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daß das Ausland mehr, billigeres und gesundes Vieh einzuführen vermag, was aber nicht der Fall sei. Schließlich wurde der Antrag einstimmig angenommen. Ohne jegliche Erörterung gelangte ein Jnitiativgesetzentwurf betr. die Regelung der Jagd zur Annahme, wonach Katzen, die in einer Entfernung von mindestens 600 m vom nächsten bewohnten Hause im Wald oder freien Feld umher- schweisend getroffen werden, von den zur Ausübung der Jagd Berechtigten getötet werden dürfen. Die Regierung wurde auch um Erwägung darüber ersucht, ob nicht auf Grund des Art. 40 des Polizeistrafgesetzes weitere Maßregeln zum Schutz der Vögel gegen umherschweifende Katzen getroffen werden können und zutreffenden Falles eine dahingehende Verfügung zu treffen. Berichterstatter über diese Angelegenheit war der Abg. Keilbach. Morgen verschiedene Eingaben.
Cannstatt t9. Okt. In den dem Sulzer- rain benachbarten Gärten tritt gegenwärtig die Blutlaus an Obstbäumen in geradezu erschreckender Menge auf. Tie rapide Vermehrung läßt sich von Tag zu Tag beobachten.
Heilbronn 19. Okt. In der gestrigen G em ei n d erate si tzun g brachte Gern Rat Binder den Antrag ein, die Stadt solle die Forderungen auf Oeffnung der Grenzen für die Vieheinfuhr unterstützen, damit der herrschenden Fleischnot gesteuert werde. Zu den sonstigen Gründen fügte er noch den weitern hinzu, daß viele Gutswirt- s chaften zum viehlosen Betrieb übergegangen seien, und so werde unsere Landwirtschaft in einer Reihe von Jahren nicht mehr in der Lage sein, genügend Vieh zu liefern. O.B.M. Dr. Göbel erwiderte hierauf, daß man da nichts weiter tun könne als sich an den deutschen Städtetag wenden, damit dieser Protest gegen die Sperrung der Grenzen einlege und bei der Reichsregierung und dem Bundesrat die Oeffnung verlange.
Süßen 17. Okt. Ueber den Unglücksfall aus dem hiesigen Bahnhof, dem der 36 Jahre alte katholische Volksschullehrer Rink von Klein- Süßen zum Opfer fiel, wird noch gemeldet: Rink hatte Angehörige zur Bahn begleitet, die mit dem 6-Uhr-Schnellzug abreisen wollten. Auf dem ersten Gleis stand ein Teil eines Güterzugs, wodurch die Aussicht aus das zweite Gleis versperrt war. Da nun der Schnellzug einige Minuten Verspätung hatte, begab sich Rink auf das zweite Gleis, um nach dem Schnellzug zu sehen. Er hatte gerade das Gleis betreten, als der Schnellzug heranbrauste und Rink zu Boden und unter die Räder riß. Die Lokomotive hatte noch im letzten Augenblick ein Notsignal abgegeben, ebenso rief der Bahnsteigdiener Rink laut zu, er solle zurücktreten; es war zu spät, die Lokomotive hatte Rink bereits erfaßt. Eine Schuld kann niemand beigemessen werden.
Tübingen 19. Okt. (Strafprozeß Rückgauer.) Es werden heute die 3 Sachverständigen, Baurat Schmidt aus Stuttgart, Ingenieur D r a u tz-Stuttgart und Geh. Ober
baurat Freiherr v. Seeg er vernommen. Alle 3 Sachverständige erörterten die technischen Einzelheiten der Hebung und des Einsturzes und kommen zu folgenden Gutachten : Baurat Schmidt findet einen Verstoß gegen die Regeln der Baukunst darin, daß Rückgauer das Gebäude nicht genügend untersucht habe, daß das Bauwerk nicht entsprechend gesichert worden ist und durch Hebung in seinem Bestand gelockert wurde. Der Balkenrost sei in ganz gleicher Höhe angelegt worden und nicht genügend stark hergestellt, auch sei die Bedienung der Hebewinden unbeaufsichtigt gewesen. Im Aufwinden des Gebäudes seien Unregelmäßigkeiten vorgekommen. Die Leitung und Beobachtung der Hebearbeiter sei ungenügend gewesen und die manigfachen Anzeichen der Gefahr und des Einsturzes seien nicht beachtet worden. In allen diesen Ursachen sei der Zusammenbruch des Gebäudes zu erblicken und es falle dem Angeklagten Rückgauer ein grober Verstoß gegen die Regeln der Baukunst zur Last. Die beiden andern Sachverständigen erkennen gleichfalls Mängel in der Vorbereitung und Hebung des Gebäudes und sind der Ansicht, daß ein geübter Baumeister solche vermieden hätte. Ob Rückgauer die Erkenntnis gehabt habe, daß er gegen die Regeln der Baukunst verstoßen, sei zweifelhaft, da er durch seine vielen Hebungen zu selbstbewußt und siegesgewiß geworden sei, um alle diese Anzeichen für Gefahr zu halten. Oberbaurat v. Seeger ist der Ansicht, daß Rückgauer fahrlässig gehandelt und seiner Aufsichtspflicht nicht voll genügt habe. Damit ist die Verhandlung für heute beendet. Morgen Vormittag beginnen die Plädoyers.
Dresden 19. Okt. Wie die „Dresdener Neuesten Nachrichten" erfahren, haben die Verhandlungen zwischen dem Bevollmächtigten des Königs, dem Gesandten in München, Freiherrn v. Friesen und dem Vertreter der Gräfin Montignoso, dem Fürsten Johannes Hohenlohe- Bartenstein-Jagstbergen, der mit einer jüngeren Schwester der Gräfin Montignoso, der Erzherzogin Anna Maria Theresia verheiratet ist. erfreulicherweise einen befriedigenden Abschluß gefunden. Bekanntlich sollte bereits im Mai dieses Jahres die Uebergabe der kleinen Prinzessin Anna Monica Pia an den Dresdener Hof erfolgen. Nach dieser Uebergabe war ein Wiedersehen der Gräfin Montignoso mit ihren älteren Kindern in Aussicht genommen. Man ist nun der Gräfin Montignoso insofern entgegengekommen, als man ihr schon vor der Uebergabe der kleinen Prinzessin an den Dresdener Hof eine Zusammenkunft mit den beiden ältesten Prinzen zugestanden hat. Die Prinzen werden sich in der nächsten Woche zur Hochzeit ihres Enkels, Prinz Johann Georg, mit der Prinzessin Immaculata nach Cannes begeben. Auf der Rückreise werden die beiden Prinzen, die in Begleitung ihres Erziehers reisen, in München kurzen Aufenthalt nehmen und dort mit ihrer Mutter eine Zusammenkunft haben. Freiherr v. Friesen wird
die Prinzen zu der Gräfin Montignoso begleiten. Da über die Einzelheiten der Uebergabe der Prinzessin Anna Monica Pia nunmehr völlige Uebereinstimmung zwischen den Parteien geschaffen ist, so wird die Uebergabe der kleinen Prinzessin ebenfalls in absehbarer Zeit erfolgen und zwar, nachdem sich die Prinzessin an ihre neue Pflegerin gewöhnt haben wird. Auch in diesem letzteren Punkte wurde den Wünschen der Gräfin Montignoso völlig entsprochen.
Berlin. Zur Köpeniker Affäre. Bis jetzt itz der Gauner noch Entdeckt; aber man hat Spuren von ihm gefunden. Er ist bald nach vollbrachter Heldentat nach Berlin gefahren und fuhr um 7^4 Uhr in einer Droschke bei einem Herrenkonfektionsgeschäft in der südlichen Friedrichstraße vor und kaufte dort einen steifen Jackettanzug, einen schwarzen Cheviot-Winterpaletot und einen schwarzen steifen Hut. Als der Verkäufer ihn bat, zum Maßnehmen den Rock aufzuknüpfen, lehnte es der Fremde mit dem Bemerken ab, es müsse auch so möglich sein, einen passenden Anzug für ihn zu finden. Der Verkäufer begnügte sich nun damit, oberflächlich über dem Jnterimsrock zu messen. Der Käufer nannte sich v. Malzahn, gab aber keine Wohnung an, weil er die Sachen in der Droschke, die vor der Türe hielt, gleich mitnehmen wollte. Er beglich die Rechnung mit einem Tausendmarkschein und steckte das herausgezahlte Geld gelassen ein. Dann trug der Haus, diener die Sachen in einem Karton nach der Droschke und der Käufer fuhr davon.
Berlin 19. Okt. Die umfangreichen Nachforschungen der Kriminalpolizei nach dem verkleideten Hauptmann, der die Stadtkasse von Köpenick geplündert hat, haben bisher immer noch keinen greifbaren Erfolg gehabt. Zwar hat man gestern nachmittag auf dem Tempelhofer Feld, und zwar wiederum auf Rixdorfer Gebiet, die Schärpe des falschen Hauptmanns gefunden und diese der Rixdorfer Polizei zugestellt. Allein dieser Fund reicht ebensowenig, wie die früher dort entdeckten Militärbekleidungsstücke, hin, um auf eine sichere Spur des Täters zu leiten. Nur so viel geht daraus hervor, daß der Verbrecher sich schon in Rixdorf aufgehalten hat und dort gute Ortskenntnis besitzen muß. Zu den weiteren Ermittlungen ist nunmehr auch die Gendarmerie der Kreise Teltow und Niederbarnim hinzugezogen worden.
Berlin 19. Okt. Infolge des Ueberfalles auf die Stadlkasse in Köpenick und die daran geknüpften Erörterungen hat der Bürgermeister Dr. Langerhans heute sein Amt niedergelegt. Mit seiner vorläufigen Vertretung ist Stadtrat Fabarius betraut worden. Der Magistrat hat dem Bürgermeister ein Vertrauensvotum ausgesprochen. Es ist anzunehmen, daß die Stadtverordnetenversammlung ihn einstimmig wiederwählen wird.
v. Hohenthal aus Rocksville, Patient der Anstalt des Dr. Josua A. Wood, an Lungenentzündung gestorben war.
Ta waren zwei Zeugnisse von Aerzten, des Dr. Hayking zu Rocksville und des Dr. Lumkin zu Herford, die unter Beglaubigung des Sherifs bescheinigten, daß Arnold v. Hohenthal an Wahnvorstellungen litt, die ihn für seine Umgebung gefährlich machten, und seine schleunige Ueberführung in eine Heilanstalt für Geisteskranke dringend anempfahlen. Der Sherif gab die Papiere den beiden andern Herren, die sie durchsahen und dann Zurückgaben.
„Gegen diese Zeugnisse ist nichts einzuwenden," sagte der Sherif.
Etwas wie Triumph blitzte in den Augen des Irrenarztes auf.
„Sie haben natürlich das Ableben des Patienten an dessen Gattin berichtet," nahm der Advokat das Wort.
„Gewiß, sofort."
„Ihr einen Totenschein gesandt?"
„In den vorgeschriebenen Formen."
„Würden Sie nicht die Güte haben," fragte der Sherif wieder, „uns das Aeußere des Mr. Hohenthal zu beschreiben?"
Der Doktor stutzte und sagte dann wie nachsinnend: „Soweit ich die Persönlichkeit im Gedächtnis habe, war Mr. Hohenthal von mittlerer Statur, mager und von kränklichem Aussehen."
„Sie verwechseln ihn, wie mir scheint, mit Mr. Weller," erwiderte scharf und nachdrücklich der Advokat.
„Mr. Weller?" Die plötzliche Frage schien die Sicherheit des Arztes zu erschüttern, aber für einen Augenblick nur, dann setzte er ruhig hinzu: „Wie kommen Sie auf Mr. Weller?"
„Er war gleichzeitig hier mit Mr. Hohenthal, nicht wahr?"
„Ich glaube ja," antwortete der Arzt. „Doch davon können wir uns gleich überzeugen, wenn ich in meinem Buche nachsehe."
„Wo ist dieser Mr. Weller?"
„Er wurde von hier in die Anstalt Mr. Boltons, Marylodge, Tennesee, unweit Covington, übergeführt,"
„Wo sind die ihn betreffenden Papiere?"
„Die sind nun freilich mit dem Patienten in den Besitz Mr. Boltons übergeganzen," sagte mit fast spöttischem Lächeln der Irrenarzt, der sie Ihnen gewiß bereitwilligst zur Verfügung stellen wird."
„Haben Sie nicht einen Assistenzarzt hier?"
„Nein."
„Aber Sie hatten einen?"
„Ja, ich mußte ihn aber wegen Untauglichkeit entlassen."
„So? Wir werden darauf zurückkommen."
„Sind unter Ihren Wärtern noch einige aus der Zeit da, als Mr. Hohenthal starb?"
„Gewiß, bei mir wechselt das Pflegepersonal selten."
„Lassen Sie einen der Leute herbeiführen."
„Das soll geschehen. Doch möchte ich nun endlich wissen, worauf dieses ganze Verhör, dem ich unterzogen werde, hinaus will. Was bedeutet das, Herr Sherif, daß man in dieser, mir ganz unerklärlichen Weise gegen mich vorgeht?"
„Das werden Sie gleich erfahren. Lassen Sie nur einen Wärter kommen."
Dr. Wood klingelte und befahl einem erschienenen Diener, den Wärter William zu rufen.
(Fortsetzung folgt.)