und auf 10 Pfg- für die Goey-Stiftung für alle Mitglieder über 11 Jahre festgesetzt. Zu Beisitzern in den Hauptausschuß Erde u. a. Dr. Overmeyer-Stuttgart gewählt. Dr. Dominikus konnte mit Freuden den sachlichen Erfolge der Tagung fest- Ullen und den 21. Deutschen Turntag nrit einem Gut-Heil auf Polk und Vaterland schließen. Sch.

Biene in Not

Wie viele Insekten, so hat auch die Biene einen ungemein robusten Körper, der schon recht tüchtige Püffe vertragen kann, ohne Schaden zu nehmen. Das kann man auch von cvhrer Majestät, der Königin des Volkes, sagen. Obwohl ihr aeibesumfang mit der Zeit und mit der zunehmenden Frucht­barkeit ihre Beweglichkeit stark mindert, so braucht man doch kein Bedenken zu tragen, sie, wenn es not tut, ohne weitere Umstände, in ihr Volk hineinzuwersen. Es schadet ihr nichts, Mim sie dabei auch etwas unsanft aufschlägt.

Im Frühjahr zeigte ich einem Jüngling, der Interesse für das Bienleben hatte, das Innere eines bewohnten. Bie- iicnkastens und ließ ihn, um seinen Mut und seine Taug­lichkeit zum künftigen Bienenzüchter auf die Probe zu stellen, einige ganz mit Bienen belagerte Brutwaben halten. Zuvor Hatte ick ihm allerdings versichert, daß dieses Bienenvolk nicht stechlustig sei und gerade an dem Morgen noch besonders gut gelaunt sei. Ich hatte auch Glück mit meiner Vorhersage. Kein einzigesVögelein" zeigte uns seinen Stachel. Während ich nun in deni Kasten in aller Ruhe hantierte und er, eine Wabe nach der andern, kunstgerecht in den Händen haltend, das Gewimmel darauf betrachtete, rief er plötzlich:Da ist eine große Biene darauf!"Das ist die Königin", erwiderte ich erschrocken und wollte ihm schnell die Wabe abnehmen und sie in den Kasten tun. Im nämlichen Augenblick aber plumpste auch schon die dicke Dame auf den Boden und suchte sich mit langsamen und wenig eleganten Bewegungen aus unserer Gesellschaft zu entfernen. Dennoch gelang es ihr, sich meinem schnellen Zugriff um die Brust zu entziehen. Da packte ich sie schließlich rücksichtslos an der Brust und am Kopf und warf die Widerspenstige in hohem Bogen mitten hinein in den Kasten. Sie war drei Jahre alt und vielleicht noch etwas darüber. Allein als ich mit dem Gefühl der Schuld ihr gegenüber nach einiger Zeit das Volk auf junge Brut nachprüfte, da war alles in Ordnung und ich freute mich, daß die Matrone durch die wenig ehrfurchtsvolle Behandlung keinen Schaden gelitten hatte. Einige Wochen später segnete sie, ihrem Alter entsprechend, das Zeitliche, und ihr wackeres Volk zog sich, ohne zu schwärmen, in aller Stille eine Thron­folgern! nach. Dolche gutartigen Völker sind eine reine Freude für den Imker.

Beim Nachsehen der Bienenvölker habe ich stets eine Schale mit Wasser bereitstehen, um die Gänsefeder zum Abstreifen der Bienen von den Waben, wenn beim Abstößen derselben sich doch Widerstrebende darauf halten, naß zu machen und um auch meine Hände von Zeit zu Zeit in das Wasser zu tauchen. Auf nasse Hände stechen die Bienen nur in großem Zorn. Durch das Wasser wird auch bei heißer Witterung die Ausdünstung der Haut, weläre ihre Stechlust reizt, unwirk­sam gemacht.

Nun hatte ich an dem Abend nicht beobackstet, daß von einem besonders stechwütigen Volk, dessen Spezialität es ist, mir unter die Brillengläser zu fliegen und mich auf die Augen­lider zu stechen von der Nase gar nicht zu reden, drei tollwütende Stccherinnen in die Wasserschale gefallen waren, ehe sic ihr heimtückisches Vorhaben noch ausführen konnten. Am nächsten Morgen lagen sie darin, den Leib schwarz und aufgedunsen und bloß den Kopf noch über Wasser. Ein kläg­licher Anblick!

Mitleidsvoll fischte ich die Regungslosen mittelst eines Blatts Papier aus dem Wasser heraus. Sie waren noch am Leben, streckten mühsam die Beine nach der Erstarrung in der kühlen Nacht und spielten mit den Fühlern. Während ich aber zwei der Verunglückten auf einem Blatt Papier her­ausfischte und durch eine hastige Bewegung des Blattes Papier glücklick auf das Flugbrett ihres Volkes werfen konnte, wo sie natürlich unter den Jungbienen nicht wenig Staunen er­regten, fiel die dritte halbertrunken zur Erde. In aller Ruhe faßte ich sie nun von oben an der Brust, wie man ein

Bienenbaby anfaßt, wenn man es irgend wohin befördern will, um sie auf das Flugbrett zu tun und ihr das Leben zu retten.

Doch siehe da! In völliger Verkennung meines Samariter- dieustes bog die Entkräftete ihren Hinterleib energisch herum und erreichte gerade noch die Spitze meines Zeigefingers mit ihren! Stachel, um mich an dieser besonders empfindlicyen Stelle zu steck-en.Dummes Ding," brummte ich ärgerlich, als ich den Stachel herauszog und die Fingerspitze zur Lin­derung des Schmerzes in das Wasser steckte, aus dem ich die Biene heransgezogen hatte, die jetzt doch sterben mußte,was hast du doch nach dem kalten Bad von vierzehn Stunden, nach dem Hungern und Frieren noch eine erstaunliche Kraft in dir und eine Lebensenergie, die nun deinen Tod herbeigeführt hat. Es ist wirklich schade um dich!"

To einfach ist übrigens die Bienenrettung nicht immer, daß man die in Not Befindliche einfach auf das erste beste Flugbrctt setzt. Ist es nicht dasjenige ihres Volkes, so wird sie mitleidslos abgestochen oder, wenn sie noch im jugendlichen Alter steht, weit weg vom Stand, gleichsam in die Wüste, ge­tragen, um da einsam zu sterben. Nur in wenigen Fällen habe ich bemerkt, daß solche zarten Bienenkinder sich dadurch die Aufnahme erbettelten, daß sie resolut der sie umherzausenden fremden Wächtern! ihre Zunge herausstreckten, so weit sie nur konnten, und sckstießlich durch unverschämtes Geilen, wie der biblische Ausdruck in diesem Falle lauten könnte, ihre Auf­nahme bewirkten. Sobald sie dann den Geruch des fremden Volkes angenommen haben, werden sie als Kind im Haus behandelt- Anders ist es jedoch bei einer Biene, welche in das Futtergefäß mit Zuckerwasser drinnen im Bienenstand ge­fallen ist und sich darin gütlich getan hat, beinahme zum Platzen. Wirft mau eine solche mit Süßigkeit bekleckerte Biene, sie sei alt oder jung, auf ein beliebiges Flugbrett, so wird da nicht nach ihrem Herkommen und Volk eine lange Unter­suchung angestellt und der Fremdling gar hartherzig hinaus­gestoßen. Im Gegenteil! Das Jungvolk nimmt sich ihrer liebevoll an, schleckt sie am ganzen Körper ab und wenn die Zuckersüße" gar noch ihren Rüssel zeigt und von dem Ueber- fluß in ihrem schier Platzenden Magen gleich willig abgibt, da hat, soweit ich es beobachten konnte, noch keine einzige pflichteifrige Wächterin der Schleckerei des Jungvolks ein Ende gemacht und die Vollgesogene getötet und hinweggetragen. Wahrscheinlich hat auch das Zuckerwasser ihren Elgengeruch neutralisiert. ft.

WüMemberZ

Freudenstadt, 2. Septbr. (Zusammenstoß.) Gestern nachmittag stieß an der Kreuzung der Hof- und Kasernenstraße ein hiesiger Motorradfahrer mit einem Personenwagen zusammen. Der Motor­radfahrer wurde von seinem Fahrzeug geschleudert, erlitt Quetschungen im Gesicht und eine Gehirnerschütterung. Bewußtlos wurde er ins Beztrkskrankenhaus verbracht.

Böckingen, OA. Heilbronn, 2. Septbr. (Das Hochwasser fordert nachiräqlich sein Opfer.) Im Alter von 57 Jahren ist der Besitzer der größten Hühnerfarm am hiesigen Platze, Gastwirt Hermann Hofer, gestorben. Der Entschlafene wurde bet der letzten Hochwasier- katastrophe in äußerster Not aus dem Ueberschwemmungsgebiet ge­rettet. Seine seelischen und körperlichen Kräfte waren seitdem ge- brachen und dürsten nun den Tod herbeigesührt haben.

Stuttgart, 2. Septbr. (Zinsverbilligung.) Die Württemberaische Notenbank hat entsprechend dem Vorgehen der Reichsbank mit Wir­kung vom 2. September ab ihren Diskontsatz aus 8 Prozent und den Lombardsatz auf 10 Prozent ermäßigt.

Stuttgart, 2. Ecpt, (Händel zwischen Vater und Sohn.) Am Dienstag nachmittag beschimpfte in der Wagenburgstraße ein Be­trunkener seinen Sohn auf gröbste Weise aus offener Straße. In seiner Erregung versetzte der junge Mann dem Vater einen Stoß, sodaß er zu Boden stürzte und schreiend liegen blieb. Ein Arzt stellte einen Beinbruch fest und veranlaßte seine Uebersührung ins Kranken­haus. ,,

Neckarhausen, OA. Nürtingen, 2. Sept. (Nach der diamantenen Hochzeit tödlich verunglückt.) Frau Christiane Acmbruster (alt Hirsch, wirtschefrau) wurde gestern abend bet der regnerischen Dunkelheit,

auf dem Heimweg vom Pfarrhaus begriffen, von einem Motorrad- fahrer angesahren. Heute nacht ist die alte Frau, die erst letzten Sonn­tag noch ihre diamantene Hochzeit feiern durste, ihren Verletzungen erlegen. Der Name des Motorradfahrers, der rücksichtslos daoonfuhr, konnte bis jetzt noch nicht sestgestellt werden.

Reutlingen, 2. September. (Unter den Rädern des Zuges.) Bei dem Mittwoch früh aus dem Bahnhof Reutlingen vom Zug über­fahrenen Fahrdienstleiter handelt es sich um den Obersekretär Rein­hardt, der im Alter von 46 Jahren steht und Vater von fünf er­wachsenen Kindern ist. Dem Verunglückten wurden beide Beine ober­halb der Knöchel abgefahren. Es mußte ihm ein Bein obcrhalb des Knies sofort amputiert werden. Sein Zustand ist sehr bedenklich und man rechnet stündlich mit seinem Ableben. Der pflichtgetreue Beamte erfreute sich nicht nur seitens seiner Kollegen und Vorgesetzten, sonoern auch seitens des fahrenden Publikums durch sein freundliches und zuvorkommendes Wesen grötziec Wertschätzung.

Schömberg, OA. Rottweil, 2. Sept. (Vorsicht beim Qbstgenuß.) Gestern starb hier nach kurzer Krankheit die 15^/zjährige Amalte Schmivberger, Tochter des Gemeindecats Paul Schmtdberger. Bor einigen Tagen hatte sie Pflaumen gegessen und hieraus Most getrunken. Sie bekam heftige Schmerzen, so daß ärztliche Hilfe in Anspruch genommen werden mußte, sie konnte aber trotzdem nicht mehr gerettet werden.

Dom bayerischen Allgäu, 2. September. (Skalpiert.) Der neun Jahre alle Sohn des Auktionators Zetller in Memmingen vergnügte sich mit mehreren Kameraden mit Rollersahren. Als das Auto des Kommerzienrats Neudegger herankam, wollte der Knabe noch im letzten Augenblick über dle Straße. Er wurde jedoch von dem Wagen erfaßt und am Kopse schwer verletzt. Die Kopfhaut wurde ihm direkt skalpiert.

Ssrien

Eine Räuberbande unschädlich gemacht

Villmgen, 2. Sept. Einer in Villingen noch nie dagewese­nen Wildwesträuberrornantik hat am Montag die Gendarme­rie ein Ende gemacht. Schon wochenlang wurde die Bevölke­rung durch zahlreiche Kellereinbrüche beunruhigt. Am Sams­tag gelang es nun den Dieben auf die Spur zu kommen und den Nachforschungen von zwei Tagen und zwei Nächten ist es gelungen, die girier in Gestalt vvn vier 20 bis 25 Jahre alten Hilfsarbeitern aus Villingen dingfest zu machen. Im ganzen kommen über 20 Kellereinbrüche in der Stadt und der Um­gebung auf ihr Schuldkonto. Ter Anführer war ein gewisser Leo Springmann. Er kampierte seit vier Wochen in einer Hütte, die er sich im Geistmooswalde, etwa l^s Stunden von der Stadt entfernt, errichtet hatte und zwar tief im dich­testen Gestrüpp, so daß sie für den Uneingeweihten völlig un­auffindbar war. Daneben hatte er mit der Erstellung eines Unterstandes begonnen, der bereits eine Länge von 3 Meter und eine Breite von 2><: Meter aufwies. Die Materialien, abgesehen vom Holz, hatte er teils auf dem Schietzstand der Reichswehr, teils aus einem Gerätehaus des Turnvereins 1818 gestohlen. Dis Hauptsache aber war die Ausstattung der Hütte. Da waren Federbetten und Decken, da waren vor allem große Lebensmittelvorräte, nicht nur Eier, Käse, Brot, Kakao und Tee, sondern auch Flaschen Sekt, Wein und die verschiedensten Liköre. Weiter war das nötigeHandwerkszeug" vorhanden, wie Dietriche, Säge, Spaten, Pickel und mehrere Dynamit­patronen. Ein Pritschenwagen war nötig, um alle die gestoh­lenen Waren abzutransportieren. Als man Leo Springmann am Montag früh in seiner Hütte überraschte, lag er tief im Schlaf; denn er hatte in der vorangegangenen Nacht noch drei Einbrüche im benachbarten Reitheim verübt. Ans seiner Brust hatte er einen scharf geschliffenen, langen Dolch liegen, den er nun glücklicherweise nicht mehr verwenden konnte. Als Unter­haltungslektüre lag in der Hütte ein Buch über Buffalo Bill! die drei Komplizen Leo Springmanns wohnten zu Hause, kamen aber tagsüber zur Hütte, um die Früchte der nächtlichen Arbeit" zu genießen. Sie nahmen derart verschlungene Wege, daß kein ausgetretener Pfad entstand und die Hütte unmöglich entdeckt werden konnte. In der engen Zelle können sie nun der Schönheit ihrer Räuberromantik nachtrauern. ^

Besuch in Herrenalb

Von Maria Kretschmer

Gen Wildüad will er reiten, wo heiß ein Quell ent­springt": Was der hohe Graf von Württemberg tat, das einfache Menschenkind darf es nach Jahrhunderten heute noch tun. Man kommt gern nach Wildbad. Hier liegen Wasser­quellen, ja auch Geistesquellen verborgen. Geistesquellen. Kaum war ich angskommen, lernte ich einen Schriftsteller und seine liebenswürdige Gattin kennen. Die luden mich ein nach Herrenalb in ihr Pfarrhaus, wo Herr Stadtpfarrer Karl Seilacher als geistlicher Hirte die Gemeinde weidet. Me Geister der Zisterziensermönche in der Kirche, hart neben seinem Hause, müssen sich zu Lieb und Leid in das evangelische Pfarramt fügen; die trösten sich, daß ja oben am Berg eine neue katho­lische Kirche steht. Für nieinen Besuch wurde ein Tag fest ausgemacht. Der Regen goß in Strömen, aber die Kraft- lvagenpost fährt regelmäßig ihre Straße. Man nimmt Platz. Was ist denn das für ein Gewelsch? Nur zwei Personen sind da, der Kraftführer und ein Herr als Atbion. Gix gax, man versteht kein Wort. Englisch tuts. So helfe ich dem Eng­länder. Der ist ganz erlöst. Er versuchte, seinen Reiseplan nach Baden-Baden mit dem Führer durchzusprechen. Ich wurde gern sein Dolmetscher. Die Sache war erledigt. Wir fuhren ab. Ich schrieb ihm auf ein Blatt, was er etwa unter­wegs noch zu fragen habe. Engländer Meinen zuweilen, sie feien aus dem Haupt des Zeus entsprungen, wir Deutsche leien nur ein Nebenglied. Aber mein Mitreisender war trotz­dem ratlos wie ein Kind. Einmal um das andere brach er in Anerkennung aus, weil er nun aus seiner Not erlöst sei. Unsere vergnügliche Fahrt dauerte leider nur eine Stunde. Wir unterhielten uns fein über England, Deutschland, Ost­indien, Gandhi ufw. Merkwürdig, was in 60 Minuten alles hinein geht.Ich bin downcast," rief er aus ( ganz mutlos). Uor zwei Tagen kam ich in Wildbad an, Regen nichts als Regen. In ganz Wildbad kein Engländer!! (was natürlich nicht stimmt.) Meine Mutter telegraphierte heute aus Wien, Iw komme nun nicht nach Wildbad.Ach, Ihre Frau Mutter wird doch nicht krank sein!" Er, ganz beruhigt:O be­wahre, die ist nur so changeäble. (launisch), jeden Tag ändert ne gern ihre Pläne". Wir waren auf deM Höhepunkt, in Dobel, angekommen. Der Engländer beklagte sich, daß der ckuhrer so furchtbar lange nicht weiter fahre. Ich sagte:Wer wie Sie 10 Jahre lang in Delhi in Ostindien war, km Lande der Geduld, der hat doch dort Geduld gelernt. Säße Gandhi wer in unserem Auto, dem wäre das Warten willkommen, zu neuer verdienstlicher Geduldsübung!" Er lachte hellauf; er wurde überhaupt während der Fahrt immer vergnügter. Ich Wagte ihn: Welche Eigenschaften gefallen Ihnen an den Deut- IM» besonders? Er: Die Deutschen sind so kind und hospi- laole (freundlich und gastfrei). Ich sagte: England möchte gern eine friedlich aussehende Eroberungslinie anlegen, von

der Kapkolonie durch Deutsch-Ostafrika, weiterhin durch Aegyp­ten; hinüber nach Palästina, Babylonien, Persien; hinein nach Ostindien; dann hätte England die Schlüsselgewalt zweier Kontinente. Er: Ilmweg! Kürzer wäre es, vom Kaplanü zu Schiss nach Ostindien. Ich: Allerdings; aber eine Macht- linie gefiele England. Er: Ja, da haben Sie recht; an das habe ich noch nicht gedacht.

Nun, wie war es in Herrenalb? Der Regen goß noch immer. Ich ging durch den Torbogen. Ich schaute vor mir dasParadies". Ich schämte mich, daß ich das BüchleinEin verschwundenes Zisterzienserkloster", von meinem Freund Sei­lacher geschrieben, noch nicht gelesen habe; und das andere Ein sonderbarer Abt". Sein AndachtsbuchUnser Friede" schmerzte mich weniger, Andachtsbücher habe ich zu Hause; aber über diesen geheimnisvollen Klosterkomplex in Herrenalb bin ich so unwissend, wie mein Engländer über den Schwarz­wald; ein ergreifendes Büchlein von Seilacher kenne ich,Gan- dula". Nun diesesParadies" hier bildete architektonisch und gottesdienstlich den Eingang zu der heute noch erhaltenen ge­räumigen Klosterkirche. An der Kirche vorbei gelangte ich an das hohe Pfarrhaus, mit früh mittelalterlichem Wappen. Der Empfang war freundlicher als der nasse Regen. Die Pfarr- leute hatten Besuch von ihrem einzigen Kind; die Tochter studiert in Berlin. Unser Miniaturlaud Württemberg ist ja urgemütlich: beim Kaffee kam man bald aus gemeinsame Be­kannte zu sprechen. Ich bat, die Bücher und Schriften sehen zu dürfen, die der Pfarrherr geschrieben hat. Ein Glück, daß dieser Herr eine Gattin hat. -Er ist bescheiden und zurück­haltend mit seinen Geisteserzeugnissen; hingegen durch seine Frau erfuhr man ein bißchen etwas. Mir, dem wißbegierigen Gast, erschien der Schriftsteller geistig jugendlich, von elasti­scher Kraft; ein da, wo er wollte sprudelnder Quell. Ihm ist seine Schwarzwaldgegend lieb. Sein Geist versteht, verborgene Schätze heraufzuzaubern und zu locken. Er ver­sieht eine Doppelysarrei, die häufig Amtsgänge nötig macht. Als Zeitkünstler versteht er, mit fünf Minuten sparsam um­zugehen. So findet er Muse, seine Seele einzutauchen in die Ortsgeschichte des lieblichen Herrenalb. Die kleine Stadt bietet eine reiche Geschichte bis hinauf zu dem Merovinger König Chlodwig; und bis hinein in das Stilleben der Wäl­der und seiner gegenwärtigen Schwarzwaldbewohner. Sein Amt und seine schriftstellerische Begabung verklären ihm den Alltag, der durch das glückliche Familienleben wahrlich schon mit viel Lieblichem durchwachsen ist. Friedrich Barbarossa folgte dem Zug seines Herzens, ging fünfmal hinunter nach Italien; unser Freund ist sechsmal dort gewesen. Mit Vor­liebe suchte er dort das stille, sonnige, sanfte Hügelland heraus, das sich wie ein Kranz um die schroffen Abruzzen her zieht. Wer kennt nicht diese Landschaft aus den Jugend­bildern des großen Raphael?! Dort versenkte sein Geist sich in das Geschaute. Assisi und Perugia wurden ihm lieb; er studierte dort Natur und Menschencharaktere. Kein Eisenbahn­schnellzug stört bis jetzt die Stille in jener Gegend. Das Ergebnis seiner Studien verwob sich unbewußt mit seinem

urdeutscheu Geist zu köstlicher Frucht. Draußen goß es immer noch, am Kaffeetisch war es warm und heimelig. Jedoch nach etlichen Stunden ließ der gestrenge Regen nach. Alan brach auf, ging hinüber zur Klosterkirche. Sie ist leider in unserem Land noch nicht bekannt genug. Ich war heute zu­frieden, hatte ich doch einen feinen cicerone mir zur Seite. Es war die Frau des Dichters. Ich weiß nicht, hat sie auf der Hochschule Kunst studiert oder wie das ist; aber eines weiß ich: Mit fesselnder Gewandtheit führte sie mich in die verschiedenen Epochen ein, die sich vor unserem Auge ausbau- ten, in rötlich buntem Sandstein. Da ist der Flagellanten- turm. Er stammt aus dem Jahr 1215 aus der Regierungs­zeit des kunstliebeuden Hohenstaufenkaisers Friedrich des ll- Eine junge Dame war einmal in Herrenalb zu Besuch. Sie hatte in Tübingen Kunstgeschichte studiert und den Doktor gemacht. Als sie den Turm sah, da sagte sie mit selbstverständ­licher Bescheidenheit, aber unfehlbarer Bestimmtheit: 1245! Man schlug im Buch nach, sie hatte wirklich das Jahr getrof­fen! Ihr lieben Kunststudierenden, Jünglinge und Jung­frauen. hättet ihr es auch so sicher getroffen?! Wenn jetzt nur hier ein Zisterziensermönch ein Requiem ertönen ließe, wie ich es einst an einem klaren Morgen in Assisi von einem der Mönche in seiner Kirche hörte! Ohne es zu wissen, hatten wir hier in Herrenalb die Organistin bei uns. Abends ver­traute der Dichter mir an, daß seine Frau die Orgel be­herrsche. Durch sie erfuhr ich, aus welchem Jahrhundert und Jahrzehnt dieser Fensterbogen hier, jenes Türmchen dort ufw. stammt. AmParadies" ist die Giebelwand noch erhalten. Man möchte den seltenen Bau in Abendsonnenbeleuchtung oder nachts beim Vollmond schauen. Die Pfarrtochter hat eine Reihe von Skizzen hier ausgenommen. Nach fröh­lichem Mahl gings zum Auto, von der holden Tochter be­gleitet. Es ist Abend geworden. Mein Engländer wird jetzt längst in Baden-Baden gelandet sein. Ich sagte zu ihm:Sie reisen nach Deutschland, wie wir etwa zu den Hottentotten reisen würden; Hottentottisch können auch wir Deutsche nicht. Machen Sie sich selbst die Freude, lernen Sie die wunderschöne, geistvolle deutsche Sprache." Bet der Rück­fahrt war ich allein. Dachte hinüber nach Liebenzell: Auf der Bergeshöhe weilte dort einst die geistig hochstehende Nonne Lioba; in früheren Jahrhunderten unterrichtete sie Töchter aus vornehmen Familien, die aus den verschiedensten Län­dern Europas ihr anvertraut wurden. Birgt nicht unser gelobtes Land Württemberg Schätze seltener Art in sich? tllur muß mau sie ein bißchen in der Tiefe suchen, denn sie werden nicht ausgeboten auf dem Weltmarkt; aber sie passen desto besser hinein in den düsteren, poesievollen Schwarzwald. Hier war es Eduard Mörike dichterisch Wohl, beim Mummelsee, bei den Weichen, märchenhaften Mooren, wo sein Maler Nolten spielt. Wer ließe sich nicht auch heute mit heimlichem Be­hagen hineinführcn in die Werke des gegenwärtigen Schrift­stellers von Herrenalb?! Fesselnde Kraft und geniale Zartheit führt uns in seinen Schriften in die wiese; das tut wohl tu der sonst so hastig dahinrauschenden Zeit.