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Neueubllrg, 22. Aug. Drückend, schweißtriefend und fast unerträglich wirkt die Hitze fort. Ist es auch nach Graden gemessen nicht mehr ganz so heiß, wie am letzten Donnerstag und Freitag, welche Tage mit 36 und 37 Grad im Schatten und bis zu 48 Grad in der Sonne Wohl die heißesten waren, so ist doch die Temperatur infolge einer leichten Veränderung der Wetterlage umso schwüler und lästiger geworden. Die Zahl der Opfer, die die Hitze in letzter Zeit erfordert, mehrt sich von Tag zu Tag. Immer häufiger liest man von Hitzschlägen oder Herzschlägen, die auch mit eine Folge der allzu großen Hitze sind- Erschreckend ist auch die Zahl derer, die, durch ein Bad Erquickung suchend, dem nassen Tod verfallen. Umsomehr kommt das trockene Wetter den Sommerfrischlern in Höhenlagen, vor allem aber auch den Landwirten, gelegen. Die Erntearbeit, bei der freilich von der Stirne heiß rinnen muß der Shweiß, macht rasche Fortschritte. So wird das langersehnte Achönwetter den einen zur Last, den andern zum Segen. Die Ufer der Enz von Rotenbach bis Birkenfeld waren gestern den ganzen Tag über dicht bevölkert; auch das Städt. Freischwimmbad wies einen Rekordbesuch auf. Soweit sich überblicken läßt, haben sich Unfälle bei dem Badehochbetrieb nirgends ereignet.
Gegen halb drei Uhr heute früh ging ein Gewitter mit heftigen elektrischen Entladungen und ausgiebigem Regenfall nieder. Obwohl eine gewisse Abkühlung dadurch eingetreten ist, hat es ganz den Anschein, als ob die heißen Tage ihre Fortsetzung finden sollten.
Neuenbürg, 22. Aug. Der 27 Jahre alte verheiratete Holzvermesser Otto Schrah aus Höfen erlitt Samstag nacht gegen l Uhr auf der Heimfahrt nach Höfen mit seinem Kraftrad beim hiesigen Friedhof einen tödlichen Unfall- Heimkehrer von der .Klübhauseinweihung des hiesigen Fußballvereins fanden Schrah vollständig verblutet im Straßengraben der in der Fahrtrichtung linken Straßenseite auf. Ob die tiefe Hals- wunde, die die linke Halsschlagader durchriß, vom Anprall an einen entgegenkommenden Kraftwagen oder sonstwie entstand, ist noch ungeklärt. Weder das fast unbeschädigte Motorrad noch die Straße selbst zeigen Spuren eines gewaltsamen Zusammenstoßes oder eines Sturzes in der von ihm anscheinend geschnittenen Linkskurve. Vielleicht bringt die auf heute früh angesetzte gerichtsärztliche Untersuchung Aufklärung über den rätselhaften Unfall, zu dessen Geschehen keinerlei Zeugen vorhanden sind.
Neuenbürg, 22. Aug. Adolf Lustnauer, ein Repräsentant des alten Neuenbürger Geschäftslebens, darf heute in körperlicher und geistiger Frische seinen 80. Geburtstag begehen. Aus einer Seifensiedersfamilie stammend hat der Jubilar sein Geschäft im elterlichen Anwesen (fetzt Eigentum von Dentist Klauser) betrieben. Dem vorwärtsstrebenden Kaufmann waren diese Räume bald zu eng und er erwarb sich deshalb zur Vergrößerung seines Geschäftes im' Jahre 1902 von Eduard Röck das Hotel „Ochsen-Alte Post". Seit dieser Zeit betrieb er seinen Groß- und Kleinhandel in diesem geräumigen Anwesen. Adolf Lustnauer war ein sehr fortschrittlicher Kaufmann und seine Beziehungen gingen über die Grenzen des Oberamtsbezirks hinaus. Er war lange Zeit Vorstand des Militärvereins und heutiger Ehrenvorstand. Auch bei der Gründung der Kraftwageugesellschast nahm er tätigen Anteil und war stellv. Geschäftsführer bis zur Uebergabe an die Reichspost. Die un-
selrgs Inflationszeit raubte chm dön gstMM^Dül-feines Vermögens und wenn Adolf Ge
brechen seinen 8l). Geburtstag begehen darf, sö'Mrdankt er dies' in erster Linie seinem energischen Lebenswillen. Äuch wir wünschen ihm noch einen gesegneten Lebensabend im Kreise seiner Angehörigen.
Frau Marie Neuhäuser, Witwe, feierte am letzten Samstag ihren S4. Geburtstag. Die hochbetagte Frau erfreut sich noch seltener Rüstigkeit. Ihr verstorbener Gatte war alter württembergischer Postbote. Unter einem Kreis von Gratulanten möchte auch das Heimatblatt nicht fehlen.
Neuenbürg, 19. Aug. Zu dem Auszug aus der Siegerliste über das Landestrefsen des 11. Turnkreises Schwaben in Tailfingen ist noch nachzutragen, daß im Fünfkampf Karl Belzle von hier, z. Zt. bei der Polizeiwehr in Eßlingen, einen 18. Preis mit 77 Punkten errungen hat. Sch.
(Wetterbericht.) Eine flache Tiefdruckzone über Frankreich hat zwar leichten Druckfall hervorgerufen, bleibt aber ohne wesentliche Wirkung. Für Dienstag und Mittwoch ist bei etwas Gewitterneigung immer noch hochsommerliches Wetter zu erwarten.
Wilvbad, 21. Aug. Hier herrscht bei der großen Hitze, die die Großstädter hinaustreibt, Hochbetrieb. Alles strömt nachmittags den von der rauschenden Enz durchflossenen kühlen Kuranlagen zu. lieber die für Wildbad typische abendliche Abkühlung, die bis zum anderen Mittag anhält, freuen sich alle, sogar die zur Badekur anwesenden zahlreichen Rheumatiker. Der Juli zeigt einen in Anbetracht der schlechten Zeiten günstigen Abschluß mit 61311 Uebernachtungen. Von den besonderen Veranstaltungen der letzten 14 Tage seien hervorgehoben die trotz des zweifelhaften Wetters von vielen Tausenden aus der näheren und weiteren Umgebung besuchte und in ihrer unnachahmlichen Pracht bewunderte dritte große Enz- anlagenbeleuchtung, die letzte der diesjährigen Kurzeit, ein Klavierabend des Wiener Professors Kessisoglu mit Orchester und ein Serenadenabend des Kurorchesters unter Musikdirektor Eschrichs musikalischer Leitung im Freien mit stimmungs- und stilvoller Laternen- und Kerzenbeleuchtung. Die in diesem Jahr ohnehin ermäßigten Preise für Bäder und Kurtaxe werden für die Herbstsaison besonders gesenkt, die Kurtaxe für die nach dem 31. August Ankommenden um 10 Prozent, die Preise für die Thermalbäder ab 16. September um rund 20 Proz.
Württsmbers
Nagold, 21. Aug. (Noch gut abgelaufen). Aus einem kleinen Schopf im Graben hinter dem Gasthaus zum „grünen Baum" sahen Nachbarn gestern kurz nach halb 12 Uhr starken Rauch heraustreten. Rasch entschlossen richtete der Geschäftsführer des Konsumvereins den Schlauch gegen das drohende Element und erstickte im Keim ein sich entwickelndes Feuer von unübersehbarer Auswirkung. Die Untersuchungskommission war sofort zur Stelle um die Ursache festzustellen. Die alarmierte Weckeclinie brauchte nicht mehr auszurllcken.
Freudenstadt, 20. Aug. (Erhöhung der BUrgersteuer und der Getränkesteuer abgelehnt). Der Gemeinderat hat beschlossen, die von der Ministerialabteilung geforderte nachträgliche Erhebung eines Zuschlags zur BUrgersteuer für 1931 in mehrfachem Betrag des Landessatzes sowie die Erhebung eines entsprechenden Zuschlags zu dieser Steuer für das Jahr 1932 abzulehnen. Abgelehnt wurde ferner die Einführung der 20 prozentigen Getränkesteuer. Da Stadtpfleger Rößler
sn Stellvertretung des Bürgermeisters es Mehnt«. von sich aus diese Steuern einzuführen, dürften sie nunmehr durch dir Aufsichtsbehörde wtfferleK weiden:n< „^ - n ' - 1 ,
Bietigheim. 21. Äug. (Jugendliche Lebensretterin.) Der sieben Jahre alte Schüler Herbert Binder geriet beim Baden in der Enz am Kammgarnspinnerei-Badeplatz an eine sehr tiefe Stelle. Auf seine Hilferufe eilte die 13jährige Hilde Lutz schwimmend ins Wasser und brachte den mit dem Tode ringenden Knaben ans Land.
Stuttgart, 20. Aug. (Der politische Zusammenstoß in Schorndorf). Am 10. April gab es in Schorndorf einen Zusammenstoß zwischen Nationalsozialisten und Mitgliedern der Eisernen Front. Auf dem Augustenplatz wurden zwei Nationalsozialisten von Mitgliedern der Eisernen Front schwer mißhandelt. Wegen dieser Vorkommnisse standen nun zwei Nationalsozialisten und 14 Mitglieder der Eisernen Front vor Gericht. Dieses sprach Gefängnisstrafen von 4 Wochen bis zu 8 Monaten aus. Fünf Angeklagte, darunter die beiden Nationalsozialisten, wurden freigesprochen.
Stuttgart. 20. August. (Unruhen vor dem Arbeitsamt.) Heute vormittag gegen 10 Uhr wollte ein Polizeibeamter einen Arbeitslosen, der vor dem Arbeitsamt politische Reden hielt, vom Platze weisen. Die Menge nahm gegen den Beamten Stellung. Als der Oberwachtmeister eine Festnahme vornehmen wollte, riß ihm ein Arbeitsloser den Säbel aus der Scheide und verletzte den Polizeibeamten zweimal an der Hand durch Stiche. Nun eilte Polizeiverstärkung herbei und dieser gelang es. sieben Personen sestzunehmen, die sich an dem schweren Ausruhr beteiligt hatten. Inzwischen hatte sich auch in der Breite Straße und den umliegenden Straßen infolge des Äustritts eine große Menschenmenge angesammelt, die der Aufforderung der Polizei zum Auseinandergehen nur zögernd Folge leistete.
Duttenberg, OA. Neckarsulm, 20. August. (Vom Ertrinken gerettet.) Beim Baden am Iagstwehr geriet ein Knabe vom 2. Schuljahr unversehens in eine große Vertiefung. Sein Vater, der ungefähr 100 Meter weg auf der Wiese arbeitete, bemerkte etwas, eilte hinzu, sah noch zwei Hände nach oben sich heben, sprang ins Wasser hinein und zog zu seiner größten Verwunderung seinen eigenen Knaben heraus. Der Knabe wäre verloren gewesen, wäre der Vater nicht in letzter Minute so eilig zu Hilfe gekommen.
Geislingen a. St.. 20. August. (Einqefangene Silberfüchse.) Von den kürzlich ausgerissenen drei Tieren einer hiesigen Silbersuchssarm konnten zwei (und zwar die beiden Jungtiere) wieder eingefangen werden. Eines wurde bei Aufhausen eingefanaen, das andere ging in die bei der Farm bereitgestellte Falle. Die Mutter konnte während mehrerer Tage in einem Felsenschlupf bei der Schildwachhöhe beobachtet und gefüttert werden. Seit letzten Samstag ist sie nun spurlos verschwunden; sn die Falle ließ sie sich nicht locken. Es ist fast mit Sicherheit zu vermuten, daß das wertvolle Tier in irgend einem Versteck ermüdet und entkräftet liegt und verendet.
Ulm, 19. August. (Es hat geschnappt.) Eine originelle polizeiliche Verwarnung liest man im Ulmer Tagblatt. Sie glaubens nicht, die Herren Radler und verehrten Radlerinnen, daß es in Ulm Wege gibt, die mit dem Rade nicht befahren werden dürfen. Besonders die Radlerinnen verlassen sich auf ihre Anmut, auf ihr bezauberndes Lächeln, auf die prall sitzende rote Bluse und das weiße Trägerröckchen, und sie meinen, das genüge, um die Herren der Gesetze waffenlos zu machen. Gefehlt! Da hilft nichts! Wer da auf dem Wege am dicken Turm radelt oder nur auf dem Pedal stehend dahergondelt, wird unweigerlich angehalten und in freundlichster Weise um Angabe seines Namens ersucht. Wehe, wenn es durchbrennen will! Zwei wilde Wölfe — es können auch Schäferhunde sein — stehen bereit, um Fliehende am Hosenboden zu fassen, und solchen geht's schlecht; sie müssen am Marterpfahl sterben. Also nochmal seid gewarnt, ihr schneidigen Radler und holdgesichtigen Radlerinnen: am dicken Turm, da droht Gefahr!
Ooetke und was bleibt
Eine „nachfeierliche" Betrachtung von Th. Ruppert, Feuerbach.
II.
Der Herr gibt Mephisto die Erlaubnis, Faust durch die .Irre und Wirrnis dieser Welt zu führen, ihn von seinem Urquell abzuziehen in höllische Gründe und Abgründe. Aber er möge sich schämen, wenn es ihm eines Tages nicht gelungen sein tvürde, denn:
„Ein Mensch in seinem- dunklen Drange ist sich des rechten Weges Wohl bewußt."
Faust... Knecht Gottes! Mensch... Kind Gottes! So tief führt Goethes Erkenntnis ja: Jedes Leben, jeder Mensch ist die Offenbarung, die Erscheinung eines Wesens, das im Verborgenen ruht als das Ewige und ewig Schaffende, das zur Verwirklichung drängt. An anderem Ort sagt Goethe ganz deutlich: „Irr jedem lebt ein Bild des, das er werden soll. Solang er das nicht ist, ist nicht sein Friede voll."
Dunkler Drang, ewiges Bild in uns, das ist das eigenartige Wesen in uns als Urgesetztes, in dem wohl unsere Freiheit eingeschlossen ist, so daß wir versucht werden können, an dem wir aber gehen als an dem „unsichtbaren Goldfaden". Am tiefsten offenbart Goethe dieses Schöpfungsgeheimnis in den orphischen Urworten:
„Wie an dem Tag, der dich der Welt verliehen,
Die Sonne stand zum Gruße der Planeten,
Bist alsobald und fort und fort gediehen,
Nach dem Gesetz, wonach du angetreten.
So mußt du sein, dir kannst du nicht entfliehen.
So sagten schon Sybillen, so Propheten;
Und keine Zeit und keine Macht zerstückelt Geprägte Form, die lebend sich entwickelt!
Das ist das ergreifende Bild vom Menschenlos: Geprägte sorm lebend, d. h. unermüdlich tätig zu gestalten in den Grenzen der Wirklichkeit. Zwischen Jenseits und Diesseits, ^ott und Welt, Wesen und Wirklichkeit, Licht und Schein entwickelt sich unser Leben — durch Schuld und Erlösung.
.Aus Eins, der ewigen Heimat, sind wir gegangen durch unsere Schuld, durch falsches Sehnen, in die Zweiheit der Zeitlichkeit, wo Mephisto Macht hat über uns und ihm „nichts verwehrt ist". Doch faustischem Sehnen und Streben nach Vollendung ist Erlösung aus der Schuld verheißen. „Ahnend A treuer Brust spürt er Las Ziel, das zur Vollendung führt." Und diesem Ahnen folgt der Mensch, der Faust ist. So oft K"wt in mächtigem Erlebnisdrang Lurch alle Möglichkeiten wdischen Seins stürmt, er findet nirgends so hohe Be- iNeoiMag, daß er zu dem Augenblick sagen könnte: „Verweile du bist so schön!" Immer wieder erschüttert ihn sein Dchuldigwerden, in die alle eigensüchtige menschliche Entwicklung hineinführt und alle menschliche Entfaltung. Nirgends nnoet er im menschlichen Bereiche das Unbedingte, „das die im Innersten Zusammenhalt". Nirgends den Frieden, Ae Harmonie- Er findet es nicht in der Wissenschaft, auch nicht in ihren erdgeistigen Geheimgrößen als Magie, nicht siu tollen Auskosten der Sinnenlust, weder leiblich in Auer- oachs Keller, wo es nur „Speise gibt, die nicht satt macht", seelisch in der sinnlichen Liebe bei Gretchen, stark gemacht Awch den Zaubertrank der Hexenküche, dem Urbild unserer modernen Hexenküchen — sei es das physiologische Verjüng- ungslaboratorium oder die Kunst und Fülle der vornehmen (suche. Entsetzliche Schuld ist immer das Ende: Wahnsinn Und Verbrechen — Krankheit und Tod. Erschüttert steht Faust am Herzen der Natur findet er neues Leben. Aber sein wynsuchtsvolles Streben treibt ihn auf höhere Stufen, in der '/Weren" Welt Sinn und Ziel des Lebens zu suchen. Die Höhere Welt findet er für die leibliche, äußere Entfaltung am s-Werhofe (dem Bilde des Weimarer Fürstenhofes), für die seytrge Entwicklung in der reinen Schönheit griechischer Kul
tur und für die Weitung und Erfüllung der Seele in der großen sozialen Tat. Aber Faust erlebt in den sogenannten „besseren" Verhältnissen dieselben Gefahren. Gleich entsetzliche Schuld erwächst aus noch viel gefährlicheren, meist traumhaft verborgenen Tiefen des Wesens. Am Kaiserhofe ist ein gemeines Ringen aller um Genuß und Herrschaft in allen denkbar möglichen groben und feinen Formen — voll Neid, Mißgunst, Eitelkeit und Ungerechtigkeit. Ein unhaltbares Bild voll finsterer Gewalten! Im Suchen aber nach höchster, geistiger Schönheit öffnen sich alle Irrwege der Selbstver- götterung und Dünkelhaftigkeit, -deck künstlichen Gemächtes ohne Fleisch und Blut — Homunkulus, der gewalttätigen Selbsterlösung durch „höhere -Erkenntnis", durch Meditation und Magie. Und doch rollt sich- nur dem, „der den schweren Weg sieht wie Parsival, der Faden auf durch das Labyrinth des Lebens, so daß er die Krone heimbringt ins Vaterhaus. (Wiz.) Wuotan ist nicht umsonst der Einäugige! Er hat der Wahrheit ein Auge geopfert. Nur dem Opfer, der völligen Selbsthingabe des ganzen Lebens ist der Friede beschert. Nicht der eigenen Kraft. Zum letztenmale sucht Faust höchstes Lebensglück durch seine Kraft zu gewinnen. Die soziale Tat soll es bringen. Er will ein ganzes Volk beglücken, ihm zur Arbeit, zur eigenen Scholle, zü Grund und Boden verhelfen, zur Arbeit aus der eigenen Wesenstiefe. Und das Werk beginnt so wohlgemeint wie so viele sozialen und politisch- sozialen Hilfswerke bis auf unsere Tage. Aber wie alles Reinmenschliche, sei es noch so „edel, hilfreich und gut" führt es nur zur Verkettung in Besitz- und Herrschsucht, zu Unzu- zufriedenheit und Ungerechtigkeit. Wieder gerät Faust in schreckliche Schuld. Das Häuslein der beiden fröhlichen, stillen Alten — Philemon und Baucis — ist dem großen Werk im Wege. Faust läßt es entfernen mit „wohlgemeinter" Gewalt. Aber es wird zum Scheiterhaufen für die guten, unschuldigen Armen. Wieder ist unschuldig Blut vergossen! Zum drittenmal hat Faust sein Leben verfehlt. So würde ihn jeder weitere Versuch in Schuld führen. Das ist die entsetzliche, erschütternde Erkenntnis im „Faust": Kein Mensch -dringt aus eigener Kraft zur Wahrheit durch, keiner aus eigener Kraft zur Schönheit, keiner aus eigener Kraft zur Güte. (Wiz.)
Da setzt die ewige Liebe ein, die höhere Gerechtigkeit, die Gnade, die nicht fragt nach dem Schein der Tat, sondern nach ihrem Ursprung, der in der Gesinnung liegt. Goethe ist hier bis zum Christentum durchgebrochen. Das ist gewiß: „Goethe ist zeitlebens mehr ein Ringender und Kämpfender als ein Glaubender der christlichen Gemeinde gewesen." Aber er dringt zu der Erkenntnis durch: Es muß eine Macht des unbedingten Gnadenrechts geben, um das aus menschlichem Irrtum stammende jammervolle Schicksal zu wenden. In ihr nur ist Erlösung zu finden von des Lebens Schuld. 3lur wenn die „Liebe von oben" an unserem Leben teilnimmt, überbrückt sich der Abgrund zwischen hier und -dort.
Nur wenn Gottes Liebe ganz unbedingt in uns zur Nächstenliebe geworden ist, kann die Not der ganzen Schöpfung überwunden werden. Nur im Menschen ist die Eins — ist die ewige Liebe im Leben da. Unser Leben muß Christus heißen! Für das ganze Leben, für alle Verhältnisse der Menschen und Dinge untereinander in Familie, Gemeinschaft, Volk und Natur ist ein neuer Grund zu legen: Ehrfurcht, Vertrauen und Güte. Erfurcht vor jeder Erscheinung des Lebens als gottgeprägter Form, Vertrauen und Liebe als Weg zu ihr, der nicht schuldig werden läßt. Kein Krampf hochgespannter Leistung kann uns helfen, nicht die grobe Magie bezaubernder Wirtschaftsprogramme und Gewaltpolitik, nicht die feinere Magie von Psychoanalyse, Traumdeutung und Suggestion — nichts von dieser Welt. Nur das „Ewig Weibliche zieht uns hinan!" Nur das Ewigweibliche der Liebe, der mütterlichsten Kraft des menschlichen Lebens. Denn „alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis", ist ohne eigenen Wert, ist nur Wert als Offenbarung des Göttlichen, das unser Teil ist. Solche Offenbarung wird der Mensch nur auf dem Weg der „göttlichen Er
ziehung", d. h. durch Vorbild und herzliche Gemeinschaft. Gretchen bittet in ergreifenden Worten für Faust:
„Neige, neige, du Strahlenreiche, dein Antlitz gnädig meinem Ohr!"
Und sie erfährt für sich und Faust Begnadigung. Darin offenbart Goethe eine letzthinige Auffassung vom Sinn göttlicher Führung und Erziehung, wie wir Menschen auf Erden sie von Gemeinschaft zu Gemeinschaft üben sollen.
„Denn jedes vollendetere Wesen ruft in einem andern, das es liebt, die Kraft und das Berlangen nach Vollendung wach." (Wiz.)
Nichts kann nützen die Idee der Wiedergeburt; nichts der selbstsichere Weg der Geisteswissenschaften.
„Uns bleibt ein Erdenrest zu tragen peinlich"
„Die ewige Liebe nur vermag's zu scheiden".
Das ist der Weg: Aus -Eins mach zehn! D. h. sei ganz Mensch. Eins — das Göttliche als Urgrund, ist, aber erst im Menschen ist es da. In dem Menschen, der sich nicht verliert in der höllischen Zweiheit der Welt, der sich demütig beschränkt, nicht sein will -wie Gott, der ganz Mensch sein will, der Gott braucht und wirken läßt. Der also für sich nichts ist als Null, mit Gott aber — dem Eins — die Zehn, ein Tempel voll heiligen Geistes... die große Majestät des Lebens.
Der Mensch vermag es nicht allein. In einem Augenblick blinder Glückseligkeit verliert Wohl Faust seine Wette mit dem Teufel. Er scheint nun endgültig dem Satan zu gehören. Aber die Engel tragen Fausts Unsterbliches hinweg:
„Gerettet ist das edle Glied der Geisterwelt vom Bösen,
Wer immer strebend sich bemüht, den können -wir erlösen."
In der Marienbader Elegie stehen die wundervollen Worte: „In unsres Busens Reine wohnt ein Streben, sich einer Höheren, Reinen, Unbekannten aus Dankbarkeit freiwillig hinzugeben, enträtselnd sich den ewig Ungenannten,
Wir heißens fromm sein."
Daß eins dem andern in herzinniger, mütterlicher Hingabe zum Starken werde, der den Schwachen führt und leitet und das Ganze die selige Gemeinschaft sichtbarer und unsichtbarer Wesen sei, in der ein jedes sich entfalten kann zu dem reinen Bilde seiner geprägten Form, das ist der Ruf, der aus Goethes Werk und Leben, insbesondere aus seinem „Faust" Lurch die neue Deutung an unser Herz dringt. Das ist, was uns bleibt von Goethe, sein „Faust", wen auch alles andre dem Schicksal alles Zeitlichen verfallen sollte. „Faust" ist ewige, unvergängliche Botschaft. Und mit „Faust" bleibt uns auch ein Zeugnis seiner unvergleichlichen Dichtkunst. Auch Goethes Dramen gehören zu seiner Lyrik. Zwischen dem Gelehrten und weniger Künstlerischen bleibt genug Lyrik, die zur höchsten Höhe deutscher Dichtung führt, in der alle seelischen Stimmungen erklingen, in der es singt und flammt in allen Tönen des menschlichen Herzens bis zur Tiefe methaphysischer Schwere erfüllt mit dem geheimen Zauber und der ätherischen Musik unserer Sprache. —
Goethes Botschaft hallt in unsere erdschwere Zeit voll verlangender Erlösungshoffnung. Sie ruft uns auf den Weg zum Leben, zum Heil. Wir wissen, daß wir nur im Aufblick zur Höhe, getragen von neuer christlicher Gemeinschaft und voll fröhlichen und friedlichen Wesens ihn gehen können. Goethe wußte, daß immer nur Wenige ihm folgen können, daß die Masse nicht verstehen will. Aber die Rettung kommt immer von Wenigen. Fünf Gerechte hätten Sodom gerettet! Welch erschütternde Mahnung!
„Sei von den Wenigen, Du!"
(KarlWizenmann, Faust und der Weg zu« Leben. „Fausts Heimkehr", s. Auflage in völliger Umarbeitung. 1832. 5 RM. Wege-Verlag Wilhelm Kaz, Stuttgart. Zu beziehen durch die „Enztäler"-Buchhandlung.)