Stefani und Oviglio. Auch Mussolini hatte seine Papen, Blomberg, Seldte und Hugenberg als Regierungspartner. In den leitenden Kreisen des Heeres schante man argwöhnisch auf die Organisationen der Schwarzhemden. Der Hof und die Führer des alten Italien schauten herablassend ans den „Emporkömmling". Der Klerus Hatzte den Atheisten, Mussolini konnte das Parlament nicht anflösen. Er mutzte sich mit ihm zunächst anseinandersetzen, ihm Rede und Antwort stehen. Es schienen alle Garantien im Sinne des alten Italien, des Hofes und der Armee, gegeben. Dennoch setzte sich der Mann und seine Bewegung durch. Hitler könnte in Potsdam weiter sein als Mussolini zwei Monate nach dem „Marsch aus Rom". Man versucht manchmal, die verschiedenartigen geistigen Potenzen gegeneinander zu stellen. Darauf kommt es in der Geschichte manchmal weniger an als auf Energie und Willen. Mussolini wutzte nach der Machtergreifung auch nicht im einzelnen, welchen Weg er gehen sollte. „Ihr fragt nach unserem Programm? Wir wollen Italien regieren! Regieren unabhängig von Parteien und ihrer veralteten Ideologie und ihren Phrasen! Regieren im Geist einer neuen Ordnung und Disziplin!" Auch er hatte den Arbeitern, den Kleinbürgern und den Landarbeitern grosse Versprechungen gemacht, während er sich von der Industrie finanzieren lieh. Er hat trotzdem all diese Schwierigkeiten überbrückt und zwar nicht auS irgendeiner Geistigkeit heraus, sondern entscheidend aus einer unheimlichen Energie und dem gewaltigen Willen zur Macht. Von der Frage nach Energie und Machtwillen aus könnte sich auch in Deutschland die weitere Entwicklung entscheiden. Die bisherigen Maßnahmen lassen es durchaus nicht so erscheinen, als ob Hitler und Göring Gefangene ihrer Koalitionspartner wären. Es sicht immer mehr so aus, als ob dieses Kabinett von einem einheitlichen Willen getragen wäre.
Das Wahlergebnis in Wiirttemberg- Hobenroüern
Das Hauptergebnis der heutigen Wahl in Württemberg- Hohenzollern ist das weitere riesige Emporschnellen der nationalsozialistischen Stimmen, mit einem geradezu glänzenden, alle Erwartungen weit übertreffenden Sieg. Sie haben es, was bisher immer den grössten Schwierigkeiten begegnete, verstanden, die große Partei der Nichtwähler zu mobilisieren und einen ganz erheblichen Teil von ihnen an die Wahlurne zu bringen. Ihre tat- und zugkräftige Propaganda, für die ihnen diesmal vor allem auch der Rundfunk zur Vcrfügnug stand, hat ihren Stimmenanteil gegenüber der letzten Wahl von 26,5 auf -11,8 Prozent erhöht. Also noch weit über das Ergebnis vom Juli 1632 mit 30,3 Prozent hinaus. 1630 betrug dieser Stimmenantcil gar nur 9,4 Prozent. Die Gewinne der Nationalsozialisten in den einzelnen Oberamtsbezirken schwankten zwischen 2000 und 7000 Stimmen, gingen vereinzelt, so in Ulm, Heilbronn und Stuttgart, letzteres mit rund 30 000 Stimmen, noch erheblich darüber hinaus. Außer von den früheren Nichtwählern haben die Nationalsozialisten auch vom Bauernbund nicht unwesentlichen Zuzug erhalten. Besonders beachtenswert ist, datz der gleiche Erfolg ihnen auch in den ausgesprochenen Zentrumsbezirken zuteil geworden ist, daß sich also auch die katholische, namentlich ländliche Bevölkerung, dem Nationalsozialismus in weitem Maße zugewandt hat, übrigens, ohne daß dadurch die Stellung des Zentrums erschüttert worden wäre.
Die Sozialdemokratie kann mit dem Ausgang der Wahl rein zahlenmäßig betrachtet, Wohl zufrieden sein insofern, als sich die Zahl der auf sie gefallenen Stimmen um über 30 000 erhöht hat. Aber ihr Stimmcnanteil, der sich im Jahr 1930 auf 20,1 Prozent, im Juli v. I. auf 17,6 Prozent, bei der letzten Wahl auf 15,2 Prozent belief, ist nun auf 14,6 Prozent zurückgegangen. Oh der von den Nationalsozialisten geführte „Kampf gegen den Marxismus" dieses Ergebnis gezeigt hat, mag dahingestellt bleiben. Ganz ohne jeden Erfolg war dieser Kampf jedenfalls nicht. Was die Sozialdemokratie an stimmen gewonnen hat, ist zweifellos auf Kosten der Kommunisten gegangen. In vielen Oberamtsbezirken haben die Sozialdemokraten ungefähr geradesoviel gewonnen wie die Kommunisten verloren.
Die Kommunisten haben sehr schlecht abgeschnittcn. Ihre Kampfesmethodrn sind offensichtlich von vielen ihrer Mitglieder nicht gebilligt worden, nur so mag man sich den Stimmenrückgang um rund 46 000 erklären. Die kommunistische Gefahr ist nicht nur polizeilich, sondern auch durch die Abstimmung überwunden worden. Im Jahre 1930 stellte sich der
Stimmenantcil der Kommunisten auf 9,4, im Juli v. I. auf 11, im November ans 14,5 und diesmal auf 9,1 Prozent.
Das Zentrum hat auch diesmal dem Ansturm der Nationalsozialisten gut standgehalten. Diese Partei ist eine in sich so festgeschlossene Masse, daß es auch diesmal nicht möglich war, ihr beizukommen. Verluste hat es freilich gegeben, aber auffallenderweise in einigen oberschwäbischen Bezirken, während in anderen Bezirken die Parket fast durchweg ihre Stim- mcnzahl erhöhen konnte, sodaß im Endergebnis ein Plus von rund 10000 Stimmen herauskommt. Immerhin wird sich die Partei über das starke Anwachsen der Nationalsozialisten in ihren eigentlichen Hochburgen und zwar mit Hilfe der bisherigen Nichtwähler, wohl Gedanken zu machen haben. Der Stimmenanteil der Partei zeigte seit 1960 folgende Entwicklung: 21,6 — 21,8 — 20,5 — 17,7 Prozent. Diese letztere Prozentzahl zeigt nun aber doch, daß die Machtstellung des Zentrums im Rahmen der Gesamtparteien eine Schwächung erfahren hat.
Die D e u t s ch n a t i o n a l c n, jetzt Kampffront Schwarz- weiß-rot genannt, haben Wohl 10 000 Stimmen gewonnen, etwas mehr als die Deutsche Volkspartei verloren hat, aber dieser Zuwachs fällt nicht schwer ins Gewicht, ist immerhin ein kleiner Achtungserfolg. Ihr Stimmenantcil stellt sich ans 5,10 gegen 5,3 bei der letzten Wahl und 3,8 bezw. 3,9 bei den beiden vorausgegangenen Wahlen.
Die Deutsche Volkspartei scheint nach dem Urteil der Wühler ihre Daseinsberechtigung überhaupt verloren zu haben.
Der Christliche Volksdienst hat eine Schlappe erlitten. Sein Anteil stellte sich diesmal auf 3,1 Prozeut gegen 4,2 im November, 3,6 im Juli 1632 und 6.5 im Dezember 1930.
Mit den Demokraten ist es auch diesmal wieder bergab gegangen. Mehr denn je ist die einst in Württemberg so starke Partei eine geborstene Säule. Der Stimmenantcil be- krug heute 2,1 Prozent gegen 3 Prozent im November und 2.4 Prozeut im Juli v. I. Noch im Jahr 1630 erreichten Demokratie und Volkspartei zusammen 6,4 Prozent, diesmal hätte es kaum 3 Prozent gelangt.
Der Bauernbund hat sich schon bei den letzten Wahlen einen starken Einbruch der Nationalsozialisten in seinen Besitzstand gefallen lassen müssen. Diesmal hat ihm der weitaus stärkere Rechtsbruder noch viel mehr Schaden zugefügt. Der Bauernbund hat über 20000 Stimmen verloren gegenüber der letzten Wahl. 1630 stellte sich sein Stimmenanteil noch auf 14,1 Prozent, im Juli v. I. ging er auf 6,9 Prozent zurück, stieg dann wieder bei der letzten Wahl ans 8 Prozent und erreichte diesmal nur 5,3 Prozent: ein Zeichen, daß die Propaganda der Nationalsozialisten, die jetzt in manchen ländlichen Oberamtsbezirken über weit mehr Stimmen verfügen als alle anderen Parteien zusammen, für den Bauernstand sehr wirksam war und dem Bauernbund erheblichen Abbruch getan hat.
Neberblickt man nun das ganze Ergebnis unter dem Gesichtspunkt der Parteikonstellation im Reich, so muß vor allem festgestellt werden, datz die Reichsregierung in Württcmberg- Höhenzollern einen glänzenden Sieg errungen und die absolute Mehrheit weit überschritten hat. Rechnet man zu den Rechtsparteien nur die Nationalsozialisten, Schwarz-weißrot, Bauernbund und Deutsche Volksp.rrtei, so gibt das zusammen 836 323 Stimmen. Nimmt man den Christlichen Volksdienst dazu, so kommt man sogar auf 885 251 Stimmen gegenüber 688 976 der anderen Parteien. Die Rechtsmehrheik beträgt also rund 200 000 Stimmen, würde aber immer noch 100 000 betragen, wenn man den Christlichen Volksdicnst den Rechtsparteien nicht hinzuzählen würde. Nationalsozialisten, Schwarz- weiß-rot und Bauernbund verfügen allein schon über rund 53 Prozent der Stimmen. Was wird das für eine Wirkung auf den württembergischen Landtag haben? Diese Frage dürfte jetzt zweifellos in den Vordergrund rücken, denn man wird doch sicher damit zu rechnen haben, daß das eindeutige Ergebnis der gestrigen Wahl Anlaß zu Erörterungen über die Regierungsbildung in Württemberg geben wird. Die Nationalsozialisten haben in dieser Hinsicht schon vor der Wahl ihre Forderungen angemeldet und nach dem gestrigen glänzenden L>ieg ist zu erwarten, daß sie sich mit dem Zustand der geschäftsführenden Regierung nicht mehr absurden, sondern die maßgebende Rolle in der württembergischen Regierung spielen wollen. Ob sie dabei Erfolg haben werden, muß der Zukunft überlassen bleiben.
Zum Schluß dieser Betrachtungen sei noch besonders auf das Abstimmungsergebnis in Stuttgart-Stadt hingewicsen. Die Wahlbeteiligung ging hier mit 86,95 Prozent noch etwas über den Landesdurchschnitt von 86,7 Prozent hinaus. Die Nationalsozialisten sind weitaus die stärkste Partei, der Stim
menzuwachs betrug rund 30 000, aber der Marxismus beider Schattierungen ist immer noch um 12 000 Stimmen stärker als sie. Das Zentrum hat in Stuttgart-Stadt rund 3000 Stimmen gewonnen. Schwarz-weiß-rot hat 69 Stimmen verloren, die Deutsche Volkspartei mehr als die Hälfte ihres Besitzes vom November 1932, auch der Christliche Volksdienst ist um rund 600 Stimmen zurückgegangen, während sich die Demokraten zu behaupten vermochten.
Nationalsozialistischer Aufmarsch
Ruhige Nacht vor der Wahl
Stuttgart, 5. März. Am Vorabend der Rcichstagswahl veranstalteten die Nationalsozialisten von Stuttgart eine große Propaganda-Aktion, wie sie die Reichsleitung der NSDAP, für das ganze Reich angeordnet hatte, mit Fackelzug, Kundgebung und Höhenfeuer als Auftakt zum „Tag der erwachenden Nation". Bei Einbruch der Dunkelheit bewegte sich ein großer Fackelzug, an dem sich die gesamte Stuttgarter SA., SS., Fliegersturm, Motorradstaffel, Hitler-Jugend, Amtswalter und freiwilliger Arbeitsdienst beteiligten, von der Hauptstätterstraße durch das Bopser-Stadtviertel zum Marktplatz, wo sich eine nach vielen Tausenden zählende Menschenmenge eingcfunden hatte. Der Reichstagsabgeordnete Dreher- Ulm eröfjuete die Kundgebung mit einer kurzen Ansprache, worauf von -46 bis > 2 10 Uhr die Rede des Reichskanzlers Adolf Hitler aus Königsberg durch Großlautsprecher übertragen wurde. Die Uebcrtragnng war sehr klar und deutlich und überall vernehmbar. Dank der Vorsorge der Polizei, die auch mit zwei Scheinwerfern dauernd alle Fenster und Dächer der Häuser rings um den Marktplatz und der Nebenstraßen ableuchtete, verlief die Veranstaltung reibungslos. Nach der Kundgebung formierte sich wieder ein Fackelzug, dem sich noch eine große Anzahl von Zivilisten, Männer und Frauen, anschlossen, und mit Musik und Gesang marschierte der Zug hinauf auf die Fenerbacher Heide zum Bismarck-Turm, auf dem ein Höhenfeuer abgebrannt wurde, dessen Flammenschciu weithin sichtbar war. Der ivürtt. Gauleiter, Lanütagsahgeordneter Murr-Eßlingen, und SA.-Standartenführer Landtagsabgeordneter Dr. Sommer-Zuffenhanscn hielten dabei Ansprachen, in denen sie auf die Bedeutung des 5. März hinwieseu. Nach Schluß der Feier marschierten die Nationalsozialisten zum Karlsplatz zurück, wo sich der Fackelzug auflöste.
Die Nacht zum Wahlsonntag ist, wie- wir hören, trotz dieser Veranstaltung und obwohl abends auch eine große Versammlung der Eisernen Front in der Stadthalle, in der Reichstagsabgeordneter Dr. Schumacher-Stuttgart sprach, stattsand, durchaus ruhig und ohne jeden Zwischenfall verlaufen.
Brau« nach der Schweiz abgereist
Friedrichshafe», 5. März. Von polizeiamtlicher Seite in Friedrichshafen wird bestätigt, daß der ehemalige preußische Ministerpräsident Braun am Samstag um 15.45 Uhr die Schweizer Grenze in Richtung Romaushorn passiert hat. Braun ist bei der Grenzkontrolle im Besitz eines gültigen Auslandspasses befunden worden.
Wie gestern im Rundfunk gekanntgegebcn wurde, hat Otto Braun die schweizerische Grenze überschritten. Zn diesem Vorgang hört das Cvnti-Nachrichten-Büro heute abend von ihm nahestehender Seite, daß der langjährige preußische Ministerpräsident mit seiner seit etwa 5 Jahren schwer gelähmten Frau jeweils im März eine Kuraufenthalt in Äscona zu verbringen Pflegt. Seit Jahresfrist bedient er sich dabei statt wie früher eines Rollstuhls des von ihm selbst gesteuerten Kleinautos. Mit Rücksicht auf die Reichstagswahl habe nun Otto Braun so disponiert, daß seine Gattin heute nach Erfüllung ihrer Wahlpflicht im Schnellzug abgereist sei, während er vorgestern im Wagen voransgefähren sei, mit dem er gestern in der Tat die schweizerische Grenze überschritten habe, um heute früh zurückznkehren, in einem Grenzort mit Stimmschein zu wählen, dann aber sofort wciterzufahrcn, damit er rechtzeitig bei Ankunft seiner Gattin ebenfalls in Aseona eintreffe. Dort wolle er bis zur Einberufung des Reichstags verbleiben.
Wahlergebnisse ans Baden
Amtsbezirk Pforzheim. NS. 41137 (28067), Soz. 10 072(8578), KPD. 8902 111929), Z. 4625 (4234). Kampffront 3867 (3750), DB. 619 (1072), Volksd. 1321 (1387), Staatsp. 935 (985). Abgegebene Stimmen 71539.
Amtsbezirk Ettlingen. NS. 5874 (3402), Soz. 2685 (2282), KPD. 2002 (2245), Z. 7571 (6444), Kampffront 496 (532), DVp. 118 (170), Bolksd. 147 (162), Staatsp. 87 (101).
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(3. Fortsetzung.)
Sie sah nach Lenore hinüber, deren Blick besorgt auf ihren farblosen Wangen lag. Ob sie Malnow lieb gewinnen würde? — Und er? — — Er hatte ja gewußt, daß auf Recklinhausen zwei Töchter zu freien sind. Eine bessere Gelegenheit zu Besitz und Ansehen zu gelangen, konnte es für ihn gar nicht geben. Ist es die eine nicht, wird es wohl die andere sein."
„Ich-" Suses Hände schlugen schwer auf die Kante
des Tisches.
„Was ist es denn nun wieder?" erregte sich Margret.
„Du mußt dich legen, Kind!"
„Ich gehe mit dir auf dein Zimmer."
Alle drei Frauen zugleich sprachen auf sie ein, als sie plötzlich aufschluchzend die Finger über das Gesicht preßte.
Und Suse weinte! Weinte aus Schmerz und Zorn und zum ersten Male aus Ekel und Abscheu vor dem Leben, das ihr bisher so einzig schön und begehrenswert erschienen war.
Ich werde nie heiraten! Nie! Nie! Nie! schwor sie sich, immer noch mit den Tränen kämpfend. Eine halbe Stunde später schlief sie, die Hände in denen Lenores geborgen, wie ein übermüdetes Kind auf ihrem Giebelzimmer ein.
* *
Br
Verehrteste Freundin!
Meine über alles geliebte Elisabeth!
Erlaube, daß ich diese Anrede gebrauche. Ich habe mir das durch geduldiges Warten in fünf langen, überlangen Jahren redlich verdient. Alle Bedingungen, die Du mir damals gestellt hast, sind jetzt erfüllt: Ich ließ Dich in ungestörtem Frieden um Deinen Toten trauern, weil er der Vater Deiner Kinder war. Von Deinen Töchtern ist nun jede in einem Alter, daß sie über sich selbst zu bestimmen vermag. Mein Sohn hat sich vor vierzehn Tagen mit Doris Gibfon verlobt und wird mit ihr über den Ozean reisen, da sie ihr Heim in Neuyork aufzuschlagen gedenken. — Meine Liebe hat — wie Du damals befürchtetest — in diesen fünf Jahren um nichts ab-, aber um so mehr zugenommen. Ich habe alles so
gehalten, wie Du es gewünscht hast. Ich habe Dich nicht mit Bitten gequält, nie die Ruhe Deiner Tage gestört, und was in den Nächten an Sehnen und Wünschen von meinem zu Deinem Herzen ging, das habe nur ich allein zu ertragen gehabt. Dich hat es nichr berührt.
Darf ich nun hoffen. Elisabeth, daß Du letzt ein Ohr für mich hast? Sprichst Du jetzt das „Ja", das Du damals nicht zu sprechen gewagt hast, aus all den Gründen, die nun weggefallen sind?
Muß ich noch einmal fünf Jahre an verschlossenen Türen warten? Ich lege Dir mein Bild bei Heute, das erstemal, bitte ich, mir einen Platz in Deiner Nähe zu gönnen. Ich bin, der ich immer war Nur meine Haare sind etwas früh ergraut, aber daran trägst Du Schuld, Geliebte.
Sei mir an meinem Lebensabend die Sonne, auf die ich immer hoffe. Ich habe so schwer zu tragen gehabt. Du weißt es. Elisabeth.
Schreibe nur ein einziges Wort, ob ich zu Dir kommen darf. Dein
treuergebenster
Hans Jürgen Gradnitz
Frau von Recklinhausen saß mit verblaßten Wangen und horchte auf die Stimmen ihrer Töchter, welche die Treppe herabkamen, faltete den Vogen rasch ineinander und schob ihn unter den Stapel Zeitungen, die auf ihrem Schreibtisch lagen. Als Schritte sich ihrer Türe näherten, rieb sie sick mü den Knöcheln der Finger Farbe auf ihre schneeigen Wangen. Ihre Züge trugen den Ausdruck ängstlicher Spannung, der sich erst wieder verlor, als die Tritte sich den Korridor hinunter nach dem Garten vernehmen ließen.
Ihre Hände tasteten wieder nach dem Bogen und glätteten ihn behutsam.
„Meine über alles geliebte Elisabeth!"
Flammen schlugen ihr wie Fackeln in das eben noch kalkige Gesicht. Sie verspürte das Blut vom Herzen nach dem Halse jagen, und wie es von dort nach den Schläfen schoß. Sie sprach seinen Namen vor sich hin Dann noch einmal. Ihre Stimme schmeichelte, sang, liebkoste, war ganz andachttrunken. Kann ich denn noch lieben? dachte sie und horchte in sich hinein Jetzt nach all den langen, langen Jahren? So lieben, wie ich einmal den Toten geliebt?
„Ich kann es noch! Alles, alles kann ich noch!" jubelte es in ihr.
Sie fühlte die Hitze ihres Blutes, das ihr wie Feuer in die Wangen brannte. Ihre Hände glühten. Sie mußte sie auf die polierte Platte des Schreibtisches legen, um ihnen Kühlung geben zu können.
Alle Bedingungen sind erfüllt, schrieb Gradnitz, und sie mußte ihm recht geben. Was hinderte sie noch, die Frau des Mannes zu werden, dessen Liebe ihr schon als Mädchen gegolten hatte? Margret würde irgendwo eine Praxis ausüben. Lenore war zweiundzwanzig und lehr gereift. Nur Suse-
„Ach was, laßt mich in Ruhe!" kam soeben deren junge Stimme durch das offene Fenster vom Garten herauf. „Nur keinen Mann! Ich halte es mit dir, Margret! Ich heirate nie! Und du. Lenore — du kannst ja — —" den Malnow nehmen, hatte Suse sagen wollen, in das stille schmale Gesicht der Schwester geblickt und dann beschämt den Kopf an deren Schulter verborgen
"Was kann ich denn?" Hörle Frau von Recklinhausen ihre Zweitälteste fragen. Wie diese Stimme ihr immer ins Herz ichnitt! Als ob sie durch alle Täler des Leides gegangen wäre.
„Du bleibst auf Recklinhausen," nahm Suse das Wort wieder auf. „Wir beide, Margret und ich aber, raufen uns draußen durch die Welt. Und wenn wir dann müde und verekelt sind, kommen wir wieder nach Hauie und verstecken uns der dir!"
Frau von Recklinhausen fühlte eine kalte Welle durch den Körper gehen. Das Brausen ihres Blutes verebbte. Sie erhob sich und schritt nach dem Fenster. Von den Töchtern un- issehen, hing ihr Blick an deren Gesichtern. Wie ähnlich Margret dem Toten sah. Sie hatte genau dieselben scharf- ;eichnittenen Züge, welchen das kurze Haar eine männliche Note gab. Lenores einstmals sanft gerundete Wangen waren chmal, beinahe eckig geworden All ihre Mutterliebe hatte Sie Tochter nicht vor der furchtbaren Enttäuschung zu bewahren vermocht, die sie hatte erfahren müssen. Und Suse? Sie glaubte einen ihr unbekannten Zug um deren Mund wahrzunehmen Was war mit dem Kinde?
Frau von Recklinhausen vernahm ein leises Klopfen und ging nach der Türe, um nachzusehen. „Kommen Sie nur herein, Herr Malnow," ermunterte sie diesen, als er zwischen Türe und Angel sprechen wollte „Nein. Sie stören ganz gewiß nicht! Ich bin ganz allein!"
Er war in Schweiß gebade; Das kühle Dämmer ües großen Raumes umschmeichelie ihn wie ein laues Bad. Mit einer raschen Bewegung rupfte er sich die Tropfen von der Stirn und setzte zum Sprechen an. „Würden Sie mir von heute sieben Uhr bis morgen früh um iechs Uhr Urlaub gewähren können, gnädige Frau?" Er iah ihren erstaunten Blick und setzte hastend bei: „Ich werde den Entgang an Arbeitszeit am nächsten Sonnabend wettzumachen versuchen und schon von zwei Uhr früh ab auf dem Felde sein!"
(Fortsetzung folgt.)