Die letzten Augenblicke Schlageters
zum 10. Todestag eines deutschen Helden Don Gefängnispfarrer Faßbender
Schlageter, dem wir die schlimmste Kunde, die euren Menschen treffen kann, bringen mutzten, lag ahnungslos rn tiefem Schlaf, wie junge Leute ihn nur schlafen können. Dre Zelle Wwd geöffnet! Schlageter wird geweckt! Acht femdlrche Mrfi- Ars umstehen sein Bet, leuchten ihm mit eurem grossen Lrcht
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Nach der Beichte begaben wir uns alle in die Gefängniskapelle, einen Nebenraum der Kirche, in dem Schlageter die heilige Kommunion empfangen sollte. Hier wieder dasselbe Tempo! Glücklicherweise hatte der Kaplan inzwischen die nötigen Vorbereitungen treffen können; denn sonst wäre die Kommunion kaum möglich gewesen. — Ein kurzes Gebet, Kommruriou ohne Danksagung, fort! —
Trotz der Eile hat sich das Bild, das sich hier bot, Wohl allen Teilnehmern tief eingeprägt. Nur zwei Kerzen erleuchteten den Raum, den der heraufkommende Tag noch nicht ganz zu erhellen vermochte! Hinter Schlageter, der auf einem Betschemel kniet, drängen sich die französischen Offiziere! Dort knien die zwei Deutschen! Alle Blicke sind auf Schlageter gerichtet, der mit grotzer Andacht die heilige Kommunion empfängt!
Konnte ich ein kurzes Gebet noch als Vorbereitung vorsprechen, so ist ein Dankgebet nicht mehr möglich. Die Uhr dessen, der Punkt vier Uhr auf dem Richtplatz sein will, drängt zum Aufbruch. Ich reiche Schlageter das Kreuz zum Kusse. In tiefster Andacht küßte er es. Ein letzter Segen über ihn, dann müssen wir aufbrechen.
War Schlageter schon von dem Augenblicke an, in dem er die Mitteilung von der Vollstreckung des Todesurteils erhalten hatte, ruhig und gefaßt gewesen, so war sein Verhalten nach dem Empfang der heiligen Sakramente derartig überwältigend heroisch, daß es zeitlebens jedem, der ihn in der letzten Stunde gesehen und beobachtet hat, unvergeßlich sein wird. Offen und klar sein Auge! Keine äußere und innere Erregung! Edel und gefaßt seine männlich jugendlichen Züge! Höflich und bestimmt, Achtung gebietend, ja Ehrfurcht einflößcnd sein ganzes Benehmen. Man merkt es den französischen Offizieren an, daß ihre Hochachtung vor diesem tapferen und unerschrockenen Deutschen von Minute zu Minute steigt. Diese Hochachtung zwingt sie, ihn höflich, ja kameradschaftlich zu behandeln.
Die Zelle im Düsseldorfer Gefängnis, in der Schlageter bis zum Tage seiner Erschießung untergebracht war.
ins Gesicht und erklären, daß er in einer Stunde erschossen würde! Der Dolmetscher bringt die Mitteilung des Staatsanwalts: „Herr Schlageter, stehen Sie auf, die Stunde der Exekution Ihres Urteils ist gekommen" infolge seiner Erregung, aber auch, weil er sehr mangelhaft deutsch sprach, so schlecht vor, daß Schlageter auf die Frage: „Haben Sie das verstanden?" mit „Nein" antwortet. Die Erklärung Wird wiederholt! Jetzt bejaht Schlageter die Frage. Er tut es gefaßt und klar, wie einer, der es nicht anders erwartet hat.
Der Durchschnittsmensch würde bei dieser Botschaft zerschmettert zusammengesunken sein, zum mindesten hätte er feinen Tränen freien Lauf gelassen. Nicht so bei Schlageter! Wohl geht etwas über sein Gesicht, das man nicht beschreiben kann; aber er ist sofort wieder Herr über sich. Der Staatsanwalt erklärt, daß er noch einen Wunsch aussprechen dürfe. Schlageter sagt hierauf sofort: „Ich möchte beichten und kommunizieren!" Dr. Sengstock fragt den Staatsanwalt Dumou- lin, ob Schlageter noch einen Brief an seine Anverwandten schreiben dürfe. Die Bitte wird gewährt. Dr. Sengstock reicht Schlageter die von ihm mitgebrachten Briefbogen und ein Buch als Unterlage. Im Bett sitzend schreibt Schlageter dann, umgeben von den Offizieren, mit fester Hand die letzten Zeilen an seine Angehörigen mit dem Wortlaut: „Liebe Eltern! Nun trete ich bald meinen letzten Gang an. Ich werde noch beichten und kommunizieren. Also dann auf frohes Wiedersehen im Jenseits. Nochmals Gruß an Euch alle, Vater, Mutter, Josef, Otto, Frieda, Jda, Marie, die beiden Schwäger, Göttis und die ganze Heimat. Euer Albert.
Man merkt in diesem Briefe, den ich später den Angehörigen übermittelte, nicht die geringste Erregung, nicht das leifeste Zittern! Fest und klar steht Buchstabe an Buchstabe. Auch hakte Schlageter die vielen Geschwister genau dem Alter nach aufgezählt, ein Zeichen, daß er sich völlig in der Gewalt hatte.
Den offenen Brief reicht Schlageter Herrn Dr. Sengstock mit der Bitte, ihn an seine Angehörigen zu befördern. Höflich, aber bestimmt erklärt der Staatsanwalt Dumoulin, daß er dem französischen Reglement entsprechend Abschrift von dem Briefe nehmen lassen müsse. Er erklärt Schlageter auf sein Offiziersehrenwort, der Brief stehe nach genommener Abschrift dem Beauftragten Schlageters zur Verfügung.
Als Schlageter mit dem Briefe fertig war, hieß es: „Herr Pfarrer, jetzt werden Sie mit ihm allein gelassen für Ihre Funktionen!" — Ich half Schlageter beim Ankleiden. Ich tat cs deshalb, weil uns so wenig Zeit zur Verfügung stand. Wir versuchten den einzigen, von Schlageter selbst gewaschenen Krageii^ etwas instand zu setzen. Doch es gelang nicht. So hatte Schlageter, auch wenn man noch seinen zerrissenen Schuh und den durch Aufenthalt in Keller zu Essen und in der Zelle nrcht ganz tadelosen Anzug sah, nicht das Aussehen, das nur gern bei ihm gesehen hätten. Wir hatten den Eindruck, daß man Schlageter gern als „Marodeur" zur Holz- heimer Heede suhren wollte, und daß man ihn deshalb, was Waiche und Kleedung anging, absichtlich vernachlässigt hatte. Wegen der Kurze der Zeit konnte aber an eine Neubeschaf- fsiwg Kleidungsstücken nicht gedacht werden. Es mutzte alles bleeben, wee es war. Wir mußten uns beeilen. Die Minuten waren kostbar.
. Ankündigung der Exekution an bis zum Beginn
der geestlechen Handleeng waren trotz größter Eile 15 bis 20 Minuten vergangen. Es verblieb nur noch eine Viertelstunde; denn die letzte Viertelstunde mußte für den Transport gerechnet werden.
Eine Viertelstunde für die Lebensbeichte mit heil Kommunion! Und das eu dem Gedanken, daß gleich der ll Gang angetreten wird Wenn man auch äußerlich fest ^ ^t, so ist eene Sammlung, wie sie der Empfang verlangt, en dieser Verfassung mindestens n ^der Priester wird dies aus der Erfahrung, die ^.i°brbebett gemacht hat, bestätigen können. Man kann fassen, daß man dem Opfer französischer - waltherrschafl nicht einmal Zeit gelassen hat, sich auf den i ^ wie die religiöse Neberzeugung es Verla,
"si? A^-Nmn einem hilflosen Menschen, dem Zeit genug hl m stehen können, die letzte Stunde durch >
wlsseiisbedenken schwerster Art verbitterte.
in E der Uhr in der Hand! Während der Bei
LF' a wenn eurer mit der Peitsche draußen stände. J,m wieder heißt es: „Vite, vite!" (Schnell, schnell!) Wie spater Herr Dr. Sengstock berichtete, war es Lortet, der w ^^Uenthaltes mit Schlageter fortgesetzt dar kE Zeit zu verlieren sei, und der in höhnisc Ä"flE'cken immer wieder erklärte, er verstehe nicht, was Geistliche Mit Schlageter so lange zu tun habe.
Schlageters Abschiedsbrief an seine Eltern, den er am Tage seiner Erschießung schrieb.
Wir gehen zur sogenannten Jnnenpforte. Auf dem We^e dorthin bittet Schlageter Rechtsanwalt Sengstock, doch für ein kirchliches Begräbnis sorgen zu wollen. Selbstverständlich wird das zugesagt. Wir sind wenige Minuten zu früh an der Jnnenpforte. Leutnant Lortet ist plötzlich um das Seelenheil des Delingusnten besorgt und gestattet, daß ich mit Schlageter in dem Bürozimmer der französischen Wache mich noch etwas „bespreche". Vorher gab Grimaldi, der zweite Chef der Gefängniswache, ein Mann mit einem menschlich fühlenden Herzen, der bei den politischen Gefangenen in bestem Andenken steht, Schlageter ein kleines Glas Kognak, das dieser auch dankend annahm. Viel haben wir nicht mehr zusammen geredet, aus Mangel an Zeit, aber auch deshalb, weil zwei Schritte von uns entfernt im Türrahmen die Offiziere standen und sich unterhielten.
Etwa drei Minuten sprachen wir miteinander, als zum Aufbruch gemahnt wurde! Wir traten heraus zu den übrigen Anwesenden. Einige Augenblicke warteten wir noch zusammen.
Die Nacht war kalt. Wir alle hatten unsere Mäntel an, nur Schlageter war ohne Mantel. Man merkte ihm an, daß die Kälte ihn frösteln ließ. Staatsanwalt Domoulin bietet Schlageter ans einem kleinen Feldfläschchcn ein kleines Glas Rum an, das Schlageter nicht ablehnt. Dann kommt die Meldung, alles sei bereit!
Auf dem Wege zur Außenpforte hatten einige deutsche Beamte vom Nachtdienst Aufstellung genommen. Ihren Gruß erwiderte Schlageter frisch mit dem üblichen „Auf Wiedersehen!"
Draußen in der Morgenstille warteten eine Reihe Automobile und eine Schwadron Kavallerie. Lautlos, feierlich ernst saßen die Soldaten zu Pferde mit gezogenen Säbeln. Man sah ihnen an. daß sie sich bewußt waren, zu einer wichtigen Aktion befohlen zu sein.
Schlageter, der nicht gefesselt war, Dr. Sengstock und wir zwei Geistliche kletterten, begleitet von zwei Gendarmen, in den bereitstehenden französischen Lastwagen. Das Anerbieten des Staatsanwaltes Domoulin, Dr. Sengstock, Kaplan Rog
gendorff und ich möchten in einem für uns bereitstehenden französischen Dienstautomobil zur Richtstätte fahren, hatten wir abgelehnt. Hatte doch jeder von uns dreien den Wunsch, bis zum Letzten Augenblick bei Schlageter zu sein. Dem Führer gelang es trotz vieler Mühe nicht, den Wagen in Gang zu bringen. So mußten wir denn wieder heraus, um einen anderen Wagen zu besteigen. Wir fuhren in mäßigem Tempo durch die Ulmenstraße zum Exerzierplatz „Golzheimer Heide". Die Schwadron hatte sich geteilt und ritt zur Hälfte vor, zur Hälfte hinter uns her. An der Spitze waren die Automobile der Offiziere. Wie kurz und doch wie lang ist der Weg!
„Es geht bei gedämpfter Trommel Klang;
Wie weit noch die Stätte! Der Weg wie lang!
O war' er zur Ruh und alles vorbei!
Ich glaub', es bricht mir das Herz entzwei."
Unser Weg führt uns am Nordfriedhof vorbei. Beim Anblick der Kreuze bat Schlageter mich nochmals, für ein kirchliches Begräbnis sorgen zu wollen. Sonst haben wir nicht mehr viel miteinander geredet. Ich glaubte, ihn auch etwas allein lassen zu müssen mit seinen Gedanken. Nur hie und da, wenn die Fahrt ruhiger ging, sprach ich ihm kurz zu. Das Sterbekreuz, das ich ihm jetzt schon gab, hielt er in beiden Händen, den Blick auf dasselbe wie zum Gebet gerichtet. Ganz nahe hatte ich mich an ihn herangesetzt. Er sollte das Gefühl haben, nicht allein zu sein in dieser schweren Stunde.
Der Wagen fuhr um den Kirchhof herum, und wir näherten uns der für die Exekution bestimmten Stelle. Kaum ist man unser ansichtig geworden, da ertönt auch schon die deutschen Ohren so fremde Militärmusik. Wie scharf schneidet sie in unsere von herbem Weh gequälte Seele. Alles stand still wie bei der Parade! Wir zählten drei Kompagnien, dazu kam unsere Begleitschwadron, eine Menge Gendarmerie, ein Trupp Offiziere und ausländische Berichterstatter. In der Mitte des Platzes stand das Exekutivkommando, etwa zwölf Mann stark.
Alle Augen waren auf Schlageter gerichtet, als er mit uns aus dem Lastwagen herauskletterte. Kurz, aber herzlich nahm er wie ein echter deutscher Mann von uns Abschied, er, der aufrecht durch das Leben ging und während des Krieges mutig vor dem Feind gestanden hatte. Manche Zeitungen haben aus dem ALschiednehmen eine weichliche Geschichte gemacht, als wenn Schlageter dem Pfarrer nochmals um den Hals gefallen wäre usw. Nichts von dem! Wir haben weder von der Verkündigung der Urteilsvollstreckung an bis zur Erschießung eine Träne in seinen Augen gesehen, noch haben wir ein Wort der Klage oder Anklage vernommen. Fest drückt er jedem von uns dreien die Hand und blickt uns klar unruhig in die Augen. Wir sind erschüttert bis ins Innerste. Aber seine mit Worten garnicht zu schildernde Ruhe und seine Abgeklärtheit überträgt sich auf uns. Jedem von uns dreien dankt er für das, was wir für ihn getan haben. Zuletzt verabschiedet er sich von Dr. Sengstock.
Seine letzten Worte sind: „Grüßen Sie mir meine Eltern, Geschwister und Verwandten, meine Freunde und mein Deutschland". Dann steckt Schlageter das Sterbekreuz zwischen die oberen Knöpfe der Weste, anscheinend um es auch dann Lei sich zu haben, wenn ihm bald darauf die Hände gebunden werden. Darauf geht er aufrecht, einem Andreas Hofer gleich, festen Schrittes auf den Weißen Pfahl zu, der in einer Entfernung von 10 bis 12 Meter aufgerichtet ist! Wir gehen noch einige Schritte mit bis zum Exekutionskommando. Wir dürfen nicht weiter. Einer der Offiziere ruft uns ein energisches Halt zu. Wir können Schlageter bis zum Ziele nur noch mit den Blicken folgen! Zum Zerspringen voll ist unser Herz, als wir den, der uns in den wenigen Stunden des Kennenlernens wie ein Bruder geworden war. nun allein lassen müssen für den schweren Weg, den er als Opfer der Politik eines Poincars machen muß.
Schlageter ist an dem Weißen Pfahl angelangt, an dem er festgebundeu werden soll! Schon heim Verlassen des Wagens hatte der Gerichtsschreiber mit dem Verlesen des Urteils begonnen. Er beeilt sich damit, anscheinend um die Exekution nicht aufzuhalten. Auch bei den andern Beteiligten sieht man das Bestreben, voran zu machen. Nur der Soldat, der Schlageter anbinden muß. ist recht langsam. — Schlageter muß an dem Pfahl niederknien. Die Füße werden gefesselt. Auch die Hände werden zusammengebunden, aber nicht wie die Füße an dem Pfahl festgemacht.
Während wir so wartend dastanden, stieg über uns, unmittelbar hinter Schlageter. in den aufgehenden Morgen hinein, trillernd eine Lerche empor Ihr frohes Morgenlied war ein erschütternder Kontrast zu dem, was gerade vor uns geschah. Es war gleichsam der letzte Gruß des Lebens an den zum Tode Geweihten!
„Nun schaut er auf zum letzten Mal.
In Gottes Sonne freudigen Strahl!
Nun binden sie ihm die Augen zu.
Dir schenke Gott die ewige Ruh!"
Nun geht es schnell! Der Soldat springt zur Seite! Der Führer der Exekntionsabteilung gibt sein Kommando! Eine Salve durchschueidet die Stille! Schlageter fällt vornüber! Schlageter ist nicht mehr!-
Ein kerndeutsches Herz hat ausgehört zu schlagen; ein Herz, das Land und Volk geliebt bis in den Tod; das stark war. wie das des großen Tirolers: das an Begeisterung nicht nachstand dem der Schillschen Offiziere; das so wenig den Tod verdient hatte, wie das eines Palm, der durch Napoleons Befehl 1806 sein Leben lassen mußte.
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Das Kreuz Schlageters, das er in seiner Todesstunde in den Händen hielt. Unter dem Druck seiner Umklammerung wurde der silberne Leib des Heilandes ganz und gar eingedrückt.
Aus: „Der Prozeß und die Erschießung Leo Schlageters". Neue Brücke-Verlag, Düsseldorf.