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für das evangelische Leben getan haben. Weiter frage man, warum wir denn nicht Hand in Hand mit dem Katholizismus den Kampf gegen den Unglauben aufnehmen? Weil wir niemals darauf rechnen dürfen, daß die römisch-katholische Kirche in uns evangelischen Christen ebenbürtige Kampfgenossen steht. Der rvangelische Bund ruft unser deutsches Volk auf den Plan. Er will sein Deutschtum, seine Kultur, seine Freiheit und Zukunft verteidigen und in diesem Kampf gibt es auch eine allgemeine Wehrpflicht, denn cs ist eine große, heilige Sache, für die wir kämpfen.
WerS mit Gott wahrhaftig wagt
Wird niemals aus dem Feld gejagt! (Lebhafter Beifall). Es erfolgten dann Ansprachen seitens des Stadtschultheißen Stirn-Neuenbürg und Pfarrer Siegel-Schömberg, wobei der letztere dem Vorsitzenden für den evangelischen Bund eine in Neuenbürg gesammelte Gabe von 1780 überreichte. Nachdem die Versammlung beschlossen, ein Huldigungstelegramm an den König abzusenden, in welchem der heiße Wunsch ausgesprochen wurde, „daß Gottes Gnade Sr. Majestät segensreiche Regierung noch lange Jahre erholten möge", erfolgte eine Ansprache von Pfarrer Mahnert aus Marburg über „Kämpfe und Siege des Evangeliums in Steiermark*. Ec betonte, daß die evangelische Bewegung in Steiermark nicht sterbe. Noch niemals habe er so Erfreuliches berichten können als in diesem Jahr. Vor der Los von Rom-Bewegung seien 8 Geistliche in Steiermark gewesen, heute 26, vor der Bewegung gab es 6 Pfarrgemeinden, jetzt 11, die Zahl der Kirchen habe sich von 9 auf 13 vermehrt, die Predigtstationen von 14 auf 56, die Unterrichtsstationen von 14 auf 72. — Hierauf sprach Professor Dr. Hieber kurz über den sog. „Toleranzantrag" und führte dabei aus: Nachdem sich die erste Verblüffung über den Antrag gelegt, habf man gemerkt, daß man es in ihm mit ziemlich alten Dingen zu tun habe. Um dies zu beweisen warf der Redner einen historischen Rückblick auf den ersten Toleranzantrag, der 1848 von der katholischen Fraktion im Frankfurter Parlament und den zweiten, den 1871 das Zentrum im demschen Reichstag eingebracht hatte. Schon in diesen beiden Anträgen, die mit dem neuen identisch find, kamen die kirchen- politischen Ziele des Kurialismus und der Hierarchie zum Ausdruck. Wie der 48er Antrag von dem gewiß unverdächtigen späteren württembergischen Kon- kordatsminister Rümelin und der Antrag von Treitschke beurteilt wurden, legte der Redner des näheren dar. Wenn man bedenke, daß 1848 und 1871 die Ablehnung der Anträge von allen Parteien als selbstverständliches Gebot staatsmännischer Voraussicht erachtet wurde, müssen wir den eingetretenen traurigen Umschwung in den Anschauungen bedauern. Solange das Pvpsttum seine Flüche gegen den westfälischen Frieden, der zuerst den Grundsatz der staatlichen Gleichberechtigung der verschiedenen Konfessionen ausgesprochen, nicht zurückgenommen, solange habe
das Zentrum nicht das Recht, uns mit einem Toleranzantrag zu kommen. (Lebhafter Beifall). Im weiteren Verlauf der Versammlung wurden von Dekan Uhl-Neuenbürg und Schulrat Dr. Mosapp - Stuttgart Ansprachen gehalten.
Stuttgart, 27. Sept. (Vom Volks« f e st.) Im Renvkreis fand gestern vormittag 10 Uhr ein Wettflug von etwa 7000 Militär- Brieftauben statt. Das interessante Schauspiel hatte viele Zuschauer angelockt, so daß die Tribünen dicht besetzt waren. Im Köuigszelt hatten sich eingefuvdcn, Generalleutnant v. Marchthaler als Vertreter des Königs, Herzogin Wera, die Spitzen der Behörden, viele Mitglieder der bürgerl. Kollegien. Die Taubenköibe waren vor der Haupttribüne ausgestellt und auf ein gegebenes Zeichen wurde die erste Abteilung losgelassen, welche die Bestimmung hatte, eine Huldigungsdepesche an den deutschen Kaiser nach Berlin zu überbringen. Der vom König gestiftete prachtvolle Becher aus Edelmetall fiel derjenigen Taube zu, welche zuerst in Berlin eintraf. Ein zweiter Flug war mit einer Huldigungsdepesche an den Prinzregenten Luitpold und ein dritter Flug mit einer solchen an den Großherzog von Baden versehen. Die beiden Tauben, welche zuerst München r-sp. Karlsruhe erreichten, wurden gleichfalls reich bedacht. In rascher Folge wurden sodann die übrigen Körbe geöffnet. Die meisten Tauben nahmen bestimmt ihre Richtung ein und verschwanden rasch den Blicken. Die Luftlinienentfernung betrug bis zu 500 km. — Auf dem Festplotz selbst wogte eine riesige Menschenmenge hin und her.
— Das Ergebnis des Brieftaubenwett f l u g s liegt noch nicht vollständig vor. Beteiligte Sportsleute versichern aber, daß roch kein Herbstflug ein im allgemeinen so gutes Ergebnis gebracht habe, wie in diesem Jahr der Cannstatter. So haben, um einige Beispiele zu nennen, die Münchner Tauben ihre 191 Lm in der Luftlinie betragende Reise in etwa 1'/- Stunden zurückgelegt und in dem 338 km in der Luftlinie entfernten Essen a. d. Ruhr traf die erste Taube schon bald nach 3 Uhr nochmitt, ein, so daß also die Tierchen durchschnittlich in einer Minute etwa 1100 m durchflogen haben.
Stuttgart, 28. S'pt. Die Stuttgarter Straßenbahnen beförderten in Stuttgart über die 4 Volksfesttage 435 581 Personen, in Cannstatt 13965, zusammen 449546 Personen. Davon entfallen auf Sonntag, den 24 ds. MS., in Stuttgart 128 089, in Cannstatt 4818 Personen. Im Vorjahr waren es im ganzen 428538 Personen. Auch auf der Eisenbahn war der Verkehr bedeutend stärker als im Vorjahr.
Stuttgart, 28. Sept. Gestern vormittag hat sich in einem Abort des Havptbahuhofes ein Kaufmann in selbstmörderischer Absicht in den Kopf geschossen. Schwerverletzt wurde er ins Katha
rinen-Hospital verbracht, wo er seinen Verletzungen alsbald erlegen ist.
Cannstatt, 28. Sept. Gestern nachmittag ist in einem Neubau der Hohenstaufeustr. in Cannstatt ein Maurer, der unberufenerweise auf einem Balken von einer Veranda zur andern gehen wollte, aus der Höhe des 3. Stockwerks in den Hof gefallen. Er' wurde mit schweren inneren Verletzungen ins BszirkskrarckenhauS überführt und ist dort heute früh 4 Uhr seine» Verletzungen erlegen.
Reutlingen, 27. Sept. Der neue Vorstand der hiifigen evangelischen Gemeinde, Dekan Ko pp, ist heute früh hier eingetroffen und von den Spitzen der staatlichen und städtischen Behörden am Bahrhcf empfangen worden. Die feierliche Amtseinsetzung findet anfangs Oktober statt.
Winnenden, 28. Sept. Dem heutigen Obst markt wurden 60 Säcke Moflobst (Birnen) und etwa 35 Körbe Tafelobst zugeführt; Preis des Mostobstes 6.20—7 Tafelbtrnen 8 50-9.50 Zwetschgen 11 per Ztr. Alles rasch verkauft. Auf dem Schweinemarkt waren etwa 180 St. Stück Milchschweine zum Verkauf gestellt; Preis per Paar 40—45
Freud ental, 26. Sept. Heute früh hatte muä. kor. Maisch hier bei einem Pirschgang im Hofkammerwald Abtshau das Jagdglück, einen jungen Steinadler mit einer Flügelspannweite von 2,20 m mit der Kugel zu erlegen. Die Länge des Adlers vom Schnabel bis zur Schwanzspitze beträgt 93 cm, sein Gewicht 9'/» Pfund. In seinen Fängen befand sich noch Wolle eines frisch geschlagenen Hasen.
Nürtingen, 27. Sept. Der 12jährige Sohn des Gerbers Rehfuß wollte auf einen in der Fahrt befindlichen, mit Kartoffeln beladenen Wogen springen. Er glitt aber aus, kam in die Speichen des Rades und erlitt so schwere Verletzungen, daß er bald nach seiner Verbringung ins Krankenhaus starb.
Nürtingen, 28. Sept. Der kürzlich in Augsburg verstorbene Kommerzienrat Louis Feß- mann, ein geborener Nürtinger, hat in seinem Testament die Summe von 5000 ^ für die Armen der Stadt Nürtingen bestimmt.
Weinsberg. Ein Gang durch die Weinberge wie ihn die Kommission der Wein- gärtnergesellschaft zur Schätzung durchgeführt hat, giebt ein erfreulich-s Bild von dem vollkommenen Reifegrad der Trauben und dem schönen Stand der Weinberge, welche dank der sorgfältigen Pflege durchaus gesund und belaubt sind. Die Bienen umschwärmcn die Wetnstöcke, angelockt von den süßen Flüchten, was nur in wenigen Jahren der Fall ist. Wir dürfen auf ein gutes Erzeugnis rechnen, und Mostgewichte nach Oechsle von 81° bei Rot- und 78° bei Weißgewächs wie sie die erste Lieferung ergab, bestätigen dies. Die Lese
kehr. Ich fürchte sehr für den Arrmsten; soweit ich erfahren konnte, wird er alles verloren haben."
Afra legte die Hand auf die Brust; ein Seufzer entrang sich der s Iben, dann richtete sie sich in stolzem Bewußtsein auf.
„Alles gewonnen," flüsterte sie. „Heute erst, an diesem Tage, der für mich so unglücklich begann," glaube ich an mein Glück; seit Sie mir sagten .,.." Sie preßte in überschwenglichem Gefühle die Hand fester auf die Brust.
„Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben!" dachte Blenke verschmitzt bei sich, ober doch unwillkürlich ein wenig gerührt durch ihre Emphase.
„ES klingt grausam," sagte er mit heuchlerischer Miene, „ober verzeihen Sie mir, wenn ich warne; Graf Sesto ist stolz; wird er Ihr Geschenk annehmen wollen?"
Afra blickt« ihn betroffen an.
„Mit meiner Hand?" rief sie verletzt. „Was ich besitze, steht in der Bank von London! Sie wissen, mein Weg führt mich eben dorthin; Jan« wird mir vorausgereist sein, ich bin überzeugt, sie wird mich dort erwarten. „Wenn Sesto mich liebt, wird er mir folgen."
Blenke stellte sich verlegen.
„Ich bitte um Verzeihung für meine Rede," sagte er, vor sich niederblickend. „Ich wagte sie nur, weil mein Freund mir einmal sagte, selbst wenn er arm wäre, wie ein Bettler, würde er nie ein Weib um Geldes Wert nehmen. Ich fürchte nur einen Konflikt seiner Liebe mit diesem Stolz, aber ohne Frage wird di« erster« den Sieg davontragen! . . . Doch verzeihen Sie," rief er, wieder aufschauend und den Ton wechselnd, „ich störe Sie! Sie waren im Begriffe, eine Promenade zu machen!"
„Sie wissen, daß ich nichts sehnlicher begehrte, als Sie zu sehen!" Afra
lächelte dankbar; sie schien ihre Aufregung, ihre Bestürzung überwunden zu haben. Draußen war Heller Sonnenschein und auch in ihr ward es wieder hell und froh. — Blenke war unschlüssig, ob er ihr seine Begleitung anbieten solle. Er blickte noch einmal und kopsschütteld auf die Unordnung des Zimmer-.
„Sie können nicht so allein bleiben, gnädige Frau," sagte er besorgt. „Wenn Sie überzeugt sind, daß Ihre Ges llschafterin Ihnen vorausgereist, würde eS sich nicht empfehlen, wenigstens während Ihres VerweilenS hier eine andere Dienerin anzunehmen, die Ihnen die notwendigste Hilfe . . ."
„Ich entbehre eine solche allerdings, doch eS widerstrebt mir, mich mit ganz fremden Menschen zu umgeben . . . Aber wie Sie wollen!" setzte sie in plötzlichem Wechsel ihrer Stimm r^g hinzu, sich hastig zum Spiegel wendend und diesen mit einem Blick streifend. „Ich habe mich anders besonnen. Herr von Bodenberg. Jetzt will ich nicht aukgrhen. Es wiid mir wohltun, eine Stunde auszuruhen, denn ich habe in der Nacht kaum ein Auge geschloffen; Jane, die bei mir im Coupee saß, schnarchte so laut, daß ich auch sie immer aufwecken mußte."
Blenke verstand den Wink.
„Auch ich habe Besuch bei meinen hiesigen Verwandten zu machen, die ich seit Jahren nicht gesehen habe. Sie gestatten, mich zu beurlauben, gnädigste Frau!"
„Also auf Wiedersehen!" Sie reichte ihm lebhaft die Hand und zog augenblicklich die Handschuhe ab. „Verlassen Sie mich nicht, Herr von Bodenberg! Sie find jetzt mein intimster Vertrauter!" setzte sie mit Betonung und erregt hinzu.
Blenke entfernte sich und Afra wandte sich schnell in« Zimmer zurück. Vor dem Spiegel riß sie den Hut vom Scheitel, ihre Augen belebten sich plötzlich wieder, sie erhielte» den frühere» leidenschaftlichen Glanz; unruhig bl-tzt« eS in ihnen auf; auch von ihren Wange» verschwand die krankhafte Färbung, ihre