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mittags langte man dann wieder wohlbehalten in Daressalam an.
Swinemünde 31. Juli. Der Kaiser ist an Bord des Dampfers „Hamburg" heute Vormittag 9'/- Uhr von der Nordlandreise unter dem Salut der Geschütze hier eingetroffen. Das Kaiserschiff begleiteten die Schiffe „Leipzig" und „Sleipner".
Wien 30. Juli. Gestern ist es in Proß - nitz (Mähren) zu einem Zusammenstoß zwischen Tschechen und Deutschen gekommen. Die ersteren hielten eine Feier zum Andenken des tschechischen Journalisten Havlitschek, die letzteren feierten die Dekorierung von Mitgliedern der deutschen Turnerfeuerwehr unter Teilnahme zahlreicher deutschmährischer Feuerwehren, die einen Festzug veranstalteten. Entgegen der Verabredung versuchten die Feuerwehren zuerst, an dem Versammlungsplatz der Tschechen vorbeizuziehen, machten aber, als die Tschechen erregt Einspruch erhoben, einen Umweg. Bei dem Rückmarsch der Feuerwehren versperrten nach Beendigung der tschechischen Versammlung die tschechischen Abgeordneten Perek und Reichstädter mit ihren Wagen dem Feuerwehrzug den Weg. Perek sprang vom Wagen und stürzte auf einen Fahnenträger zu um ihm die Fahne zu entreißen, wurde aber durch einen heftigen Schlag zurückgeschleudert. Das war das Zeichen zu einem allgemeinen Handgemenge. Perek und Reichstädter suchten auf ihren Wagen zu stückten, wurden aber von den Deutschen heruntergerissen und blutig geprügelt. Gendarmerie mußte sie befreien und die kämpfenden Parteien trennen.
Warschau 31. Juli. Die Polizei entdeckte neuerdings eine Bomben- Niederlage und verhaftete mehrere Personen.
Petersburg 30. Juli. General Stössel hat ein Gesuch eingereicht, in dem er um die Bildung einer neuen Untersuchungskommission bittet, da er die bestehende der Parteilichkeit anklagt, weil sie nur Zeugen vorgeladen haben die gegen ihn stimmen. .
Petersburg 31. Juli. Ministerpräsident Stolypin sagte in einer Unterredung, er verfolge nachdrücklich den Gedanken, die freien drei Portefeuilles mit Volksmännern zu besetzen. Die Nachricht über den Abbruch der Unterhandlungen sind falsch. Letztere dauern vielmehr noch fort und gelangen hoffentlich zu einem befriedigenden Ende. Auf alle Fälle denkt die Regierung nicht daran, reaktionär vorzugehen. Die ausgelöste Duma arbeitete unfruchtbar, weil die Regierung es leider unterlassen hatte, mit eigenen Gesetzentwürfen an sie heran zu treten. Jetzt haben wir 200 Tage bis zum Zusammentritt der neuen Duma vor uns und werden die Zeit benutzen, nicht um neue Gesetze hinterrücks einzuführen, sondern um Gesetzentwürfe auf allen Gebieten des Staatslebens für die kommende Duma gründlich vorzubereiten. Nur aus diesem Grunde ist eine längere Zeitdauer bis zur neuen Duma
festgesetzt worden. An einen Generalstreik glaube ich nicht, noch weniger auf dessen Erfolg, da die Regierung diesmal durchaus vorbereitet ist und eine starke Hand zeigen wird. Die Agrarfrage wollen wir weder liberal noch konservativ sondern real behandeln. Die Schlagworte liberal oder konservativ in der Agrarfrage war eine Verhetzung seitens dummer Jungen. Wir werden wirkliche landesarme Bauern befriedigen. In der Judenfrage will ich zwar nicht übermäßige Hoffnungen entfachen, die Tatsache aber, daß der größte Teil der russischen Juden zu den Unzufriedenen gehört, beweist, daß die Judengesetzgebung Mißstände zeigt, die der Abänderung bedürfen.
Vermischtes.
— Aus Neustadt a. H. wird unter dem 24. berichtet: Eine schwere Enttäuschung erlebte das hiesige Publikum, das sich schon seit einiger Zeit riesig darauf gefreut hatte, die 153 000 Liter gezuckerten Wein aus dem Keller des Weinhändlers Koppel in den Speyerbach laufen zu sehen. Viele freuen sich sogar jetzt noch und manch einer mag schon den Eimer bereit gestellt haben, um aus der zu erwartenden Fülle für einige Zeit seinen Hausbedarf zu decken, zumal in einer Zeitungsnotiz dieser Tage darauf hingewiesen wurde, daß der Wein ja nur gestreckt und nicht eigentlich verfälscht sei. Aber es hat nicht sollen sein: während diese Interessenten den Beginn der dreitägigen Weinflut mit schmachtender Kehle von Tag zu Tag erwarten, müssen wir als gewissenhafte Chronisten nun mit trockenen, aber wahren Worten vermelden, daß der letzte Tropfen des Koppel'schen Weines wohl schon in der Gegend von Bingen schwimmen mag, denn das Pumpgeschäft im Keller von Koppel ist bereits gestern beendet worden, nachdem es unter Zuhilfenahme einer elektrischen Maschine nicht drei, sondern sogar vier Tage gedauert hatte. Daß keines Men- scheu Auge etwas davon gesehen hat. kommt daher, daß die ganze Operation sich „unterirdisch" vollzog, indem der Koppel'sche Keller einen direkten Anschluß an die städtische Kanalisation hat, in welche das Riesenquantum von „Wein" gepumpt wurde. Wir wissen nicht, ob es wahr ist, aber es wird erzählt, daß ein Vertreter des „Tag" zurzeit noch in Neustadt anwesend sei, der die Absicht hat, einige photographische Aufnahmen von den, wie er sich wohl dachte, mit Wein überschwemmten Straßen für sein Blatt zu machen. Auch ihm müssen wir leider jede Hoffnung rauben — die Polizei hat ihre Schuldigkeit getan und unverrichteter Dinge muß er nach Berlin zurückkehren. Wenn Scherl es sich zwar in den Kopf gesetzt hat, das interessante Bild zu bringen, wird es dennoch erscheinen, aber wie gesagt, die 153 000 Liter eilen bereits dem tiefen Meere entgegen, und wer jetzt im Rheinstrom einen Fisch schwimmen sieht, von dem darf er sagen, daß er es glücklich überstanden hat.
— Nach Meldungen des „Daily Telegraph" von Hongkong werden die chinesischen Gewässer wieder von gefährlichen Seeräubern unsicher gemacht. In der Nähe der Küste nördlich von Hongkong wurden 10 Transportdampfer, welche chinesische Truppen zu den Sommermanövern nach Kanton brachten, von Seeräubern, welche über 4 gut bewaffnete Schiffe verfügten, angegriffen. Die Seeräuber glaubten, es seien gewöhnliche Frachtdampfer und zogen schnell ab, als sie entdeckten, daß Soldaten an Bord waren. Sofort gingen chinesische Kanonenboote ab, um die Seeräuber zu verfolgen. Es fand ein Kampf auf hoher See statt, der blutig verlief. Die Seeräuber ergriffen schließlich die Flucht.
taudivirtschastlicher Kezirksvereiu Calw.
Das landwirtschaftliche Hauptfest wird Heuer am Freitag, 28. September, vormittags 10'/- Uhr, auf dem Wasen bei Cannstatt abgehalten.
Hiebei findet eine Preisverteilung für Pferde, Rindvieh, Schafe, Ziegen und Schweine an württembergische Züchter statt. Bezüglich der Bestimmungen über die Preiszuerkennungen s. Württ. Wochenblatt für die Landwirtschaft vom 28. Juli 1906 Nr. 30.
Die Anmeldungen zur Preisbewerbung haben spätestens bis 15. August ds. Js. beim Sekretariat der K. Zentralstelle für die Landwirtschaft zu erfolgen, woselbst auch die erforderlichen Anmeldeformulare zu haben sind.
Nach dem 15. August einkommende Anmeldungen können nur dann berücksichtigt werden, wenn noch Raum im Ausstellungsgebäude vorhanden ist.
Calw, 30. Juli 1906.
Der Vereinsvorstand:
Voelter, Regierungsrat.
Landw. Syirksverein Calw.
Im Monat September wird ein Aufkauf von Kalbinnen in Oberschwaben oder in Radolfzell vorgenommen werden und wird der Verein neben Uebernahme der Kaufs- und Transportkosten hiM einen Beitrag von 500 reichen, welcher nach Verhältnis der Kaufpreise unter die Käufer verteilt werden wird.
Die Besteller verpflichten sich, die für sie gekauften Tiere um den Ankaufspreis unweigerlich zu übernehmen.
Bemerkt wird, daß der Aufkauf nur dann ausgeführt wird, wenn mindestens 10 Bestellungen einlaufen.
Die Anmeldungen sind spätestens bis 1. September bei dem Vereinssekretär einzureichen.
Calw, 9. Juli 1906.
Der Derrinsoorstaud: Der DereiussekretSr:
Voel ter, Regierungsrat. Fechter, O.-A.-Pfleger.
Reklameteil.
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Sie hätten die Absicht, an dem armen Menschen noch zuletzt Rache zu nehmen, und das wäre mir der Boote wegen in gewisser Beziehung gefährlich erschienen."
Der argwöhnische Schurke schnappte nach dem Köder, den ich ihm hinwarf, so, wie ich es nur irgend wünschen konnte. Er nahm eine gleichgültige Miene an, die in diesem Augenblick so schlecht zu ihm paßte wie die Lotsenjacke, die er trug und die er dem unglücklichen Kapitän gestohlen hatte, dessen Mörder er war, dann fragte er:
„Was meinen Sie mit einer Gefährdung der Boote, falls der Steward zurückgelassen würde? Nicht, daß das beabsichtigt wäre, nein, ich meine nur, gesetzten Falles, denn ich verstehe absolut nicht was das heißen soll?"
„Sie brauchen sich ja auch, da Sie ihn mitnehmen, den Kopf gar nicht darüber zu zerbrechen."
„Gewiß nicht, aber warum wollen Sie mir das nicht erklären?" be- harrte er, sichtlich bemüht, mich seine Ungeduld nicht erkennen zu lassen.
„Weil es sich nicht der Mühe lohnt," antwortete ich ruhig, „denn sehen Sie, wenn Sie auch beschlossen hätten, ihn auf dem Schiff zu lassen, so wäre es doch immer nur ein Mann, mit dem Sie es zu tun haben würden, und das könnte so schlimm wohl nicht werden. Mir kam nur bei meinem Gedanken eine Geschichte in den Sinn, die ich vor einiger Zeit las, wo auch eine Schiffsmannschaft ihr Schiff zu verlassen wünschte, sie hatte nur zwei brauchbare Boote und diese konnten nicht mehr als höchstens zwei Drittel der Leute tragen. Da bildete sich unter der Mannschaft eine Verschwörung, verstehen Sie mich?"
„Ja, doch weiter."
„Achtzehn Leute waren es im ganzen, und zwölf Mann beschlossen, die Boote heimlich niederzulassen, mit denselben zu fliehen und es den
andern zu überlassen, für sich selbst zu sorgen. Aber sie mußten vorsichtig zu Werke gehen, denn es war zu erwarten, daß die Todesfurcht die Zurückbleibenden zur Verzweiflung treiben würde, und wenn es auch nur einigen von diesen gelang, mit in die Boote zu springen, dann war ein Kampf unvermeidlich. Ein solcher aber, hatten sich die Verschwörer überlegt, konnte ihnen sehr gefährlich werden, da sie richtig schätzten, daß zwei oder drei vor Angst tollgewordene Menschen mindestens die Kräfte von sechs Mann entwickeln würden. Sie fürchteten, daß bei solchem Kampfe die Boote kentern und sie alle miteinander ertrinken könnten, oder, wenn die Boote vielleicht auch nicht umschlügen, doch immerhin eine ganze Menge beim Ringen über Bord stürzen und in den Wellen umkommen würden. Sie sehen, die Burschen hatten sich die Sache ganz gut überdacht; ich möchte nicht in einem Boote sein, wo so ein Kamps ausgefochten wird."
„Aber wie haben es denn dann die Kerle gemacht?"
„Nun, die zwölf stiegen zu einer verabredeten Zeit, den andern ganz unerwartet, in die Boote und stießen eilig ab, die sechs zurückgelassenen sprangen in ihrer Wut hinterher, um durch Schwimmen die Boote zu erreichen, wurden aber dabei matt und ertranken. Das paßt ja nun freilich nicht auf unfern Fall, aber wir können uns insofern eine Lehre daraus nehmen, als wir bedenken müssen, daß irgend ein nicht vorhergesehener Streit im letzten Augenblick möglicherweise unser aller Leben gefährden könnte. So ein paar wild gewordene Kerle können in ihrer Wut alles über den Haufen werfen. Aber Sie haben es ja bisher verstanden, gute Ordnung zu halten, und so hoffe ich, wird bei uns alles glatt verlaufm. Doch jetzt ist's die höchste Zeit, daß ich wieder einmal nach dem Kompaß sehe." Damit ließ ich ihn stehen.
(Fortsetzung folgt.)