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Eonberbetlage der RS. Prelle Württemberg

1WZ

Rheinland nab Rheinlünder

Das Land der Elödte und der Sndultrie

Beim Nebergauge des RhemlandeS an Preußen im Jahre >915 war die Bevölkerung nicht ganz zwei Millionen stark, von denen der allergrößte Teil noch ländlich-bäuerlich gerichtet war. Eine Stadt wie Wen (Ruhr) trug damals fast noch ländlichen Charakter. Heute beträgt die Zahl der Bevölkerung Rheinlands im engeren Sinne über 7 Millionen. Erheblich mehr als die Hälfte dieser wohnt in Städten, ist also rn Lebensgewohnheiten und Lebens­formen städtisch-bürgerlich gerichtet.

Schroffe Gegensätze bildeten und bilden der Trierer und Düsseldorfer Bereich. Ersterer wies 1910 noch 78.81 Prozent Landbewohner gegen 21,19 Prozent Städter auf, letzterer 27,67 Pro­zent ländlich-bäuerliche Bevölkerung gegen 72,33 Prozent städtische.

Die größte Umwälzung in der Zusammen­setzung der Bevölkerung vollzog sich und voll­zieht sich am Niederrqein. Dort, wo wertvolle Bodenschätze, wie Steinkohle. Kali- und Natriumsalz, neu erschlossen wurden und im Bergbau gewonnen werden, drang gleichzeitig die Industrie mit Riesenschritten vor. Sie formte den landwirtschaftlichen Grundcharakter oes Kreises vollständig um, zerstörte weite Teile der naturschönen, traumversunkenen nie- derrheinischen Landschaft, vernichtete Wald- und Grünland und löste vielen die unmittel­bare Verbindung mit der Natur. Eine ähnlick)e Entwicklung vollzog sich in derVille" im Kölner Bereich. Hier bewirkte der Abbau der Braunkohle, daß Wälder, Wiesen und Aecker schwanden, und an deren Stelle Werke und neue Siedlungen sich ausbreiketen. Vor allem ist auch hier die Umbildung von ehedem rein ländlichen Siedlungen seit Jahren im Gange. Im ganzen ergibt sich aus den Bevölke- rungSzahlen der letzten 50 Jahre, daß im Rheinland der Zug zur Bildung von Stodt- gemeinden und der Uebergang zu städtischen Lebensformen immer größer wurde.

Ein Drittel der deutschen Großstädte liegt nahe am Rhein. Das äußere, mit wirtschaft­lichen Vorteilen verknüpfte Wachstum und die zunehmende Zivilisation mit ihren das äußere Leben verbessernden Formen der Städte und Großstädte trieb auch kleinere Plätze, vielfach sogar auch rein ländliche an,Hndustriegelände und Fabrikterrain" anzubieten, um sich zu ver­größern und Einnahmequellen zu gewinnen. Eine neue Gründungszeit setzte ein, wohl zum äußeren Vorteil, aber sehr zum Nachteil für die innere Vonskultur. Machtvoll heran­gewachsene Städte greifen unentwegt weiter wie mit gierigen Fangarmen um sich und schließen auf dem Wege der Eingemeindung oft viele Kilometer weit entfernte Vororte und Siedlungen ein, glückliche Fluren in Steinöden umsetzend. Mil den aus den Tiefen steigenden Kohlenmengen und mit der immer mehr ins Weltwirtschaftliche gehenden Entwicklung bil­deten sich ruhig friedliche Siedlungen ins Große, umgeben von einem Gewirre von Zechen und Fördertürmen, Hütten und Hoch­öfen, Fabriken und Lagerplätzen, Personen- und Güterbahnhöfen. °

Auf diese Weise ist das Bild ganzer Teile der rheinischen Landschaft, die noch vor 50 und erst recht vor 100 Jahren mehr den Ausdruck der fränkisch-mittelalterlichen Zeit trug, vollständig verändert worden und in den Großstädten mehr und mehr ins Internationale, Weltwirtschaft­liche gekehrt. Von dieser Veränderung sind die im Weichbilde und in Verkehrsnähe der Städte/ gelegenen ländlichen Teile seit den letzten Jah­ren nicht unbeeinflußt geblieben. Aber auch in Kreisen, die bis jetzt wenigstens abgeschlossen vom Hauptverkehr und von aller Verbindung mit einer Großstadt oder einem Industrie­zentrum lagen und noch liegen, machen sich Wandlungen bemerkbar, die unausbleibliche Folge der Anpassung an städtische Lebens­formen. Soweit cs sich hierbei um das Ver­schwinden oder die Schwächung eigenen, ur­sprünglichen Lebens- und Formwillens handelt, um die Unterdrückung der kraftspendenden hei­ligen Volksgüter, muß man diese Wandlungen beklagen. Die darin liegende Gefahr wird durch die Lcbensnot, die gerade in solchen Kreisen unter Kleinbauern herrscht, gestärkt. Um diese Not zu bannen, wandern seit Jahrzehnten wertvolle ländlich-bäuerliche Bolkstcile ab. Seil vielen Jahren arbeiten Eifeler, Westerwälder und Hnnsrücker in Gruben und Fabriken.Im Niireland (Niederland, d. i. Niederrhein) schaffe", sagte man vor dem Kriege auf dem Hunsrück, wenn man im Industriegebiet arbei­tete. Als die böse Zeit der Inflation kam,

ivandten sich Hunsrücker ins Land derFran­ken", ins Saargebiet, als der Frank noch hoch stand, und konnten dann alsFrankeleit" sich mancherlei Annehmlichkeiten gönnen. Im Jahre 1922 wanderten aus einer Gemeinde der Bürgermeisterei Münstereifel des Sonntags 55 Prozent der männlichen Bevölkerung in das Braunkohlengebiet ab, um die Woche hindurch

den ihnen und ihrer Familie notwendigen Lebensunterhalt zu gewinnen. Aus dem Kreise Monschau fuhr und fährt täglich eine große Zahl Männer nach Aachen und Stolberg. Am stärksten wandert und wanderte man aus den besonders armen Eifelkreisen Daun und Prünn ab. Unter diesen Abwanderungen sind Inhaber kleinbäuerlicher Betriebe, aber auch Landwirte, die zwanzig und mehr Morgen Land bewirt­schaften. Sie können auS der Ackerwirtschaft ihre Familie nicht ernähren. Bor allem gehen die Söhne von Kleinbauer« in die Industrie. Die einen sehen des Samstags und Sonntags ihre Familie wieder, die anderen erst nach Monaten.

Nliciubogcn bei Oberwelcl

H. Rclsferschew

Rheinisches Volkstum nach Stammesaek u. Arbeit

Man weiß ln den einzelnen rheinischen Landschaften sehr wohl, daß nicht alle, die sich Rheinländer nennen, einander gleich ge­staltet und geartet find. Zwei große Grup- Pen von Menschen heben fich schon äußerlich durch die Art zu wohnen voneinander ab. Dem niederrhetnischen oder niederfränkischen Bauerntum war und ist noch die einsame, ab­geschlossene Einzelfiedlung mit dem einräu- migen Hause, dem besonderen Merkmal des niederdeutschen Volkstums, eigen. In den mittelfränkischen Landesteilen, im Ripuarier- uno Mosellande, liebt und liebte man gesel­ligeres Zufammenwohnen in Form von Dör­fern, meist Haufendörfern, deren Gehöfte durch Verteilung der Wohnung. Ställe und Scheunen aus mehrere um einen Hof recht­winklig geordnete Gebäude hervorlreten.

In ähnlich schwieriger Lage befindet sich der, welcher das rheinische Volkstum nach seinem Wesen, Sinn und Geist betrachten will. Hierbei sind geschichtliche Grundlagen. Ein- und Zuwanderungen, natürliche Um­gebung. Tätigkeit und soziale Stellung wohl

Jahrhunderten urbar machte. Schon dieser Frankenbund war ethnographisch kein ein­heitliches Gebilde. Roch heute zeigen die Nie­derfranken am Riederrhein eine andere Art als die Mosel- und Rheinsranken. Das Volk im Lande Kleve und Geldern zeigt in seinem Wesen mehr die Art der westlichen Nieder­länder und östlichen Westfalen, also nieder­deutsche Art. Die Bevölkerung von der süd­lichen Abdachung der Eifel und dem Mofel- lande, aus dem Rhcingau, aus Rheinhesfen und der Rheinpfalz verrät mehr oberdeut­schen Charakter, ist lebendiger, feuriger in Haltung. Blick und Rede. Auch der ripu- arische Franke im Kölner, Jülicher und im Belgischen Lande rechts des Rheins hat sein besonderes Wesen, ist innerlich und äußerlich gemessen behender als der Mann aus dem Lande der schwergetakelten Mühlen, aber sanftmütiger als der in forscher Leidenschaft- lichkeit rasch auflodernde Nheinfranke (im Nheingau und in der Pfalz).

Auch ist zu beachten, daß die einzelnen Stammesgruppen ie nach dem Landstrich und

«öl» am Rhein

zu

. berücksichtigen. Der Kern des rheinischen Volkes gehört dem alten germanischen Fran- kenbnnd an, der im 5. Jahrhundert endgültig die rheinischen Stromlandschaften von der niederländischen Grenze bis zum oberrheini­schen Elsaß besetzte und in den folgenden

Kurt Derckum

der Stromnähe oder Stromferne stärkere oder schwächere Abstufungen und Unterschiede im Charakter und in der Physiognomie auf- weisen. Daß zwischen Eifeler, Hunsrücker. Westerwälder und Pfälzer Gebirgsbauern Unterschiede bestehen, bedarf kaum eines Hin­

weises. und ebenso ist wohl kaum norwendig besonders zu betonen, daß zwischen dielen Gebirgsbauern überhaupt und Bauern aus dem Nahetal und Wtnzerbauern von der Mosel Gegensätze vorhanden sind und daß alle diese sich von den Bauern der Erft und des Niederrheins unterscheiden. Eine wesent­liche Grundlage für deren Unterscheidung bilden der Boden und die Bodenkultur und- üderhsupt dir wirtschaftlich-soziale Lage. Aber auch innerhalb eines jeden einzelnen dieser Landes- und Bolksteile weiß man. daß nicht alle Zugehörigen aus dem gleichen Holze geschnitzt find.

Der Hunsrücker vom .Liwerschde" Ober­sten Hunsrück) ist anders als der vom ..Jiwerwald": anders ist wiederum der aus dem Soon. anders der vom .Hrer" lJdar- wakd). Die Bevölkerung des Kreiies Prüm in der Eifel fühlt sich nach ihrer Mundart und ihrem Wesen verschieden von dem Volk der anstoßenden Bezirke, von dev Leuten der Jskeng (Oesling) im Westen von den ..Hannebescher" (Hinterwäldler, aus der Be­zeichnung hannert dem Besch, hinter dem Busch. Wald). Mit diesen Beispielen sind die hervorstechenden Gegenden und Bolksteile des Eiiellandes keineswegs erschöpft.

Im saarländischen Dolksteil macht sich beim ersten Betrachten und Dergleichen eine Zweiteilung bemerkbar die schon deutlich an den beiden Mundarlbezirken. dem Mosel- fränkischen und dem Pfälzisch-Rheinsränki- schen. zu erkennen ist.

Im Westerwald könnte man vielleicht viel Gebiete voneinander unterscheiden von denen das südlich Montabaur gelegene eine geistig bewegliche ..rheinische" Bevölkerung aus­weist. das nördlich von Montabaur sich bis Westerburg hinziehende mehr ländlicher, bäuerlicher beschaffen ist. während der von Westerburg an beginnende hohe Westerwald echte Dauern von altem Schrot und Korn trägt. Wer das Belgische Land kennt, weiß, daß hier ähnliche Gruppierungen möglich sind. Jeder aber, der einmal offenen Auges beide Gebirgsländer durchwanderte, wird er­kannt haben, wie vielerlei durch geographische Grundlagen, geschichtliche Vorgänge und wirtschaftliche Verhältnisse gesonderte und in der Physiognomie, im Charakter und in der Sprache unterschiedliche Teile und Teil- chen die Hauptgrnppen auch in diesen Ge- birgsländern zeigen.

Und was soll man von ver Fülle und Reichhaltigkeit der Volksgruppen am Nieder­rhein sagen! Die Menschen in und um Tüsiel- dorf, Duisburg, Mesek und Emmerich sind jedesmal anders geartet, und am linken Niederrhein bilden die Selfkant lGrenzstrich im Westen etwa von Herzogenrath bis Er- kelenz). das Riersgebiet mit seiner landschaft­lich und wirtschaftlich eigenartigen Struktur, die Grafschaft Mörs. das Gelderland und der Kern des alten Herzogtums Kleve im gewissen Sinne anch noch jedesmal andere Volks­gruppen.

Das Arbcits- und Berufsleben, vas viel­leicht nirgendwo mannigfaltiger ist als im bringt nicht zuletzt jedesmal eine nWWesondere Note in Wesen und Sinn wie auch in die Körperbildung. Auch hierfür kön- nen nur wähl- und regellos Beispiele heran­gebracht werden. Tie Bewohner des mittleren und oberen Saarlandes gehören meist dem Arbriterstand an und sind zum Teil Berg­arbeiter. An der mittleren Saar besonders treiben Gerber ihr Handwerk und zeichneten sich stets in Kleidung und Haltung, in Sprache und Gebärden aus. Die breite schwere Gerberfaust war und ist sprichwörtlich. Saar­schiffer sind derb und grob, freilich nur äußerlich, denn in Wirklichkeit haben sie ein weiches Gemüt und sind mitteilsam. Auf dem Hochwald, dem rauhen und düsteren Wald­land. bildete sich in den Menschen der Wald- hüttendörser ein zäher, schwerblütiger Schlag heran. Das Wesen des kleinen Moselbaners, d. i. des Moselwinzers, erscheint verschlossen und arm an Mitteilsamkeit. Die Enge »nd Tiefe des FlußtaleS mag daran Schuld tragen. Die Berge mit dem grauen, stumpfen Einerlei der vielstöckigen Wingertchöre haben langsam, durch Geschlechter hindurch, den ein­zelnen Menschen es anerzogen, deren ganzes Wesen sich der grauen Oedheit angepasi! hat. So seltsam cs auch dem frohen Zecher klingen mag; in ernstem stummem Schaffen, in har­ter, verdrossener Arbeit zieht das Leben des Moselwinzers dahin, »nd danach ist sein Sinn gestaltet.

(Aus: Rheinisches Volksleben, von Pros Dr. A. Wrede M. Du Mont-Schaubergsche Bnchhnnd- lung, Köln.)