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Amtsblatt für den GberamtsbezirkNeuenbürg
Nr. 2V2 _Montag -en 31. August 1931
CurtiuS muh Gens abgereift
Zollunion — Oberschlefieu — Abrüstung
Berlin, 29. Aug. Rcichsaußenminister Dr. Curtius ist mit der deutschen Delegation am Samstag nachmittag nach Genf abgereist. In amtlichen Kreisen wird damit gerechnet, daß cr etwa drei Wochen dort festgehalten wird. Am Montag beginnen die Beratungen der Europa-Kommission, daran schließt sich dann am Donnerstag die Ratstagung und am folgenden Montag die Pollversammlung des Völkerbundes, die vermutlich etwa 14 Tage dauern wird.
Daß Gens diesmal große politische Sensationen bringen wird, ist wenig wahrscheinlich. Die große Unbekannte ist immer noch die deutsch-österreichische Zollunion. Das Gutachten des Haager Gerichtshofes wird erst in der nächsten Woche in Gens vorliegen. Von seinem Inhalt wird die ganze weitere politische Behandlung dieses Falles abhängen. Einzelne ausländische Blätter behaupten, daß die Kur die Entscheidung an den Rat zurückschieben würde. Das ist wenig wahrsch nn- lich. Sehr wahrscheinlicher ist, daß die Franzosensreunde den Versuch machen, ein Kompromiß zustande zu bringen. Falls das nicht gelingen sollte, muß mit der Möglichkeit gerechnet werden, daß ein Mehrhcits- und ein Minderheits-Gutachten erstattet wird, womit dann allerdings die Frage des Rates nicht beantwortet würde.
Inzwischen wird Deutschland versuchen, schon in der Europakommissiou den Gedanken der Zollunion auf eine breitere Grundlage zu stellen und erneut die Möglichkeiten zu erörtern, die hier für die Beseitigung der europäischen Wirtschaftskrise gegeben sind. Daneben wird auch das Problem der Präferenzzölle behandelt. Deutschland wird die Verträge, die es mit Ungarn und Rumänien geschlossen hat, vorlcgen. Auch Frankreich ist ja mit Ungarn diesem Beispiel gefolgt, und es wird sich nun zeigen, ob die europäischen Staaten bereit sind, in einem solchen begrenzten Raum eine Durchbrechung der Meistbegünstigung zuznlasscn, wobei dann auch immer noch die weiteren Schwierigkeiten bleiben, die Zustimmung der außereuropäischen Staaten zu diesem Experiment zu gewinnen.
Im Rat werden vermutlich wieder die oberschlcsischeu Klagen durchgesprochen werden. Der Deutsche Volksbund hat inzwischen einen Gegenbericht gegen den Bericht der polnischen Regierung eingereicht, und das wird hoffentlich den
Berichterstatter Adatschi veranlassen, seinem Referat eine Form zu geben, der diesmal auch Deutschland zustimmen kann. Bleibt schließlich das große Thema der Abrüstung. Die Franzosen haben aus naheliegenden Gründen die Frage aufgeworfen, ob Herr HenLerson, nachdem er nicht mehr englischer Außenminister ist, den Vorsitz in der Konferenz führen kann- Tatsächlich ist er nicht als Minister, sondern als Person gewählt. Es liegt also kein Grund vor, einen Wechsel vorzunehmen, solange nicht Herr Henderson von sich aus verzichtet. Es liegt aber auch kein Grund vor, deswegen die Abrüstungskonferenz zu verschieben, was die Franzosen gerne möchten. Das ist aber von Amerika bereits so deutlich avgelehnt worden, daß vermutlich selbst die Franzosen keinen Wert mehr daraus legen, diese Sabotage sortzusetzen.
Die deutsche und die österreichische Delegation in Genf eingetroffen
Genf, 30. Aug. Der deutsche Außenminister ist mit den Mitgliedern der deutschen Völkerbundsdelcgation heute mittag in Gens eingetroffen. Am Bahnhof wurde der Minister von dem llntcrgeneralsckrctär im Völkerbundssekrctariat Tu- four-Feronce, und dem deutschen Generalkonsul in Gens, Dr. Völkers, begrüßt. Zahlreiche Angehörige der deutschen Kolonie, der deutschen Studentenschaft, des Völkerbundssekrcta- riats und der Presse bereiteten dem Minister und seiner Begleitung einen herzlichen Empfang. Der Minister begab sich ins Hotel Metropole, das aus Anlaß der bevorstehenden Völ- kerbundsversammlung die Reickjsfarben gehißt hat.
Gleichzeitig mit Tr. Curtius ist der österreichische Vizekanzler Tr. Schober in Gens cingctrossen. Der österreichischen Delegation gehören außer Dr. Schober der ehemalige Bnndes- minister für Finanzen, Dr. Juch und Sektionsches Dr. Schüller an.
Ter österreichische Vizekanzler Tr. Schober besuchte heute nachmittag im Hotel Metropole den deutschen Außenminister Dr. Curtius. Tie Herren hatten einen ersten vorläufigen Meinungsaustausch über die die Interessen ihrer Länder berührenden Fragen.
Stegerwald ist optimistisch
Nürnberg, 30. Aug. Reichsarbcitsminister Dr. Stegerwald hielt heute in der im Rahmen des Katholikentages veranstalteten Arbeiter- und Männerversammtung eine Ansprache, in der er u. a. ausführte; es sei falsch zu glauben, daß es bei der Lohn- und Sozialpolitik in der Hauptsache bloß aus den Willen des Arbeitsministers anküme. Der Reichsarbcitsminister hatte im letzten Jahre nicht darnach handeln können, was er wolle und was er nicht wolle, sondern er hätte lediglich zu entscheiden gehabt, ob Las, was unvermeidbar sei, jetzt erledigt werde oder ob es verschoben werden solle. Die Stellung des Arbeiters in Staat und Wirtschaft sei ein Problem, an dem solange nicht planmäßig gearoeitet werücn könne, als Europa noch nicht wahrhaft befriedet sei. Ohne diese Befriedung Europas könne die Weltkrise nicht gemeistert und das Arbeitslvsenproblem Deutschlands nicht bewältigt werden
Voraussetzung für ein befriedetes Europa aber sei die Anerkennung der Gleichberechtigung der europäischen Großstaaten. In den letzten Jahren, so fuhr der Minister fort, seien an die deutsche Wirtschaft Anforderungen gestellt worden, die diese gar nicht habe erfüllen können. Die Siegerstaaten stellten hohe Forderungen und suchten diese zu kommerzialisieren. Deutschland seien durch Krieg und Inflation M bis 150 Milliarden R-M. seines Vermögens vernichtet oder weggenommen worden. Die deutsche Wirtschaft sollte außer Reparationen anständige Löhne zahlen und außerdem hohe Beträge zur Sozialversicherung aufbringen. Das alles zusammengenommen sei eine Unmöglichkeit gewesen.
Aber es sei nicht alles düster-in Deutschland. Deutschland habe einen guten Prvduktionsapparat in Gewerbe, Industrie und Landwirtschaft und ein gutes Verkehrswesen. Das deutsche Volk gehöre zu den intelligentesten und arbeitsamsten Völkern der Welt und ihm sei die Unfähigkeit gar nicht zuzutrauen, daß es sich nicht aus der gegenwärtigen Lage hcr- auszuarbeiten vermöchte. Die nächsten Monate könnten nur uberstanden werden, wenn das deutsche Volk in allen Schichten sich als eine gegenseitige Gemeinschaft fühle.
Man müßte sich in Deutschland, so erklärte Dr. Stegerwald weiter, don der Vorstellung freimachte», daß zwar Kartell- und Zollschutz etwas Selbstverständliches seien, daß aber »er Lohnschutz unzulässig und das freie Spiel der Kräfte hier °as allein gegebene sei.
Zum Schluß führte der Minister aus, er habe die feste Zuversicht, daß Deutschland allmählich das schlimnrste Unwetter hinter sich bekäme.
Voreilige Steuergerüchte
Keine zusätzlichen Steuern beabsichtigt
^ Berlin, 30. Aug. Eine Berliner Zeitung berichtet in ihrer sonntagsausgabe unter der Ueberschrift „Wieder neue Steu
ern", die Reichsrcgierung wolle sich in der neuen Woche der Aufgabe zuweuden, „zusätzliche Einnahmen" zu schaffen, die den Geldbedarf der Erwerbslosenfürsorge decken sollen. Man denke in erster Linie an einen Umbau der Hauszinssteuer, daneben an eine Erhöhung der Umsatzsteuer oder an das vom Städtetag vorgeschlagcnc Notopfer aller nicht zur Arbeitslosenversicherung herangczogenen Gehaltsempfänger.
Mit dieser Meldung werden nur Gerüchte verzeichnet, die bereits seit einer Reihe von Tagen in gewitzen politischen Kreisen umgehen, ohne daß sich feststellen ließ, welche realen Grundlagen sie haben.
Auf Anfrage verlautet von unterrichteter Seite, daß die Pläne der Reichsregicrung keine neuen Steuern vorsehcn, die das jetzige Steuervolumen überschreiten.
Zusätzliche Steuern sind also nicht beabsichtigt. Im Augenblick liegt auch keine Notwendigkeit dazu vor- Welche Folgerungen im Laufe des Winters aus der Arbeitsmarktlage gezogen werden müssen, ist eine Frage, die sich heute, und Wohl auch in der nächsten Zeit noch nichts beantworten läßt. Es ist deshalb klar, daß das Wirtschafts- und Finanzpro- gramm, das das Reichsffnanzministerium in dieser Woche Vorschlägen wird, noch keine Vorschläge enthalten kann, wie sie von dem Berliner Blatt angekündigt werden.
TendemnachriÄt über die Zollunion
Paris, 29. Aug. Der „Matin" veröffentlicht in Sperrdruck eine Information, wonach die österreichische Regierung sich zum Verzicht auf den deutsch-österreichischen Zollvertrag entschlossen habe. Das Blatt fügt hinzu, es sei ihm nicht mehr möglich gewesen, eine Bestätigung für diese sensationelle Meldung zu erhalten. Auch uns ist eine solche Bestätigung nicht gelungen. Man wird indes hier den Wunsch für den Vater des Gedankens halten müssen. Tic letzten Aeußeruugen Schobers rechtfertigen jedenfalls die Nachricht des „Matin" nicht.
Bor neue» Sparmaßnahmen in Bade«
Wie wir aus Karlsruhe erfahren, tagt das badische Staatsministerium seit Mitte der Woche fast in Permanenz. Die Beratungen sollen die ganze nächste Woche andauern.
Es ist nicht schwer. Las Thema dieser Kabinettskonseren- zen zu erraten. Schon bei der Debatte um das badische Notgesetz hat der Finanzministcr Dr. Mattes erklärt, daß der Landtag, der im September zur Beratung des Sparguthabens zusammeutreten wird, sich vor neue Sparförderungen der Regierung gestellt werden sehe. Dieses neue Sparprogramm der badischen Regierung, das das Spargutachten bei weitem hinter sich lassen und von den Richtlinien der Reichsregierung au die Länder und von den Sparaktionen in allen deutschen Ländern mttbestimmt werden wird, steht aus der Tagesordnung der Karlsruher Besprechungen.
89. Jahrgang
Erlebnisse im VorkriegSrußlan-
Im „Aufwärts" finden wir folgende sehr interessante Beobachtungen und Erlebnisse veröffentliäst. Sie sind eine wertvolle Ergänzung zu zahlreichen ähnlichen bisher bekanntgewordeuen Berichten. Derartige Schilderungen bieten zugleich einen wertvollen Beitrag zur Kriegs-„Unschuld" Rußlands.
,8- Einleitend berichtet der Verfasser vom Umschwung der Presse, die bekanntlich nur das schreiben durste, was der Regierung genehm war. Die als unparteiisch geltende größte Moskauer Zeitung „Rußkose Slowo" (Das russische Wort), die bestimmt nicht antideutsch war, änderte plötzlich ihre Tonart. Anlaß hierzu gab zunächst die Berufung des deutschen Generals Liman v. Sanders zum türkischen Armee-Inspektor, dann die Landung zweier deutscher Lustschiffer mit ihrem abgetriebenen Freiballon in der Gegend von Kasan, die Zabern- asfäre, die doch eine durchaus interne deutsche Angelegenheit war usw. Beinahe täglich erschienen jetzt gegen Deutschland gerichtete Lctzartikel, und wer nicht wußte, daß die Presse von der Regierung an der Strippe gehalten wurde, stand ob dieses plötzlichen Frontwechsels vor einem Rätsel. Das Volk sollte systematisch aus die kommenden Ereignisse hingelenkt und in ihm ein Haß gegen Deutschland großgezogen werden, was Len Drahtziehern nur zu gut gelungen ist.
Ich will nur einige kleine Beispiele bzw. Episoden, dem täglichen Leben entnommen und aus Persönlichen Beobachtungen und Erlebnissen fußend, ansühren:
In Deutschland dürfte es ziemlich unbekannt sein, daß Rußland im Frühjahr 1914 vielleicht alle, bestimmt aber einen großen Teil seiner in Polen und im Wilnaer Militärbezirk stehenden Divisionen durch zahlreiche Reservistenciuberusungcn auf Kriegsstärke gebracht hatte. Mehrere russische Bekannte von mir wurden im Mai zu einer angeblich 6 Wochen dauernden Hebung nach Rußlands Westgrenze «unberufen, nach Ablauf dieser Frist aber nicht heimgeschickt, sondern der Entlassungstermin wurde immer wieder hinausgeschobcn, und als dann der Krieg im August tatsächlich ausbrach, waren die russischen Divisionen an der deutsckicn Grenze marschbereit. Wie bekannt, hat der deutsche Generalstab auch zugegeben, daß Ostpreußen nur deshalb von den Russen übcrrannt werden konnte, weil man nicht mit einer derart schnellen Mobilisierung der als schwerfällig bekannten russischen Armee gerechnet hatte. Rußland wußte also, weshalb es seine an der Grenze liegenden Heere schon im Frühjahr 1914 aus Kriegsstärke brachte!
Als weitere Bestätigung für frühzeitige russische Vorbereitungen diente mir auch ein Erlebnis, das ich gelegentlich einer Wolgafahrt von Nischny-Nowgorod nach dem Kaspischen Meer im Mai 1914 hatte. Nach etwa siebentägiger, wundervoller Fahrt aus diesem größten europäischen Strome, in russischen Volksliedern mit Recht „Matjuschka Rossija" (Mütterchen Rußlands) genannt, hielt ich mich zwei Tage in Astrachan aus. Ein Spaziergang führte mich an einer außerhalb der Stadt gelegenen Kaserne vorbei. Aus dem Hof wurden eine Menge nicht mehr ganz junger Männer cinexerziert und auf meine neugierige Frage, ob dies Rekruten seien, erhielt ich von einem Tartaren die Auskunft, daß in letzter Zeit eine große Anzahl 'Zivilisten, die noch niemals Soldat gewesen, eingezogen seien und militärisch ausgebildet werden, was früher niemals der Fall gewesen sein soll. Als in Europa noch tiefster Friede herrschte, bereitete sich also Rußland, weit hinten an der asiatischen Grenze, schon für den erwarteten Krieg vor.
Von der Reise nach Moskau zurückgekchrt, berichtete ein guter Freund mir unter strengster Diskretion, daß etwas in der Lust liegen müsse und im Herbst wohl ein Krieg ausbrechen würde, denn sein Bruder, ein aktiver St. Petersburger Gardeoffizier, hätte ihm unter dem Siegel der Verschwiegenheit erzählt, daß die Offiziere seines Regiments einen Geheim- besehl erhalten hätten, sich mit warmer Wäsche und allem Erforderlichen für einen Winterfcldzug zu versehen. Das war im Juni, als in Deutschland noch niemand an das herannahende Nngewitter dachte.
Wir aber durften im Versailler Diktat-Frieden den Feinden durch feierliche Unterschrift bestätigen, daß wir die alleinigen Urheber des Weltkrieges seien und unsere eigenen „deutschen" Französlinge und Extrempazifisten bekommen heute noch einen Tobsuchtsansall, wenn man in Deutschland die Versailler Kriegsschuldlüge, die die Allcinsebuld Deutschlands und die Kriegsunschuld der Gegner als „Tatsache" festnagelt, bekämpft.
Maedonald soll sein Mandat niederlegen
London, 29. Aug. Der Wahlkreis Seahm, dessen Abgeordneter Premierminister Macdonald ist, hat eine Resolution gefaßt, in der die Bitte ausgesproäien wird, daß Macdonald seine Kandidatur zur Verfügung stellen solle. Macdonald seinerseits hat einen Brief an die Versammlung der Mitglieder seines Wahlkreises gerichtet, in dem er noch einmal die Beweggründe für seine Handlungsweise darlcgt. lieber den Prinzipienstreit, der sich um die Frage, wie mau das Budgetdeffzit ausgleichen kann, erhoben hat, schreibt der Premierminister: „Ein Doktor könne sehr Wohl über Diät sprechen, während sein Patient von einer akuten Blinddarmreizung befallen ist; aber zuerst müsse der Blinddarm herausgeschnitten werden."
Der Premierminister ist von dem lokalen Parteiausschuß in Hampstead, wo sich seine Londoner Privatwohnung befindet, als Mitglied der Arbeiterpartei ausgeschlossen worden.