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Die alte, enge und winklige Stadt Plouvenec, auf einer Insel gelegen, die von einem breiten Meeresarm umspült wurde, war mit dem jüngeren Dorfe gleichen Namens nur durch eine Zugbrücke verbunden. Die Festung selbst war ein wunderlicher, unschöner Ball, der mancherlei hätte berichten können. Fünf Jahrhunderte lang hatte sie in der Geschichte der Bretagne, während der zahlreichen Kriege, die das Land verheerten, eine wichtige Rolle gespielt; Du Sassolin, koban und andere tapfere Feldherren hatten sie ihrer Zeit belagert und eingenommen. Alte Ueberlieferungen erzählen auch, nicht gerade zum Ruhm der Festung, daß sie im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert ein Zufluchtsort für Diebe, Landstreicherund ritterliche Tunichtgute gewesen sei. Diese Zeiten waren jedoch längst vorüber. Jetzt drang kein Kriegslärm mehr bis zu dem schläfrigen kleinen Jnselfort, von dessen grasbewachsenen Wällen man die weite Wasserfläche überblickte, aus der nur friedliche Fischerboote dahinsegelten.
Hamor schleuderte die lange Dorfstraße hinunter. Auf der einen Seite zog sich eine Reihe kleiner weißer, spitzgiebliger Häuser hin, die andere bildete den Quai von Plouvenec. Zahlreiche Boote ankerten hier; der Wind bewegte die Fischnetze, die an den Masten zum Trocknen aufgehängt waren, daß sie gleich Schatten hin- und herhuschten. Weiter unten reihten sich kleine Verkaufsbuden am Quai entlang. Ein scharfer Salz, geruch erfüllte die Luft, und die Wellen der zurückströmenden Flut wühlten ungeduldig an den Grundmauern des Granitdammes. Die Straße lief um eine Landspitze herum und mündete in den breiten Weg an der Meeresbucht.
Eine zahlreiche Menschenmenge stand dort, auf das Einlaufen der Hunderte von Fischerbooten harrend, die ihr Nahrung, Arbeit und Handel bringen sollten. Mit diesen Booten, die gleich einer Schar großer, majestätischer Vögel langsam heranglitten, zog das Leben in Plouvenec ein. Der Abendschein glänzte auf ihren mattroten Segeln und verlieh ihnen einen leuchtenden, wärmeren Ton. Fern am westlichen Horizont hing der Sonnen- ball und warf beim Scheiden einen breiten, goldenen Strahl wie eine Lichtsäule über die Wasserfläche, der sich in den üppig wuchernden Massen gelben Seetangs verlor, womit die großen Felsen zu Hamors Füßen bedeckt waren. Zarte rosige Wölkchen schwebten über ein fernes Vorgebirge. Weit im Westen schimmerte die lange Küstenlinie.
Auf der nieder» Mauer, die Weg und Bucht von einander schied, saßen Gruppen strickender Weiber, die plaudernd und scherzend einander Klatschgeschichten erzählten und dabei von Zeit zu Zeit in lautes, lärmendes Lachen ausbrachen. Es waren meist Fischermädchen, welche in der großen Sardinenhandlung, die an der Straße lag, Beschäftigung fanden. Halb unbewußt lauschte Hamor, der auch auf der Mauer Platz genommen hatte, ihrem Gespräche. Sie erschienen ihm wie ein Teil der Landschaft selbst. Ihre Hauben waren Flecken von glänzendem Weiß, die verblichenen Farben ihres Anzugs machten sich prächtig ans dem grauen Gestein. Dann schweifte Hamors Blick auf die Bai hinaus. Er sah die Sardinenboote, einen langen Zug von Fischerbarken, die vom leichten Seewind getrieben langsam auf den Quai zusegelten. Der Wind wehte aus der Richtung der I-aumcms her, jener öden Inselgruppe am fernen Horizont, von wo soeben ein Heller Schein herüberblitzte — das Licht des Leuchtturms sandte seinen freundlichen Gruß aus der Seemannswelt.
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Der junge Maler war in tiefes Nachdenken versunken. Er stellte Betrachtungen über verschiedene hübsche Mädchen seiner Bekanntschaft an, und überlegte bei sich, ob sie wohl auch wirklich ganz so reizend seien, als sie ihm erschienen waren. Er dachte auch seines wilden Lebens in Californien und wie er dort einmal Monate hindurch in wortloser Anbetung und Bewunderung zu den schneebedeckten Gipfeln des Mount Shasta aufgeblickt hatte, es ihm jedoch niemals in den Sinn gekommen war, an der Schönheit dieser Naturwunder zu zweifeln. Hamor vergötterte die Natur, ein Weib hatte er noch niemals vergöttert. —
Langsam weiterschreitend, warf er einen prüfenden Blick auf die Strickerinnen, die Frauen, Schwestern und Töchter der rauhen Seeleute, die zur See wacker arbeiteten, und am Lande wacker zechten. Viele von diesen Frauen und Mädchen, gewiß die meisten, waren rein und unschuldig im Denken und Tun, aber unlautere Einflüsse umgaben sie von der Wiege an. Rohe Mißhandlungen, Trunkenheit, Fluchen und Schwören sahen und hörten sie von früh auf; der Anblick des Lasters war ihnen vertraut, wie dem glücklichen Kinde das Antlitz der Mutter und ihr süßes Wiegenlied. Sie kannten kein anderes Leben und waren durch die Gewohnheit abgestumpft gegen Auftritte, bei denen einem jungen Wesen das Blut in den Adern erstarren sollte. Von dem Glück einer sorgsam behüteten Kindheit wußten sie nichts, die Zucht und Sitte, in der andere junge Mädchen aufwachsen, war ihnen fremd. Und doch sah man unter den Strickerinnen dort auf der Mauer Gesichter von einer Reinheit und Vornehmheit der Züge, wie die einer jungen Fürstin, Augen, die zwar keck, aber doch ehrlich und offen in die Welt blickten, elastische Glieder, die von Jugend und Gesundheit zeugten. Sie alle trugen den einfachen, schönen Kopfputz, der auch dem härtesten, gewöhnlichsten Gesicht einen gewissen Reiz verleiht, und einem frischen, jugendlichen Köpfchen einen unbeschreiblich anmutiger! Anstrich gibt.
Hamor vertiefte sich bei seinen Betrachtungen nicht etwa in psychologische Probleme, er ließ nicht das innere Leben dieser Menschen, ihre Leiden und Freuden vor seinem Geiste vorüberziehen. Künstlerischer Enthusiasmus bewegte ihn einzig und allein. Er war entzückt von ihren Formen und Farben; sein befriedigte« Schönheitsgefühl spiegelte sich in dem freudigen Ausdruck des jugendlichen Antlitzes, in welchem Uneingeweihte vielleicht fälschlich persönlichen Anteil oder Bewunderung lasen. Auch die Frauen mochten wohl den Blick seines Auges mißverstehen
Ihr Gekicher und ihre Bewegungen bewiesen nur zu deutlich, daß sie sich der Gegenwart des schönen jungen Herrn bewußt waren.
(Fortsetzung folgt.)
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