8LIIX8I, MV 8VI0M
r»»«I» «II« VongsssIKIsIKI« «V«n nussIsolA«», IUsvvIu«IoiH
Von lv. ttoltmsnn-ttgrnisck unä KI3U8 Qustsv ttoüsenfter 6op^riM 1930 d)- ?re88everjgZ Or. K. Oammert, Lerliu
1. Fortsetzung.
Im Gouvernement Charkow wütete der Generalgouverneur Fürst Obolenski. Die vor Hunger zur Verzweiflung getriebenen Bauern hatten sich Hinreißen lasten, den großen Gutsbesitzern die Kornspeicher zu erbrechen und das Getreide zu entführen. Daraufhin hatte der Generalgouverneur seinen Kosaken die in Frage kommenden Dörfer „geschenkt". Die Männer waren zu Tode geprügelt, die Krauen und Mädchen vergewaltigt worden.
Auf Befehl des Zentralkomitees begab sich Gerschuni mit der neu gebildeten Kampfgruppe nach Charkow, um diesen Edelmann zu „visitieren". Ein Arbeiter namens Katschura hatte Gerschuni inständig gebeten, ihn für den ersten Terrorakt, den die Partei für notwendig halten würde, anzusetzen, und Gerschuni hatte ihm die Erfüllung seiner Bitte zugesagt.
Am 22. Mai 1902 schritt Katschura zur Tat. Als der Generalgouverneur in Begleitung seines Polizeidirektors und einer Dame nachts um 10 llhr die Vorstellung des Tivoli-Va- rietbs verließ und durch den Stadtgarten ging, schoß Katschura viermal. Der Fürst wurde schwer am Halse, der Polizeidirektor leicht am Fuße verletzt. Katschura hatte nicht sicher schießen können, weil er die Dame unter keinen Umständen treffen wollte und durfte.
Es war einer der heiligsten terroristischen Grundsätze, bei Attentaten niemals Unbeteiligte, besonders Frauen oder Kinder, mitzuverletzen, und Uebereifrige, die dieses Gebot übertraten, wurden von der eigenen Gerichtsbarkeit schwer bestraft.
Der Attentäter wurde natürlich verhaftet, aber die Gruppe entkam und konnte sich sofort dem nächsten Punkt ihrer Tagesordnung zuwenden.
Im Uralgouvernement Ufa hatte sich der Gouverneur General Bogdanowitsch durch entsetzliche Grausamkeiten ausgezeichnet. Die wegen Lohnforderungen streikenden, ganz un- politisch-friedlich demonstrierenden Minenarbeiter hatte er in Massen niederknallen lassen, sogar Frauen und Kinder waren tot auf dem Platze geblieben.
Gerschuni und Äsew begaben sich zunächst allein nach Ufa und kundschafteten die Gelegenheit aus- In dieser kleinen Stadt war es leicht festzustellen, daß der Generalgouverneur täglich um 5 Uhr im Stadtgarten spazieren zu gehen Pflegte
— aber es war schwer, sich zu verbergen. Deshalb reisten die Führer so schnell wie möglich wieder ab und schichten die beiden mit der Ausführung beauftragten Genossen nach genauer Instruktion an den Ort der Handlung. Aber der Angriff schlug fehl: Kaum hatten die Terroristen Ufa betreten, als sie auch schon verhaftet waren. Ein unerklärlicher Vorfall!
Jener große unbekannte Geheimagent Raskin mußte seine Hände im Spiel haben: Er, der durch dunkle, nicht durchschaubare Mittel alles in Erfahrung brachte, mußte die Ochrana mit unheimlicher Sachkenntnis über alle Details rechtzeitig aufgeklärt haben.
Aber Gerschuni war wachsam. Eilig begab er sich selbst auf den Schauplatz, und ehe noch die infolge der gelungenen Verhaftung beruhigte Polizei zur Besinnung kam, stürzte am 6. Mai 1903 der Generalgouverneur, von sechs Revolverkugeln getroffen, im Stadtpark von Ufa zu Boden. Er war sofort tot — der Attentäter aber war spurlos verschwunden. Passanten und Polizisten, die herbeieilten, fanden neben der Leiche ein Schriftstück mit dem llrteilsspruch, den die Kampfgruppe über Bogdanowitsch gefällt hatte. In diesem Ukas wurde verkündet, daß er wegen der ermordeten Minenarbeiter zum Tode verurteilt sei.
Der Attentäter blieb trotz aller Anstrengungen der Ochrana unauffindbar. Nur Gerschuni und Asew wußten, daß der neunzehnjährige ehemalige Bauer und jetzige Schlosser im Eisenbahnwerk zu Ufa, Jegor Dulebow, den Mord begangen hatte. Der nahm bereits am nächsten Tag „friedlich" seine neue Arbeit in einer Geheimdruckerei der Partei auf.
„Man kann nicht zulassen", hatte er noch vor der Tat in einem Abschiedsbrief an einen Genosten geschrieben, „daß man uns wie Sklaven behandelt, man kann nicht zulassen, daß unser Blut wie Wasser vergossen wird. Wir müssen jeder für unsere Freiheit, für unser Glück kämpfen. Nicht, weil ich an die Arbeiterbewegung nicht glaube, vollziehe ich das Urteil der Kampfgruppe, sondern weil wir mit jedem friedlichen Protest doch nur frechen Hohn ernten. Wenn wir zu Demonstrationen gehen, so bleibt uns kaum die Zeit, das Banner zu heben — und schon überfallen uns vertierte Kosaken, Gendarmen und Spitzel und schlagen auf uns los: Man haut mit Lederpeitschen, mit Pallaschen, man zertrampelt uns mit Pferdehufen, schleppt uns ins Revier und verhöhnt uns schamlos. Ich halte es für ein Glück, daß es mir befchieden ist, an diesem Wüterich von Ufa Rache zu nehmen. Kämpft denn, Genossen, für das Wohl des Volkes, für eine bessere Welt, für die heilige Freiheit, kämpft, bis die russische Autokratie in Scherben fliegt."
Wieder war die Ochrana in hellster Aufregung. Durch alle die vielen Zweigstellen dieser geheimen Polizeiorganisation
— von der das ganze Zarenreich wie mit einem Netz überzogen war — raunte und flüsterte es von dem undurchdringlichen Geheimnis, das diesen neuen Mord umwitterte. Sollte Raskin diesmal versagt haben? Sonderbarerweise wagte niemand. ihm Vorwürfe zu machen! Es hieß, er habe dem Leiter der Auslandsochrana, dem berüchtigten Ratschowski, rechtzeitig von der Abreise Gerschunis und dem neuen Attentat gegen den Generalgouverneur Mitteilung gemacht — der aber habe dem Obersten Kremenjetzki einen kollegialen Streich spielen wollen und- habe deshalb Mednikow so saumselig und lässig auf die Reise gebracht, daß er noch im Zuge gesessen habe, als der Mord bereits geschehen war. Wie dem auch sei — jedenfalls ist die Affäre innerhalb der Ochrana nie aufgeklärt worden.
Kein Makel aber blieb an Raskins Tüchtigkeit hängen, denn nun setzte der große Geheimagent seinen bisherigen Taten die Krone auf, indem er Gerschuni selbst ans Messer lieferte.
Gerschuni hatte sich sofort nach dem Attentat in den Zug nach Kiew gesetzt, war aber — statt bis zum Hauptbahn- Hof zu fahren — vorsichtshalber eine Station vorher ausgestiegen. Hier sah er sich plötzlich fünf Agenten der Ochrana gegenüber, die ihn, ohne selbst zu wissen, wer er war, verhafteten und auf die Polizei führten. Hier wurde er von einem höheren Beamten sofort unter seinem richtigen Namen ins Verhör genommen. Gerschuni fühlte zwar ganz deutlich, daß er verraten worden war, aber erst acht Jahre später sollte er erfahren, daß Asew sein Judas gewesen war. Den Preis von 10000 Rubeln, der auf seinen Kopf gesetzt war, verdiente sich jedenfalls irgendein kleiner ahnungsloser Gendarm. Hocherhobenen Hauptes trat Gerschuni vor das Petersburger Kriegsgericht. Mit leidenschaftlichen Worten trat er für seine Taten ein und nötigte seinen Feinden Hochachtung und Be
wunderung ab. „Dieser Jude ist ein Held", rief einer seiner Richter aus.
Er wurde zum Tode verurteilt, dann gegen seinen Willen zu lebenslänglichem Zuchthaus begnadigt und einige Jahre später nach Sibirien verschickt. Sein Name aber war fortan heilig für die Soldaten der Revolution. Er drang sogar bis hinter die Mauern der Schlüsselburg; Wera Figner fand ihn während ihrer dreiundzwanzigjährigen Haft bei einer Um- guartieruug in die eiserne Tischplatte einer Zelle eingeritzt. Gerschuni entfloh sieben Jahre später aus Sibirien und kam als totkrauker Mann nach Genf zu den Freunden in der Parteileitung zurück. Als er auf seinem Sterbebett hörte, wer der große Unbekannte gewesen, der ihn einstmals verraten, brachen ihm die Tränen hervor.
Aber für die Terroristen war es selbstverständlich, daß Asew Nachfolger und Erbe Gerschunis wurde. Der intime Freund saß in der Schlüsselburg und die Augen aller Terroristen richteten sich ganz natürlich auf Asew als den einzigen Führer. Mit festem Griff nahm er die Zügel der Kampfgruppe in die Hand und organisierte und leitete jene großen Attentate, die das russische Reich in seinen Grundfesten zu erschüttern schienen. Er führte die Partei zu einer Bedeutung, die ihr für einige Zeit die Achtung sogar der sonst zu feindlichen Sozialdemokraten erwarb. In der nun einsetzenden Periode waren es die Sozialrevolutionäre, die dem Umsturz die Seele und den Atem verliehen und Asew war ihr unbestrittener Führer.
Kapitel III.
Die Verfassung, in der sich die Kampfgruppe bei der Ueber- nahme der Leitung durch Asew befand, war nichts weniger als ermutigend. Durch die Verhaftungen der letzten Zeit hatte sich der Bestand an geübten und erfahrenen Kämpfern stark verringert; die Methoden waren überaltert und mutzten durch eine neue, der Praxis der Polizei besser angepaßte Taktik ersetzt werden. Deshalb verließ Asew auf dem schnellsten Wege Rußland und reiste — es war Ende Mai 1903 — nach Gens zum Zentralkomitee. Hier suchte er sich zuerst aus der Rekrutenschar die für den kommenden Feldzug geeigneten Kämpfer aus und stellte die neue Gruppe zusammen. Sodann arbeitete er die modernen Grundzüge der Konspiration aus, nach denen in Zukunft Verfahren werden sollte . Bisher hatte die Kampfgruppe vom Zentralkomitee die Weisungen erhalten, wen sie zu ermorden und wie sie bei dem Attentat vorzugehen hatte. Jetzt löste Asew die Kampfgruppe von der Partei los und teilte sie in vier selbständige Körperschaften ein.
Abteilung F wurde als Erkundungsgruppe eingesetzt; ihre Angehörigen hatten als Droschkenkutscher, Stratzenverkäufer oder Passanten die Lebensweise, das Aussehen und die Gewohnheiten der Opfer genau zu erkunden. Diese Technik der sogenannten „Stratzenbeobachtung" war bis dahin Spezialität der Ochrana gewesen und den Terroristen fremd geblieben. Jetzt kehrte Asew diese Waffe gegen die Polizei, der er sie abgelauscht hatte.
Die Mitglieder der Abteilung 8 waren die „Oberfeuerwerker"; sie hatten Dynamit, Knallquecksilber und Nitroglycerin herzustellen und zu Bomben zu verarbeiten; schon die alten Terroristen der achtziger Jahre waren zu der Erfahrung gekommen: „Der Revolver bringt Unglück!" Aber erst Asew führte die Bombe als einzige und Hauptwaffe der Terroristen ein.
Die Abteilung L vereinigte die „Offiziere", das heißt jene, die die Bomben zu werfen hatten, Leute mit sicheren Augen und geübten Armen; sie hatten sich um nichts zu kümmern. Erst in letzter Minute wurde ihnen von den danebenstehenden Feuerwerkern das Wurfgeschoß übergeben.
Abteilung O hatte die Aufgabe, die Quartiere zu besorgen, in denen die Beteiligten bis zum Attentat als sriedliche Bürger leben konnten, die Pässe herzustellen, die Flucht vorzubereiten und schließlich die übriggebliebenen Bomben unschädlich zu machen und an den vorher verabredeten Stellen in Flüssen oder Seen zu versenken.
So verfeinerte Asew die Technik bis zu einer Vollendung, die scheinbar nicht mehr übertroffen werden konnte — aber nur scheinbar, denn, wie wir sehen werden, erfand er zu einem späteren Zeitpunkt eine noch fortgeschrittenere, aber dafür umso wucherische Technik, die alles bisher dagewesene noch übertraf. Fürs erste aber dauerte die Aufstellung und Ausarbeitung der Pläne fast ein Jahr, sodaß die Ochrana bereits glaubte, die Kampforganisation durch die Verhaftung Gerschunis zerschlagen zu haben. Sie sollte bald eines Besseren belehrt werden.
Zum ersten Male sollte die neu organisierte Kampfgruppe ihre Kraft an dem Mann erweisen, der nach der Ermordung des Innenministers Sipjagin als ein wirklicher Diktator Rußland regierte. Die unbegrenzteste und unkontrollierbarste Macht, die Nikolaus ch. jemals einem Mann in die Hand gelegt hatte, konzentrierte sich in dem neuen Innenminister Plehwe.
Plehwe war auch für die nichtrevolutionären Russen eine der grauenhaftesten Erscheinungen des Zarismus. Er, der bei Ausbruch des russisch-japanischen Krieges den berühmten Satz geprägt hatte: „Ein kleiner Aderlaß wird Rußland nichts schaden", hatte seine Karriere mit einem beispiellosen Schurkenstreich begonnen:
Er war als junger Mensch von einem polnischen Magnaten aus Barmherzigkeit ausgenommen und an Kindesstatt erzogen worden. Als sich sein Pflegevater in den sechziger Jahren an der Leitung des großen polnischen Aufstandes beteiligte, denunzierte ihn Plehwe der russischen Regierung, die ihn infolge dieser Denunziation hinrichten ließ. Plehwe erhielt zum Lohn dafür seine Einstellung als Beamter in den Staatsdienst.
In einem entscheidenden Moment seines weiteren Lebens machte er später noch einmal auf eine sehr sonderbare Weise Karriere. Unter der Regierung Alexander Hl. war er einfacher Departementsdirektor bei der Polizei gewesen; mit dem Avancement haperte es, denn der damalige Premierminister Graf Tolstoi schätzte ihn nicht und stand seinem Vorwärtskommen im Wege. Dieses Schicksal teilte Plehwe mit seinem unmittelbaren Vorgesetzten, dem Gendarmerieobersten Sudej- kin. Diese beiden Polizeichefs haßten ihren Minister gründlich Da kamen sie eines Tages auf die geniale Idee, ihn einfach durch Terroristen ermorden zu lassen. Zu. diesem Zweck engagierten sie sich den Lockspitzel Sergius Degajew, denselben, der Wera Figner verraten und ausgeliefert hatte. Der aber bekam bei der Ausführung des Attentats auf den Minister Plötzlich Gewissensbisse, offenbarte sich seinen terroristischen Kameraden, indem er ganz einfach gestand, nicht nur Terrorist, sondern auch Agent der Polizei zu sein. Die Terroristen
verziehen ihm unter der Bedingung, daß er nunmehr Sudej- kin selbst ermorden würde. Dieses Attentat führte er denn auch aus und machte dadurch für Plehwe das Avancement frei.
Plehwe war es schließlich auch, der mit Hilfe der bereits erwähnten Schwarzen Hundertschaften die grauenhaftesten. Judenmassakers veranstaltete, die die Welt je gesehen hat:
In Kischinew hatten sich am ersten Ostertage 1901 begnadigte Verbrecher, Mörder, Einbrecher, Prostituierte gruppenweise im Gebäude der „Schwarzen Hundert" versammelt. Dort waren zwei Tonnen Wodka aufgestellt. In kurzer Zeit hatte sich die ganze Gesellschaft betrunken, und nun, um drei. Uhr mittags, zog der Pöbel, von verkleideten Schutzleuten und Agenten der Ochrana angeführt, in das Judenviertel. Das Progrom dauerte den ganzen ersten Feiertag und wurde am zweiten erneuert und bis zum Abend weitergeführt. Die begangenen Greueltaten waren unbeschreiblich. In den städtischen Krankenhäusern lagen mehr als dreihundert Schwerverwundete. Mehr als hundert Tote wurden gezählt.
Dieser Plehwe sollte als erstes Opfer der neuen Aera Asews fallen.
In den Augen der Terroristen konnte die Verurteilung Gerschunis durch kein schöneres Opfer gesühnt werden. Schon ein Jahr vor seiner Verhaftung hatte Gerschuni ein Attentat gegen Plehwe versucht. Nur Asew war in das Projekt ringeweiht gewesen, das auf eine ungeklärt gebliebene Weise verraten und zum Scheitern gebracht worden war. Entmutigt hatte Gerschuni ausgerufen: „Dieses Unternehmen geht über meine Kräfte!" Jetzt wollte Äsew zum Staunen und zur Bewunderung der Kameraden diesen größten Plan seines einstigen Mitarbeiters zu Ende führen.
Die ersten Vorbereitungen traf Asew allein in Genf. Dann bestellte er einige Auserwählte zu einer Besprechung nach Freiburg i. B. und entwickelte ihnen seinen Plan:
„Ich habe in Erfahrung gebracht, daß Plehwe im Gebäude des Polizeidepartements Fontanka 16 wohnt. Es ist nun bestimmt sehr schwierig, um nicht zu sagen aussichtslos, den Premierminister innerhalb des Polizeidepartemeuts umzubringen. Wir wissen nicht, in welchem Zimmer er sich gerade nufhält und es kann uns passieren, daß wir das halbe Gebäude in die Luft sprengen und viele Unschuldige töten — während er in einem anderen Teil des Hauses am Leben bleibt. Ihr erinnert Euch an das Attentat gegen Alexander III- im Winterpalast, bei dem etwa 50 unschuldige Menschen getötet wurden, während der Kaiser und seine Familie verschont blieben.
Nun habe ich aber ferner noch in Erfahrung gebracht, daß Plehwe täglich zum Zaren zum Vortrag fährt. Diese Chance müssen wir ausnutzen und ihn auf der Straße umbringen. Deshalb mutz Sawinkow mit seiner Abteilung die Marschroute und das äußere Bild des Wagens genau feststellen . Sassonow wird sich eine Droschke und ein Pferd kaufen und als Kutscher durch die Straßen fahren. Kaljajew muß sich einen Gewerbeschein als Straßenhändler beschaffen und Zigaretten verkaufen. Aus diese Weise können wir die Zeit der Ausfahrt und den Weg genau feststellen und dann an einer geeigneten Stelle eine Bombe in den Wagen werfen."
Auf dieses Programm einigten sich die Genossen, trennten sich dann und trafen sich einige Tage später in Berlin wieder, wo Asew in einem der großen Cafbs in der Leipziger Straße die Sache mit Sawinkow noch einmal durchsprach.
Dann gingen die Mitglieder der Kampfgruppe, jeder aus einem anderen Wege, nach Petersburg an die Arheit.
Hier an Ort und Stelle wurde Asew durch seinen feinen Spürsinn Plötzlich gewahr, datz bereits eine andere unabhängige Gruppe von Terroristen an der Ermordung Plehwes arbeitete; eine junge Terroristin namens Seraphine Klit- schoglu war mit dem gleichen Plan beschäftigt, wie er selbst. Asew suchte nun die Konkurrentin auf und bat sie, von ihrem Vorhaben Abstand zu nehmen. Aber er holte sich einen negativen Bescheid. Nun wurde er dringlicher und sprach ihr das Recht ab, eine Sache zu betreiben, die ausschließlich zur Kompetenz seiner Kampfgruppe gehöre. Ohne Einigung gingen die Rivalen auseinander.
Einige Tage später wurde die Klitschoglu, zur Ueberrasch- ung aller Revolutionäre, mitsamt ihrer ganzen Organisation von achtundfünszig Personen verhaftet. Die Terroristen erklärten sich den erstaunlichen Vorgang durch die Annahme, die Klitschoglu wäre das Opfer ihrer eigenen Unvorsichtigkeit geworden, gegen die Asew sic mit seinen guten Ratschlägen vergeblich zu schützen versucht hatte. In Wirklichkeit aber hatte wieder Raskin seine Hand im Spiele.
Einige Tage nach der Verhaftung verließ Asew Petersburg und Sawinkow übernahm das Kommando der Kampf' gruppe. Der Genosse Zigarettenverkäufer ging mit dem Ruf: „Kaufen Sie Täubchen, zehn Stück fünf Kopeken" aus dem Newski-Prospekt hin und her und hielt Ausschau nach Plehwes Wagen. Aber er kam nicht zum Ziel, denn die anderen Straßenhändler drängten ihn dauernd weg und hinderten ihn dadurch an der Beobachtung. Der als Droschkenkutscher Verkleidete erreichte ebensowenig, da er durch Fahrgäste unablässig von der Beobachtung abgehalten wurde. Nur sovm konnte Sawinkow durch Vergleichung der spärlichen Beobachtungen, die doch hie und da gemacht wurden, feststelleu, daß der Ministerpräsident sein Palais nie ohne den Schutz einer großen Eskorte von Detektiven verließ.
Eines Tages kam Sawinkow darauf, daß er selber von Detektiven beobachtet wurde und daß ihm seine Verhaftung bevorstand. So mußte er denn in aller Eile fliehen und nach wenigen Wochen vergeblicher Arbeit wieder nach Genf zuruck- kehren.
Hier wurde beschlossen, daß die bisher eingesetzten Krach zu gering gewesen wären und verstärkt werden müßten. Der Parteiführer Gotz teilte ihm noch eine Anzahl von Kämpfern, zu, sodaß seine Gruppe auf acht Mann anwuchs.
Einer der bedeutendsten Mitarbeiter war Pokotilow, ein ehemaliger Student der Moskauer Universität, ein seltsamer Mensch, der die sonderbare Eigentümlichkeit hatte, daß ihm bei starker Aufregung blutiger Schweiß auf die Stirn trat. Ferner arbeitete Kaljajew mit, ein Mann mit einem Muhen, klugen Gesicht mit feinen, edlen Zügen, mit schmerzlich-großen Augen, mit mageren, garnicht arbeitermäßigen Händen; er war ein polnischer Schrifsteller und Dichter und mit seinem revolutionären Decknamen hieß er „der Poet". Dann kam Sasanow, gleichfalls ein Intellektueller, und schließlich noch der Mathematiker und Chemiker Schweizer, der mit Pokotilow zusammen als „Feuerwerker" die Bomben Herstellen sollte. Mit diesen Offizieren und noch einem Dutzend Mannschaften wurde nun in Petersburg mit einer gründlichen Beobachtung der Ausfahrten Plehwes begonnen. Nach mehrwöchentlichcr intensiver Arbeit trafen sich die Genossen.
(Fortsetzung folgt.)