Tische der Gerichtsberichtcrstatter einen Stuhl zu ergreifen und ihn nach dem Gerichtstisch zu werfen. Das Geschoß verfehlte aber sein Ziel. Es entstand ein großer Tumult. Die Zuhörer wollten über die Barriere in den Verhandlungssaal hinein. Die Mutter des Hering, die sich im Zuhörerraum befand, kreischte und beleidigte das Gericht. Eine Anzahl Wachtmeister mußte Lurch Glockenzeichen herbeigerufen werden und der Zuhörerraum unter Zuhilfenahme des Gummiknüppels geräumt werden. Diese Unterbrechung wollte Mahner benutzen, um durch die Saaltüre zu entrinnen. Er wurde indessen noch rechtzeitig gefaßt und wurde abgeführt, wobei er erheblichen Widerstand leistete.
Der österreichische Handelsminister zurückgetreten.
Wien, 22. Sept. Die durch die Bundesbahnangelegenheit entstandene politische Lage ist am Montag mittag in ein akutes Stadium getreten. Der Handelsminister Dr. Schuster hat seinen Rücktritt erklärt. Man kann mit Sicherheit annehmen, daß Vizekanzler Vaugoin von der Christlichsozialen Partei in seiner bisherigen Stellung gestützt wird. Die Bundesbahnangelegenheit hat zu einem ernsten Streit in der Regierung geführt. Vizekanzler Vaugoin hat vor kurzem in der „Reichs- Post" erklärt, daß der Präsident der Bundesbahnen, Banhans, 60 000 Schilling an Gratifikationen ausgezahlt Habe. Erst Monate später habe er die nachträgliche Genehmigung des Ministerrates dafür verlangt, aber nicht erhalten. Diese Behauptung des Vizekanzlers wurde von Handelsminister Dr. Schuster amtlich dementiert. Nunmehr erklärt Vaugoin in dem christlich-sozialen „Wiener Montagblatt", er lasse sich das auf die Dauer nicht mehr bieten. Seine Veröffentlichung in der „Reichspost" sei mit Kenntnis der zuständigen Stellen erfolgt. Der Ministerrat habe sogar den Entschluß gefaßt, die Angelegenheit Banhans am gleichen Tage amtlich zu veröffentlichen, an dem die Mitteilung Vaugoins in der „Reichs- Post" erschien. Dieser Beschluß sei nur nicht Lurchgeführt worden.
Die „Wiener Neuesten Nachrichten" beschlagnahmt.
Wien, 22. Sept. Die„Wiener Neuesten Nachrichten", die in ihrer Montagsausgabe erklärt hatten, Laß im Falle eines Rücktritts des Bundeskanzlers die österreichische Währung nicht unberührt bleiben würde, sind auf Veranlassung der Staatsanwaltschaft beschlagnahmt worden. Diese Maßnahme erregt um so mehr Aufsehen, als die „Wiener Neuesten Nach richten" dem Bundeskanzler nahestehen, besonders, da auch der erwähnte Artikel zur Verteidigung der Stellung des Bundeskanzlers geschrieben ist.
Curtius gegen Zaleski.
Genf, 22. Sept. Die Verhandlungen im Politischen Ausschuß des Völkerbundes in der Minderheitenfrage nahmen heute eine Wendung, die an den bekannten Luganoer Zusammenstoß zwischen Dr. Dtresemann und Zaleski erinnerte. Der polnische Außenminister Zaleski betonte in ironisch gehaltenen Ausführungen, es sei ihm völlig unverständlich, warum die deutsche Abordnung die Minderheitenfrage vor die Völkerbundsversammlung bringe. Für diese Frage bestehe die ausschließliche Zuständigkeit des Völkerbundsrates. Zu den Erklärungen des Abg. Koch-Weser, die Mehrheit des Ausschusses trete für die Gedankengänge der Deutschen ein, müsse er feststellen, daß die Mehrheit des Ausschusses den deutschen Standpunkt ablehne. Zaleski richtete an die deutsche Abordnung die offizielle Aufforderung, sich unumwunden zum sofortigen Abschluß eines Minderheitenschutzvertrages bereitzufinden und sich selbst dem bestehenden Minderheitenverfahren des Völkerbundes zu unterwerfen. Die Erklärungen des polnischen Außenministers wurden in einer ziemlich nervösen Atmosphäre mit außerordentlicher Spannung ausgenommen. Reichsaußenminister Dr. Curtius ergriff sofort das Wort in deutscher Sprache zu einer mit großer Ruhe vorgetragenen Erklärung. Curtius begründete zunächst eingehend den deutschen Entschließungsantrag. Die deutsche Abordnung habe keineswegs eine Aenderung der Madrider Ratsbeschlüsse beantragt, deren Revision sich jedoch bereits am Horizont abzeichne. Er müsse sich jedoch auf das Entschiedenste gegen die Auffassung wenden, als ob der Völkerbundsrat kein Rechd habe, ohne Zustimmung der beteiligten Mächte das Minder-
heitenverfahren abzuändern. Es liege im allgemeinen In teresse des Friedens und des Völkerbundes, daß die Seffent lichkeit möglichst weitgehend über die Tätigkeit des Völkerbundes in der Minderheitenfrage unterrichtet würde. Man habe sich in Madrid nicht vorgestellt, daß die dort beschlossene Statistik so mager und nichtssagend ausfallen würde, wie dies jetzt geschehen sei. Es sei durchaus verständlich, daß die Minderheiten aufs tiefste über die bisherige Bekanntgabe der Minderheitenstatistik enttäuscht seien. Die deutsck)e Abordnung halte es daher für dringend notwendig, daß die Oeffentlich- keit in breitester Weise über die Tätigkeit des Völkerbundes in der Minderheitenfrage unterrichtet werde. Curtius wandte sich sodann zu dem polnischen Außenminister. Er stellte fest, es sei gelungen, in einer offenen Aussprache vor der gesam ten Oeffentlichkeit im Völkerbund die Minderheitenfrage zur Sprache zu bringen. Dies sei bereits ein großer Gewinn. Die an ihn vom polnischen Außenminister gerichtete Frage, ob Deutschland zur Ausdehnung der Minderheitenschutzverträge über die gegenwärtig durch sie gebundenen Staaten hinaus bereit sei, Lenke er, Curtius, in keiner Weise zu verneinen, er glaube jedoch, daß eine solche Ausdehnung nur im Kreise der europäischen Mächte stattfinden könne. Er müsse jedoch ausdrücklich feststellen, daß die Minderheitenschutzverträge in den Friedensverträgen den neu gegründeten Staaten als Verpflichtung auferlegt worden seien, ohne die sie überhaupt nicht ins Leben getreten wären. Zum Schluß ergriff der französische Außenminister Briand das Wort zu einer fast einstündigen Rede, in der er offensichtlich versuchte, die gespannte Atmosphäre zu mildern. Er erklärte, es sei eine ernste Gefahr, daß von verschiedenen Seiten versucht werde, die Minderheiten dem Völkerbunde zu entfremden unter dem Vorwand, daß der Völkerbund ihnen nicht helfen könne oder wolle. Man müsse aber den Minderheiten klar machen, Laß der Völkerbund und das Sekretariat seine Aufgabe voll und uneingeschränkt erfüllt habe. (?) Der deutsche Antrag könnte in der Oeffentlichkeit dahin ausgelegt werden, als ob der Völkerbund erst jetzt nach elf Fahren feststelle, daß es überhaupt Minderheiten gebe und daß in diesen elf Jahren für die Minderheiten nichts geschehen sei. Das sei völlig uzutref- fend. Der Völkerbund habe „im Rahmen der bestehenden Verträge" seine Aufgaben voll erfüllt. Dieser deutsche Vorwurf sei daher ungerecht. Eine Abänderung der Madrider Beschlüsse lehnte Briand weiterhin als verfrüht ab. Er erwarte, so schloß Briand, daß der Berichterstatter in seiner der Vollversammlung vorzulegenden Entschließung hervorheben werde, daß weder der Völkerbundsrat noch das Sekretariat noch die Dreierausschüsse jemals ihre Pflichten in der Minderheitenfrage verletzt hätten. Der italienische und der englische Vertreter beantragten sodann den- Abschluß der Generalaussprache mit dem Hinweis, die Gegensätze in der Minderheitenfrage seien so groß, daß ein Ausgleich nicht zu erwarten sei und die Aussprache sonst einen uferlosen Verlauf nehmen werde. Die Aussprache hat eindeutig ergeben, daß sich die gegnerischen Staaten in keiner Weise geneigt zeigen, auf irgendeinem Gebiete Entgegenkommen zu Zeigen und jede Aenderung des gegenwärtigen Minderheitenverfahrens ablehnen.
Herriot für Pan-Europa.
Paris, 22. Sept. Der frühere französische Ministerpräsident und Führer der Linksdemokraten, Herriot, hatte am Sonntag auf einem Parteitag der Linksdemokraten in Lyon eine Rede gehalten, in der er sich ausführlich mit der französischen Friedenspolitik der letzten Jahre befaßte. Dem Kriegsverzichtpakt des Amerikaners Kellogg maß Herriot vorwiegend moralischen Wert bei. „Die Angelsachsen mögen sich mit einer solchen moralischen Verpflichtung begnügen", rief Herriot aus, „die französische Logik verlangt aber eine praktischere Lösung. Im Jnlande verschafft man dem bürgerlichen Gesetzbuch Geltung durch Anwendung des Strafgesetzbuches. Was würde aber geschehen, wenn morgen die Nationalsozialisten in Deutschland die Zügel der Regierung in die Hände nehmen und die Unterschrift Stresemanns nicht anerkennen? Eine Lösung und einen Ausweg sieht Herriot nur im europäischen Staatenbund, der von der wirtschaftlichen Seite betrachtet werden müsse. Stellt man sich auf einen politischen Stand-
punkt, so tauchen sofort wieder alle Meinunosverschiede»' Herten auf, die unglücklicherweise die Völker trennen." (Lu ropa sei heute krank, wie es die Streiks in Nordfrankreick und die Arbeitslosigkeit in England und Deutschland beweisen. Das Uebel werde sich weiter ausbreiten, wenn Europa sich nicht dagegen verteidigt. Der europäische StaatenbuN ist nach Ansicht Herriots bereits eingeleitet durch die Abmachungen, die zwischen den Großindustriellen bereits erfolat seien. Diese seien aber aus dem Rücken der Verbraucher zustande gekommen. Herriots Ansicht ist, Laß Liese Wirtschaft lichen Verständigungen unter der Kontrolle der Staaten ausgebaut werden müssen, dann werde man zu einem europäischen Staatenbund kommen, der sich gleich nach der Politischen Seite hin orientieren lassen könne.
Eine Erklärung des Reichskanzlers zur deutschen Außenpolitik.
Paris, 22. Sept. Der Berliner Sonderberichterstatter der „Information" hat Reichskanzler Dr. Brüning um eine Stellungnahme zu dem Ergebnis der Reichslagswahl gebeten und vom Reichskanzler folgende Erklärung erhalten: Es ist mir im gegenwärtigen Augenblick nicht möglich, über die Innenpolitik zu sprechen. Hinsichtlich der Außenpolitik will ich Ihnen sagen, daß sie fortgesetzt wird, wie ich dies in meiner Rede in Trier ausgeführt habe. Diese Politik der deutschfranzösischen Zusammenarbeit, für beide Länder notwendig kann alle ihre Früchte nur dann tragen, wenn man sich beiderseits über die Schwierigkeiten der Stunde klar ist. Obwohl ich, wie ich wiederhole, nicht von der Innenpolitik sprechen will, kann ich immerhin sagen, daß meine Regierung sich vor allem bemühen wird, die finanzielle und wirtschaftliche Lage zu konsolidieren und daß sie hoffe, daß ihr das gelingt.
Dauertagung der Abrüstungskommifsion.
London, 22. Sept. Wie der Genfer Korrespondent des „Daily Herald" meldet, haben die Delegationen Englands Frankreichs und Deutschlands eine stillschweigende Vereinbarung erreicht, daß die vorbereitende Abrüstungskommission vom 3. November bis Weihnachten tagen und daß im November nächsten Jahres die allgemeine Abrüstungskonferenz abgehalten werden soll. Diese Vereinbarung sei besonders der Rede Hendersons in der Völkerbundsversammluna danken.
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Die Auswirkungen des Fehlschlags der Flotten-Abrüstung.
London, 22. Sept. Frankreich hat, wie sich die „Sunday Times" aus Genf berichten läßt, den italienischen Vermittlungsvorschlag zur Erzielung einer Verständigung in Len Flottendifferenzen der beiden Mächte abgelehnt. Die Verhandlungen sind damit zum völligen Stillstand gekommen. Der italienische Vorschlag ließ Las Problem der Parität als solches offen, hätte aber bis 1936 der französischen Flotte eine erhebliche Ueberlegenheit zugebilligt. Man hatte hier niemals ernstlich auf eine Einigung zwischen Frankreich und JMen zu hoffen gewagt. Aber die Tatsachen, die jetzt berichtet werden, dürsten dennoch, wenn sie sich bestätigen sollten, verstimmend wirken. Zunächst wäre damit die Vermittlungsaktion, die der erste Lord der Admiralität, Alexander, noch vor kurzer Zeit bei seinem Besuche in Paris und Rom in die Wege leitete, fehlgeschlagen. Es wäre ferner Macdonalds großes Ziel auf der Londoner Konferenz, nämlich ein sämtliche sechs Flottenmächte umfassender Abrüstungsvertrag, endgültig fehlgeschlagen. Dagegen dürfte sich die Spannung zwischen England und Frankreich einerseits und Frankreich und Italien andererseits verschärfen und der ganze europäische Erdteil wäre von den Abrüstungsmaßnahmen zur Tee ausgeschlossen, die Amerika, England und Japan bereits in London vereinbarten. Schließlich besteht die große Gefahr, daß Frankreich und Italien einen gegenseitigen Wettbewerb über den im Londoner Vertrag festgesetzten Standard hinaus machen und damit England ebenfalls zur Aufrüstung zwingen, da es sich ja in der Sicherheitsklausel des Londoner Vertrags für diesen Fall ausdrücklich dieses Recht Vorbehalten hat. In der hiesigen Presse ist man geneigt, das Ergebnis der italienisch-französischen Verhandlungen im Zusammenhang mit der Lage in Deutschland als ein neues Zeichen für die Unsicherheit der europäischen Zustände zu werten.
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Birkenseld, den 22. September 1930.
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sprechen wir hiermit unseren herzlichen Dank aus. Insbesondere danken wir dem Leichenchor für den erhebenden Gesang, sowie für die vielen Kranz- und Blumenspenden.
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