Galmer Ko^enIW.
Samstag Krttage ;« Ur. 174. 4. November 1905.
Die schwarze D<am§.
Roma« vo« Han» Wachenhusen.
(Fortsetzung.)
»Höre mich zu Ende, Afra," rief der Alte. „Niemand empfing mich, sage ich dir; ich tappte vorwärts, einem Lichte nach, betrat die Schwelle eines Salons und sank gegen die Mauer zurück, den» ich erkannte dich! Ganz in meiner Nähe stehend, fi-berhaft beschäftigt, wie du eben ein« blonde Perücke vom Haupte genommen hattest, sie in deinem dunklen Anzug verstecktest und mit abgewandtem, schreckenSstarrem Antlitz einen Schritt zur Tür tatest. Inmitten des Salon« aber erkannte ich dasselbe heimtückische Weib, das einst schon das arme Kind verkauft« I ES hatte eben deinem Gemahl, einem Schatten nur noch von ehedem, ei» GlaS gereicht, mit dem in der Hand er, vom Schlage gerührt, auf dem Teppich zusammenbrach I Von Schrecken und Abscheu gelähmt, gewahrte ich, wie da« Scheusal seiner erstarrenden Hand das GlaS entriß. Geblendet durch plötzlich ein» tretendes Dunkel schwankte ich zurück, lehnte mich an die Wand des Zimmer« und da unterschieden meine Augen »och, wie erst du, dann die Andere gleich Schatten an mir vorüber schwebten und verschwanden."
Mühsam rang er nach Atem, seine Augen hatten sich von ihr gelöst, die ihn geisterbleich, regungslos angehört. Aber noch einmal erhob er die Stimme.
„Vor Entsetzen die Augen schließend, reimte ich mir zusammen» was geschehen war. Als ich umherschaute, befand ich mich in völliger Dunkelheit. Ein neues Grauen überfiel mich! Halb bewußtlos schwankt« ich hinaus und sank ohnmächtig auf der Straße zusammen. A'S ich am nächsten Tag« zum Bewußtsein erwachte, war auch das arme Kind verschwunden und du ... du warst ... eine Mörderin geworden!"
Er verhüllte da« Antlitz, dasselbe in die Hände senkend, und so stand er da, kaum mächtig sich aufrecht zu erhalten.
„Eine Lüge!" vernahm Lübke in dem tiefen Schweiaen plötzlich Aira'S Stimme. „Eine Sinnestäuschung! . . . Und. nicht wahr, Sie wären im Stande, mich einer solchen Tat anzuklagen und vielleicht ist eS Ihr Werk, was um mich voraekt!" Ihr Ton klang wieder hohnvoll.
Er lauscht« erschreck-nd auf ihre Worte.
„Rothenhelm kränkelte Jahre lang!" fuhr fi« fort, sich mit gleichgiltiger Miene abwendend.
„Ja, an Gift l Wage nicht zu leugnen, wa« damals schon zu meinem und der Menschen Entsetzen bestätigt ward! An dem Gift, das ihm dieses schändliche W'ib eingegeben, so nehme ich an aus Schonung für dich; du aber warst die Mitschuldige dieses Weibe«, da« auch deine Seligkeit auf dem Gewissen hat! Höre mich an!" rief er, sich entschlossen aufrichtend. „Nicht dich selbst klage ich als Mörderin an, aber du ließest es geschehen, du haßtest deinen Gatten, er war dir lästig I ... Und höre weiter, was ich insgeheim in Erfahrung zu bringen vermochte, während ich nach dem Kind« und dir suchend umherzog. Hierher führte dich und deinen Gatten endlich dieses scheußliche Weib, als es den Letzter»« durch schleichendes Gift schon dem Tode nahegebracht hatte, unter erborgtem Namen, denn hier, wo euch Niemand kannte, sollt« das schändlich« Werk zu Ende geführt werden! Sie gab dich für di« Tochter deine« Gatten aus, der selbst kaum mehr vermochte, sich verständlich zu machen; blondes Haar und ein« Larve, die du mit einer krankhaften Entstellung deine« Gesichtes rechtfertigtest, sollten dich vor Verfolgung und Wiedererkennung schützen, wenn die Tat zum Himmel schrie! . . . Und warum da» alles? . . . Rothenhelm war, ehe er dir begegnen mußte, schon ein Sonderling, der mit seinem Kind« an der Hand in der Welt umherzog. Nur in einem solchen konnte der schnelle Entschluß keimen, dir seine Hand zu biete», al» er dich sah. Aber er bereute schon nach wenigen Jahren, wa« er so unüberlegt getan hatte; er trauert« um sein verlorene« Kind, das in den Bergen umgekommen sein sollte, wo er Heilung suchte. Er bot Summen über Summen dem, de, eS ihm wiederbringe, und von da an keimte wohl in dir der Haß auch gegen ihn, den jenes Weib, deine Vertraute, zu schüre» verstand. Vielleicht mißtraute er auch dir! Er, der ein immenses Vermögen besaß, ward geizig, vielleicht eben als Sonderling; er begann — ich erfuhr das alles, während ich nach dir suchte — seine Kapitalien einzuziehen, die er in deutschen Banken deponiert hatte, und kauft« an den Börsen Wertpapiere, di« er mit sich führt«. Man schätzte sie nach Millionen und auf diese lenkt« das schändliche Weib wahrscheinlich dein Auge, deine Habsucht, während er sie für sein Kind bestimmt hatte, da« er vergeblich suchte! Nur von deiner Vertrauten kann der teuflische Plan ersonnen worden sein, dich seiner zu entledigen, dessen Geiz auch dich zur Tat gereizt haben mag. Sie schleppt« dich und ihn hieher und ich Unglücklicher mußte Zeuge dieser Tat werden! Aber damit du siehst, daß mein rastlose» Suchen nicht ganz umsonst gewesen ist, wenn ich auch so lange vergeben« nach dir forschte!" rief er mit heiserer Stimme, seine letzte Kraft zusammennehmend, „dieser Mann, dieser Sonderling, der dir in der Kirche eine« kleinen Dorfe» die Hand reicht«, da« «r
kauft«, um der Patron dieser Kirche zu werden, er nannte sich Herr von Rothenhelm, vielleicht nur au» Laune, weil eS ihm so gefiel, nach einem ihm früher gehörigen Gehöft in Oberbayern; er blieb für dich der Herr Rothenhelm, während er mit dir umherzog, sein wirklicher Familienname aber, de» du sicher nie kennen gelernt hast, war Graf Sesto, den man in feiner Heimat, in Welsch-Tirol, fett Jahren schon für verschollen gehalten hat!"
Bn den letzten Worten des Greises war Afra mit «inem LchreckenSlaut zusammengefahre». Bleich und wie eine Marmorstatue hielt sie sich aufrecht. Di« Augen de» Alten hafteten jetzt mit dem Ausdruck de» höchsten Zorne» auf ihr; ein Zittern überfiel ihn. wie er sie dastehen sah. Und al« er den Angstlaut vernahm, als sie endlich die Arme erhob und in di« Kaie finkend ihr Antlitz in den Händen barg, trat er schwankend, aber mit von seiner Erregung gestählter Willenskraft, dicht an sie heran und beugte sich zu ihr.
„Erkennst du in diesem Namen den Fluch, den du auf dich geladen hast?" rief er ihr in'S Ohr. Und wieder zurkcktretend, übermannt von seinem Zorn, die Hände gegen sie auSstreckend, rief er: „Ich suchte dich jahrelang, um dich anzuflehen! Sag' mir, wa» hast du mit dem armen, unschuldige» Kinde getan, gestehe mir, du hast e» abermals diesem verworfenen Weibe, dieser Würgerin übergeben, die kein Erbarmen kennt! ... Ich fand dich endlich in Wien, ich flehte dich auf meinen Knie«» an und du wiefest mir die Türe! ... Jetzt liegst du vor meinen Knieen, herzlos und reuelo«, «in« ebenso Verworfene, die in schnöder Selbstsucht nur einem Glücke nachjagt, das der Himmel keinem Sünder gewährt!.. Du wiesest mich von deiner Tür« und ich bin nicht gekommen, noch einmal so schnöde Worte von dir zu hören; ich sucht« die Aermste, die Gott au« deinen Händen gerettet hat. dich aber . . ."
Afra hob in diesem Augenblicke das in de« Händen geborgene Antlitz, ihre Augen blitzten zu ihm auf mit dem Ansdrucke des Hasses und das trieb dem Greise das Blut in die Stirn. Mit zitternden, gegen sie anSgestreckten Armen und bebenden Lippen stand er vor ihr, nach Worten suchend.
„Dich aber ... dich verfluche ich!" schrie er wie im Wahnsinn ans und stürzte zur Tür.
In demselben Moment öffnete sich die andere zum Schlafgemach führende und Blenke, der, von Gertrud geführt, in diesem gelauscht, aber mit vor Freude schwindelndem Gehirn nur bruchstückweise zu erhorchen vermocht, was zwischen den Beiden vorging, trat ihm in den Weg.
Mit Entsetzen, an allen Glieder« zitternd, starrte der Greis ihn an; er erkannte seinen Verfolger und senkte wie vernichtet vor diesem das Antlitz. Blenke aber kannte kein Mitleid.
„Im Namen des Gesetzes," rief Blenke gebietend, „Sie werden vor mir, einem Diener desselben, wiederholen, was Sie hier gesprochen haben!"
Er hatte dem Greise die Hand auf die Schulter gelegt. Dieser aber, sich plötzlich stolz und bewußt aufrichtend, legte ihm die Hand vor die Brust, hielt ihn von sich und starrte ihn an.
„Mein Herr," rief er endlich, der bisher sich gefügig Allem unterworfen hatte, was dieser Mann an ihm getan, mit fester Stimme, „ich ehre das Gesetz, aber eS hat kein Zeugnis von mir zu fordern, denn diese da" — er zeigte auf Afra, die wieder zusammengesunken war und das Antlitz auf,dem Rande des SophaS geborgen hatte, „ist meine Tochter!"
Blenke konsterniert durch die Haltung des Greises, blickte diesen verwirrt und znrücktreteud an.
„Bis hierher, mein Herr," fuhr der Alte mit ebenso fester Stimme sich aufrichtend, fort, „war ich Ihr willenloser Spielball; heute erwarte ich von Ihnen die Erfüllung eines Versprechens, das allein mich bestimmen konnte, Ihnen auch in dieses Haus zu folgen! Ich durfte erwarten, zu dem Kinde geführt zu werden, das zu suchen ich so lange meine alten Glieder durch die Welt geschleppt. Ich will es Wiedersehen, eS «och einmal in meine Arme schließen und dann will ich znm Allmächtigen flehen, er möge mich von hier nehmen, wo es keine Ruhe und keinen Frieden mehr für mich gibt!"
Getäuscht in seiner sichersten Erwartung, beugte Blenke doch sein Haupt mit Achtung vor der schmerzvollen Emphase des Greises. Das Gesetz, auf das er sich berufe», hatte allerdings keine Macht über diesen Zeugen.
In dem Moment trat Dagobert rin, der Blrvke's Ruf gefolgt war und diesen, wie man ihm gesagt, hier oben finden sollte. Als er Afra'S Gestalt erkannte, fuhr er bleich und erschreckt zusammen. Verwirrt hörte er, wie Blenke, ihn gewahrend, dem mit Tränen in den Augen, in tiefstem Schmerze dastehenden alten Manne zurief:
„Graf Sesto selbst wird e» übernehmen, mein Ihnen gegebene« Versprechen zu erfüllen!" Auf diesen deutend eilte er hinaus.
„Ich brauche sein Zeugnis gar nicht mehr! Ich habe genug gehört. Und jetzt zu der Hauptheldin de« Drama«, die mir bekennen soll!" murmelte er draußen, auf Gertrud stoßend, die ganz verwirrt durch da», wa» drinnen im Salon oorgegangeu, mit gefalteten Händen dastand.