinein. Wir tun daher gut, diese Zeit dei frühlingshasten Bodenauslockerung zu eine: etwas tiefer schürfenden Betrachtung diese, menschlichen Blüten der englischen Schöpfunc zu benutzen. Beginnen wir mit dem anqeblill chöneren Geschlecht:

Das barbeinige Mädchen, das in geflvch- tenen Schuhen sockenlos (also wirklich bar- beinig) durch die Straßen wandelt oder eilt, hat in London ganz verschiedene Standorte. Es ist auch nicht so. daß etwa nun die Bo- höme strumpslos durch die Welt streift. Tat- suche ist. daß von den beiden Künstlerquar- tieren Londons, die sich menschlich in nichts von einander unterscheiden, in dem einen das weibliche Geschlecht barbeinig läuft, in dem andern aber mit Strümpfen. InBlooms - b u r y, dem alten quartier latin Londons, Herrschi der Strumpf, in Chelsea, dem neueren quartier latin. liegt der Strumpf in der Schublade. Ob es daran liegt, daß es in B','"'sburv mehr Blaustrümpfe gibt als in

Chelsea, diese Frage ist von den Londoner Gelehrten noch nicht entschieden.

Die Barbeinigkeit ist. unter uns bemerkt, ein Erfolg des jungen Deutschland auf eng­lischem Boden. Vor etwa zehn Jahren rümpfte man in London die Nase über solche Barbarei. Man schimpfte über diese, jeder Zivilisation widersprechende deutsche Mode. Es sei doch nichts Erhebendes, ein noch so hübsches Mädchenbein zu betrachten, auf dem man jeden Mückenstich sehen könne. Nein, es sei einfach unerhört. Wie so oft im Leben, haben aber die Gegner und Kritiker unbe- zahlte Reklame für die Barbeinigkeit gemacht. Heute sieht man in London tatsächlich mehr Menschen weiblichen Geschlechts, die gänzlich ohne Strümpfe laufen, als in Berlin, und die Mode gewinnt immer mehr Anhänger. Eine ganze Anzahl von durchaus ansehn, lichen Vertreterinnen der besseren Hälfte der Menschheit zieht auch zum Gesell- schaftskleid keine Strümpfe an. Staunend sieht man aus einer üppigen Toi- leite den Schuh Hervorkommen, in dem nichts steckt als eben eine nackte Tatsache, (was die Schönheitsräte freut, denn, unter uns gesagt, fördert diese Mode das Geschäft der Pedilü- risten).

Und nun muß ein Wort über das ra­delnde Mädchen gesagt werden. Seine Toilette wurde schon geschildert. Sie besteht aus drei Bestandteilen: einem Paar Schuhe, einem grauen Flanellhöschen, dessen Kürze jeder Beschreibung spottet und einem Sport. Hemd. Am Sonnabend und an Sonntagen strampeln sie rudelweise durch die Vorstädte und streben ins Grüne. Aehnlich bekleidete Jünglinge ohne Hut strampeln daneben. In England radeln offenbar in dieser Aus. machung nur die hübschen Mädchen. Von den Männern kann man das nicht sagen. Was es mit den Männern aus sich hat das ergibt sich aus der schlichten Feststellung, daß die Rekrutierungsbehörden des Heeres

von je drei sich meldenden Anwärtern zum Heeresdienst zwei aus gesundheitlichen Grün- den als untauglich zurückweisen müssen. Dem Augenschein zufolge wäre die Aussicht, eine Amazonenarmee in England gründen zu können, weit besser als eme aus Män- nern. Wenn man sich an die Aufmachung gewöhnt hat, die für den Deutschen über- raschend wirkt, bildet dieses radelnde Mäd- chen einen bemerkenswerten Schmuck der Londoner Straßen. Auf alle Fälle ist es ein Symptom des Frühlings.

Um nun auf die Männer zu kommen, so besteht die Grundlage der gesellschaftlichen Kleiderordnung, wenn der Sommer.kommt, darin, daß der Mann und Herr der Schöp- fung, wenn er etwas besser sein will, so komplett wie möglich angezogen bleibt. Die Sitte will, daß er nicht ohne Weste herum­laufen darf, wenn er in der Stadt lebt. Der englische Gentleman muß im Sommer dul­den. Es ist aber wiederum ein Zeichen des gesellschaftlichen Frühlings, der sich in Lon- don und in England in mancherlei Erschei­nungen zeigt, daß das Gesetz der Westen- Hastigkeit immer weniger Anhänger findet. Die große Mehrheit der Bevölkerung und darunter zahlreiche Leute des Typs, den der Berliner als Kavalier bezeichnet, tragen Uniform, nämlich die graue Flanellhose und die Sportjacke, dazu ein farbiges Hemd mri einem irgendwie gebundenen Schlips oder auch keinem Schlips. Auf diese Weise ist ein Kavalier sehr oft nicht von einem Hafen- arbeiter zu unterscheiden. In den Seebädern haben die Hotels sestgestellt. daß es nicht ratsam ist. dem so uniformierten Briten mit irgend welchem Kleiderzwanq zu kommen. Es wird ihm gestattet, auch die Gesellschasts- räume in dieser Aufmachung zu betreten. Geschäft ist eben Geschäft. Solche englischen Flanellhosen sind wiederum ein Kapitel ür sich, über das man eine Monographie chreiben könnte. Sie sind ursprünglich als Oxford-Säcke eingeführt worden. Diese Be-

fchreibung genügt. Es finden sich I e h r a l t e Säcke darunter.

Bleibt nur noch die ANtihutliga mit ein paar Worten zu lchildern. Um mit dem Kavalier zu beginnen, so geht er in London im Sommer und im Winter mit schwarzem Hut. mit Regenschirm und Handschuhen be­kleidet. ohne Rücksicht daraus, daß es schon seit Wochen nicht geregnet hat. Es ist nicht fein, ohne Hut durch die Straßen zu laufen. Diese Feststellung ist aber belanglos. Es vollzieht sich in England eine Revolution. Jeder Sommer bringt mehr Menschen ohne Hut aus ihren Häusern. Bet vielen scheint, wie schon angedeutet, die Hoffnung mitzu- sprechen, daß die ultraviolette Bestrahlung einer ziemlich blanken Kopfhaut einen plötz­lichen Ausbruch neuer Vegetation Hervor­rufen werde. Tie Sonne ist aber auch in England kein Haarwuchsmittel. Alles was man sagen kann, ist. die Hutlosigkeit bringt Kühlung, aber keinen Haarwuchs, in Eng- land noch etwas mehr. Ohne Hut kommt sich der Engländer als freier Mann vor. mit einem gewissen Maß von geistiger Unab­hängigkeit. Ter Chronist muß dabei bemer­ken, daß König Eduard VIII., der neu­lich in morgengrauer Frühe im Waldlauf­kostüm im Windsor-Park nach dem Schloß von Windjpr gelaufen ist. seinerseits, offen­bar aus Protest gegen den Hutzwang, einen S l r o h h u t t r u g. Das ist für einen regie­renden König außerordentlich viel. Es ist ein Zeichen nicht nur der Jahreszeit, son­dern auch der Zeit. Damit können wir diese Schilderung schließen. Sie ist kennzeichnend für den Wandel der Tinge auch in England. In England vollzieht sich sozusagen zwischen Zylinder und Lackschuh eine schweigend ge­führte aber ingrimmige Revolution wider den Zwang der Gesell­schaft. gegen den Druck des geheiligten Brauches, gegen die Vorstntflutlichkeit dei Konvention.