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Amtsblatt für den GberaintsbezirkNeuenbürg
Druck und Verlag der Meeh'schen Buchdruckeret (Inhaber Fr. Biesinger). Für die Schriftleitung verantwortlich Fr. Biesinger in Neuenbtzrg.
m. 125
Mittwoch den 1. Juni 1S32
s«. Jahrgang
Vildung einer Negierung der nationalen
Konzentration?
von Vapen mit der Kabinettsbildung beauftragt
Berlin, i. Juni. Amtlich wird mitgeteilt: Ter Reichspräsident empfing heute Herrn von Papen und erteilte ihm den Auftrag zur Bildung einer Regierung der nationalen Konzentration. Herr von Papen hat diesen Auftrag angenommen.
Herr von Papen hat für die verschiedenen Ministerien folgende Persönlichkeiten in Aussicht genommen:
Inneres: Freiherr von Gahl,
Aenheres: Botschafter von Neurat h,
Reichswehr: General von Schleicher, Wirtschaft: Warmbold,
Arbeit: Goerdeler,
Landwirtschaft: von Lüninck,
Justiz: Reichsminister Joel,
Post: Schätzet.
Herr von Pasten wird die in Frage kommenden Persönlichkeiten im Laufe des morgigen Tages emstfangen, um an sie die Frage zu richten, ob sie bereit sind, die angetragenen Aemter zu übernehmen.
Der designierte Kanzler von Papen
Berlin, 31. Mai. Der heute abend mit der Kabinettsbildung beauftragte frühere Zentrumsabgeordnete Franz von Pasten, der im Jahre 1921 im Wahlkreis Westfalen-Nord in den preußischen Landtag gewählt wurde und von dieser Zeit an bis zur letzten Wahl Mitglied des Preußenparlaments war, gehört dem rechten Flügel des Zentrums an. Er wurde am 29. Oktober 1879 in Werl in Westfalen geboren und hatte ursprünglich die Offizierslaufbahn eingeschlagen. Während des Krieges war er Militärattache bei der deutschen Botschaft in Washington. Nach seiner Abberufung von diesem Posten wurde er Oberstleutnant und Generalstabschef der vierten türkischen Armee. Er ist Aufsichtsratsvorsitzender der „Germania" und außerdem Vorstand zahlreicher landwirtschaftlicher Berufsorganisationen, sowie Mitglied des deutsch-französischen Studienkomitees.
Von besonderem Interesse ist natürlich die Frage, wie sich das Zentrum zu dem Kabinett von Pasten einstellen wird. Die „Germania" polemisiert in ihrer morgigen Reichsausgabe gegen die Gerüchte, wonach eine Persönlichkeit des Zentrums zur Führung der neuen Regierung berufen werden dürfte. Sie schreibt, man möge sich doch verwundert fragen, warum denn eigentlich die Krisis entfesselt wurde, wenn Herr Brüning einfach durch einen anderen Zentrumsmann ersetzt werden solle. Es werde jedenfalls keine Persönlichkeit geben, die sich als Führer oder als Mitglied des neuen Kabinetts darauf berufen könnte, Vertrauensmann der Zentrumspartei zu sein. Das Blatt fügt dennoch die Feststellung hinzu, daß das Fehlen einer Verantwortlichen und handlungsfähigen Regierung selbst für den Zeitraum weniger Tage nicht zu ertragen sei, und daß es deshalb gerade zur Aufrechterhaltung unserer finanziellen Ordnung notwendig sei, ohne Verzug zu wichtigen Entscheidungen zu gelangen.
Jnteressanterweise enthält diese Ausgabe der „Germania" auch bereits die Mitteilung, daß Herr von Papen zu einer Aussprache über die Regierungsbildung vom Reichspräsidenten empfangen worden sei. In politischen Kreisen ist auch schon vorher nicht unbekannt geblieben, daß das Zentrum einer Kandidatur von Pasten keineswegs znstimmend gegenüberstand. Unter diesen Umständen ist Wohl anzunehmen, daß Herr von Papen sich zunächst formell von seiner Fraktion lösen wird, ähnlich wie ja auch Dr. Goerdeler seinerzeit aus der Deutschnationalen Volkspartei ausgetreten ist, als er sich dem Ruf des Reichspräsidenten in das Amt des Preissenkungskommissars nicht entziehen zu können glaubte. Die Entscheidung darüber liegt aber naturgemäß beim Zentrum selbst, dessen maßgebende Instanz sich am heutigen Mittwoch mit der neuen Lage beschäftigen wird.
Wilhelm Freiherr von Gahl,
der im 53. Lebensjahr steht, entstammt einer alten preußischen Offiziersfamilie. Nach dem Studium der Rechts- und Staats- Wissenschaften war er zunächst in der preußischen Verwaltung tätig und übernahm im Jahre 1909 die Leitung der ostpreußischen Landgesellschaft, eines gemeinnützigen Siedlungsnnter- nehmens für die Provinz Ostpreußen. Im Kriege, an dem er aktiv teilnahm, wurde er im Jahre 1916 Chef der Abteilung für innere Politik und innere Verwaltung beim Oberbefehlshaber Ost. Nach dem Umsturz organisierte er vom Januar 1919 ab den Schutz Ostpreußens gegen die Bolschewisten. Im Jahre 1920 führte er als Reichs- und Staatskommissar die Abstimmung im ostpreußischen Abstimmungsgebiet durch. Seit 1921 ist ex- Mitglied des Preußischen Staatsrats und Bevollmächtigter Ostpreußens im Reichsrat. Er ist Mitglied der Deutschnationalen Volkspartei, hat aber weder Parteiämter übernommen, noch sich an der Agitation beteiligt.
Hermann Freiherr von Lüninck,
der erst 39 Jahre alt ist, studierte Rechtswissenschaft und nahm nach Beendigung des Studiums im Jahre 1914 aktiv am Weltkrieg teil. Nach Kriegsschlnß trat er zur Preußischen Staatsverwaltung über, wo er als Regierungsassessor und Hilfsarbeiter im Innenministerium tätig war. Rach vorhergehender in
formatorischer Tätigkeit bei den christlichen Gewerkschaften schied Freiherr von Lüninck im Jahre 1923 aus dem Staatsdienst aus und wurde stellvertretender Generalsekretär des Rheinischen Bauernvereins. Er ist Vorsitzender der Landwirtschaftskammer für die Rheinprovinz, Präsidialmitglied der Vereinigung des Rheinischen Bauernvereins und Landbnndes, sowie Mitglied des Deutschen Landwirtschaftsrates und der Preußischen Hauptlandwirtschastskammer.
Freiherr Konstantin von Neurath,
der am 2. Februar 1873 geboren wurde, trat nach dem Studium der Rechtswissenschaften in den Konsulardienst ein und war in den Kriegsjahren Botschaftsrat in Konstantinopel. Im Jahre 1917 erfolgte seine Berufung zum Kabinettschef des Königs von Württemberg. Im Jahre* 1919 trat er wieder in den diplomatischen Dienst ein und ging zunächst als Gesandter nach Kopenhagen. Von 1922 bis znm Mai 1930 war von Neurath Botschafter am Quirinal in Rom. Dann übernahm er das Botschafteramt in London, das er bis zum heutigen Tage bekleidete.
Generalleutnant von Schleicher,
der vor wenigen Wochen das 50. Lebensjahr vollendete, begann seine militärische Laufbahn im Kadettenkorps und wurde im Kriege vor allem im Generalstabe verwendet. Nach dem Kriege zur Reichswehr übernommen, wurde er im Jahre 1924 zum Oberstleutnant befördert und am 1. Februar 1926 zum Abteilungsleiter im Reichswehrministerium ernannt. Mit dem 1. April 1929 übernahm er als Chef das neugebildete Ministeramt im Reichswehrministerium und wurde kurze Zeit darauf zum Generalleutnant befördert.
Die Besetzung des Neichsfinauzministeriums
Berlin, 31. Mai. Wie man erfährt, rechnet man in unterrichteten Kreisen damit, daß Herr von Papen sich für die Besetzung des Finanzministeriums in erster Linie an Geheimrat Schmitz, dem ja auch schon früher vielfach genannten Finanzsachverständigen der J.G.-Farbcn, und an den Ministerialdirektor Graf Schwerin von Krosigk wenden wird. Graf Schwerin ist bekanntlich der Leiter der Etatabteilung des Reichsfinanzministeriums. Die Verdienste des Grafen Schwerin- sind auch von Dr. Brüning besonders anerkennend hervorgehoben worden, als er kürzlich den internationalen Finanzsachverständigen in Basel die schwierigen deutschen Etatverhältnisse klargemacht hatte.
Am wichtigsten sind die wirtschastspolitischen Pläne der neuen Männer. Wie es heißt, soll zwar die
Sanierung der Gemeindefinanzen und der Arbeitslosenhilfe
in Angriff genommen werden, aber neue Einnahmequellen will das Kabinett nicht auf dem Wege von Steuern erschließen. Die Absichten der maßgebenden Mitglieder des künftigen Kabinetts dürften vielmehr dahin gehen, die Mittel, die unbedingt notwendig sind — und neben den Gemeinden befinden sich auch einzelne Länder in Kassenschwierigkeiten —
auf dem Wege einer Kreditausweitnng zu schaffen. Man denkt daran, die flüssigen Mittel, die bei den Privatbanken vorhanden sind, zugunsten eines Kredits für das Reich verfügbar zu machen. In dieser Weise sollen neue Notverordnungen in der nächsten Zeit vermieden werden.
Vertreter der Staatspartei beim Reichspräsidenten
Berlin, 31. Mai. Der Reichspräsident empfing am Diens- I tag nachmittag als Vertreter der Staatspartei die Fraktions- Vorsitzenden Dr. August Weber und Staatssekretär a. D. Oskar Meyer. Dr. August Weber brachte, wie das Nachrichtenbüro des VdZ. hört, zum Ausdruck, daß die Vorgänge, die dicht vor der bedeutsamsten außenpolitischen Entscheidung und inmitten stärkster wirtschaftlicher und finanzieller Schwierigkeiten zum außerparlamentarischen Sturz des Kabinetts Brüning geführt haben, weite Kreise mit größter Sorge erfüllten. Diese Sorge erstrecke sich auch darauf, ob es künftig gelingen werde, die Verfassung unbedingt aufrechtzuerhalten. Von dem Herrn Reichspräsidenten als dem berufenen Hüter der Verfassung werde erwartet, daß er diese schwere Gefahr zu unterdrücken entschlossen sei. Der Reichspräsident betonte wiederholt, daß er selbstverständlich wie bisher auf streng verfassungsmäßiger Grundlage sein Amt ausführen werde. Im übrigen teilte er mit, daß er beabsichtige, ein überparteiliches Kabinett zu bilden.
Die Berliner Presse zur Betrauung Papeus
Berlin, i. Juni. Die „Vossische Zeitung" meint, die Betrauung Papens werde als ein Schlag gegen das Zentrum empfunden, die neue Regierung habe auf keinerlei Entgegenkommen des Zentrums zu rechnen, nicht einmal auf Passives Verhalten.
Die „D.A.Z." glaubt, daß die Aussichten für das neue Kabinett an sich ganz günstig seien, da die Tolerierung durch die Nationalsozialisten als gesichert betrachtet werden könne und das Zentrum kaum in der Lage sei, zur offenen Opposition
überzngehen. Das Blatt berichtet in diesem Zusammenhang, daß von nationalsozialistischer Seite die Anregung gegeben worden ist, den Etat durch das Parlament zu verabschieden, was im Eiltempo geschehen könnte, sobald sich eine Mehrheit siir die Unterstützung dieser sachlichen Regierungsarbeiten zusammenfinde. Sei das nicht der Fall, dann werde der Reichstag sofort aufgelöst.
„Lokalanzeiger" und „Tag" betonen, daß die Parteien der bisherigen Opposition, also in erster Linie die Dentschnatio- nalen und die Nationalsozialisten, offiziell mit der Bildung dieses Kabinetts nichts zu tun haben. Von ihren Stimmen hänge die Mehrheit des Kabinetts ab. Die Entscheidung sei noch nicht getroffen. Zusagen seien von beiden Seiten noch nicht gegeben.
Der „Vorwärts" bezeichnet Papen als einen Rebellen im Zentrum, der sich seit zehn Jahren bemüht habe, das Zentrum zu konservativen Diktaturgedanken hinzudrängen. Was hier konzentriert werde, sei nicht die Nation, es seien vielmehr konservativ-reaktionäre Kräfte, kleine, aber mächtige Gruppeninteressen, deren Ueberwiegen eine Gefahr für die Interessen des Volkes und seiner Wirtschaft bedeute. Hier werde konzentriert der Wille zum Abbau der Sozialpolitik.
Nationalsozialistische Erklärungen zum Sturze Brünings
München, 31. Mai. Zum Rücktritt des Kabinetts Brüning schreibt Dr. Goebbels im „Völkischen Beobachter", eine halbe Lösung komme nicht mehr in Frage. Brüning sei nicht nur als Kanzler, sondern auch als Außenminister unmöglich geworden. Der Reichspräsident wolle aus dem üblichen parlamentarischen Wege zu einer Neubildung des Kabinetts kommen. Das könne nichts anderes bedeuten, als daß die nationale Opposition, geführt und repräsentiert durch Adolf Hitler und seine Bewegung, die Dinge entscheidend bestimme. Ein Kabinett des besonderen Vertrauens des Reichspräsidenten hätte vorher keine andere Ausgabe zu lösen, als den Reichstag nach Hause zu schicken, Neuwahlen auszuschreiben, die Organisa- tions-, Agitation^ und Demonstrationsfreiheit für die Nationalsozialisten wieder herznstellen und durch den Appell an die Nation Uebereinstimmung zu schaffen zwischen dem Willen des Volkes und seiner Parlamentarischen Vertretung.
Auch Alfred Rosenberg nimmt im gleichen Blatt zum Rücktritt des Kabinetts Brüning Stellung und spricht die Ueberzeugung aus, daß Brüning Hitler Platz machen müsse, gleich, wie schnell sich der Uebergang auch vollziehen möge.
Amerika zum Rücktritt Brünings
Washington, 31. Mai. In Washingtoner Amtskrcisen lehnt man jeden Kommentar über die Ereignisse in Deutschland ab; man erklärte im Staatsdepartement, es sei nur natürlich, daß man derartig hochpolitische Entwicklungen, wie sie in dem befreundeten Deutschland zur Zeit vor sich gehen, naturgemäß mit Interesse verfolge. Daß man sich aber jeder Einmischung in die innere deutsche Angelegenheiten selbstverständlich enthalte. Den Reichskanzler Brüning habe man hier hoch geschätzt und bedauere sein Ausscheiden. Man erwarte jedoch nicht, daß die neue Regierung in der deutschen Außenpolitik einschneidende Aenderungen vornehmen werde. Der Schwerpunkt des europäischen Friedens liege jetzt mehr denn je in den Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich, und man hoffe sehr, daß Lausanne eine Einigung bringen werde. Amerika werde seine Politik wohlwollender Neutralität beibehalten und sich an den dortigen Verhandlungen nicht beteiligen.
Die rumänische Negierung zueüügetrelen
Budapest, 31. Mai. Wie die „Donanpost" aus Bukarest meldet, hat Ministerpräsident Jorga am Dienstag abend nach einem Ministerrat König Carol das Rücktrittsgesuch des rumänischen Kabinetts überreicht. Der König hat den Rücktritt angenommen. Wie verlautet, werde er Titulescu mit der Kabinettbildung beauftragen. Die Ursache des Rücktritts des Kabinetts Jorga sei die schwere Finanzkrise des Landes, die dazu geführt habe, daß die Beamten des Landes seit Monaten keine Gehälter mehr bekämen. Titulescu sei telegraphisch aus London, wo er rumänischer Gesandter ist, nach Bukarest berufen worden.
Amerika für Einberufung einer Wettwietschaftskonserenr
Washington, 31. Mai. Im Anschluß an eine Reihe telephonischer Besprechungen zwischen Maedonald und Sttm- son wurde der amerikanische Botschafter in London, Mellon, heute beauftragt, die Zustimmungserklärung der amerikanischen Regierung zur Einberufung einer Weltwirtschaftskonferenz in London zu überreichen. Der Staatssekretär des Auswärtigen, Stimfon, gab nach einer längeren Besprechung mit Hooper ein Kommunique aus, i« dem der Plan einer derartigen Konferenz, die die für eine Stabilisierung der Welthandelspreise geeigneten Maßnahmen prüfen soll, als eine angesichts der augenblicklichen Depression wertvolle Anregung begrüßt wird. Es wird betont, daß die Konferenz nichts mit den Besprechungen über die Kriegsschulden, Reparationen und Abrüstung zu tun haben werde.