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Neuenbürg 5. Mai. Die Hoffnungen auf ein schönes Himmelfahrtsfest, Vas altem Herkommen gemäß in besonderem Maße zu Ausflügen benützt wird, fällt es doch in eine Zeit des Grünens und Blühens in der Natur, sind diesmal zu Wasser geworden. Nach einer regenreichen Nacht gab es bei diisterem schwerbedecktem Himmel einen naßkalten Morgen, der viele Wanderplärre vereitelte und manchen seit Tagen erkalteten Ofen wieder in Zimmer erwärmende Tätigkeit brachte. Bevor die Eisheiligen gewesen sind, muß man mit solchen Witterungsumschlägen stets rechnen, aber es wäre schlimm, wenn die alte Bauernregel sich bewahrheiten würde: Wie das Wetter am Himmelfahrtstag, so auch der ganze Herbst sein mag.
Neuenbürg, 6. Mai. Am Himmelfahrtstage erfreute die bestbekannte Sängerabteilung des Ersten Fußballklub Birkenfeld unter bewährter Stabführung des Herrn Musikdirektor O. Müller-Pforzheim die Insassen des Bezirkskrankenhauses mit einigen gelungenen Darbietungen über Maienzeit und Liebe. Eine Schömberger Jungmädäsenschar unter Leitung von Frau Pfarrer gefiel u. a. mit dem Liedchen „Alle Böglein sind schon da", während der Musikverein Höfen mit Herrn Kapellmeister Eitel an der Spitze bereits in den Bormittagsstunden zwei feierliche stücke zu Gehör brachte. „Zum Dank für gestrigen Genuß, sei allen Spendern dieser Gruß."
(Wetterbericht.) Während sich im Nordwesten ein Hochdruckgebiet befindet, macht sich über dem Festland Tiefdruck fühlbar. Für Samstag und Sonntag ist immer noch wechselnd bewölktes, unbeständiges Wetter zu erwarten.
Calmbach, 5. Mai. Wie üblich, fand auch Heuer wieder am Himmelfahrtsfest in der hiesigen Kirche die Konferenz der altpietistischen Gemeinschaft statt. Aus nah und fern waren die Brüder und Schwestern in stattlicher Zahl herbeigeeilt, um den ernsten, zu Herzen gehenden Ansprachen von Pfarrer Dr. Müller-Calmbach, Gemeinschaftspfleger Entenmann und Oberlehrer G. Schmid-Stuttgart zu lauschen. Der Gemein- schastschor, wie auch der Posaunenchor taten ihr Bestes, die wirklich erhebende Erbauungsstunde zu verschönern.
Conweiler, 3. Mai. Vergangenen Samstag wurde Waldkassier Ludwig Dill hier zu Grabe getragen. Unerwartet rasch ist er letzte Woche an einem Herzschlag verschieden. Welche außerordentliche Wertschätzung er sich überall erfreute, das zeigte die große Teilnahme an der Beerdigung von hier und der Umgebung. Auf den Tod des Vaters, der viele Jahre dem Gemeinderat angehörte, wurde der Verstorbene im Jahre 1905 von der Bürgerschaft als Gemeinderat aufs Rathaus gescnrdt. Nach zwanzigjährigem Wirken als Gemeinderat trat er zu Gunsten seines Sohnes und auch altershalber als Gemeinderatsmitglied zurück. Vor 23 Jahren wurde Dill als Waldrechner der Waldkasse Conweiler gewählt und diesen Posten versah er mit Pflichttreue und Gewissenhaftigkeit bis zur letzten Todesstunde. Aber auch sonst begleitete der Verstorbene noch verschiedene Ehrenämter. So war er u. a. auch viele Jahre in der Verwaltung des Darlehenskassenvereins als Vorstandsmitglied tätig und wirkte auch dort für den Verein zum Segen. Die Verdienste des Dahingegangenen wurden am Grabe gewürdigt. Nun schlummert der 70jährige, stets freundliche und besorgte Waldrechner Dill für immer. Bielen wird er aber im Gedächtnis noch lange weiterleben.
Höfen a. Enz, 0. Mai. Das diesjährige WenNingkonzert findet am nächsten Sonntag, nachmittags 5.30 Uhr, in der Kirche statt, und umfaßt Werke von Smetana, Beethoven und Hahdn. Die Leistungen der Künstler sind, wie bekannt, über jede Kritik erhaben. So schreibt die Berliner Allstem. Musikzeitung: „Wie diese hervorragenden Künstler in vollendeter geistiger und künstlerischer Uebereinstimmuna die einzelnen Werke in Klang umsetzen, das schaltet jeden Gedanken an Kritik aus und läßt nur Dank und Bewunderung zu." Näheres im Inserat der heutigen Ausgabe.
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Baihingen a. Enz, 5. Mai. (Ein Rehbock in der Stadt). Dienstag nacht hat sich ein Rehbock in die Stadt verirrt. Er wurde Mittwoch früh in einem Garten der Stadt angetroffen, nahm beim Erscheinen des Gartenbesitzers reißaus nach der Heilbronner Straße und sprang in mächtigen Sätzen durch verschiedene Seitengassen in die Stuttgarter Straße. Hier suchte er zunächst Zuflucht im Hofe einer Wirtschaft. Aber auch hier scheint es ihm nicht recht behaglich gewesen zu sein. Er kam plötzlich wieder heraus, rannte einen zu seiner Arbeitsstätte gehenden Arbeiter beinahe über den Haufen und flüchtete dann die belebte Stuttgarter Straße hinaus. Im Kehlweg suchte der Bock Zuflucht in einem Garten, wo er gefangen werden konnte. Jetzt kann er in einem Stall über seinen Ausflug in die Stadt Nachdenken, bis die benachrichtigten Iagdpächter über sein weiteres Schicksal entschieden haben.
Stuttgart, 5. Mai. (Anfechtung der württ. Landtagswahl?) In
einem Schreiben an den Landtagsmahlleiter, Ministerialrat Dr. Kiefer, hat die Bolksrechtpartei, die bei der letzten Landtagswahl leer aus- qegangen ist, angekündigt, daß sie die Landtagswahl anfechten wolle. Beanstandet wird vor allem, daß die 80 Landtagssitze nicht in einer einzigen Rechnung verteilt wurden — in diesem Falle würden sowohl Deutsche Volkspartei wie Bolksrechtpartei einen Sitz erhalten — sondern in zwei Rechnungen, nämlich zunächst Verteilung von 56 Bezickssitzen und dann von 24 Landessitzen. Das Landtagswahlgesetz schreibt jedoch diese getrennte Berechnung vor. Eine entsprechende Erklärung der Bolksrechtpartei ist aber noch nicht abgegeben worden.
Heilbronn, 5. Mai. (Kein Berbandsmusikfest.) Wegen der mißlichen Wirtschaftslage wird das für 4.—6. Juni ds. Is. in Heilbronn in Aussicht genommene 8. Verbandsmusiksest des Süddeutschen Musiker- Verbandes nicht abgehalten.
Wau» kommt die neue Regierung?
Stuttgart, 5 . Mai. Zur Frage der Regierungsbildung in Württemberg schreibt der „Schwäbische Laudmann", das Organ des Bauernbundes, unter dem 5. Mai: Nun sind bald zehn Tage seit dem 24. April verstrichen, aber man scheint noch keinen Schritt vorangekommen zu sein. Es wird hin und her getuschelt. Es wird hin und her geraten. Die Nationalsozialisten sind nunmehr die stärkste Fraktion des Landtags. Als solche sind sie berufen, die Verhandlungen über die Regierungsbildung einzuleiten. Aber es sieht so aus, als ob sie selbst nicht recht wüßten, was sie wollten. Welche Personen wollen sie gegebenenfalls zu Ministern Vorschlägen? Welche Ministerien wollen sie besetzen? Was für ein praktisches Programm wollen sie für die Arbeit der nächsten vier Jahre aufstellen? Wir haben davon bis jetzt leider noch nichts, aber auch gar nichts gemerkt. Wir warten täglich und stündlich darauf. In ihren Wahlreden und Wahlflugblättern haben sic versprochen, es Hetzer zu machen. Tie Wähler haben ihnen geglaubt und haben in diesem Glauben nationalsozialistisch gewählt. Nun soll einmal diese stärkste Partei des Landtags zeigen, was sie kann. Die Not ist groß, ebenso groß ist die Hoffnung auf die „Taten" der Nationalsozialisten. Nun einmal her mit den Leistungen!
Von der Leitung der Demokratischen Partei wird folgendes mitgeteilt: In der außerwürttembergischen Presse werden Nachrichten über die Regierungsbildung in Württemberg unter Mitwirkung der Demokratischen Partei verbreitet. Diese Nachrichten sind sowohl ungenau wie auch unrichtig. Die Verhandlungen haben lediglich zu einer Anerkennung des auf parlamentarischer Hebung beruhenden Anspruchs der stärksten Landtagsfraktion auf das Landtagspräsidium geführt. Die weitergehenden Besprechungen über die Regierungsbildung, welche im sofortigen Anschluß an die Landtagswahl von Seiten einer großen Partei nachgesucht wurden, sind von dieser in der Zwischenzeit nicht fortgeführt worden, sodaß für die Demokratische Partei zu einer Parteioffiziellen Stellungnahme zu den ihren Vertretern unterbreiteten Vorschlägen noch kein Anlaß war.
Immer noch Voruntersuchung im Wolf-Kieule- Prozetz
Stuttgart, Z, Mai. Entgegen der Nachricht einer Stuttgarter Tageszeitung befindet sich der Wolf-Kienle-Prozeß noch immer im Stadium der Voruntersuchung. Es ist auch noch gar nicht abzusehen, bis wann die Voruntersuchung abgeschlossen werden kann. Nach dem Umfang dieser Straf-i Verfahren — 128 Einzelfälle sind zu untersuchen — ist auf keinen Fall damit zu rechnen, daß der Staatsanwaltschaft die Akten vor Herbst dieses Jahres zur Erhebung der Anklage zugänglich sind. Bei der Bedeutung, die dem Prozeß zukommt. Werden verschiedene bekannte Sachverständige, Internisten und Gynäkologen hinzugezogen. Deren Gutachten lassen sich selbstverständlich aber nicht aus dem Stegreif verfassen, sie bedingen vielmehr eine gründliche Nachprüfung jedes einzelnen Falles. Jeder der Sachverständigen bekommt daher die Akten für längere Zeit, oft auf Monate. Die Untersuchungen werden wohl mit möglichster Beschleunigung durchgeführt, können aber kaum früher abgeschlossen werden, da die Sachverständigen nicht ausschließlich mit dem Prozeß Wolf-Kienle beschäftigt sind. Unter diesen Umständen erscheint es fraglich, ob die Hauptverhandlung noch in diesem Jahr stattfinden wird.
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Die Lage de« Handwerks
Reutlingen, 3. Mai. Die Handwerkskammer Reutlingen teilt über die Lage des Handwerks im Monat April mit: Der anhaltend schlechte Geschäftsgang im Handwerk zeigt, daß die Wirtschaftskrise in seinen Reihen mit unverminderter Stärke fortwütet. Nach den eingegangenen Berichten war der Absatz der Erzeugnisse und der Arbeitsanfall während des letzten Monats in sämtlichen Handwerkszweigen immer noch durchaus ungenügend, z. T. so gering, daß man geradezu von einer völligen Stockung des Geschäftes sprechen muß. Seit kurzem machen sich zwar da und dort Anzeichen einer leichten Belebung bemerkbar. Doch blieb dies auf einige wenige Plätze beschränkt. Selbst das Geschäft in den Saisonberufen verlief bis jetzt sehr unbefriedigend. Die Hauptschwierigkeiten liegen in der geringen Kaufkraft weiter Kreise der Bevölkerung. In den Industrien des Kammerbezirks dauern die Entlassungen und Einschränkungen fort, werden auch in den Betrieben größer und umfangreicher, die bisher noch einigermaßen Arbeit hatten. Deutlich zeigt sich fernerhin, daß infolge der Unsicherheit der politischen Verhältnisse namentlich im Innern das lähmende Mißtrauen immer wieder neue Nahrung erhält und daß dadurch dem Handwerk ungeheurer Schaden zugefügt wird.
Was Bauern schreiben...
„...Mein Grundbesitz ist vielleicht 10—12 Morgen, davon noch nicht die Hälfte Acker und muß eine zehnköpfigc Familie ernähren davon... ist das nicht Gott versucht, wenn man ein Stück Vieh zehn Monate füttern muß und sage und schreibe nicht einmal eineinhalb Sack Mehl dafür kaufen kann. Auf das Rathaus brauche ich 3 solcher Stück, für Schuhmacher mindestes 5. Sonstige Kleider und Ausgaben gar nicht gerechnet..." I. G. „...Wieviele kleine Leute sitzen zu 6—S Personen am Tisch und noch mehr. In ihren Betrieben schneidet man ja vielfach nicht einmal das Brotgetreide. Die Milch muß vielfach den Kindern entzogen und in die Molkerei getragen werden, damit man wenigstens das teuere Licht bezahlen kann, das ja auch keinen Abbau dulden will..." T. W.
Das sind Auszüge aus Briefen, die von Bauern an den württ. landwirtschaftlichen Hauptverband gerichtet wurden.
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Pforzheim, 4. Mai. Das 8 Monate alte Kind, das nach dem Polizeibericht vom Samstag etwa 8 Tage vorher in der Küche der elterlichen Wohnung im Stadtteil Dillweißenstein aus dem Kinderwagen fiel, ist nicht infolge dieses Unfalles, sondern ganz unabhängig davon an „inneren Krämpfen" gestorben. Auch hatte es die Grippe.
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Friedrichshafen, 5. Mai. Wie der Luftschiffbau mitteilt, ist das Luftschiff Graf Zepvelin heute vormittag 9 Uhr MEZ in Peruam- buco glatt gelandet.
München, 5. Mai. Im Bahnhos Bad Reichenhall — Kirchberg fuhr heute früh ein Personenzug auf einen zur Abfahrt bereitstehenden Sonderzug, der mit Beamten des Reichsbnynsportvereins besetzt war, infolge fahcher Weichenstellung auf. Ein Packwagen und zwei Personenwagen entgleisten. 40 Personen wurden leicht verletzt: sie konnten sämtlich ihre Fahrt fortsetzen.
Forst, 3 . Mai. Auf der Strecke So rau-Forst ereigneten sich heute vormittag unabhängig voneinander drei vollkommen gleichartige Selbstmorde. Bei Schönwalde warf sich ein 42jähriger Mann vor einen Güterzug, beim Bahnübergang bei Berge ließ sich ein Bäckergeselle vom Zuge überfahren und Wenigs Stunden später müßte der Lokomotivführer eines D-Zuges meldeit, daß sich bei der Blockstelle Erleuhaus ein Mann habe überfahren lassen, wie sich herausstellte, ein Geschäftsführer aus Forst. In allen drei Fällen dürfte das Motiv zur Tat in wirtschaftlicher Not zu suchen sein.
Magdeburg, 3. Mai. Unmittelbar nach einer Zwischenlandung stürzte heute nachmittag ein Flugzeug der Bayerischen Flugzeugwerke über dem hiesigen Flughafen aus 60 Meter Höhe ab. Die beiden Piloten wurden verletzt, die Maschine vollkommen zertrümmert.
Herne, 3 . Mai. Wie wir zu dem Mord an dem Apotheker Dr. Timmermann noch erfahren, handelt es sich bei dem verhafteten Mörder um den 54jährigen Apotheker Adolf Zwingmann aus Freren. Timmermann war etwa 30 Jahre Inhaber der Apotheke in Freren, die er im Januar vorigen Jahres an Zwingmann verkaufte, während er sich selbst in Herne niederließ. Seit dieser Zeit bestanden zwischen Len beiden Kollegen Unstimmigkeiten, weil Zwingmann sich beim Kauf der Apotheke benachteiligt fühlte. Am Dienstag abend gegen 17 Uhr kam es zu einer heftigen Auseinandersetzung wegen der Apotheke in Freren. Im Laufe eines Wortwechsels zog Zwingmann eine Selbstladepistole und gab auf Timmermann
2. Fortsetzung. (Nachdruck verboten.)
Richtig! Da kam ein kleiner, leichter Jagdwagen den Parkweg herunter, um nicht viel später vor der breiten Freitreppe zu halten.
Ein untersetzter, dicker Herr, der sich trotz der Sonnen- zlut in eine wollene Decke eingewickelt hatte, schälte sich aus seiner arktischen Verpackung, ergriff die neben ihm auf dem Sitz liegende, grotzbäuchige Aktenmappe und verließ ächzend das Gefährt.
Auf der Nase trug er eine gewaltige, schwarzgeränderte Harald Lloydbrille mit funkelnden Augengläsern, die forschend an den Fenstern entlangblitzten.
Besuch?
S.'i verzog den Mund. Wenn sich schon wirklich mal jemand in diese schreckliche und trostlose Einsamkeit von Brendnitz verirrte, war es entweder eine verrostete alte „Schachtel" a la Tante Elisa oder ein alter Knacker, der sicher schon jo seine sechzig, siebzig Jährchen auf dem Buckel hatte.
Hei, was war es doch da lustig in der Pension gewesen!
Susi seufzte. Dann aber heftete sie den Blick wieder auf die Freitreppe.
Franz, das achtundfünfzigjährige Faktotum des Schlosses, humpelte die Stufen herab. Dabei klopfte er noch einmal hastig die Staubfädchen von der gräflichen Livree, die er nun schon seit fünfundzwanzig Jahren in Ehren trug, und landete schließlich mit einer tiefen Verneigung vor dem Ankömmling.
„Ah, mein lieber Franz!" rief der dicke, alte Herr.
„Wir leben also auch noch! Schon lange her. daß ich das letztem«! hier war —"
„Acht Jabre wohl. Herr Justizrat."
„Acht Jahre-acht Jahre! Weiß der Kuckuck, wo
die Zeit geblieben ist. Was macht der Herr Graf?"
„Der Herr Graf erwarten den Herrn Justiziar bereits."
Franz schritt voran, riß die Flügeltür auf. Susi hatte ihre Neugier nicht bezähmen können. Als Franz den Besucher in die Diele führte, stand sie bereits dort.
Ein wohlwollendes Lächeln umspielte die bärtigen Lippen des Justizrats, als er Susi gewahrte.
„Sieh, sieh!" meinte er. „Was sich Schloß Brendnitz für eine neckische Zofe zugelegt hat!"
Susi ließ verdutzt die Arme sinken. Wie? Was? Für eine Zofe hielt sie dieser dicke Kloß? Der war wohl nicht ganz recht bei Verstände?
„Mein Lieber!" sagte sie drohend, als die Fassung wiederkehrte. „Mein Lieber! Sie brauchen sich gar nicht mehr um die Dienerstelle zu bewerben! Die ist lange besetzt! Und einen Stallknecht brauchen wir auch nicht! Fahren Sie man ruhig in Ihrem Kremser wieder dahin, wo sie hergekommen sind!"
Jetzt war es der Justizrat, der wie des seligen Lots Weib zur Salzsäule erstarrte.
„Dienerstelle? Stallknecht?" stammelte er bestürzt.
„Ich will — — das heißt-jawohl. Sie scheinen mich
mit einer anderen Person zu -verwechseln!"
„Sie mich auch, Sie Vrillenmensch!" triumphierte Susi und verließ erhobenen Hauptes die Szene.
Mit allen Zeichen der Fassungslosigkeit starrte der also apostrophierte Justizrat den davonwirbelnden, seiden- bestrumpften Beinen nach um sich dann nach dem alten Diener umzuwenden.
„Donnerwetter!" murmelte er. „Die Klappe ist gut! Wer war denn das?"
Franz lächelte. „Das — das war unsere Komteß, Herr Iustizrat!"
„Die — was?"
„Unsere Komteß. Komteß Susi — oder vielmehr Susanne von Brendnitz, Tochter des Herrn Grafen!"
„Su—si: Susi? Ah, jetzt geht mir ein Seifensieder auf! Natürlich, natürlich! Acht Jahre war ich nicht hier! Damals war sie neun, die Eöhre! War damals schon nicht aus
den Mund gesotten, aoer yeute? Dunnerlittchen, die wirs mal gut!"
„Die ist schon gut," erlaubte sich Franz zu verbesst:
Der Iustizrat lachte behäbig. Dann keuchte er Hinte dem Alten die Treppe empor. Oben eilte Graf Hugo dem Besuche: bereits mit ausgestreckten Händen entgegen. .,Willkommen auf Brendnitz!" sagte er herzlich.
„Das klingt schon bedeutend freundlicher als Brillenmensch!" schmunzelte der Iustizrat. „Sie haben wirklich ein allerliebstes Töchterchen, Herr Graf!"
„Brillenmensch?" Graf Hugo stutzte. Ihm ahnte nichts Gutes. Er zog den Justizrat in sein Arbeitszimmer und ließ sich erzählen.
„So ein Ausbund!" rief er zornig. „Augenblicklich lasse ich meine Tochter rufen: sie wird Sie auf der Stelle um Verzeihung bitten!"
„Ader nicht doch!" lachte der Besucher. „Schenken wir ihr das!" Um dann, ernster werdend, fortzufahren: „Du Aktien stehen faul, Herr Graf, oberfaul!"
Brendnitz ließ sich seufzend im Sessel vor dem breiten Diplomaten nieder. „Jetzt kommen Sie wohl auch nocki mit Hiobspost, was?"
„Nun, wie man's nimmt Wie Sie ja wißen, machte Ihr verstorbener Herr Bruder ein sonderbares Testament Er bestimmte durch letzte Willensverfügung mit einer ^etwas schrullenhaft klingenden Klausel, daß sein Sohn -w Hann Universalerbe «eines beträchtlichen Vermögens wer den solle, wenn er Ihre Tochter, Herr Graf, im Zeit raum eines Jahres nach der Testamentseröffnung Heiratei Sechs Monate sind bereits verstrichen, ohne daß diese erwünschte Heirat stattgefunden hätte. Aendert sich das aua in dem nächsten halben Jahre nicht, >0 fällt der Nachlaß - eine runde, hübsche Million — an eine Stiftung. Rn.' nur jedoch, daß sich Johann von Brendnitz, Ihr Neffe noc- nicht einmal bei mir gemeldet hat. er ist sogar feit Monaten — es sind wohl deren zwei — spurlos aus Berlin verschwunden, nachdem er erst kürzlich von einer Orienlren
zurückkehrte."
(Fortsetzung folgt.)