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N 145
Samstag, den 25. Juni 1927.
85 Jahrgang.
Politische Wochenrundschau.
Zum zweitenmal seit 1914 wurde aus dem vom letzten würt- tembergischen König geschaffenen berühmten Rennplatz zu Weil wieder Pferderennen abgehalten, die die Aufmerksamkeit weitester Kreise aus sich zogen. Nachdem der letztjährige erste Versuch des Schwäbischen Reitervercins mit der Veranstaltung von Halbblutrennen so aut gelungen war, unternahm es der wieder- erstandene Württ. Rennverein, in diesem Jahr wieder Vollblutrennen auszunehmen, die an den beiden letzten Sonntagen statt- sauden. An beiden Renntagen wurden je sechs Rennen, teils Flach- teils Hindernisrennen, durchgeführt, von denen je nur das erste Reimen als Konzession an die Reichswehroffizierc noch für Halbblutpferde offen waren. Die übrigen Rennen waren reine Vollblutrennen, die guten Sport und spannende Kämpfe zeigten. Nur mit dem Wetter haperte es diesmal bedenklich. Nach schönen, heißen Wochentagen regnete es immer ausgerechnet aus Len Sonntag in Strömen, sodaß die Besucher- :r Bedeutung der Rennen entsprach und bedeutend
Auch die Rennen selbst Pferde
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hinter dem letzten Jahre zurückstand, wurden insofern beeinträchtigt, als nicht alle gemeldeten , , zum Start antraten, sondern in größerer Zahl bei dem cmfge- weichten Boden zurückgehalten wurden. Das nächste Rennen in Weil findet am 25. September dieses Jahres für Vollblut, Mitte Oktober für Halbblut statt.
Der württembergische Landtag hat sich in seiner letzten Sitzung in der vorigen Woche in erster Lesung mit dem Abfindungsvertrag mit dem Herzogshaus Württemberg befaßt, dessen wesentlichen Inhalt wir schon in der letzten Wochenrundschau wiedergegeben haben. Der Abfindungsvertrag ist ein Staatsvertrag, dessen Erledigung wie die der Gesetzentwürfe in drei Lesungen erfolgt, da dem Staatsvertrag nach seinem Inkrafttreten Gesetzeskraft zukommt. Aenderungsanträge werden aber, wie die Geschäfsiordnung des Landtags ausdrücklich noch vorschreibt, zu Staatsverträgen nicht zugelassen, weil es den Abschluß eines Staatsvertrags unmöglich machen hieße, wollte man nach oft mühseligen Verhandlungen der von der Regierung beauftragten Unterhändler dem Parlament noch Gelegenheit ben, Aenderungen der einzelnen Vcsti
cstimmungen zu beschließen, ediglich Entschließungen zu Staatsverträgen sind gestattet. Ern Staatsvertrag kann nur als Ganzes angenommen oder abgelehnt werden. Die Gesamtabstimmung über den Staatsvertrag erfolgt erst am Ende der dritten Lesung. Die erste Lesung des vorliegenden Staatsvertrags mit dem Haus Württemberg zeigte folgendes Bild: Sozialdemokraten, Kommunisten und Demokraten in Opposition. Unter Zustimmung der Mehrheit des Landtags nahm Staatspräsident Bazille vor allem die Person des Herzogs Albrecht von Württemberg, des obersten Mhrers der württ. Truppen im Weltkriege, in Schutz, der, ein Mann von vornehmster Denk- und Handlungsweise, auf Grund seiner Verdienste als Soldat und Bürger, das Rechte habe, als genau so guter Württemberg angesehen zu werden, wie jeder andere. Es stehe fest, daß Herzog Albrecht, wie ein Gutachten des Oberlandesgerichts deutlich zum Ausdruck brachte, bei Verfolg des Rechtsweges von den Gerichten ungeheuer mehr zugesprochen erhielte. Aber mit Rücksicht aus die Notlage des Staats und des ganzen Volkes hat Herzog Albrecht aus alle weitergehenden Ansprüche betr. Krondotation und Apanagen, verzichtet und nur das gefordert, was er als verantwortliches Oberhaupt der herzoglichen Familie für deren wirtschaftliche Existenz billigerweise fordern konnte.
Der Abschluß der diesmaligen Völkerhundsratstagung rn Gens hat in Deutschland schwer enttäuscht, da kein bestimmter Abschluß erzielt wurde. Die vorzeitige Abreise von Briand wegen seiner Erkrankung hat weitere Aussprachen über die uns besonders berührenden Fragen der Ostbefestigungen, der Beschränkung der Besatzungstruppen und der Rheinlandräumung unmöglich gemacht und alles weitere Len diplomatischen Verhandlungen überlassen. Das mehr oder weniger negative Ergebnis ist aber nicht aus das Konto des deutschen Vertreters, Dr. Stresemann, zu setzen, der sich gewiß, wie das gesamte Reichskabinett, einschließlich der Deutschnationalen, anerkannt hat, die größte Mühe gab, den deutschen Standpunkt zu vertreten. Bevor nun weitere Schritte unternommen werden, wird zunächst der Reichstag gehört werden, der in den letzten Tagen eine große außenpolitische Debatte hatte. Zu einem befürchteten ernsten Vorstoß gegen Stresemann kam es nicht; die Ausführungen Stresemanns, in erster Linie an die Adresse Frankreichs bzw. PoincarSs gerichtet, machten einen vorzüglichen Eindruck und werden ihre Wirkung im Ausland nicht verfehlen. Nach Abschluß der Aussprache im Reichstag werden dann die weiteren diplomatischen Unterhandlungen von Berlin aus eingeleitet werden.
Deutschland.
Darmstadt, 24. Juni. Der hessische Landtag nahm ein Gesetz an, durch das die Bildung von Splitterparteien sehr erschwert Wird. Für die Landtagswahllisten haben bisher im Landtag nicht vertretene Parteien 7000 Unterschriften auszubringen und 5000 Mark Kaution zu stellen, die an du Staatskasse fallen, wenn eine neue Partei kein Mandat erzielt. Gegen das Gesetz stimmten lediglich die Kommunisten.
Wegen Beleidigung der Republik verurteilt.
Kassel, 24. Juni. Der Nationalsozialsstensührer Rechtsanwalt Freister wurde wegen Vergehens gegen das Republikschutzgesetz zu 1000 Mark Geldstrafe verurteilt. Er hatte rn einer Stadtverordnetenversammlung im vorigen Jahr rn erner Debatte über die Beamtenbesoldung von einer „schamlosen Pleite der Schieber-Republik" gesprochen.
Kritik und Zustimmung zur Stresemauu-Rede.
Berlin, 24. Juni. Die „Germania" hebt hervor, daß Dr Stresemanns Erwiderung ans die Luneviller Rede Pomcarös besonders gelungen sei und nimmt an, daß sie außenpolftrsch eine gute Wirkung ausüben werde. Weiter weist
Erklärung der Regierungsparteien den Stempel eines hochbedeutsamen Ereignisses getragen. Die „D. Ä. Z." stellt fest, daß die Darlegungen Dr. Stresemanns geeignet seien, auch im Ausland das Gefühl für unser Recht und unser ehrliches Wollen zu Wecken, zumal sie in höchst wirksamer Weise durch die Erklärung der Regierungsparteien ergänzt worden seien. Der „Tag" bemängelt, daß Minister und Abgeordnete sich auf die juristisch einwandfreie Darstellung unseres Rechtes und im übrigen aus den Ausdruck von Erwartungen und Hoffnungen beschränkt hätten, daß aber mit keinem Satz über die Möglichkeit einer aktiven Außenpolitik gesprochen worden sei. Die „Deutsche Ztg." begrüßt es, daß sich gestern wenigstens die Wirkung und Erkenntnis gezeigt habe, daß die großen außenpolitischen Tage des Reichstags nicht dazu da seien, um innerpolitische Dinge aus- Mfechten, daß hier durch Zusammenspiel von Regierung und Volksvertretung eine bestimmte Wirkung nach außen erzielt werden müßte. Die „Kreuz-Zeitung" hebt hervor, daß das, was Dr. Stresemann dem französischen Ministerpräsidenten von der Tribüne des Reichstags herab auf seine unerhörten Verdächtigungen und Anschuldigungen erwiderte, von erfreulicher Deutlichkeit gewesen sei und sagt, die Erklärung der Regierungsparteien sei als eine Rückenstärkung für den Reichsautzen- minister zu werten. Die „Börsen-Zeftung" stellt als bemerkenswert fest, daß sowohl Kabinett wie Regierungsmehrheit deutlich den Mut gefunden hätten, aus der amtuchen Tribüne des Reichstages in Verantwortlicher Form die Enttäuschung des deutschen Volkes über das Versagen des Locarno-Politik und über die Nichterfüllung der uns von den Alliierten gegebenen feierlichen Versprechungen auszudrücken. Der „Börsen-Kurier" sagt, daß selten ein „großer Tag" so eindrucksvoll gewesen sei. Der „Voss. Zeitung" erscheint die Regierungserklärung, soweit sie sich auf den ersten Abschnitt bezieht, etwas zu pessimistisch für einen Staatsmann, der sich zum Optimismus aus Prinzip bekenne. Die Locarno-Politik müsse sich durchsetzen, wenn nur die deutsche Außenpolitik nicht schwanke. Das „Berl. Tageblatt" stellt fest, daß die Ausführungen Dr. Stresemanns gegen Poincarö in sehr ruhiger und gemäßigter Form gehalten gewesen seien. Der „Vorwärts" hält die breit ausgesprochene Polemik Dr. Stresemanns außenpolitisch gesehen nicht gerade für geschickt.
Die 47. Vollversammlung des deutschen Jn-«stric- «nd Handelstages.
Hamburg, 22. Juni. Auf der 47. Vollversammlung des Deutschen Industrie- und Handelstages nahm nach einer Begrüßungsansprache des Präsidenten Franz von Mendelssohn Reichswirtschastsminister Dr. Curtius das Wort und behandelte ausführlich die Grundzüge der schwebenden deutschen Wirt- schastssragen. Im Zusammenhang mit der Beurteilung der gegenwärtigen Lage könne mit absoluter Sicherheit gesagt werden, daß die Festigkeit der Währung gewährleistet fit und daß irgendwelche Gefahren für die deutsche Währung weder zur Zeit noch in Zukunft beständen. Auch von der Seite der Reparationsverpflichtungen her könne der deutschen Währung eine Gefcchr nicht drohen. Das erhebliche Steigen der Passivität der Handelsbilanz findet seine ausreichende Erklärung rn den Konjunkturverhältnissen. Bei einigermaßen gleichbleibender Einfuhr zeige die Ausfuhr einen zwar langsamen, aber stetigen Aufstieg. Um die Wirtschaft stark und konkurrenzfähig zu halten, sei eine Senkung der Preise und entsprechende Steigerung des Realeinkommens wahrscheinlich der einzige Weg. Daher habe der Minister auch die Erhöhung der Kohlenpreise untersagt. Er hoffe ferner, daß im gegenwärtigen Augenblick eine Steigerung der Eisenpreise vermieden werden könne. Bei der bevorstehenden Neuregelung der Liquidations- und Verdräng- tenschäden müsse das Reich diesen Kreisen zuwenden, wozu es irgend in der Lage sei, und zwar rasch und in einer leicht verwertbaren Form. Im zweiten Teil seiner Rede behandelte der Minister die Fragen der deutschen Handelspolitik. Die Reichsregierung werde ihre Kraft in der Richtung der Weltwirt- schastskonferenz einsetzen mit dem Ziel der schrittweisen und paritätischen Absenkung des Zollniveaus der Welt. Die deutsche Regierung sei entschlossen, hierzu durch langfristige Handelsverträge zu- gelangen. Außerdem werde sie mit Ländern, mit denen bereits Tarifabreden vorliegen, neuerdings in der gekennzeichneten Richtung Verhandlungen Vorschlägen. Der Minister bedauerte, daß es noch nicht gelungen sei, zwischen Deutschland und Frankreich eine dauernde wirtschaftspolitische Verständigung herbeizusühren. Das Ziel scheine wieder in weite Ferne gerückt zu sein. Deutschland habe Frankreich Vorschläge im Sinne der Weltwirtschaftskonferenz unterbreitet. Sollte es nicht zu einer Verständigung kommen, so werde sich Frankreich darüber klar sein müssen, daß ihm ein wesentlicher Teil der Verantwortung für die weitere Entwicklung der wirtschaftlichen Verhältnisse Europas zufällt. Zur deutschen Zollpolitik übergehend, erklärte der Minister, daß die Reichsregierung das gegenwärtig bestehende Mißverhältnis zwischen dem landwirtschaftlichen und dem industriellen Zollschutz durch einen entsprechenden Abbau des industrie-wirtschaftlichen Zollniveaus mit größter Beschleunigung erreichen wolle.
Ms erster Redner der Tagesordnung hielt sodann der Eisenindustrielle Voegele-Mannheim einen Vortrag über die deutsche Industrie in der Weltwirtschaft. Die Wiederaufbauarbeit der deutschen Industrie habe sich zunächst vor allem auf die Vereinfachung des Herstellungsprogramms zu erstrecken; durch Rationalisierung müsse das Höchstmaß an Leistungen unter geringstem Aufwand erzielt werden. Es sei zu begrüßen, daß die Weltwirtschaftskonferenz den Gedanken eines Abbaues der Zollschranken anerkannt hat. Der Redner wies weiter auf das verstärkte Auftreten Amerikas mit Fertigwaren auf dem Weltmarkt und die steigende Bedeutung der östlichen Märkte für Deutschland hin. Wirtschaftliche Autokratie sei in absehbarer Zeit in Deutschland undenkbar. Eine so intensive Industrie, wie sie Deutschland besitze, bedürfe großer Wirtschaftsgebiete. Sache der Regierung sei es, eine Handelspolitik zu betreiben, die in aller Anerkennung der hervorragenden Bedeutung des inneren Marktes dem Rechnung trägt, und eine Sozial- und Steuerpolitik, die es der deutschen Wirtschaft ermögliche, wettbewerbsfähig zu bleiben.
ter Redner verbreitete sich Max M. Marburg über das Thema: Der Kredit im Geschäfts- und Staatslcben, wobei er seine Ansichten über den Kredit der Notenbanken, des Staates und der Privatwirtschaft entwickelte. Der Redner erklärte: Der Kredit des Reiches, der Kredit der Notenbanken und der Kredit der Privatwirtschaft sind voneinander abhängig. Im allgemeinen Interesse liegt es, daß die Steuern verringert werden, damit die Kapitalisten in der Lage sind, ihr Geschäft auszudehncn, mit anderen Ländern zu konkurrieren und vor allem auch der Arbeiterschaft die Arbeitsgelegenheit, die Existenz zu erhalten. In einem Lande, in dem für die soziale Fürsorge derartig viel geschieht wie in Deutschland, wäre an Stelle des Wortes „Kapitalistisch" in dem bisherigen einseitigen Sinne das Wort „Sozialkapitalistisch" angebracht. Der Redner schloß: „Die unwirtschaftliche Behandlung Deutschlands, die wirtschaftlich widersinnigen Maßnahmen aus Grund des Versailler Vertrags schädigen nicht nur Deutschland, sondern sie schädigen Europa. Europa wird sich immer weiter verschulden, den Kredit verlieren und es wird die Zeit nicht wiederkommen, wo Europa in der Welt größere Kredit- als Debetposten hatte, wenn wir nicht die wirtschaftlichen Notwendigkeiten, uncchhängig von Chauvinismus und Partikularismus, zur Geltung brmgen.
^ Als letzter Redner sprach Reichsminister a. D. Hamm zu Fragen von Staat und Wirtschaft, indem er zugleich eine Entschließung vorlegte, die die grundsätzliche Auffassung des Deutschen Industrie- und Handelstages in den wichtigen Gegenwartsfragen zusammenfassen soll. Diese wurde einstimmig angenommen. Der Präsident richtete einen Appell an die deutsche Wirtschaft und insbesondere an die deutschen Handelskammern, der vom Reichskabinett beschlossenen Hindenburgspende zum Erfolg zu verhelfen. Es folgte die Wahl von Christian Scholz- Mainz, des Generaldirektors Hossmann-Oppeln und von Oskar Bentner-Pforzheim zu Mitgliedern des Haupt- ausschuffes. Nach Genehmigung der vorgeschlagenen Satzungsänderungen, wodurch u. a. den deutschen ausländischen Handelskammern und den wirtschaftlichen Vereinigungen deutscher Industrieller und Kaufleute im Auslande ermöglicht werden soll, dem Deutschen Industrie- und Handelsta g. -uuK t "bestimmten Voraussetzungen als außerordentliche MiWWer beizutreten, schloß die Tagung.
Ausland.
London, 24. Juni. Die irischen Republikaner unter de Va- leras Führung sind wegen Verweigerung des Treueids vom Parlament ausgeschlossen worden.
Pariser Kommentare.
Paris, 24. Juni. Die gestrige Reichstagsrede des Reichs- außenminrsters Dr. Stresemann, die in Paris mit großer Spannung erwartet wurde, gibt Anlaß zu zahlreichen Kommentaren. Die hiesigen Blätter hatten dam ft gerechnet, daß Dr. Stresemann in heftigen Ausfällen aus die Luneviller Rede Poincares antworten werde. Sie anerkennt daher heute im allgemeinen, daß der Reichsaußenminister den Ton seiner Rede sehr gemäßigt habe. Dem Inhalt nach bezeichnet man sie als kühn und klug ausgemacht. Jedenfalls aber rufen seine Erklärungen zahlreiche mehr oder weniger scharfe Entgegnungen hervor. So schreibt der „Figaro": „Für das deutsche Volk bilden die Ausführungen Stresemanns vielleicht eine vortreffliche Rede, für ganz Europa aber bedeutet sie ein lehrreiches Dokument, das zeigt, daß Deutschland wieder hergestellt ist, seine Fehler vergessen hat und sich bemüht, seine Macht unter dem Zeichen des Locarno-Geistes zu vergrößern." Im „Echo de Paris" wird das Verlangen des Reichsaußenministers nach Einlösung der tm Anschluß an die Unterzeichnung der Locarnoverträge gegebenen Versprechungen zurückgewiesen. Das Blatt meint, erstens müsse Deutschland siür eine neue Herabsetzung der Truppen im Rheinland einen Vorschlag machen. Es habe nicht auf Geschenke zu warten und vor allem keine Forderungen zu stellen, so lange es den Verpflichtungen der Vereinbarung vom 1. Februar über die Ostfestungsfrage nicht nachgekommen sei. Zweitens entbehre die Behauptung, daß die Alliierten verpflichtet seien, 10 000 Mann vom Rhein zurückzuziehen und die Besatzungsarmee auf die Stärke der früher in den deutschen Garnisonen stehenden Truppen zu reduzieren, jeder festen Grundlage. Eine solche präzise Abmachung sei niemals geschrieben worden. Dem Reichsaußenminister könne der Rat gegeben werden, sich streng an die Abmachungen von Locarno und an die nach Locarno aufgestellten zu halten. Poincare habe dies in seiner Luneviller Rede nicht versäumt. Die linksrepublikanische „Ere Nouvelle" charakterisiert die Erklärungen des Reichsaußenminister mit den Worten: „Sic ist die Rede eines guten Deutschen, der alle Anstrengungen macht, um sich als guter Europäer auszudrücken." Das Blatt stellt mit besonderer Befriedigung fest, daß Stresemann im Namen der deutschen Regierung feierlich bestätigte, das Reich habe jeden Rachcgedanken ausgegeben. „Auch wenn Lo- arno, das so viel verspottet und so oft kritisiert wurde," fährt das Blatt fort, „einzig eine solche Erklärung gezeitigt hätte, so wäre der Sache Frankreichs so vortrefflich gedient, daß das Mystische, was sich mit diesen Worten verknüpft, und der Glaube an die Zukunstsordnung der Dinge, für die dieses Wort das Geheimnis enthält, für immer gerechtfertigt wäre."
Englische Stimmen.
London, 24. Juni. Die Reichstagsrede Dr. Stresemanns findet in England außerordentlich starke Beachtung, Obwohl die Blätter noch keine Zeit zu Kommentaren gefunden haben, geht doch schon aus der Aufmachung der Berliner Berichte hervor, welche Bedeutung man den Ausführungen Dr. Strcse- manns zumißt. Fast alle Blätter heben in ihrer Ueberschrist Stresemanns Frage an Poincarä hervor, ob er Locarno- oder Ruhrpolitik wolle. Der Berliner Korrespondent der „Times" verleiht dieser Frage noch besonderen Nachdruck durch die Feststellung, daß es selten m einer außenpolitischen Reichstagsdebatte eine solche Einmütigkeit gegeben habe, wie gestern. Tatsächlich ist Dr. Stresemann in einem großen Teil seiner Rede den englischen Auffassungen weit entgegengekommen. Erst ge-