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Tagesueuigkeiteu.

* Calw 3. März. Die am Freitag abend im Badischen Hof abgehaltene Versammlung, in der Privatdozent Dr. Ohr in Tübingen einen Vortrag über die Ei ni g u n g d e s L i b e r a l is - mus hielt, nahm einen sehr lebhaften und zum Teil erregten Verlauf. Den Vorsitz in der Versamm­lunghatte Bauinspektor Schlierholz übernommen, der in einer kurzen Ansprache sich als nationaler und liberaler Nichtparteimann bezeichne te und die Zeit für gekommen hält, daß auf eine Einigung der liberalen Elemente hingearbeitet werde. Dr. Ohr betonte in seinem Vortrag zunächst, daß der Liberalismus ohne Einigung nicht mehr zur Geltung gelangen könne und hierauf gab er den Weg an, auf welchem eine Einigung zu erzielen sei. Zwischen der Demokratie und der Deutschen Partei seien früher die schärfsten Gegensätze bestanden, diese hätten aber an Schärfe bedeutend verloren, da die Demokratie ihre partikularistischen Ansichten gemildert und sick modernisiert habe. Es sei sebstverständlich, daß sich die Gegensätze der Par­teien nicht von heute auf morgen ausgleichen, daß eine Einigung nicht plötzlich gehofft werden dürfe. Zunächst sei eine Verständigung anzubahnen, daß die liberalen Parteien später zusammenstehen können, um nicht vom Zentrum, von den Agrariern und den Sozialdemokraten erdrückt zu werden. Der Einigung stehen allerdings gewisse Hinder­nisse entgegen, auch sei gegenwärtig ein Zusammen­gehen des Liberalismus mit der Sozialdemokratie nicht möglich. Es müsse übrigens dahin kommen, daß die Sozialdemokratie bündnisfähig werde, damit Zentrum und Konservative gestürzt werden können. Die Regierung komme jetzt dem Liberalismus entgegen, dieser Augenblick sei für die liberalen Parteien zu erfassen, kleinliche Rücksichten müßten fallen. Zwar hätte sich ein jungliberaler Verein gebildet und eine Annäherung an die linksstehenden Parteien angestrebt, aber ihre Ziele genügen nicht, da sie den Haß der deutschen Partei ge­erbt und keine großen Erfolge aufzuweisen hätten; das Gleiche gelte auch von den jungdemokratischen Vereinen. Notwendig sei eine neutrale liberale Organisation hauptsächlich für solche liberale Ele­mente, die bisher keiner Partei angehörten. In die liberale Partei können alle liberalen Männer aus anderen Parteien eintreten, die sich wenigstens zum sogenannten Frankfurter Mindestprogramm bekennen. Der liberale Gedanke müsse in die Wählermafse hineingetragen werden und bei Wahlen sei nicht so sehr auf Mandatshascherei zu sehen als auf Durchführung des liberalen Gedankens. Es sei vollständig gleichgültig, wie die Verhältnisse in einem Bezirk liegen; ohne Rücksicht auf die Eigentümlichkeiten des Bezirks sei den Wählern klar zu machen, daß die Politik nur nach großen Gesichtspunkten gemacht werden dürfe.' Die Einigung des Liberalismus hätten die liberalen

Vereine auf ihre Fahne geschrieben; in Württem­berg hätten sich schon 26 Vereine mit 3000 Mit­gliedern gebildet. Der Redner verbreitete sich nun des Nähern über einzelne Punkte des Frank­furter Programms und forderte nochmals alle entschieden liberalen Elemente zum Zusammen­schluß auf, aller kleinliche Parteigeist müsse fallen, wenn man nur über das Ziel einig sei, über die Wege dazu sollte man sich nicht allzu ereifern. Nach der Rede folgte freie Diskussion. Eugen Dreiß gibt den Grund an, warum er sich als Mitglied in den neu zu gründenden liberalen Verein eingetragen habe und macht den Vorschlag, allen Parteihader zu vergessen und gemeinsam dis liberalen Ziele zu verfolgen. Von jungliberaler Seite aus wurden nun die Ausführungen von Dr. Ohr aufs heftigste angegriffen und erbarmungs­los zerpflückt, namentlich wurde dem Redner von mehreren Seiten der Vorwurf der Doppelzüngig­keit gemacht. Amtmann Bazille-Stuttgart will verschiedene Jrrtümer richtig stellen. Dr. Ohr spreche bald so, bald anders, je nach der Zuhörer­schaft. Den liberalen Parteien sei es um eigent­liche Einigung nicht zu tun, ihr Hauptzweck sei, eine Organisation für die in Norddeutschland bestehende freisinnige Partei zu schaffen, die ganze Bewegung stehe durckaus aus nationalsozialem Boden und beurteile alles vom doktrinären Stand­punkt aus. Allerdings seien die Linke des Liberalismus im Reichstag endlich einmal national aufgetreten, es sei aber zu bezweifeln, ob diese linken Parteien auch fernerhin die natio­nalen Fragen so entgegenkommend behandeln werden. Dr. Ohr bewege sich nur in Phrasen, er wolle von einem Schutz der Landwirt­schaft gar nichts wissen und sei nichtsals ein Prin­zipienreiter, der vom Nationalsozialismus voll­ständig gefangen sei. Die Abschaffung der Lebensmittelzölle sei zu verwerfen, eine gesunde Schutzzollpolitik sei das einzig Richtige. Rechts­anwalt Wölz-Stuttgart wendet sich scharf gegen ein umlaufendes Gerücht, als ob er über ein bal­diges Ende der hiesigen jungliberalen Partei sich ausgesprochen hätte; das Gegenteil davon sei der Fall. Er nimmt für sich das Recht in Anspruch, daß er stets auf eine Einigung der linksliberalen und der jungdemokratischen Partei hingearbeitet habe und daß er auf dem Standpunkt stehe, die bürgerlichen Parteien sollten sich gegen Zentrum und Sozialdemokratie verbünden. Die Gründung einer liberalen Partei in einer kleinen Stadt wie Lalw sei vom Uebel, statt einer Einigung der Parteien werde daraus eine neue Zer­splitterung entstehen. Seiner Meinung nach sollen deutsche Partei und Demokratie zusam­menstehen und in praktischen Fragen gemeinsame Wege gehen; in dieser Beziehung wäre eine Einigung aufs wärmste zu begrüßen. Kaufmann St übler-Stuttgart weist die Angriffe von Dr. Ohr auf die jungliberale Partei nach­

drücklich zurück; diese letztere werde dem neuen Verein nicht beitreten, ihn im Gegenteil be­kämpfen; Dr. Ohr treibe einseitige Jnteressen- politik, seine Anhänger seien dieHilfe-Leser" und trotzdem die liberalen Vereine vorgeben, eine neutrale Organisation sein zu wollen, hätten sie doch überall für die Demokratie oder für die Sozialdemokratie gestimmt. Auf die scharfen An­griffe entgegnete Dr. Ohr in eingehender Weise und suchte die vorgebrachten Anschuldigungen zu entkräften und zu widerlegen. Er präzisierte widerholt seinen Standpunkt und glaubte, daß die Angriffe auf seine Person aus Mißverftänd- nisse zurückzuführen seien. Wie die Debatte der genannten auswärtigen Redner sich oft zum Siedepunkt steigerte, so waren auch die Aus­führungen der hiesigen Redner von einer sehr gereizten Stimmung beseelt. Die Mitglieder der jungliberalen Partei, Rechtsanwalt Wölz, Eisenbahninspektor Westermayer und Stadtpfleger Dreher, kamen mit dem Mitglied des liberalen Vereins, Oberreallehrer Dr. Müller, scharf ins Gefecht. Wir übergehen diese heftigen Aus­einandersetzungen, da sie für die Allgemeinheit kein Interesse bieten. Die Diskussion des Abends hat die Gegensätze zwischen der jungliberalen Partei und der neuen Partei nicht nur nicht ausgeglichen, sondern sogar verstärkt. Die per­sönlichen Anzapfungen wären noch mehr auf die Spitze getrieben worden, wenn sie nicht durch den glücklichen, schlagfertigen Humor des Vor­sitzenden erheblich gemildert worden wären. Post­sekretär Kauffmann, der eigentliche Gründer der neuen Partei, kann auf den Abend mit großer Befriedigung zurückblicken, da ihm die Gründung einer liberalen Partei nun gelungen ist. Er gab auch öffentlich seiner Freude darüber Ausdruck und schloß mit dem Wunsche, daß die neue Partei von gutem Erfolge begleitet sein möge. Die Versammlung nahm erst um Vsl Uhr ihr Ende.

Von einem Versammlungsteilnehmer er­halten wir über die Versammlung nachstehende Zuschrift:

Nun hat Calw auch einenliberalen Verein". Was er will, ist nach den Worten des Herrn Dr. Ohr aus Tübingen nur die Einigung der liberalen Parteien, welche gleich bei der gestrigen Versammlung angebahnt werden sollte. Nach den sehr sachlichen Ausführungen des Redners, welcher der nationalliberalen Partei und den jungliberalen Vereinen am Zeug flicken zu müssen glaubte, um dann sagen zu können, daß allein die Volkspartei Verständnis für die Zwecke der liberalen Vereine habe, ergriff ein Redner der jungliberalen Vereine das Wort, der vom Vorsitzenden in unfreundlicher Weise, von den Mitgliedern des neuen Vereins aber derart behandelt worden ist, daß leider sich wohl noch eine Klage wegen öffentlicher Beleidigung an den

Sie sind in vollem Gange und Silberstrahl steht mehr in Gunst als je."

Hm," meinte Holmes,irgend jemand muß das Publikum beruhigt haben» das ist klar."

Als der Wagen innerhalb der Umzäumung am großen Halteplatz vorfuhr, warf ich einen Blick auf das Programm, welches die Namenliste enthielt. Es lautete:

Wessex-PreiS, 5V Sovereigns, die Hälfte Reugeld für 4jähr. und 5jähr. Pferde. Zusatzpreis 1000 Sovereigns.

Zweiter Preis 300 L. Dritter Preis 200 LDistanz 2615 Meter.

1. DerNeger. Eigent. Herr Heath Newton (Mütze rot, Jacke zimmetfarben).

2. Gräfin Leah. Eigent. Oberst Wardlow (Mütze rosa, Jacke blau und schwarz).

3. DeSborough. Eigent. Lord Backwater (Mütze und Aermel gelb).

4. Silberstrahl. Eigent. Oberst Roß (Mütze schwarz, Jacke rot).

5. Iris. Eigent. Herzog von Balmoral (Mütze und Jacke schwarz und gelb gestreift).

6. Rasper. Eigent. Lord Singleford (Mütze lila, Aermel schwarz).

Wir haben unser zweites Pferd zurückgezogen und unsere ganze Hoffnung auf Ihr Wort gesetzt," sagte der Oberst.

Eben wird die Tafel mit den Zahlen angehängt," rief ich.Alle sechs stehen darauf."

Alle sechs! Dann läuft also mein Pferd auch?" sagte der Oberst in großer Erregung.Aber ich sehe es nicht. Meine Farben sind nicht dabei."

Bis jetzt sind nur fünf vorübergekommen. Dies hier muß es sein."

Als ich diese Worte sprach, trabte gerade ein mächtiger Brauner von der Wage her an uns vorbei; der Jockey auf seinem Rücken trug des Obersten wohlbekannte Farben, die schwarze Mütze und rote Jacke.

Das ist nicht mein Pferd," rief der Besitzer des Silberstrahl.Das Tier hat ja kein weißes Haar am Leibe Was haben Sie da angerichtet, Herr Holmes!"

Lassen Sie uns doch erst sehen, was es zu leisten vermag," sagte mein Freund mit unerschütterlicher Ruhe. Einige Minuten lang ließ er meinen Feldstecher nicht vom Auge.Vortrefflich! Ein ausgezeichneter Start!" rief er plötzlich.Da jetzt kommen sie eben um die Biegung!"

Von unserem Wagen aus konnten wir die gerade Bahn ihrer ganzen Länge nach prächtig übersehen. Die sechs Pferde waren ganz nah bei­sammen, man hätte sie alle mit einem einzigen Teppich bedecken können. Halbwegs kam jedoch der gelbe Jokey aus Capleton an die Spitze. Aber noch ehe die Renner in unserer Nähe waren, hatte des Obersten Pferd den Desborough überholt; es schoß wie ein Pfeil dahin und erreichte den Pfosten reichlich sechs Pferdelängen vor seinem Nebenbuhler. DieIris" des Herzogs von Balmoral folgte als drittes in geringer Entfernung.

Jedenfalls habe ich das Rennen gewonnen," stieß der Oberst keuchend heraus und fuhr sich mit der Hand über die Stirn.Aber kein Mensch kann daraus klug werden. Mir scheint doch, Herr Holmes, Sie haben Ihr Geheimnis nun lange genug für sich behalten."

Jawohl, Herr Oberst. Sie sollen alles wissen. Kommen Sie, wir wollen uns das Pferd zusammen betrachten. Da ist es," fuhr er fort, als wir die Umzäunung bei der Wage betraten, in der nur die Besitzer der Rennpferde und ihre Freunde Einlaß erhalten.Sie brauchen ihm nur das Gesicht und das Vorderbein mit Spiritus zu waschen, dann haben Sie Ihren alten Silberstrahl wieder."

Ist das möglich?!"

Ich fand ihn in den Händen eines Betrügers und nahm mir die Freiheit, ihn das Rennen so mitmachen zu lassen, wie er hierher geschickt worden ist."

Mein bester Herr, Sie haben Wunder getan. Das Pferd ist in vortrefflichem Zustand. So gut ist es noch nie gelaufen."

(Fortsetzung folgt.)