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in des HauS einschleichen. Gestern mittag fand die Sektion der Leiche statt. Die Ermordete hinterläßt zwei Kinder im Alter von 8 und 5 Jahren, deren Vater sich vor einigen Jahren selbst entleibte. Etürner ist auf dem Transport in das Amtsgericht Böblingen flüchti g, geworden.
Stuttgart, 27. Okt. DaS Befinden deS Jagdpächters Major a. D. Maier von Siuttgart, der am 22. ds. M. in der Nähe des Aiblinger Waldes von einer Hütte aus angeschossen und dabei in den linken Schenkel, sowie in die Bauchgegend getroffen wurde, geht der Besserung entgegen. Als Täter bat sich Waldmeister Klein aus Ehningen, der Pächter der dortigen, an die Aiblinger Jagd angrenzenden Gemeindcjagd ist, gemeldet. Ec glaubte auf im Wald auftauchendes Wild geschossen zu haben. Es liegt also nur ein bedauerlicher auf Versehen zurückzuführender Unfall vor.
Freudenstadt, 25. Okt. Bei dem gestern abgehaltenen gemeinsamen Nadelholzstammholzverkauf vou 6 Forflämtern des hiesigen Bezirks wurde ein Gesamterlös von über 500000 erzielt. Die Durchschnittspreise betragen bei den Forflämtern Frrudenstavt 114°/°, Steinwald 108°/°, Schönwünzach 103°/°, Obertal 118°/« und Klosterreichendach 109°/» der Foisttoxe.
Neuffen. 26. Okt. Auf dem Heimweg von der Apotheke wurde ein Schulmädchen von jungen Arbeitern, welche im Ueöerumt mit Pistolen schossen, angeschossen und am Ohr schwer verletzt.
Friedrichshafen, 26. Okt. Die Motoren, die zum Aufstieg des Z epp elin'schen Luftschiffs Verwendung finden, sind gegen die früheren mit 24 k8 bedeutend verstärkt, sie entwickeln bis zu 80 L8. Es waren zwei Benzinmotoren aus der Daimler'schen Fabrik in Cannstatt aufgestellt. Dieselben werden schon längere Zeit erprobt und sollen bis zu 24 Stunden bet ca. 1000 Touren in der Minute leistungsfähig bleiben. Bei der verhältnismäßig leichten Beschaffenheit der Moiore ist nun einer derselben durch irgend einen Reibungs- gegenstand in dem Gang gestört, und bis die Abstellung erfolgte, völlig zerstört worden. Der Maschinist mußte eiligst flüchten, um nicht von den umherfliegendeu Stücken getroffen zu werden. Bis in 14 Tagen kann erst ein neuer Motor erstellt werden.
Berlin, 26. Okt. Die aus dem „Vorwärts" ausscheidenden sechs Redakteure legen in einer längeren Erklärung dar, daß eine unerhörte Behandlung durch den Parteivorstand sie zur Kündigung veranlaßt habe. Der Parteivorstand ersucht demgegenüber die Genossen, mit ihrem Urteil über die Vorgänge im Vorwärts bis zu der von ihm in Ausficht gestellten Darlegung zmückzuhalten, worauf die sechs Redakteure wieder erwidern, der Vorstand wolle also die Aufklärung erst dann geben, wenn die beteiligten Redakteure nicht mehr in der Redaktion find und die Darlegung ihres Rechts nicht mehr unmittelbar veranlassen können.
Breslau, 26. Okt. In den Hochlagen des Riesengebirges beträgt die Schneedecke gegenwärtig 2 m. Die Hörner-Schlittenfahrt ist schon überall im Gange. Tausende von Vögeln find durch den orkanartigen Simm von ihrem Fluge nrch d«m Süden abgelenkt und nach dem Gebirge verschlagen worden und dort teils verhungert, teils erfroren.
Warschau, 26. Okt. Der Generalstreik der Eisenbahner dauert unverändert weiter. Jeder Verkehr stockt. Die Bahnhöfe find gesperrt und werden von Militär bewacht. Es herrscht Milchmangel, auch die Fleischvorräte gehen zu Ende. Das Schlachtvieh muß aus Brest auf den Chausseen herongetrieben werden. Heute früh zerstreute in der Prager Vorstadt Infanterie einen Zug der Ausständigen. An der gestrigen Studenten- versammluug im Polytechnikum beteiligten sich auch Arbeiter. Als 2000 andere Arbeiter beabsichtigten, in die Versammlung einzudringen, umzingelte Infanterie das Polytechnikum. Der Professor der Theologie am Polytechnikum, Amalickt, ein Führer der Anti-Reformer wurde auf offener Straße durch Hiebe auf den Kopf getötet. Für Sonnabend ist der Generalstreik angekündigt.
Moskau, 26. Okt. Der Verkehrsminister Fürst Chilkoff wollte gestern abend von hier abreiseu, aber niemand war bereit, die Lokomotive^ u führen. Hierauf bestieg der Fürst selber die Lokomotive, aber ein Haufen Ausständiger beschoß den Zug und zwang ihn, zurückzu- teh reu. Bei den Zusammenstößen mit dem Militär und der Polizei kam es zu heftigen btraßenkämpfen. Die Wasserwerke
find nach kurzer Unterbrechung, die eine Panik hervorriefen, wieder in st and gesetzt worden. Jetzt erklären aber die Wafferarbciter, fie würden streiken, falls ihre revolutionären Führer sie dazu auffordern. Ueberhaupt drohen die städtischen Angestellten, darunter das Pflegepersonal der kommunalen Krankenhäuser und die Techniker der Elektrtzitälszentrale mit Ausstand. Ueberall herrscht eine furchtbare Gärung.
Wien, 26. Okt. Seit vorgestern schneit es hier. Ans Graz wird gemeldet, daß der seit gestern anhaltende Schnccfall einen katastrophen- arttgen Charakter anzunehmen beginnt. Sämtliche Telegraphen- und Tel.phorlettungen nach dem Süden find unterbrochen. Alle Bahnzüge erleiden mehrstündige Verspätungen.
London, 26. Okt. Der Standart meldet aus Petersburg, der Zar sei im Begriff, nach Dänemark abzursisen, wo er zwei Monats Aufenthalt nehmen wolle um sich von der Aufregung der letzten Zeit zu erholen. Voraussichtlich wird der Zar< mir seiner Familie bis Weihnachten in Dänemark verweilen. Während seiner Abwesenheit soll Wüte mit weitgehenden Vollmachten betraut werden und dieselben Befugnisse erhalten, wie eia Regent.
London, 26. Okt. Wie den Times aus Petersburg gemeldet wirs, herrscht dort ein; heftige Panik. Der Ausbruch des Bürgerkrieges wird stündlich erwartet. Mau befürchtet den gewaltsamen Sturz der Regierung. Die Nachrichten ans Südrußland lauten sehr betrübend. In den Städten herrscht zweifellos Empörung. Die Arbeiter errichten Barrikaden und treffen Vorbereitungen We den Straßerckampf.
London, 26. Okt. Der bekannte Spezialberichterstatter des Daily Telegraph, vr. Dilloa, der zwei Jahrzehnte in Rußland verbracht hat, übermittelt seinem Blatte folgendes höchst beachtenswerte Urteil über die Lage im rnsstschsn Reiche: Kein Mensch zweifelt noch, daß die Revolution tatsächlich ausgebrochen sei. Jeder begreift in der Tat, daß die Schreckensherrschaft im Gange ist. Die russische Regierung ist blind und ohnmächtig. Das russische Volk ist auch blind, aber auch verrückt, blutdürstig und grausam.
Mast Demling Na Mmstisnk«.
In brr Deutsche» Koloniolgefillschaft, Abteilung Berlin, sprach Oberst Deimling von der Schntztruppe für Südwestafrtka, über den Aufstand. Er hat während 1'/- Jahren an den Kämpfen gegen Herero und Hottentotten teilgenommen, und befindet sich auf Erholungsurlaub in Deutschland. Es sei ihm, sagte er, Herzensbedürfnis, seiner Ueber- zeugung Ausdruck zu gebe», daß unser vielgcschmähtes Südwestafrika eine wirtschaftliche Zukunft habe, daß es. zumal nach de» schweren darum geführten Kämpf-n, kein fremdes Land mehr, sondern deutsche Heimat sei, für die wir zu sorgen verbunden seien. Den Kameraden draußen im Felde tue das Bewußtsein not, daß Augen und Herzen des Vaterlandes auf fie gerichtet seien. Vor 1'/- Jahren habe er sich zur Uebernohme eines Kommandos in Südwkstafrtka gemeldet, allein aus dem Wunsch, sich soldatisch zu betätigen. Nichts habe ihm ferner gelegen als Kolonialfauatismus, ober er habe in diesem Punkt seinen Tag von Damaskus gehabt. Zwar der erste Anblick des Landes vom Meer aus nach 23-ägiger Fahrt sei trostlos gewesen. Dazu die schlechten Löschnngsverhältniffe vor Swakopmund, der dürftige Anblick dieses aus 40—50 Back- steinhävsern bestehenden Hafevstädtchens. Doch der Eindruck ändere sich, sobald man auf der schmalspurigen Bahn Swakopmund—Windhuk (Entfernung wie von Berlin nach Erfurt) den Dünengürtel überwunden habe. Die gewaltige Terraffenlandschaft beginnt bereits vor Karibik» das Auge in ihrer eigenartigen Schönheit zu fisteln. Die zu Unrecht für öd gehaltene Steppenlandschaft ist reizvoll mit ihrem kniehohen gelben Gras, ihrem aus blühenden, duftenden Akazien bestehenden Buschwold, ihrer reinen Höhenluft, die alle Formen so nahe bringt, daß eine der wichtigsten Uebungen für den neu an- kowmenden Soldaten die Entfernungsschätzung ist, weil man z. B. auf 2300 m Entfernung Berge schätzt, die in Wahrheit 7000 m entfernt find, endlich mit ihrem stahlblauen Himmel, den klaren Sternenvächtcn und dem Mondschein, der einem bei der durchsichtigen Lnft viel Heller dünkt als in Deutschland. Dazwischen gibt es auch unwirtliche Gebiete; aber die behavptete Trostlosigkeit trifft selbst bei der Kalohariwüste im Osten nicht zu. Hendrik Witboi weilt mit seinen Truppen schon seit Wochen in dieser Wüste. Windhuk wurde bet der langsamen und vorsichtigen Fahrt — die Hälfte des Ladegewichts der Züge wird von Kohlen und Wasser, Trinkwasser eingeschloffen, beansprucht — erst in vier Tagen erreicht. Es «acht einen stadt
ähnlicheren Eindruck als Swakopmund. — Von der kräftigen Rasse der Herero, unter denen Gestalten von 1,90 m nichts Seltenes find, standen zu Beginn deS Aufstandes wohl 6000 Orlog-, d.h. KriegS- männer gegen uns im Feld, fast alle modern bewaffnet, nur hin und wieder von der Keule Gebrauch machend. Die Herero sind gefährliche Feinde, ihre Orlogwänner haben sich mit Todesverachtung geschlagen, ihre militärische Schwäche besteht in ihrem Viehreichtum. Sie waren deshalb leichter zu fassen als die Hottentotten, die die gefährlicheren Feinde find, wenn fie in körperlicher Tüchtigkeit auch jenen erheblich nachstehen. Während die Herero sich an verwundeten und gefangenen Feinden wiederholt schwer vergangen haben, ist Gleiches von den Hottentotten bisher nicht zu sagen, ja von einem ihrer gegenwärtig viel genannten Führer, Jakob Morenga, der sich in eleganter englicher Reit- klcidung gefällt, sich einen engl scheu Sekretär und Kriegsberichterstatter hält, werden Tatsachen berichtet, die ihn — die Richtigkeit der Erzählungen vorausgesetzt — fast als ritterlichen Charakter erscheinen lassen. Zur Zeit haben wir an den Hottentotten allein roch recht beachtenswerte Feinde, die Herero haben nach den schweren ihnen beigefügten Verlusten als selbständiger Stamm zs bestehen aufgshört. Die noch gegen uns im F lde stehenden Hottentotten aber sind gute Soldaten; sie schützen ausgezeichnet und verstehen das Gelände meisterhaft ausznriützen, indem fie einzeln, in weiten Abständen auseinandergezogen, Vorgehen, jeder Schütze sich kleine Schanzen ans Steinen baut und, von dem hohen Graswuchs gedickt, bewegungslos ausharri, vis nach unbehelligtem Passieren unserer Spitzen sich das Gros im Bereich der feindlichen Gewehre befindet. So erfahren wir zuweilen erst durch plötzliches Feuern von allen Seiten, daß wir nahezu umringt sind. Aehri- lich raffiniert geht auch der Rückzug der Hottentotten vor sich. Mit Clowngewandtheit schwingen sie sich auf ihre Pferde, die gewohnt find, unangebundeu an der Stelle zu bleiben, wo ste der Reiter verlassen hat, und zerstieben in alle Winde, nm sich nach Verabredung an einer entfernten Wasserstelle wieder zu sammeln. Die Kapitäne halten sich meist im Hintergrunds auf gesattelten Pferden, weshalb es auch noch nicht gelungen ist, einen von ihnen zu fangen. — Vom Klima des Landes berichtete Oberst Deimling, daß das subtropische Klima von Herero- und Damaraland hervorragend gesund sei. Es gebe keine Erkältungskrankheiten, wahrscheinlich auch keine Anlage zu Lnngenkrank- heitev; Fieber und Malaria seien ganz unbekannt. Dem Höhenklima entsprechend sei aber zum vollständigen Wohld» finden ein gutes Herz notwendig. Wer sich dessen erfreue, bleibe gesund auch trotz des starken Temperaturwechsels. Eine hygienische Forderung von Wichtigkeit für die Truppe ist die Rast in der heißen Mittagszeit. Meist wird am Nachmittag erst um 5 Uhr weitermarschiert, gewöhnlich bis 10 Uhr abends, aber auch länger bei Mondschein, wenn cs sich z. B. um das Erreichen einer Wasserstelle handelt.
Die Wafferverhältniffe von Südwestafrika sind die merkwürdigsten von der Welt. Nur die beiden großen Ströme Orange und Kuncne führen dauernd Wasser, alle andern nur periodisch zur Regenzeit und anch dann verschwindet das Wasser, das ste zeitweilig füllt, plötzlich, von dem überaus porösen Erdboden aufgesogen. Unterirdisch strömt dies Wasser bei dem starken Fall des Terrains dem Meere zu, stellenweise ziemlich flach im Boden, sodaß in 2—4 m Tiefe schon auf Grundwosser gestoßen wird. Auch Quellen sind über das ganze Land verteilt; aber im Vergleich zu dem ausgedehnten Lande find ihrer doch erheblich zu wenig. Ost müssen unreine Pfützen und Tümpel aushelfen. Wie schwer unsere Truppe gerade unter diesen Verhältnissen zu leiden hat. lehrt die Ueberlegung, daß wir im siegreichen Verfolgen des Feindes, im er, folgreichen Kampf um Positionen, die sich gewöhnlich mit irgend einer wertvollen Wasserstelle deckten- immer an die vorher vom Feinde benutzte Quelle kamen, die sich häufig durch Tierkadaver als unbenutzbar erwies. — Im Rückblick auf die jetzt 1°/« Jahr währende Bekämpfung des Aufstandes meinte Deimling, daß wir ohne die Hauptlebensader deS südwestafrikanischeu Schutzgebiets, die Eisenbahn Swakopmund—Windhuk, ganz außer stände gewesen wären, der Bewegung Herr zu werden. Nö'ig sei der Ban einer Eisenbahn von der einen tr> fftichen Hafen bildenden Lüderttzbucht nach Keet- manshoop und den KaraSbergen und womöglich von hier noch der Grenze von Britisch-Betschuana- land bis Rietfontein. Deimling gab dann eine fesselnde Darlegung der Kriegsereiguifse seit 12. Januar 1904 bis heute. Er verflocht damit die Schilderung einzelner Episoden, die ein Licht warfen auf die ungeheuren Entbehrung-« und Drangsale, vor allem durch quälende« Durst, denen unsere