102 -v
auf den Straßen, insbesondere am Fastnachtsdienstag selbst, außerordentlich überhand genommen. Leider bleibt es nicht bei harmlosen Scherzen, sondern es werden auch völlig unbeteiligte Personen, namentlich Frauen und Mädchen in ungehöriger Weise belästigt. Die Beobachtung, die nach dem übereinstimmenden Zeugnis der Presse in den rheinischen Städten gemacht worden ist, daß der Karneval von jenen unsauberen Elementen, die in keiner Großstadt fehlen, als willkommene Gelegenheit zu grobem Unfug benützt wird, dürfte auch auf Stuttgart zutreffen. Sind auch die Zustände noch nicht io schlimm geworden, wie in den bisherigen Mittelpunkten des Karnevals, so ist doch sehr zu befürchten, daß jene Elemente, ermutigt durch die ihnen gewährte Freiheit, zu immer frecheren Ausschreitungen sich Hinreißen lassen. Es wäre deshalb sehr wünschenswert, wenn der Oeffentlichkeit in unzweideutiger Weise kundgetan würde, daß eine „Narrenfreiheit" in dem von schlimmen Leuten erstrebten Sinne in Stuttgart nicht existiere, sondern jedem der über die Straße geht, auch am FastnachsdienStag der Schutz der Persönlichkeit zugesichert wird.
Heilbronn 6. Febr. Der gewählte Reichstagsabgeordnete Dr. Fr. Naumann spricht in Heilbr. Blättern allen Demokraten, Liberalen, Deutschparteilern und insbesondere den Sozialdemokraten, die ihm trotz schwieriger Lage ihre Stimme in der Stichwahl zugewendet hätten, seinen Dank aus.
Göppingen 7. Febr. In Buenos Aires ist vor etwa 2 Monaten der frühere Prokurist des ehemaligen Gulmann'schen Bankgeschäfts, Eugen Entreß, der sich nach seinem Verschwinden aus Göppingen dort niedergelassen und verheiratet hat. an einem Herzleiden gestorben. Er stand Mitte der 40er Jahre und war aus Rottenburg gebürtig.
Reutlingen 6. Febr. Die in weiten Kreisen bekannte Gräfin Schimmelmann hält hier im Laufe dieser und der nächsten Woche einen Cyklus von Vorträgen im Saalbau „Bundeshalle".
Berlin 6. Febr. Wie am Tage der Hauptwahl hatte sich auch in der vergangenen Nacht eine ungeheuere Menschenmenge in der Friedrichsstadt angesammelt, die nach dem Bekanntwerden des Resultates der Stichwahl vor das Reichskanzler-Palais zog, unaufhörlich patrio- tische Lieder singend. Vor dem Reichskanzler- Palais staute sich die Menge und rief unaufhörlich Bülow, Bülow: Aber der Reichskanzler ließ sich zehn Minuten lang bitten. Schlag 12 Uhr öffnete sich jedoch das Tor und der Reichskanzler schritt schnell bis an das Gitter, von einem donnernden Hoch begrüßt. Als Stille eintrat sprach Fürst Bülow mit «eit über den Platz vernehmbarer Stimme: Ich danke Ihnen meine Herren, daß patriotische Gesinnung sie wiederum hieher geführt hat. Als ich am 13. Dezember einen letzten Apell an den Reichstag richtete, schloß ich mit den Worten, daß die Regierung ihre Pflicht tun würde im Ver- trauen auf das deutsche Volk. Dieses Vertrauen hat nicht getäuscht. Was bei den Hauptwahlen gesiegt, hat auch heute bei den Stichwahlen weiter schöne Erfolge errungen; das ist der Geist, der gekämpft hat allerwegen, der noch kämpft zu dieser Frist und der varum nicht erlahmt, weil er ja unsterblich ist. Wenn wir diesem deutschen Geiste treu bleiben, wenn vor Allem die deutsche Jugend fest hält an diesem Geist und sich mit ihm erfüllt, dann können wir ruhig und sreudig in die Zukunft des Vaterlandes blicken und nun stimmen Sie mit mir ein in den Ruf der Liebe und Treue bis zum Tod, das deutsche Vaterland es lebe hoch! Der Fürst verneigte sich und ging ins Palais zurück. Die Menge stimmte in das Hoch ein und sang „Heil Dir im Siegerkranz". Dann zog die Hauptmasse unter dem Ruf: Nach dem Schloß, nach dem Schloß, durch die Wilhelmstraße nach den Linden zum kaiserlichen Schloß. Gegen V-1 Uhr erschien der Kaiser von den Linden kommend im Automobil und fuhr ins Schloß. Me Menge sang die Wacht am Rhein und Heil Dir im Siegerkranz. Am Fenster des ersten Stockwerkes sah man, wie die Dienerschaft sich
vergeblich bemühte, die Tür des Mittelbalkons zu öffnen. Bald erschien an einem Fenster der Kaiser, die Kaiserin und die Prinzen, mit Hochrufen empfangen. Der Kaiser dankte und hielt mit weittragender Stimme folgende Ansprache, mehrfach unterbrochen von begeisterten Zurufen: Meine Herren! Ich danke Ihnen sür die Ovation, die sie mir gebracht haben. Sie haben am heutigen Tage wohl alle mitgearbeitet und dadurch bewiesen, daß das Wort unseres Reichskanzlers richtig ist: Wenn Deutschland will, so kann es reiten. Ich hoffe, daß dies nicht blos sür den heutigen Tag zutrifft, sondern daß in Zukunft nun alle Stände und alle Konfessionen Zusammenhalten, sie nicht nur reiten können, sondern auch alles niederreiten, was sich uns in den Weg stellt. Ich danke Ihnen nochmals. Er schloß mit den Worten, die unser deutscher Dichter Kleist in seinem „Prinz vom Homburg" Kottwitz zum Großen Kurfürsten sprechen läßt: Was kümmert Dich, ich bitte Dich, die Regel, nach der der Feind sich schlägt, wenn er nur nieder vor Dir mit all seinen Fahnen sinkt! Bei den markantesten Stellen der Kaiserreds ertönte jedesmal ein dreifaches brausendes Hoch. Sodann wurde das Fenster geschlossen und die Menge trennte sich unter stürmischen Hochrufen.
Berlin 6. Febr. Unter der Ueberschrift „Der neue Reichstag" schreibt die „Nord- deutsche Allgemeine Zeitung" offiziös: Die patriotischen Kundgebungen dieser Nacht vor dem königlichen Schloß und vor dem Hause des Reichskanzlers haben gezeigt, daß die Bevölkerung Berlins sich über die Bedeutung der gestrigen Wahlergebnisse sofort klar gewesen ist. Die freudige Genugtuung, welche Tausende von nationaler Begeisterung zum Kaiser und zum Kanzler drängten, wird heute im ganzen Reich geteilt. Die Stichwahlen haben gehalten, was die Hauptwahlen versprochen hatten. Die Parteien, welche die kolonialen Forderungen zu Fall brachten, sind durch die Wahlen in knapper Rechnung um etwa 30 Sitze gestrichen worden. Eine zuverlässige nationale Mehrheit zieht also in den neuen Reichstag ein, eine nationale Mehrheit, die von der Stimmung der größten Partei im Hause, dem Zentrum, unabhängig ist. Das Zentrum wird künftig nicht mehr in der Lage sein, mit Hilfe der stets negierenden Partei der Sozialdemokraten und Polen eine Mehrheit zu bilden. Diesen neuen Reichstag geschaffen zu haben, ist das Verdienst des deutschen Bürgertums. Nichts ist bezeichnender für die hinter uns liegenden Wahlen als die nationale Geschlossenheit, mit der die bürgerlichen Parteien, vor Allem in den großen Städten, an die Urne getreten find. Der Sieg über die Sozialdemokratie ist erfochten worden ohne, ja gegen das Zentrum. Um so glänzender ist das Ergebnis für die Sieger. Freuen wir uns des Erreichten und arbeiten wir an der Sicherung und Befestigung des nationalen Gutes.
Berlin 7. Febr. Der Eindruck der Kaiserrede auf das Ausland geht aus einem Artikel des Pariser „Debats" hervor. Das Blatt hat das Wort des Kaisers von den Feinden, die Deutschland niederreiten soll, nicht auf die Sozialdemokraten, sondern merkwürdigerweise auf die Feinde außerhalb der Grenzen des Reicher bezogen. Es leistet sich folgende geistvolle Betrachtung: „Wir glauben es nicht, wollen es auch nicht glauben, aber aus dem Resultat der Wahlen wird man doch einiges für das Ausland nicht unwichtiges registrieren müssen, besonders die Stärke der nationalen Idee im deutschen Kaiserreich. Während in Frankreich und England radikale Ideen für die Regierung maßgebend sind, während selbst Rußland den Versuch macht, sich zu parlamentarisieren, beharrt Deutschland heute noch mehr als früher aus dem Weg einer ultrakonservativen (!) Politik. Sicherlich darf man sich Glück wünschen, daß die Macht der Sozialdemokratie gebrochen ist, aber ein Reichstag, der weniger reaktionär (!) wäre, dürfte für die internationale Politik doch wohl bessere Aussichten bieten."
Berlin 7. Febr. Der „Reichsanzeiger" v eröffentlicht heute Abend eine amtliche Zusammenstellung des neuen Reichstages. Darnach sind
gewählt 60 (52) Konservative, 23 (22) Reichspartei, 4 Bund der Landwirte, 1 Christlich-Sozialer, 3 Deutsch-Soziale, 12 (15) wirtschaftliche Vereinigung, 6 (6) deutsche Reformpartei, 106 (104) Zentrum, 20 (16) Polen, 55 (51) Nationalliberale, 1 (1) Bauernbund, 13 (10) freisinnige Vereinigung, 28 (20) freisinnige Volkspartei, 7 (6) deutsche Volkrpartei. 43 (79) Sozialdemokraten, 7 (9) Elsässer, — (2) Welfen, 1 (1) Däne, 7 (3) Wilde. Die eingeklammerten Zahlen geben die Parteistärke des aufgelösten Reichstags wieder.
Berlin 7. Febr. Nach einer hiesigen Zeitungs-Korrespondenz soll der Kaiser Ende März oder Anfang April die Reise nach Madrid anzutreten beabsichtigen, um den Besuch Königs Alfons am hiesigen Hofs zu erwiedern.
Hamburg 7. Febr. Die Hamburger Bürgerschaft bewilligte 10000 ^ für die Opfer der Katastrophe von Reden.
Brüssel 7. Febr. Der Wagen des Königs Leopold stieß gestern hier mit einem Straßenbahnwagen zusammen. Die Deichsel des Wagens zertrümmerte dis Scheiben des Straßenbahnwagens. Beid? Fuhrwerke wurden sofort zum Stehen gebracht. Der König wie auch die Insassen des Straßenbahnwagens kamen unverletzt davon.
Paris 7. Febr. Die Clomencemi und Pichon nahestehenden Organe heben in Bezug auf dis deutschen Neichstagswahlen hervor, daß Fürst Bülow in allen die nationalen Interessen berührenden auswärtigen Fragen an dem künftigen Reichstage eine Stütze haben werde. Ob das deutsche Kaiserreich nach dieser für seine fernere Entwicklung überaus wichtigen Wahlperiode den Frieden nach außen bedeutet, werde wesentlich davon abhängen, inwieweit das Zentrum, in dessen Reihen sich der Haß gegen Frankreich am hartnäckigsten erhält, auf die Entschließungen der leitenden Kreise Deutschlands Einfluß zu gewinnen vermöchte.
London 7. Febr. Sämtliche hiesige Blätter beschäftigen sich heute mit dem Ausgang der deutschen Wahlen, der in England außerordentliches Interesse erregte. Die Niederlage der Sozialdemokraten wird als Ereignis von internationaler Bedeutung gefeiert und Fürst Bülow wird allgemein, selbst von liberalen und radikalen Blättern zu dieser Wendung beglückwünscht. Es wird hervorgehoben, der neue Reichstag werde das gefügigste Parlament sein, mit dem dis Regierung Alles werde machen können. In diesem Zusammenhänge wird die nächtliche Rede des Kaisers ungünstig kommentiert, denn die Drohung, daß das deutsche Volk alles niederreiten werde, was» sich ihm entgegenstelle, könnte sich auch auf das Ausland beziehen. Die „Morning Post" schreibt, diese mitternächtige Rede könne nur eine äußerst aggressive auswärtige Politik einleiten und die europäischen Nachbarn Deutschlands müßten auf der Hut sein.
Petersburg 7. Febr. Zwei Teilnehmerinnen an dem Attentat, das im letzten Sommer gegen Stolypins Villa verübt wurde, die 21jährige Adele Klimon und die 26jährige Terentien. werden demnächst in der Peters-Paul- Festung abgeurteilt werden. Sie haben ihre Beteiligung eingestanden.
Tanger 7. Febr. Die Truppen des Sultans haben den Befehl erhalten, vorläufig die VerfolgungRaisulis einzustellen. Dieser Entschluß wird mit der bevorstehenden Regen-Periode motiviert, in Wirklichkeit aber ist er aus Furcht vor einer Niederlage erfolgt.
Gottesdienste.
Lstomldt, 10. Februar. Vom Turm: 125. Predigtlied-. 445. 9^, Uhr: Vormittagspredigt,
Stadtpfarrer Schmid. 1 Uhr: Christenlehre mit den Söhnen. 5 Uhr: Bibelstunde im VereinS- hauS, Dekan RooS.
14. Febr. 8 Uhr abends Bibelstunde im VereinShaus, Dekan RooS-
16. Febr. 6'/. Uhr: Vorbereitung und Beichte im V ereinShaus, Stadtpfarrer Schmid.
Milkt Wll dm hmgemdm WM