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häufig aufs Feld schickte, um dem Kinde eine richtige Pflege vorzuenthalten. Da die Frau, die in der Verhandlung einen schweren Ohnmachtsaufall hatte, von den Sachverständigen als unzurechnungsfähig erklärt wurde, sprach fie das Gericht frei, ebenso die Großmutter des Kindes. Der Mann erhielt 4 Monate Gefängnis.

Berlin, 20. Dez. Wie die Nationalztg. über die gestrige Abendtafel bet Hofe erfährt, hat der Kaiser und die Kaiserin den General­leutnant v. Trotha, der bereits auf dem Pots­damer Bahnhofe in Berlin auf der Hinfahrt nach Potsdam vom Generalstabschef Grafen Schlieffen, dem KrtegSminister v. Einem und zahlreichen höheren Militärs begrüßt worden war, in ein längeres Ge­spräch gezogen. Auch die Prinzen unterhielten sich einzeln mit dem General. Nach der Tafel ließ sich der Kaiser dis anwesenden Offiziere der Schutztruppe vorstellen und unterhielt sich mit ihnen, namentlich mit dem Hauptmann Franke. Fürst Bülow sprach mit den beiden Vizepräsidenten des Reichstages, Grafen Stolberg-Wernigerode und Dr. Paasch e über verschiedene Themata.

Bern, 18. Dez. Nach einer Meldung des BernerBund" ist der Italiener Luccheni, der Mörder der Kaiserin Elisabeth, wahnsinnig geworden. Ec hat in letzter Zeit verschiedene ge­fährliche Angriffe ans das AufstchtSpersonal ver­sucht. Schon in den letzten Monaten zeigte Lachen! Spuren von Geistesstörung. Er verübte die schlimmsten Gewalttätigkeiten und mußte immer wieder in die unterirdische Zells verbracht werden. Als im September dieses JahrS der Direktor der Strafanstalt behufs Jnspekttpn den großen Saal betrat, in dem tagsüber die Häftlinge mit ver­schiedenen Arbeiten sich beschäftigten, verließ Laccheni plötzlich seinen Arbeitstisch, stürzte sich auf den Direktor und versuchte mit einem Hobel auf seinen Kopf zn schlagen. Ec erhielt eine empfindliche Dtsciplinarstrafe und jetzt, nachdem er dieselbe überstanden, versuchte er einen Aufseher zu ermorden. Die Aerzte haben ans Grund der Untersuchung und der Beobachtung, der sich Luccheni unterzogen, fest­gestellt, daß er getsteSkrark ist; man wird ihn jetzt endgiltig in eine Einzelzelle bringen.

Moskau, 20. Dez. Der soeben vom Acbeiter- Deputiertenrat proklamierte, politische General­streik umfaßt sämtliche Betriebs- und BerkehrS- einrichtungen. Ausgenommen find nur die Wasser­leitung und Lebensmittelhandlnngen. Die elektrische Straßenbahn verkehrt seit heute morgen nicht mehr. Die Geschäfte find noch geöffnet.

Moskau, 21.Dez. Das soziale Leben stockt infolge des allgemeinen AuSftands. Die oberen Bureaubeamten des GemsinderatS und, der Semstwo legten gestern mittag ebenfalls die Arbeit nieder. In einer Anzahl Fabriken ist der Betrieb eingestellt. 50 000 Arbeiter streiken. In

keiner Druckerei wird gearbeitet. Heute werden auch die meisten Schulen geschlossen. Die Vereinigung der Ingenieure ist dem Ausstand beigetreten. Die Bankangestellten werden wahrscheinlich ebenfalls heute in den Ausstand treten. Da die elektrischen Zentralstationen nicht arbeiten, ist die Stadt ohne Beleuchtung. Theater und Klubs find geschlossen. Ja den Postbureaus mußte der Betrieb infolge mangelnder Beleuchtung abends eingestellt werden. Ein Kongreß der Post- und Telegraphenbeamten beschloß, sich dem allgemeinen Ausstand anzuschließen. Gestern nacht wurden viele Führer der Arbeiter und Arbeitervertreter verhaftet. Versammlungen von Ausständigen wurden durch Kosaken ausein­andergetrieben. Die Drucker der Druckerei von Sitin, dem Verleger desRußkoje Slowo", nahmen gestern Sitin und die Redakteure fest und stellten in der Druckerei die erste Nnmmer der Zeitung des Arbeitervertreterrats her, die einen Aufruf an das Volk enthält, die bewaffnete Revolution zu organisieren. Die hiss. Vertreter des Verbands der Verbäade beschlossen, sich dem Ausstand anzn- schlteßen, um die Revolution des Proletariats zn unterstützen.

Warschau, 21. Dez. In der Mittwoch- Nacht wurden Redaktion und Druckerei des polnischen SozialtstenblattcsKurjer Codzienny" von der Polizei und Kosaken besetzt. Nach Durchsuchung aller Räume wurden 5 Redakteure, 2 Arbeiter und 2 Arbeiterinnen verhaftet und die Druckerei- und Rsdaktionsränme versiegelt. Das Erscheinen des Blattes bleibt bis zu einem rechtskräftigen Gerichts­urteil untersagt. In der Vorstadt Lublin entstand in einem Privathause, wo Bomben fabriziert wurde n, eine Explosion. Ein Mann und eins Frau wurden getötet, 6 andere Personen tödlich verletzt. Die Wohnung ist vollständig zerstört. In Chelm wurde der Beztrks-Poltzsichef, der Untersuchungs­richter und zwei Polizisten bei amtlichen Dienst- Handlungen durch Rsvolverschüsse verletzt. In Nikolajew meuterten zwei Infanterie-Regimenter, wobei es zu blutigen Zusammenstößen kam.

Petersburg, 21. Dez. Zur Durchführung des Generalstreiks, der in Petersburg heute Mittag 12 Uhr begann, haben sich nur 17 Elsenbahnver­bände bereit erklärt. Die übrigen versagten die Mitwirkung. Die Akademie beschloß in einem Meeting, die Akademie während des Generalstreiks vollständig geschloffen zu halten ans Rücksichtnahme auf schwere Ausnahmefälle. Man glaubt hier, daß dieser letzte Anlauf der Revolutionäre und Sozialisten gegen die Regierung versagen müsse, da ihre Geld­mittel nahezu erschöpft find. Die Streikkasse ist außer Stande, den Streikenden 30 Kopeken täglich zu zahlen.

London, 20. Dez. Aus Kapstadt wird gemeldet: Nach Berichten aus Swakopmund habe der Gouverneur Lindequist die Hercro-ChefS Ombuuro und Otgiheinena aufgefordert, ihre Waffen

zu strecke». Falls fie die Feindseligkeiten bis zum 20. ds. eingestellt haben würden, sollten ihnen und ihren Frauen und Kindern Lebensmittel geliefert werden.

London, 20. Dez. Dem Daily Telegraph wird aus Tokio gemeldet, die deutsche Regierung habe der japanischen offiziell mitgeteilt, daß Freiherr Mumm von Schwarzenstein zum ersten deutschen Botschafter in Tokio ernannt sei.

London, 21. Dez. Daily Mail meldet aus Tokio, daß ein deutscher Dampfer Nach­richten über neue Unruhen in Sibirien aus Wladi« wostock nach Japan überbrachte. Die Meuterei in der russischen Mandschnrei-Armee dehnt sich bis TomSk aus. Die Meuterei unter den TomSker Truppen nimmt große Dimen­sionen an. Die Meuterer verübten furchtbare Excesse. Schließlich wurden Kosaken zur Unter­werfung des Aufstandes herangezogen. Die Meuterer schloßen sich in den Kasernen ein und verteidigten sich hartnäckig. Die Kaserne wurden von den Kosaken in Brand gesetzt. Von den 900 einge- schlossenen Meuterern verbrannten viele. Zahlreiche andere wurden von den Kosaken gelötet, als fie aus der brennenden Kaserne flüchteten. Unbeschreib­liche Schreckeuszenen spielten sich dabei ab. Auch in Wladiwostock brach eine Meuterei aus. 120 Sol­daten schloßen sich in ein Gebäude ein, das die Kosaken in Brand setzten. Als die Etngeschlossenen das Gebäude verließen, um dem Feuertode zu ent­gehen, wurden auf der Straße viele von den Kosaken getötet.

Dar-eS-Salaam, 20. Dez. In der Nacht vom 27. auf den 28. November griffen Auf­ständische die Etappenstation Livale an. Der An­griff wurde aber mit starken Verlusten für die Angreifer zurückgeschlage«. Am 14. und 15. ds. wurden zwei Stunden von Samanga bereits unter­worfene Eingeborene von Kitope-Leuten unter den Aufrührern Munda und Kijomojomo überfallen. Oberleutnant Wagner, der mit 20 ASkariS und 10 Irregulären gegen die Aufständischen gesandt war, erreichte diese nach sechsstündigem Nachtmarsch am Kitope-Berg, erstürmte die feindliche Boma und vertrieb den feuernden Feind. Die Verfolgung und Feststellung der Verluste war wegen des dichten Busches nicht möglich. Diesseits waren keine Ver­luste zu verzeichne«.

«-tte»dtes,tze.

4. Advent, 24. Dez. Vom Turm: SO. Predigtlied: 28. Sei Lob und Ehr rc. 9'/- Uhr: Vormit.- Predigt, Herr Vikar Hermann. 4 Uhr-Weih­nachtsandacht und Beichte, Herr Dekan Roos-

tzhristfefi» 25. Dez. Vom Turm: 104. Predigtlied: 105. Fröhlich soll rc. Der Kirchenchor singt: Freut euch ihr lieben Christen rc. 9'/« Uhr: Beichte in der Sakristei. 9'/- Uhr: Vormitt.-Predigt, Herr Dekan Roos. Abendmahlsfeier. 2 Uhr: Nachmitt.-Predigt, Herr Stadtpfarrer Schmid. Das Opfer ist für die wohltätigen Anstalten des Landes bestimmt.

Stephaus-Iseierlas, 26. Dez. 9'/« Uhr: Predigt, Herr Vikar Hermann.

Aohannir-Aetertag, 27. Dez. 9'/- Uhr: Predigt im Vereinshaus, Herr Stadtpfarrer Schmid. Beicht­andacht im Vereinshaus.

Nordheim sah sie zweifelnd an.

Sie glauben mir nicht? Es ist auch nur zu natürlich." Tiefe Gereiztheit klang aus ihrer Stimme.Sie würden wohl kaum an einem und demselben Orte mit Fernands sein, ohne sie zu schm; das glaube ich, aber hier ist sein Brief; wollen Eie lesen? überzeugen Sie sich!"

Unwillkürlich streckte er snnr Hand darnach aus, dann zog er sie hastig zurück.

Vergeben Sie mir, Baronesse! Natürlich glaube ich Ihnen unbedingt."

Ein triumphierendes Lächeln spielte um ihre Lippm, dann reichte sie ihm den Brief noch einmal hi».

Doch, lesen Sie! Nun erklären sie mir dann auch, woher wußten Ei« von der Anwesenheit meines Bruders, und was heißen seine rätselhaften Worte von Glück und zerstörter Hoffnung? WeSha'.b sagten Sie mir nichts davon? ES muß ihm etwas zugestoßrn sein, etwa» schreckliches, o erlösen Sie mich aus meiner Angst und sagen Sie mir, was e» gewesen."

Sie legte beide Hände auf seinen Arm und sah fl hmd zu ihm empor.

Seien Sie unbesorgt, Baron-sie, Ihrem Bruder ist nichts zugestoßen und seinen Kummer wird er wohl auch bald vergessen haben."

Aber was war es?"

Muß ich eS Ihnen sagen?" Ec blieb stehen und blickte finster auf sie herab.Nein, eS kann Ihnen genügen, daß Ihrem Bruder krin Leid wieder­fahren >8. mehr kann ich Ihne» augenblicklich nicht sagen."

Naziedda sah staunend zu ihm empor, dann lächelte fie.

Ich danke Ihnen, mehr will ich nicht erfahren; ich sehe, e» betrifft Sie bitter, wenn ich Sie an etwa» Unliebsames erinnerte, ich wollte Ihnen nicht wehe tun."

Die letzten Worts waren leise und mitleidig gesprochen und sie reicht« ihm dabei ihre kleine Hand.

Wollm Eie eS vergessen sein lassen?"

Er zog ihre Hand an seine Lippen.

Ich dank« Ihnen, Baronesse und bitte Sie zugleich, mir zu vergeben, denn ich war im Begriff« Ihnen sehr, sehr unrecht zu tun."

Tränen sprangen in die braunen Kinderaugen.

O, Herr v. Nordheim, wie habe ich das verdient; und gerade von Ihnen?" Sie schwieg, aber ihre Augen sprachen desto beredter den Vorwurf aus.

Ich Hab« Ihnen noch nicht Unrecht grtrn, Baronesse, ich war nur im Begriffe, Ihnen es zu tun. Und wenn Ihr Bruder Ihnen sagen sollte, was vorgefallen ist, dann werden Sie um meinetwillen schweigen nicht wahr?"

Er hielt ihre Rechte in seinen beiden Händen und sab bittend auf sie herab. Sie blickte voll zu ihm auf, dann senkten sich die dunklen Wimpern wieder.

Um Ihretwillen ja," flüsterte sie mit einem bezaubernden Lächeln. Sie sahen wohl beide die dunkle Frauengestalt nicht, die den Strand herabkam und eben um die Ecke bog, die diesen Teil von den übrigen ein wenig absonderte, denn sie schritten ruhig zurück zn ihrer Wohnung. Die Dame aber sah ihnen lange starr nach. Plötzlich fielen ihr Worte ein, die sie erst den Tag vorher an dieser Stelle gehört hatte:O, hätten Sie meinen Bitten Gehör geschenkt und wären in Waldheim geblieben; wie vieles wäre da anders geworden! Ja vieles!" Die Einsame lächelte bitter. Da wären jene Beiden wohl Mann und Frau. Bei diesem Gedanken war eS ihr, als lege sich eine eiskalte Hand auf ihr Herz. Vom Himmel aber fielen die ersten schweren Tropfen. Er war bleigrau und düster, wie auch das nimmer ruhende, rauschende Meer zu ihren Füßen.

8. Kapitel.

ES war Herbst geworden. Das Laub begann sich langsam in ver­schiedenen Tinten und Schattierungen zu färben. Hier und da fiel ein gelber Blatt langsam flatternd zur Erde herab, die ersten Anzeichen, daß uns der liebe Gast, der Sommer verlassen hat, nm seinem Bruder Herbst Platz zu machen, der Sturm und Unwetter genug in seinem Gefolge bringt, um den auf lange Zeit Entflohenen doppelt bedauern zu machen.

In dem großen Salon zu Waldheim bot sich dem Beschauer, der sich müde gekämpft in Sturm und Regen, ein anheimelndes Bild. In dem Kamin brannte ein tüchtiges Feuer, und um dieses hatte sich eine ganze Gesellschaft versammelt. Von Zeit zn Zeit flackerte das Feuer Heller auf und ließ die verschiedenen Gestalten erkennen.

(Fortsetzung folgt.)