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Mittwoch den 25. Februar 1931
89. Jahrgang
Schieies Agrarprogramm
Deutsche Industrielle in Nutzland
Berlin, 24. Febr' Der Reichsernährungswinister Schiele hat am Dienstag, wenn man die Dinge aus die kürzeste Formel bringen will, im Reichstag die Forderung des Reichskabinelts auf Wirtschafts- Matur angekündigt. Er hat sich nicht damit begnügt, das Programm seiner Agrarpolllik zu entwickeln, er hat, wie wir ankündigten, weit darüber hinausgegriffen und gezeigt, daß die Gesundung der Landwirtschaft auch für die Regierung nur ein Mittel zum Zweck ist, ein Stück auf dem Wege einer aktiven Reparationspolitik. Herr Schiele hat, weil er vor tausenden ausländischen Ohren sprach, sich „Milch sehr vorsichtig ausdrückt, aber zwischen den Zeilni steht doch zu lesen, daß die Regierung den Zeitpunkt herankommen sieht, wo »ie deutsche Finanzkraft zur Zahlung der Reparationsleistungen nicht mehr ausreicht. Fm Kabinett selbst ist diese Frist auf höchstens zwölf Monate noch bemessen worden.
Selbstoe, stündlich werden sich unsere Gläubiger das nicht so ohne weiteres gesollt» lassen. Eie werden vielmehr alle Mittel anwenden, um uns genau wie während der Pariser Verhandlungen zu zwingen, wieder Bedingungen zu unterschreiben, die wir wirtschaftlich und finanziell für untragbar halten, die wir aber politisch nicht verhindern Mnen. Um dieser Zwangslage aus dem Wege zu gehen ist cs notwendig, daß die Regierung rechtzeitig alle Vorbereitungen trifft. Das ist in der Finanzpolitik bereits geschehen und muß fitst auch auf agrarpolitischem Gebiet eingeleilet werden, indem mir unsere Landwirtschaft kräftig genug machen, um, wenn es sein muß, die Ernährung der deutschen B-völkcrung auch bei der Sperre ausländischer Lebrns- krediic durchzusühren und gleichzeitig zu verhindern, daß durch bewußtes Dumping — das ja nicht nur von Rußland zu kommen kraucht — eine Erschütterung des Lebenrmittelmarktes «inirilt, das sich ebenso verhängnisvoll auswtrken könnte, wie die Erschütterung unserer Währung.
Hoesch über Mttttürverhandlungen
Paris, 24. Febr. Die nach französischen Berichten angebahnten Verhandlungen zwischen Vertretern des Stahlhelms mid der Hitler-Partei mit französischen Rechtspolitikern Umrund zwar von der deutschen Rechten dementiert, aber die Nachrichten haben an maßgebenden deutschen Stellen ein unverkennbares Mißbehagen hervorgerufem Zur Aufklärung dieser Angelegenheit begibt sich der deutsche Botschafter von Hoesch morgen mittag nach Berlin und wird erst wieder Anfang der nächsten Woche hierher zurückkehren. Der deutsche Botschafter wird dabei die Kernfrage anschneiden, ob und inwiefern parteipolitische Verhandlungen zwischen deutschen und französischen Vertretern im Interesse einer einheitlich geführten Verständigungspolitik liegen. Außerdem wird sich während des Aufenthalts des deutschen Botschafters in Berlin auch die Gelegenheit ergeben, über die Regierungsverhandlungen zur Vorbereitung der allgemeinen Abrüstungskonferenz Erörterungen zu pflegen. Auch die Reparationsfrage soll nach den hier mit dem Quai d'Orsay angekurbelten Besprechungen den Gegenstand einer Rücksprache des Botschafters in Berlin bilden.
Es ist anzunehmen, daß in der allernächsten Zeit auf dem Gebiete der deutsch französischen Beziehungen gewisse neue Gesichtspunkte gesucht werden sollen, und schon aus diesem Grunde wirken die von parteipolitischer Seite unternommenen Vorstöße einigermaßen , störend. Denn nach hiesiger Auffassung haben solche Verhandlungen trotz der vom Stahl- dclr» und Hitler ergangenen Dementis stattgefunden.
Frankreichs Abwehr
gegen Rußland
Paris, 23. Febr. Die „Republigue" setzt ihre Enthüllun- «en über angebliche Zusammenkünfte deutscher und französischer Abordnungen der Rechtsparteien fort.
Diesen Enthüllungen wesentliches Vertrauen zu schenken, ist schon deshalb nicht möglich, weil das Parteiorgan der Radikalen Var allem zugibt, nicht zu wissen, wer diesen Besprechungen von französischer Seite beigewohnt hat. Ganz im Gegensatz zu den gestrigen Behauptungen gibt heute die „Republigue" aber an, daß von deutscher Seite Vertreter des Stahlhelms und der Nationalsozialisten anwesend gewesen feien. Der erste Beschluß ist dahin gegangen, Briand und Cnrtins möglichst rasch von ihren Posten zu entfernen. Der Hauptbeschlutz aber sei gewesen, angesichts der Bedrohung Europas durch den Bolschewismus, eine gemeinsame Armee bon 5t» cy» Mann französischen und sov vvü Mann deutsche» Truppen zu bilden, deren Oberbefehl ein französischer Genest übernehme, während der Generalstabschef ein deutscher General sein sollte. Letzterer wäre, so wird angedeutet, Ge- ueral von Seeckt. Die deutschen Unterhändler sollen angeblich *uch einmal nach Paris zurückkommen.
Ganz abgesehen von der Nnwahrschcinlichkeit dieser gan-
Erzählung setzt ihr heute Senator Lbmeri, der gestern in uer „Republigue" als Hauptteilnehmer auf französischer Seite
Die VeiretzlmgsfeierliÄketten irr Eirhwerler
Eschweiler, 24. Febr. In der großen, schwarz drapierten Schützenhalle fand heute vormittag die Trauerfeier für die 32 Opfer der Eschweiler Bergwerkskatastrophe statt. Die Feier begann mit einem Ehoral. Dann betrat der Generaldirektor Westermann die Tribüne. Er gab im Namen des Eschweiler Bergwerksvercins das Versprechen ab, alles Menschenmögliche zu tun, um von deu Hinterbliebenen die schwerste Not abznwcnüen. Nachdem dann Vertreter der Gewerkschaften und des Betriebsrates den Toten letzte Grüße nachgerufeu hatten, sprach Ministerialdirektor Dr. Grieser Pom Reichs- arbeitsministerium im Namen des Reichspräsidenten und der Reichsrcgierung den Angehörigen die wärmste Anteilnahme ans. Zum Schluß hielten noch Weihbischof Dr. Straeter für die katholische Kirche und Konsistorialrat Schröder im Namen des Rheinischen Konsistoriums Ansprachen. Dann wurden die Särge auf zehn große Wagen geladen und unter ungeheurer Beteiligung der Bevölkerung setzte sich der Trauerzug, au dem die gesamte Geistlichkeit, die Schulen und Vereine teiluahmeu, zum Friedhof in Bewegung.
Schwere Störungen durch Kommunisten
Eschweiler, 24. Febr. Nach den Einsegnungsfeierlichkeiten sprach an den Gräbern der Opfer von „Eschweiler Reserve" ein zweiter kommunistischer Redner in ähnlich herausfordernder Weise. Auch diesem wurde das Weitersprechen von Polizcibeamten untersagt. Da die
Menge mit Pfeifen und Pfuirufen zu einer Gegenkundgebung schritt, wurde der Friedhof von der Polizei geräumt. Die Kommunisten marschierten hierauf unter Borantragung einer roten Fahne zum Marktplätze in Nothberg, wo sic eine Kundgebung veranstalteten. Nach kurzer Zeit löste sich dann die Menge auf.
bezeichnet wurde, ein kategoriscl)os Dementi entgegen. Der Senator betont vor allem, daß er durchaus nicht, wie die „Rc- Publigue" gestern behauptet, ein Rechtsmann, sondern, wie übrigens jedermann mit Ausnahme der „Republigue" weiß, ein stark links gerichteter Politiker sei.
Die Flottenveehandlungen
Französisches Zugeständnis an England
London, 24. Febr. In Londoner politischen Kreisen tegt mau deu größten Wert aus die Feststellung, daß die überraschende Abreise des Außenministers Henderson und des Ma- rincministcrs Alexander nach Paris nicht englisch-französischen Sonderverhandlungen gilt, sondern einfach der Fortsetzung der Flottenverhandlnngen zwischen England, Frankreich und Italien, mit der die englische Regierung beim Abschluß der Londoner Marine-Konferenz ausdrücklich beauftragt worden ist. Man übersieht zwar hier durchaus nicht, daß die „freundlichere Stimmung", die sich in den letzten sechs Monaten zwischen London und Paris entwickelt har, für den Erfolg der gegenwärtigen Verhandlungen sehr wertvoll gewesen ist, aber der Versuch einiger Pariser Blätter, die Verhandlungen als das Vorspiel eines neuen englisch-französischen Flottenabkommens darzustellen, wird hier als vollkommen unbegrmrdet hingestellt. Wie man hört, handelt es sich dabei nicht um einen Kompromitzentwnrs, sondern lediglich um französische Anregungen, die jedoch gegenüber den früheren französischen Forderungen so günstig lauten, Laß aus englischer Seite jetzt ein italienisch-französisches Nebereinkom- mcn auf Grund dieser Zahlen für möglich gilt. Auf der Londoner Marinekonfcrenz wurde nach langwierigen Verhandlungen die Differenz zwischen den französischen Forderungen und den englischen Vorschlägen für die Flotte Frankreichs bis aus 40 000 Tonnen eingeschränkt. Jirzwischen hatte zwar Frankreich wieder neue weiter gehende Forderungen aufgestellt, aber es ist gelungen, aus der Basis der damaligen Verhandlungscrgebnissc erhebliche französische Konzessionen zu erreichen.
Englisch-französische Einigung
Paris, 24. Febr. Nach dem Frühstück bei Briand sind die Verhandlungen zwischen den französischen und britischen Sachverständigen fortgesetzt worden. Um 3.3» Uhr französischer Zeit begab sich Briand nach der britischen Botschaft, wo eine letzte Vollsitzung stattfand, an der die französischen und englischen Minister und die französischen und englischen Sachverständigen teilnahmen. Die Sitzung ging um 5 Uhr nachmittags zu Ende. Beim Verlassen der Botschaft erklärten Briand und Marineminister Dumont, daß eine grundsätzliche Einigung erzielt worden sei unter der Bedingung, daß Italien dem Abkommen zustimmt. Die englischen Minister verlassen heute abend Paris, um sich nach Rom z« begeben. Der Wortlaut des Abkommens soll bis zur Billigung durch die italienische Regierung geheim bleiben.
Moskau, 23. Febr. Zu dem bevorstehenden Besuch deutscher Großindustrieller in Moskau und Leningrad bemerkt die „Jswestija", diese Fahrt sei ein bedeutsames Ereignis, das die Entwickelung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen Deutschland und der Sowjetunion fördern werde.
Auch in diplomatischen Kreisen erweckt der deutsche Besuch lebhaftes Interesse. Der dadurch hervorgerufene Eindruck läßt sich so zusammenfassen, daß mau erstens meint, Deutschland wolle seinen wirtschaftlichen Ostkurs der Nachkriegszeit offenbar unbeirrt sortsetzen. Es betrachte Rußland als eilst ihm spezifisch nahestehendes Wirtschaftsgebiet und scheue selbst die strukturellen Schwierigkeiten und grundsätzlichen Nachteile des heutigen Rußlandgeschäftcs sowie finanzielle Risiken nicht, um diese Verbindung, die als natürlich gilt, anfrechtzuerhalten. Zweitens fällt auf, daß diese Reise zu dem Zeitpunkt unternommen wird, an dem in Paris die Nnterkommission des Europaausschusses unter Umgehung der Sowjetunion tagt. Selbst wenn dieses Zusammentreffen zufällig wäre, gewährt es tatsächlich der Sowjetunion eine wich- tigc Hilssstellung im Augenblick eklatanter Isolierung. Diese Tatsache liegt, so wirb weiter hervorgehoben, auf der gleichen Linie, wie das Vorgehen Deutschlands und Italiens im Europaansschuß in Genf. Sofern sich die Nachricht bewahrheiten sollte, daß auch italienische Industrielle eine Reise nach Moskau unternehmen wollen, würde diese Seite des Vorganges noch deutlicher herbortrctcii.
Solange also die Panenropa-Plänc in rein französischer Einkleidung erscheinen, rufen sic Wirkungen hervor, die genau das Gegenteil davon darstellen, was ihre Verfechter beabsichtigen.
Die Einladung des Obersten Volkswirtschaftsrates in Moskau haben bislang u. a. folgende Persönlichkeiten angenommen: Kommerzienrat Busch (Linke-Hofmann-Werke),
S. Hirsch (Hirsch-Kupfer- und Messingwcrke A.G.), Generaldirektor Borbet (Vereinigte Stahlwerke), Geheimer Kommerzienrat Dr. Konrad von Borsig, Geheimer Kommerzienrat Butz (Maschinenfabrik Augsburg-Nürnberg), Geheimer Kommerzienrat Dr. Peter Klöckner, Direktor Dr. Kiotzbach (Friedrich Krupp), Generaldirektor Dr. Köttgen (Siemens-Schnckert A.G.), Krähe (Otto Wolfs), Direktor Maycr-Etscl-eit (Gute Hoffnungs-Hütte), Generaldirektor Noc (Schichau), Generaldirektor Pfeffer (A.E.G.), Direktor Dr. Plaß (Mctallgesell- schaft), Generaldirektor Dr. Poensgcn (Vereinigte Stahlwerke), Geheimer Kommerzienrat Dr. Reinccker (I. G. Reinerker), Generaldirektor Dr. Reuter (Demag) und als Beauftragter des Reichsverbandcs der deutschen Industrie Dr. Veit n. a.
Amerikanische Kommentare
Newyork, 23. Febr. Die Rußlandreise der deutschen Wirt- schaftsführcr findet in Amerika stärkste Beachtung. „Nework Times" sehen in dieser Reise geradezu die Bedohung der wirtschaftlichen Vorzugsstellung Amerikas, die es bisher bei der Sowjetregierung genoß. Die an Deutschland ergangene Einladung sei zweifellos in einen Zusammenhang zu bringen mit der Propaganda in Frankreich, England und den Bereinigten Staaten gegen die durch Zwangsarbeit begünstigte Dumping-Politik Moskaus. Mit Ausnahme eines Teils der Geschäftswelt, der an der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit Frankreich interessiert sei, vcrsprecl>e sich jeder in Deutschland vom Gelingen des Fünfjahresplans unbegrenzte Möglichkeiten für den Absatz deutscher Erzeugnisse. Die politische und wirtschaftliche Bedeutung der neuen deutsch-russischen Wirtschastsbesprechungen sei daher nicht zu nntersästitzen.
Württembergs Anteil am Rutzlandgeschäft.
Stuttgart, 24. Febr. Entsprechend der kürzlichen Erhöhung der Grenze für die Ausfallbürgschaft der öffentlichen Hand (Reich und Länder) bei Lieferungen nach Rußland von 60 auf 70 Prozent hat auch der wiirtt. Staat seinen Anteil an der Ausfallbiirgschast von 25 Prozent auf regelmäßig 3<) Prozent erhöht. Einer aus diesem Anlaß cingebrachten Landtagsvorlage sind bemerkenswerte Zahlen über die Bedeutung des russischen GesclMs für Württemberg zu entnehmen. Danach betrug der Wert der Lieferungen württem- bergischer Firmen, für die eine Ausfallüürgschaft übernommen wurde, bis Ende >930 im ganzen 31,5 Millionen RAN. Von dieser Summe entfallen auf landwirtschaftliche Erzeugnisse und Produktionsmittel 3,5 Millionen RAN., auf Jndu- strieerzeugnisse (Maschinen verschiedener Art) W Millionen Reichsmark. Jrgendwelck>e Verluste oder sonstige Nachteile aus den übernommenen Bürgschaften sind dem Staat nicht erwachsen. Andererseits habe, was nicht zu bezweifeln ist. die Bürgschastsübernahme das Ausfuhrgeschäft der württ. Wirtschaft nach Sowjetrußland in recht bedeutendem Maße gefördert.
Sowjetrutzlarid dreht den Spieß um
Moskau^23. Febr. Als Antwort auf die Beschuldigungen gegen die Sowjetregierung, daß sie Zwangsarbeit zur Bereitstellung von Ausfuhrartikeln verwendet habe, haben nunmehr die einzelnen Sowjetorganisationen beschlossen, einen besonderen Ausschuß einzusetzen, der die Verwendung von Zwangsarbeit in Europa, Amerika und in den Kolonien feststellen soll. Besonders soll die Arbeitsmethode in der deutschen Kohlenindustrie unter die Lupe genommen werden. An der Spike dieses Ausschusses soll der ehemalige Vorsitzende der Komintern. Sincwjcw, stehen. Der Ausschuß wird demnächst eine Reise antrcten. um Material darüber zu sam-
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