Neu«! Sicherheitssystem statt Locarno
Aussprache über Abessinien, de« deutschen Friedensplan und die Kolonialfrage im englischen Unterhaus
ex. Londo n, 7. April.
Im englischen Unterhaus kam es am Montag, dem Vorabend der Abreise des Außenministers Eden, nach Genf zur Tagung des Dreizehnerausschusscs, während der es zu informellen Besprechungen zwischen den Außenministern der Locarno-Nestmächte Großbritannien. Frankreich und Belgien kommen soll, zu einer großen außenpolitischen Aussprache über die Englands Außenpolitik gegenwärtig beherrschenden Fragen: Abessinien. Friedensplan und Kolonien, die in einem optimistischen Bekenntnis Edens zum Völkerbund und in einer interessanten Erklärung des Schatzkanzlers Neville Ehamberlain zur Kolonialsrage gipfelte. Gleichzeitig benutzte die Regierung die Gelegenheit, die innerpolitische Abstimmungsniederlage der Vorwoche zu korrigieren und sich mit 361 gegen 145 Stimmen das Vertrauen aussprechen zu lassen.
Der Luftpakt
In der jede Unterhaussitzung einleitenden Fragezeit wurde Außenminister Eden gefragt. ob er sich für eine Jnternakionalifie- rung der Luftstreitkräfte — rin alter sran- zöfischer Plan — einsetzen wolle. Eden er- widerte, daß die britische Regierung den Abschluß eines Lustpaktes zur Begrenzung der Lustrüstungen für das beste Mittel zur Verhütung eines Luftangrisses halte. Die britische Negierung glaubt, daß ein solcher Pakt die kollektive Sicherheit fördern würde.
Die Generalstabsbesprechungen
Auf die Forderung des Abg. Day. daß das britische Reich in den bevorstehenden Generalstabsbesprechungen während der Ostervertagung des Parlaments keine end. gültigen Entscheidungen treffe oder Ver- Pslichtungen eingehe, wiederholte Ministerpräsident Baldwin. daß die Generalstabsbesprechungen die politischen Verpflichtungen Großbritanniens nicht vermehren werden, lo daß Besorgnisse unbegründet seien.
Die Kolonialmandate
Ter Schwiegersohn des Abg. Winston Churchill, der Abg. Sandys, wollte wissen, ob die am 12. Februar vom Kolonial, minister abgegebene Erklärung noch Gültigkeit habe, daß die britische Regierung keinerlei Erwägungen über die Aushändigung britischer Mandatsgebiete an irgend eine andere Macht angestellt hat oder anstellt. Baldwin erklärte, daß die Haltung der Negierung sich in dieser Angelegenheit noch nicht geändert hat und daß er sür Presse- Meldungen, wie die über die Erklärungen Lord Stanhopes über die mögliche Rückgabe Britisch-Ostafrikas. nicht verantwortlich sei.
Die Vertrauensfrage
Bei dem Antrag der arbeiterparteilichen Opposition aus gleich hohe Bezahlung der Männer und Frauen im Staatsdienst hatte die Regierung in der Vorwoche eine Ab- stimmunasniederlage erlitten. Mit Hilfe einiger Geschäftsordnungsbestimmungen gelang cs der Negierung, am Montag eine Wiederholung der Abstimmung durch Stellung der Vertrauensfrage zu erzwingen. Baldwin bezeich- nete die Abstimmungsniederlage als reinen Zufall, aus dem die Regierung keine Folgerungen zu ziehen brauche. Ten Oppositions- antraa lebnte er ab. da er iür den Staats-
Haushalt eine zu hohe Belastung ergeven würde. Tie Oppositionsredner verteidigten die Gültigkeit des Abstimmungsergebnisses und übten Kritik an der Außenpolitik der Negierung — doch ergab die Abstimmung am Schlüsse der Sitzung das gemeldete Ergebnis von 3 6 1 zu 1 4 5 Stimmen für die Negierung.
Winston Churchill deutschfeindlich wie immer
Der Konservative Winston Churchill richtete schärfste Angriffe auf die Regierung wegen ihrer Abessinien-Politik und vergaß dabei die üblichen gehässigen- Ausfälle gegen das Deutsche Reich und den Nationalsozialis- mus nicht. Die Mittelmeerpolitik der Regierung habe England Ausgaben in Höhe von 6 oder 7 Millionen Pfund Sterling verursacht und cs überdies der Gefahr der Lächerlichkeit ausgesetzr. Mit offensichtlichem Bedauern erwähnte er, daß durch die Wiederbesetzung der Rheinlands das nationalsozialistische Regime und sein Ruf erneut gewonnen haben.
Sorgen Sir Austen Chamberlains
Sir Austen Ehamberlain erklärte zur Abessinienfrage, daß England den Fehler gemacht habe, den Völkerbund zu Maßnahmen zu veranlassen, die er nicht zu tun bereit gewesen ist. Im Falle Locarno sei Großbritannien nach ferner Meinung verpflichtet, seine ganzen Hilfskräfte dem IPsikerbund zur Verfügung zu stellen. Sorgen machten ihm der Charakter der deutschen Vorschläge, insbesondere hinsichtlich der Gleichheit des Rechts- zustandes. „Man muß genau wissen, was Deutschland damit meint!"
Eden über die Mitverantwortung deS Völkerbundes
Außenminister Sir Aiirhony Eden befaßte sich zunächst mit der Abessinienfrage und erklärte, daß erst die Geschichte lehren werde, ob die Beschlüsse des Völkerbundes gut oder schlecht gewesen seien. Wie auch immer das Uriei. ausfallen werde, die Verantwortung Großbritanniens müsse mit dem Völkerbund geteilt werden. Er zog weiter die Lehre daraus, daß ein zahlenmäßig begrenzter Völkerbund auch in der Wirkung begrenzt sei und daß Sanktionen nicht wirksam werden können, wenn die Mitgliedschaft beim Völkerbund nicht vollständig ist. Im übrigen bezeichnte er es als unerträglich, wenn man in Genf von Versöhnung spreche, solange der Krieg andauert.
Prüfung der deutschen Vorschläge noch im Gange
Auf den deutschen Friedensplan übergehend, erklärte Eden, daß die Prü- fung der deutschen Note noch im Gange sei. Tie britische Negierung habe Zweifel über die Wichtigkeit einer Znsam- menkunst der Vertreter der Rest-Locarnomächte in Paris oder Brüssel im gegenwärtigen Augenblick empfunden und er habe daraus hingewiesen, daß die britische Negierung nicht zu einer Zu- sammenkunst gehen und der Ansicht zu st im men könne, daß die V er s öh n u n gs a k t io n zu Ende sei. Einen Gedankenaustausch aus diplo- matischem Wege oder bei der Tagung des Dreizehnerausschusscs in Gens hingegen habe er sür vielleicht wertvoll gehalten. Frankreich und Belgien haben denn auch den
informellen Besprechungen in Genf zugestimmt.
Völkerbund soll herangezogen werden
Er halte es mit Flandin und van Zeeland für wichtig, den Völkerbund bei der ersten Gelegenheit zu dieser Be- sprechung heranzuziehen. Tie Vorschläge des Reichskanzlers betreffen teils eine Gruppe von Weltmächten. teils einige Staaken im Süden und im Osten Europas. Nach englischer Ansicht sei es wesentlich, diese Vorschläge durch den Völkerbund — damit keinerlei Verwirrung entstehe (?) — miteinander zu verbinden. Man müsse ficherstellen, daß der Völkerbund gefragt werde, daß er die neuen An. strengungen zur Sicherung in'Europa zu- sammensasse und unter seiner Kontrolle halte.
Eine Warnung
Eden warnte dann vor der Vorstellung, daß man die deutschen Vorschläge und die aus der „Verletzung des Locarno-Vertrages" (??) sich ergebenden Aufgaben Großbritanniens beiseite legen solle, um statt dessen einen weitreichenden Plan einer allgemeinen Regelung für Europa zu verhandeln. Er sei sich darüber sehr im Zweifel, ob in diesem Augenblick es möglich oder wünschenswert wäre, allgemeine Verpflichtungen zu gegenseitigem Beistand, die sich über ganz Europa erstrecken, auszuhandeln, um die Bestimmun- en der Völkerbundssatzung zu umgehen. Er efürchte, daß das unmittelbar anzustrebende Ziel verloren gehe, wenn man in diesem Augenblick eine gewaltige europäische Neuregelung versuche, die aus anderen Bestimmungen als denen des Völkerbundes be- ruht.
Neues Sicherherksgebäude statt Locarno
Er möchte dem Hause freimütig erklären, daß die Regierung den Wunsch habe, daß bis Ende des Sommers alle Völker Europas Mitglieder des Völkerbundes seien. (Beifall.) Sie wünsche weiter, daß ein neues Sicher- heitsgebäude in Westeuropa die Stelle Locarnos cinnehme. Sie wünsche, daß die Sicherheit an anderen Stellen durch Uebereinkommen gestärkt werde, die unmittelbar vom Völkerbund überwacht werden. Wenn dieses Ergebnis bis Ende des Sommers erzielt werden würde, so könnte für die Sicherheit Europas so diel gewonnen sein, daß es dann möglich wäre, auf die weiteren Pläne hinsichtlich der Nüstungs- und wirtschaftlichen Fragen einzugehen. Eden schloß mit der Behauptung, daß der Völkerbund an Stärke gewonnen und tiefe Wurzeln geschlagen habe.
Neville Ehamberlains Schlußwort ' Zum Abschluß der Aussprache ergriff Schatz- kcmzlec Neville Ehamberlain das Wort, der betonte, daß England nicht die ganze Last der kollektiven Sicherheit auf seine eigenen Schultern nehmen dürfe. Zur Kolonial- frage übergehend, erklärte er. daß man einen Unterschied zwischen Kolonien und Mandatsgebieten machen müsse. Als die Mandatsgebiete verteilt wurden, sei keine Maßnahme getroffen worden, für die Uebertragung eines Mandats- gebietes von der ursprünglichen Mandatsmacht an eine andere Macht. Er fügte hinzu, daß England bestimmte Verpflichtungen gegenüber den Völkern habe, die diese Gebiete bewohnen.
England wurde nicht daran denken, diese Ver- Pflichtungen aufzugebcn oder einer anderen Macht vuszuhändigen, selbst um der Erzielung einer allgemeinen Friedensreaelung willen, solange es nicht überzeugt ist, daß die Inter- essen aller Bevölkerungstelle, die diese Gebiete bewohnen, völlig gesichert sind.
Frankreichs Antwsr, sertigMM
8>. Paris,?. April.
Montag nachmittag hat der französische Ministcrrat in einer mehr als.vierstündigen Sitzung den Entwurf Flandins der französischen Denkschrift als Antwort aus den deut- scheu Plan vom 31. März und den „aufbauenden Aktionsplan für den Frieden" gebilligt. Den Aktionsplan beabsichtigt die französische Negierung dem Völkerbrrndsrat zu unter- breiten. Die beiden Schriftstücke werden nicht vor Mittwoch, spätestens am Freitag, veröffentlicht werden.
In dem ersten Schriftstück zieht, so heißt es in Pariser politischen Kreisen, die französische Regierung die Schlußfolgerung, daß die deutsche Denkschrift in ihrem ersten Teil völlig verneinenden Charakter habe. Sie fordere daher von den Unterzeichnern des Locarno- dertraaes nachdrücklichst die restlose Anwendung der Bestimmungen, die im Falle eines Mißerfolges der Verhandlungen mit Deutschland vorgesehen seien.
Die gesamte französische Antwort soll ebenso umfangreich anSfallcu, wie der deutsche Friedenspl.au. Das darin enthaltene zweite französische Schriftstück bestehe aus etwa 25 Artikeln, die einen umfassenden und wirtschaftlichen Grundriß zur Organisierung in Europa bilden. Der französische Plan bezwecke eine Ausdehnung und Verstärkung der kollektiven Sicherheit in Europa durch einen ans die europäischen Staaten begrenzenden Pakt, also nicht mehr einen weltumfassenden Pakt, wie die Völkerbunds- satzungen ihn augenblicklich darstellten. Die Bestimmungen des gesamten geplanten sran- zösischen Paktes würden dadurch gestützt werden, daß man dem Völkerbund bereits in Friedenszeiten gewisse nationale Trup- Penverbände zur Verfügung stelle, um ein tatsächliches sofortiges Einschreiten des Völkerbundes gegen den Angreifer zu ermög. lichen. Außerdem seien Abrüstungsanregim- gen vorgesehen.
In Paris glaubt man, daß der Plan zur „Organisierung des Friedens" zu gegebener Zeit. d. h. nach den französische» Wahlen, dem Völkerbund zur Erörterung gestellt werden kö
Ml Mi
Paris, 7. April
Wie aus einer Mitteilung des Kriegs- miilisteriums hervorgeht, behält Frankreich diejenigen Soldaten unter den Fahnen, die am 15. April zur Entlassung hätten kommen sollen. Man betont jedoch, daß es sich um keine normalen Kontingente handle, sondern um Soldaten, die früher aus verschiedenen Gründen zurückgestellt und am 15. April 1935 cingezogen worden sind. Ter betreffende Beschluß der französischen Negierung gründet sich auf Art. 40 des Negierungsgesetzes. Eine Angabe über die zahlenmäßige Stärke der unter den Fahnen gehaltenen Soldaten wird in der Mitteilung nicht gemacht. - > - >
Werbt sSr em HeimWsse!
MSMN zu
Wen
ssins
(Urheberschutz durch L. Ackermann, Romanzentrale Stuttgart)
Süf
„Ich will dir mal etwas sagen: heute als ich da runtersauste, Hab ich zum erstenmal in meinem Leben wirkliche Todesangst gehabt."
„Ich Hab es dir doch gleich gesagt, aber du wolltest nicht hören, Irma."
Sie lächelte ihn an.
„Weißt du, was ich da ganz schnell gedacht habe? Wenn du noch cinma! heil runter kommst, da">, ist das erste, was du tust, du gibst dem Fritz einen' l :ö ich das etwa nicht getan?"
Merkwürdigerweise war er gar nicht froh.
„Also nur deshalb."
Eie lehnte sich an ihn.
„Nein. Ich habe dich doch immer lieb gehabt. Immer. Aber, ich war eine dumme Gans und bildete mir Blödsinn ein. Und dann glaubte ich doch, es sei meine Pflicht, den alten Pomadenafsen Werner Pistor zu heiraten, weil er uns damals das Geld gegeben hat. Nu laß uns an den ganzen Quatsch gar nicht mehr denken. Oder willst du mich nicht mehr?"
„Aber, Irmal"
.„Erzähle mir lieber, wie das dir eigentlich kam."
Er sah vor sich hin.
„Daran bist du schuld."
„Ich?"
„Na ja, ganz einfach. Ich. sagte mir, ich muß erst was sein und dann — da im Arbeitslager, da war auch ein Segelflugplatz und — ich dachte doch, dich kriege ich nicht. Weiß der Teufel, was da zwischen dir und dem Pistor
los ist. Und dann — ich dachte, es wäre ganz gut, wenn ich mir so bei Gelegenheit das Genick bräche. Und dann — dann kam ich her und — naja — jetzt Hab ich meine Pilotenprüfung bestanden."
Er sagte das ganz schlicht und einfach. Auch das vom Genickbrechen. Irma hängte sich an seinen Hals.
„So lieb hast du mich?"
„Muß ich dir das sagen?"
„Weißt du, der olle Zangenberg, der ist doch ein ganz prachtvoller Onkel."
Das war allerdings eine Antwort, die er nicht erwartete, und er sah sie enttäuscht an, aber jetzt lachte sie wieder.
„Nun sprich mir mal jedes Wort, das ich dir vorsage, genau nach. Aber ganz genau: Irma, du bist-"
„Irma, du bist —"
eine ganz dämliche Pute gewesen."
„Nein, das sage ich nicht."
„Doch, du hast es mir versprochen."
Jetzt mußte auch Fritz lachen.
„Eine ganz dämliche Pute gewesen."
„Aber jetzt bist du vernünftig geworden und hast eingesehen, daß du mich wirklich lieb hast."
. „Ist das wahr?"
„Nachsprechen: Und daß du mich immer lieb gehabt ha).; jetzt aber Kuß und Schluß mit der Debatte."
Allerdings zog Fritz es vor, gleich zu dem Kuß überzugehen, und dann saßen sie beide auf der Dank. Aber der Kuß wurde erheblich gründlicher ausprobiert als vorher der Fallschirm und mußte sehr oft wiederholt werden, ehe beide damit zufrieden waren.
„So, jetzt komm, jetzt wollen wir irgendwo was futtern. Hast du heute noch Dienst?"
„Bis übermorgen bin ich srei."
Hie saßen an einem einsamen Tisch in einem Garten- restaurant. Hier war es schon richtiger Frühling. Irma schien in tiefe Gedanken versunken.
„Du, Fritze!"
„Was denn?"
„Willst du mir einen Gefallen tunl „Aber gern."
„Steck' doch mal beim Esten das Messer wieoer in den Mund.'.'
„Das tut man doch nicht."
„Aber ja! Du kannst es tun! Du kannst alles tun, was du nur willst: was du tust, ist immer schön."
Einen Augenblick verstand Fritz nicht, dann streichelte er ihre Hand.
„Weiß schon, ich war ja ein Stoffel!"-
„Herrgott, wir müssen zur Bahn, um neun Uhr kom- inen sie ja."
Bald kletterten der alte Weigel und Frau Auguste richtig aus dem Zug.
„Pfui Deubel, war das ein Gekarre. Herrjott-
Mutter, da steht ja der Fritze Kuhlekampl
Er hatte während der ganzen Fahrt ein brummiges Gesicht gemacht: Frau Auguste hatte sogar geweint.
„Iärvoll, alter Herr! Da steht dein künftiger Schwiegersohn Fritze Kuhlekamp. Wir haben uns gestern verlobt."
„Da schlag' einer platt hin und steh' rund wieder auf! Das ist das erste vernünftige Wort, das ich seit Wochen höre. Wie ist denn das gekommen?"
„Als ich eben im Begriff stand, mir das Genick zu brechen. Aber das können wir später besprechen."
Der Mond war aufgegangen und leuchtete über dem Bodensee.
„Herrjott, is das ne Menge Wasser!"
Frau Auguste sagte es, noch immer in innerlichen Aengsten, aber Irma war wieder übermütig.
„Seht mal da drüben: gleich das erste von den wer- ßen Häusern, da werdet ihr wohnen. Das heißt, wenn dre Möbel da sind. Für heute habe ich Zimmer im Hotel be
stellt."
(Forts, folgt.)