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Eisenbahnen ist damit zu rechnen, daß die mit Aufwand aller Mittel getroffenen Maßregeln nicht überall ausreichen. Jedenfalls tut die Regierung das Ihrige zur Milderung der Notlage.

Berlin 15. April. Dem verstarb, sozial­demokratischen Reichstagsabgeordneten Ignaz Auer gaben gestern viele tausende Parteigenossen das letzte Geleite. Zwei Stunden dauerte der Vorbei­marsch. 20 000 Menschen reihten sich nach den Wahlkreisen geordnet aneinander. Die sonst so stillen Straßen des Südens Berlins, wo die Wohnung Auers liegt, waren gestern Mittag von dichten Menschenmaffen angefüllt. Neben den Männern sah man viele Frauen und in muster- giltiger Ruhe schritten alle dem Sarge nach. In dem Zuge befanden sich außer den Reichstags­abgeordneten der Partei, den Vertrauensleuten, Gewerkschaftsführern und den zahlreichen Mit­gliedern der einzelnen Wahlkreise von Groß-Berlin, Deputationen aus dem In- und Auslande. So waren Abordnungen aus Oesterreich, Rußland, England und Holland anwesend. Unter den Klängen des Chopinffchen Trauermarsches setzte sich der Trauerzug um 1 Uhr in Bewegung. An der Spitze der Kranzdeputation marschierten Frauen, die einen gewaltigen Kranz trugen, der von den sozialdemokratischen Frauen Deutschlands gewidmet war. Nur ein beschränkter Teil des Trauer- gesolgcs fand Zutritt zur Leichenhalle auf dem Friedrichsfelder Kirchhof. In der Halle ergriff zuerst Bebel das Wort, um seinem Schmerze darüber Ausdruck zu geben, daß die Reihen seiner alten Kampsgenoffen lichter und lichter würden. Nun sei der beste, tapferste und ausdauerndste, Ignaz Auer, auch dahin gegangen. Bebel gab dann einen Ueberblick über den Lebensgang des Verstorbenen. Ein Sohn des Volkes sei er gewesen, vom ersten Gedanken bis zum letzten Atemzuge. Dann feierten Dr. Adler-Wien, Bibant-Holland und Rosa Luxemburg als Vertreterin der russischen Genossen die Verdienste des Heimgegangenen um die Partei und die Arbeiterschaft. Als dann der Sarg in die Gruft gesenkt wurde, trat zuerst Singer heran und rief dem Toten ein letztes Lebewohl nach Die Kranzträger legten nun unter kurzen Widmungsworten den Kranz mit Blumenspenden nieder, worauf der endlos lange Zug am Grabe vorüberdefilierte.

Berlin 16. April. Der sozialdemokratische Parteivorstand veröffentlicht imVorwärts" einen Aufruf an die Parteigenossen über die Be- teiligung an der Maifeier. Es wird darin gesagt:Der Satz in der Resolutton des Mann- heimer Parteitags, daß die allgemeine Arbeits- ruhe dort entreten soll, wo die Möglichkeit der Arbeitsruhe vorhanden ist, zeigt, daß der Partei­tag der Meinung war, daß die Arbeitsruhe keine unter allen Umständen durchzuführende Forderung ist. Parteigenossen! Wir vertrauen auf Eure Einficht und Klugheit; wir erwarten, daß ihr die Verhältnisse prüft und eine Entscheidung trefft, die Ihr vertreten könnt. Mögen immerhin dort, wo ihr in einem ungleichen Kampf oder einem Kampf, dessen Opfer den Erfolg nicht lohnen, aus dem Weg geht, Eure Feinde Euch höhnen. Bewahrt Eure Kaltblütigkeit; ihr Hohn ist nur der Ausdruck ihres Aergers darüber, daß Eure Klugheit der Anwendung ihrer Brutalität keine Gelegenheit bietet." Am Schluß des Aufrufs heißt es trotzdem:Die Maifeier ist Gemeingut des Proletariats geworden und bleibt es den Gegnern zum Trotz. Hoch der erste Mai!"

Cuxhaven 15. April. Der Wörmann- dampferGertrud Wörmann", der am Sonntag abend mit 600 Mann Truppen aus Südwest­afrika eingetroffen war, fuhr nach Landung der Truppen nach 1V- Uhr nach Hamburg weiter. Beim Passieren der Rhede von Altenbruch rannte der Wörmanndampfer gegen die dort ankernde eiserne viermastige BarkWanderer" aus Liverpool. Der Segler wurde am Bug so schwer getroffen, daß er sofort zu finken begann. Die Besatzung, 19 Mann, ruderten in das Dunkel der Nacht hinein. Der SchleppdampferLome" nahm sofort die finkende Barke ins Schlepptau und brachte sie aus dem Fahrwasser, worauf die Barke in niedrigem Wasser sank. Nach langem Suchen fand man da- Boot mit den Schiffbrüchigen.

Der Wörmanndampfer hat erheblichen Schaden am Bug erlitten, konnte aber die Fahrt nach Ham­burg fortsetzen.

Rom 15. April. Der Papst hielt heute früh im Konsistorium eine Ansprache, die sich ausschließlich auf Frankreich bezog. Er sagte, er empfinde den Zwist mit Frankreich um so schmerz­licher, als er die Freuden und Leiden jener edlen Nation als seine eigenen betrachte. Die Regierung suche den letzten Rest von Religiosität aus dem Herzen des Volkes zu reißen. Sie scheue nicht einmal vor einem Rechtsbruch zurück, der zugleich ein Hohn auf die französische Höflichkeit sei. In der Ansprache wurde besonders der wiederholte Ausdruck Liebe zur französischen Nation bemerkt, womit der Papst sich offenbar von dem Vorwuf, ein allzugroßer Deutschenfreund zu sein, rein waschen wollte. Die Angelegenheit Montagnini wurde nur kurz gestreift.

Paris 15. April. Der radikale Bürger­meister von Orleans erläßt eine Erklärung, worin er lebhaft bedauert, daß das diesjährige Maifest zu Ehren der Jungfrau wegen des unter­drückten öffentlichen Auszuges der Geistlichkeit seinen historischen Charakter einbüßen werde. Monsignore Touchet, Bischof von Orleans beklagt gleichfalls, daß das Zeremoniell der seit 1432 in aller Pracht zum Nutzen der Stadt gestatteten Festlichkeit aufgehoben wurde, vertraut aber auf die Zukunft.

London 16. April. Aus NewDork wird gemeldet, daß die beiden mexikanischen Städte Chilpancingo undChilapa durch ein heftiges Erdbeben vernichtet wurden. Von beiden Städten blieben nur Trümmerhaufen übrig. Bisher wurde festgestellt, daß 11 Personen ge­tötet und 27 verletzt wurden. Man befürchtet aber, daß noch viele Personen unter den zer­störten Häusern liegen. Unter der ganzen Be­völkerung herrscht große Panik. Alle flüchteten nach dem flachen Lande außerhalb der Stadt. Das Erdbeben wurde in allen Teilen Mexikos verspürt. Auch die Hauptstadt City wurde derart erschüttert, daß die Einwohner aus den Betten sprangen und auf die umliegenden Felder flüchteten. Die Mauern der Häuser krachten und große Risse zeigten sich in den gepflasterten Straßen. In anderen mexikanischen Städten entstand aus dem­selben Grunde ähnliche Panik. Seit einem Viertel- Jahrhundert wurde kein Erdbeben von ähnlicher Stärke verspürt.

Petersburg 16. April. Admiral Nebo- gatow hat seine 10jährige Festungshaft in der Peter-Paul-Festung zu Petersburg nunmehr an­getreten. Eine große Zelle wurde ihm angewiesen und ihm gestattet, täglich größere Spaziergänge im Garten wie im Gebiet der Festungswiese zu übernehmen. Diebarmherzige SchwesterSubow, die in einem Petersburger Hospital angestellt war, machte einen Selbstmordversuch, bei dem sie sich lebensgefährlich verwundete. Bei einer bei ihr vorgenommenen Haussuchung hatte die Polizei eine Menge Bombenhülsen, Gewehre und anarchistische Schriften gefunden.

Vermischtes.

Gothaer Lebensversicherungsbank auf Gegenseitigkeit. Nach vorläufiger Feststellung wurden von der Gothaer Bank im Jahre 1906 neue Versicherungen über 58 Millionen Mark (1905: 55'/« Mill.) abgeschlossen; es ist dies der höchste Neuzugang, den die Anstalt in einem Jahre erzielt hat. Tie Sterbefallsummen sind mit 16'/- Millionen Mark gegen das Vorjahr (17ft° Mill.) um reichlich fünfviertel Millionen zurückgeblieben, obwohl rechnungsmäßig an derartigen Summen ungefähr eine halbe Million mehr als für 1905 zu erwarten war. Nach Abzug aller Abgänge durch Tod und bei Lebzeiten erhöhte sich der Gesamt­bestand an eigentlichen Lebensversicherungen bei der Bank auf 921 Millionen Mark. Vertreter: Fr. K ü b l e r.

Kommet zum Hürnen!

(Aus der Deutschen Turnzeitung.)

Mit diesem Ruf wenden wir uns an die g e- samte Bevölkerung vor allem aber an unsere Jugend.

Nickt die Angehörigen einzelner Stände und Berufsklassen nur, sondern alle unsere Volksgenossen sollen des Segens der Turnerei teilhaftig werden. In diesem Sinne hat Jahn, der Schöpfer des deutschen Volksturnens, dieses ins Leben gerufen, in diesem Sinne hat die Deutsche Turnerschaft seit Jahrzehnten mit Erfolg für die Verbreitung der Turnsache gewirkt. Und in der Gegenwart tut es mehr als je not, daß die weitesten Kreise unseres Volkes für die im wahrsten Sinne volkstümliche Sache des Turnens gewonnen und begeistert werden.

Die Anforderungen, welche unsere Zeit an die körperlichen und die geistigen Kräfte, an die Tatkraft und Entschlossenheit jedes einzelnen stellt, werden immer größer. Gegenüber der einseitigen Inanspruchnahme und den gesteigerten Anforderungen des Geschäfts- und Berufslebens muß mit allem Nachdruck hingewiesen werden auf das Turnen, als eines wirksamen und ausreichenden Gegenmittels gegenüber den Nachteilen, die jene Zustände im Gefolge haben. Es gibt dies bestätigen auch viele unserer bedeutendsten Aerzte kein System, welches in seinem Aufbau so trefflich, in seinen Hebungen so reichhaltig und in seinen Wirkungen und Erfolgen so hervorragend ist, wie unser deutsches Turnen. Alle nur denkbaren Uebungsgattungen: Marsch, Lauf und Sprung, Klettern. Werfen, Ringen und Fechten, Frei- und Gerätübungen und nicht zu­letzt Wandern, Spiel und Sport finden in unserem Turnen eine ausgiebige und sorgsame Pflege und verleihen ihm einen ausgeprägt volkstümlichen Charakter.

Der außerordentliche Reichtum und die Mannig­faltigkeit der Uebungsformen, die Fülle der alters- und kraftgemäßen Stufenfolge, die aus der tur­nerischen Fertigkeit und dem Lebensalter sich er­gebende Einteilung in entsprechende Riegen ermög­lichen es jedem, ob er jung oder alt, ob er mehr oder weniger für die Ausübung der Turnkunst veranlagt ist, sich den Hebungen zu widmen, die seinem Bedürfnis und seiner Fähigkeit entsprechen und eine harmonische Ausbildung des Körpers ge­währleisten. allerdings in um so höherem Grade, je früher mit dem Turnen begonnen, je regelmäßiger und geordneter eS betrieben wird. Ein solckes, von richtigen nnd erprobten Grundsätzen geleitetes Turnen kräftigt den Körper und dessen Gesundheit, es fördert Gewandheit, Be­hendigkeit und Schönheit des Leibes, stählt die Willenskraft, erzielt zur Selbstbeherrschung, stellt das verloren gegangene Gleichgewicht zwischen Körper und Geist wieder her, erzieht und belebt einen jugendfrischen, frohen und fröhlichen Sinn und erzeugt somit jene Eigenschaften, die jeder in dem erschwerten Kampf um das Dasein heute mehr als je benötigt, die uns aber andererseits auch die Erfüllung derjenigen Pflichten erleichtern, die wir der Gesamtheit gegenüber schuldig sind.

Das Leben auf dem Turnplatz hat aber auch sonst noch eigenartige und anziehende Reize. Standesunterschiede und Klassengegensätze darf es auf dem Turnplätze nicht geben. Das Turnen soll vielmehr als ein Mittel dazu dienen, die Unterschiede, welche das Leben Hervorrust, tunlichst auszugleichen und ein gegenseitiges Sich- verstehen, ein Jneinanderleben der verschiedenen Stände, Konfessionen, Alters- und Bildungsgrade zu ermöglichen. In heiterem, ungezwungenem Verkehr lernt man sich gegenseitig verstehen, achten und wertschätzen, und so bewirkt die Turnsache bei denen, die sich ihr ohne Voreingenommenheit hin­geben, eine Versöhnung schroffer Gegensätze und trägt damitbei zu jenem sozialen Ausgleich, dessen Lösung zur Zeit im Vordergrund steht für alle die, denen es ernst ist mit Förderung des Gesamtwohls unseres Volkes.

Dies alles trifft aber freilich nur da zu, wo daS Turnen betrieben wird um seiner selbst und um der guten Folgen willen, die es mit sich bringt, nicht aber da, wo es alsWaffe im Kampf des Proletariats um die ökonomische und politische Macht" mißbraucht, wo es mit Zielen verknüpft wird, die seinem eigentlichen innersten Wesen völlig fern liegen; dennes kann nur da seine reichen Früchte ent­falten, wo es als ein Mittel betrachtet wird, dem Vaterlande ganze, tüchtige Männer zu erziehen, wo jedwede politische Parteistellung den Turnvereinen unbedingt fernbleibt," der einzelne mag sich sein politisches Urteil bilden und seine Ueberzeugung an geeigneter Stelle betätigen und für dieselbe eintreten, aber niemals bei turnerischen Anlässen. Dies war, ist und bleibe auch für alle Zeiten der grundlegende Leitsatz der Deutschen Turnerschaft.

Was diese groß gemacht und deren Bestrebungen gefördert hat, ist nicht die Vertretung einzelner Standes- und Klasseninteressen, es sind vielmehr die segensreichen Folgen, die sich für den einzelnen und für die Gesamtheit für Familie, Gemeinde und Staat aus der Turnsache ergeben, es sind