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neuerdings folgenden Erlaß an die Regimentskommandeure gerichtet: „Infolge der zahlreichen Fälle vonSoldatenmtßhandluugen und vorschriftswidriger Behandlung Untergebener durch Vorgesetzte, die irr letzter Zeit in unliebsamer Weise die Oeffentlichkeit beschäftigen, bringe ich den Herren Regimentskommandeuren meine Verfügung vom 1. Januar d. I. nachdrücklichst in Erinnerung. Im besonderen ist den Mannschaften der einzelnenTruppen- verbände die strengste Weisung zu erteilen, jede Mißhandlung von seiten eines Vorgesetzten auf dem vorgeschriebenen Weg sofort zur Anzeige zu bringen, denn nur mit Hilfe der Mannschaften kann diesen Mißständen gesteuert werden." Die in Erinnerung gebrachte Verfügung des Ministers enthält die Bestimmung, daß die Vorgesetzten den Mannschaften überhaupt nicht zu nahe kommen dürfen, ihre Befehle und Weisungen vielmehr aus einer Entfcrnnng von drei Schritt zu geben haben.
Berlin, 1. Sept. Das neue englischjapanische Bündnis wird demnächst in London und Tokio veröffentlicht werden. In hiesigen diplomatischen Kreisen find bis fitzt nur einige Klauseln des Bündnisses bekannt, die ein Bild von seiner Tragweite nicht gewähren können.
Berlin, 1. Sept. Einem Telegramm der Tägl. Rundschau aus London zufolge wird in dortigen diplomatischen Kreisen versichert, es sei auch eine chinesisch-japanische Abmachung unter Englands Beihilfe erreicht worden. Man nehme an, daß diese Bündnisform die Entwicklung Chinas unter Japans Mitwirkung schütze, eine sichere Befestigung der Mandschureigrenze und die Unterhaltung eines Defenfivheeres für China unter japanischen Offizieren vorsehe.
Berlin, 2. Sept. Die französische Note in der Marokko-Angelegenheit ist heute Nachmittag hier etngetroffen. Es heißt, daß ihr Inhalt in wesentlichen Punkten befriedigend sei und weitere Spezialbehandlung über Einzelheiten des Konferenzprogrammes nicht erforderlich mache. Der Ort, in dem die Konferenz zusammen treten wird, steht noch nicht fest.
Swinemünde, 1. Sept. Die Abfahrt der englischen Flotte von der hiesigen Rhede fand gestern nachmittag 3 Uhr 15 Minuten statt, nachdem die Torpedobootszerstörer mit dem Flaggschiff „Saphir" bereits um 2 Uhr vorausgegangen waren. Auf der Reise zwischen hier und Ncufahr- wasser finden strategische Manöver statt. Die gesamte Flotte umschiffte in weitem Bogen die Oderdünen und schlug dann einen Nordostkurs ein. Die bisher bei der Flotte befindlichen englischen Kohlendampfer wurden nach ihrer Entleerung nach England entlassen. Die Flotte hatte die letzten Stunden auf der hiesigen Rhede wegen Sturmes einen schweren Stand. Der Flottenchef ordnete deshalb eine doppelte Verankerung der Schiffe an.
Hamburg, 31. Aug. Mit den Woermann- Dampfern „Eduard Woermann" und „Alexandra Woermann" geht ein Truppen- und Pferdctransport, bestehend aus 70 Offizieren, Sanitätsoffizieren und Beamten, 750 Mann und 500 Pferden nach Deutsch-
Südwestafrika ab. Die Verabschiedung erfolgt heute mittag durch den Platzkommandanten General v. Versen. Die Schiffe verlassen heute nachmittag den Hafen.
Hamburg, 31. Aug. Die Polizeibehörde teilt mit: Am 28. ds. wurde ein an Lungenentzündung erkrankter russischer Auswanderer in das Krankenhaus „St. Georg" überführt, wo er am 29. August starb. Er war am 27. August aus Rußland mit der Bahn in Hamburg angekommen und in den Auswandererbaracken untergebrocht worden. Bei der Sektion der Leiche fanden sich Anzeichen von Cholera. Die bakteriologische Untersuchung bestätigte diese Diagnose. Alle erforderlichen Sicherhettsmoßregeln find getroffen; die mit dem Mann in Berührung gekommenen Auswanderer, die sämtlich gesund find, wurden bis auf weiteres in die Quarantäneanstalt „Groden" bei Cuxhaven abgesondert. Weitere Erkrankungen sind nicht vorgekommen.
Hamburg, 1. Sept. Der mit Kohlenladung noch New-Orleavs b stimmte Dampfer „Peconic" hotte an der Küste Floridas schwere U nwetter zu bestehen, sodeß bei einer gern alligen Sturzsee die Ladung überging und das E chiff sank. 20 Mann von der Besetzung ertranken. 2 retteten sich ouf einem Boote nach Fernandia.
Norderney, 31. Aug. Der Reichskanzler verläßt morgen Nordermy und geht zu mehrwöchigem Aufenthalt nach Baden-Baden.
Neufahrwasser, 1. Sept. Heute um V»10 Uhr traf das englische Geschwader, 10 Linienschiffe, 2 Kreuzer und 4 Torpedobootzerstörer ouf der Rhede von Neufahrwosser ein und warf kurz vor 10 Uhr etwa zwei Seemeilen vom Strande Anker. Zunächst empfing Admiral Wilson auf der Exmouth den Kopitänleutnant von Usedom als Vertreter der Stadt-Kommandantur sowie den Lotsen-Kapitän Wunderlich, begrüßte die Herren in seiner Kajüte und gab seiner Freude Ausdruck, die altberühmte Handelsstadt Danzig besuchen zu können. Dann holte die Dampspinosse den englischen Generalkonsul Broockfield und den Marine-AttachS Allenky an Bord. Bereits um V«12Uhr kam Wilson unter dem üblichen Geschützsalut von Bord und begab sich in glänzender Uniform mit seinem Adjutanten auf der Stations-Dampfpinasse zur Kaiserwerft. Er stattete zunächst dem Oberwerftdirektor, dann dem Oberbürgermeister und dem Fcstungskommandanten Besuche ab und gab seine Karten bei den abwesenden kommandierenden Generalen und dem Ober- präfidcnten ab. Die Besuche wurden nachmittags erwidert.
Marienwerder, 1. Sept. Wie die Neuen Westpreuß. Mitteilungen melden, ist bei zwei in Kulm choleraverdächiig erkrankten Knaben Cholera fistgestcllt worden. Aus dem Haus, in dem diese Fälle vorgekommen find, werden noch zwei Cholerafälle gemeldet. In Kulm ist ein Mann an Cholera gestorben. Ein kranker Flößer ist unter Choleraverdacht ins dortige Krankenhaus eingeliefert worden.
London, 1. Sept. Die Exchange Tele- grophen-Company meldet aus Portmouth, daß der Friedensvertrag voraussichtlich am Dienstag unterzeichnet werden wird. Vom Zaren sei eine Depesche eingetroffen, die die Bestätigung der Friedensbedinaungen und die Zustimmung zum Waffenstillstand enthalten.
Petersburg, 31. Aug. Die Petersb. Tel.-Ag. erfährt aus sicherer Quelle, daß die russische und japanische Regierung baldmöglichst nach Austausch der Gefangenen gegenseitig ihre Ausgaben für die Verpflegung der Gefangenen vom Tage der Gefangennahme bis zu deren Tod oder Austausch vorlegen werden. Rußland zahlt an Japan den Unterschied zwischen der tatsächlich von Rußland und Japan für den gedachten Zweck verausgabten Summen.
Petersburg. 1. Sept. In Riga ist es anläßlich der Mobilisation zu neuen Unruhen gekommen. Ein «roher Teil der Reservisten hat sich nicht gestellt. Eine Woffenhandlung wurde überfallen. Militär-Patrouillen durchziehen die Stadt. Fast alle Fabriken streiken. — Für die durch allerhöchsten Erlaß befohlene Auflösung des seit 80 Jahren bestehenden finnländischen Garde-Bataillons wird als Ursache angegeben, daß noch Suspendierung dSS Wehrpflichtgesetzes und Inhibierung der Einberufung das Garde-Bataillon nur durch Werbung komplettiert werden könne, dieser Ausweg aber vom Zaren nicht gebilligt werde. Zwei russische Kompagnien Infanterie werden nunmehr in Helsingfors an Stelle des Garde-Bataillons Garnison nehmen.
Odessa, 1. Sept. Auf dem französischen Boulevard explodierte gestern in einer Villa des reichen Industriellen Becker eine Bombe. Frau Becker und ihre zwei Söhne wurden schwer verwundet. Die Villa wurde durch die Explosion vollständig demoliert. Die sofort vorgenommene Haussuchung bewies, daß in der Villa Becker eine Bombenfabrik eingerichtet war und daß die beiden Söhne der revolutionären Organisation angehörten. Im Laboratorium wurden mehrere Dhnamitbombe« und einige hundert revolutionäre Brochüren gefunden. Die drei verwundeten Personen wurden unter starker militärischer Eskorte nach dem Gefängnishospital transportiert.
Portsmouth, 1. Sept. Die Ausstellung des Friedensvertrages geht rasch von statten Profissor von Martens und der japanische Rcchts- beistavd, Dentson, haben 10 von 15 Artikeln fertiggestellt, aus denen, wie man annimmt, der Vertrag bestehen wird. Witte hofft, daß der Vertrag Dienstag oder Mittwoch unterzeichnet wird.
Portsmouth, 1. Sept. DerFriedens- vertrag enthält 15 Artikel. Profissor Martens setzt sie in französischer Sprache auf und hat bereits 10 vollendet, welche die Japaner nun in die englische Sprache übertragen. Minister Witte ist überzeugt, daß nicht die geringste Möglichkeit mehr vorliegt, durch die Schwierigkeiten bei der Festlegung der Details entstehen könnten. Er empfing Glückwunsch- Telegramme aus allen Teilen Rußlands. Martens
In Leo'S Antlitz ging ein jäher Farbenwechsel vor; er würgte die Speise hinab, legte Messer und Gabel hin und suchte nach Worten.
„Fast scheint es, Herr von Bodenberg, als suchten Sie mich zu verletzen!" rief er mit drohenden Augen.
„Gott behüte mich davor!" Blenke legte beschwichtigend die Hand auf seinen Arm. „Sie wissen, daß ich zu jedem Beweise meiner Freundschaft für Sie bereit bin, aber begreifen Sie doch, ich bin hier so zu sagen zwischen Tür und Angel! Ich will einem Blutvergießen Vorbeugen, zu dem nach meiner Uibrr- zrugung hier keine Ursache oder Berechtigung vorliegt. Ich sage Ihnen nur: Wie können Sie «in Weib zwingen, Sie zu lieben, zumal wenn sie Ihnen so deutlich das Gegenteil zeigt? Und wie können Sie unter solchen Umständen einen Mann verurteilen, wenn er für gezeigte Liebe empfänglich ist? Unter uns gesagt: ich habe meine eigenen Ideen über diese Dame. Sie mag sehr schön sein, sie ist eS sogar, aber jede Aeußerung eines Herzens halte ich bei ihr nur für Kaprice. Sie sagt sich: ich bin schön und reich, ich kann haben, was ich will; und da will sie denn durchaus meinen Freund! Mich stößt sie ab; das verhehle ich nicht . .. UebrigenS — ich kan» mich ja irren — ich habe immer das Gefühl, als müßten Sie ihr einmal ganz besonder« Dienste geleistet haben. Gestehen Eie! Habe ich recht? Sie waren schon einmal im Zuge, mir davon zu erzählen, aber wir wurden unterbrochen."
„Ich kann eS nicht, ohne mich selbst zu beschuldigen. Sie wissen, eS gab für mich einmal eine Zeit, in der eS mir recht schlecht erging."
„DaS kann Jedem passieren, lieber Freund," sagte Blenke teilnahmsvoll. „Man vergißt dann allerdings später gern, zu was «nS die Not getrieben hat. Nicht wahr, Ei« lernten Frau von Rothenhelm in Berlin kennen? So glaube ich, Sie verstanden zu haben."
Leo überlegte. „Hm — ja," antwortete er gedehnt.
„Hatte Sie damals schon ihre Vertraute, dir Miß Jane?"
.Ja."
„Und fiel denn zwischen Ihnen und der schönen Frau damals etwas vor, was ... vielleicht ein unbewachter Augenblick ... Ich würde den Grafen Sesto warnen können, wenn ich es wüßte."
„ES wäre Unwahrheit, wenn ich dies zugeben würde."
„Also nicht! . . . Hm! Es wäre in Ihrem eigene« Inter-sie, wenn Sie aufrichtig gegen mich sein wollten."
„ES handelte sich nur um die Entfernung einer ihr lästigen Person, und darin diente ich ihr."
„Soso! Um weiter nichts?" Bier k: frohlockte innerlich; er hatte seinen Mann. Er sprang, als interessiere ihn die» nicht im Geringsten von d-m Thema ab. „WaS mir da eben einfällt. Gestern erkundigte sich im Kaffeehaus« ein ältlicher Herr bei mir nach Ihnen. Er hatte Sie in dem Lokal gesehen und glaubte in Ihnen einen Herrn zu erkennen, mit dem er vor drei Jahren in Berlin in einem Hotel an der Königstraße zusammengetroffen ist."
Leo schien ein wenig bestürzt.
„Ein ältlicher Herr mit fast ganz ergrautem, dünnem Vollbart und runzligem Gesicht; für etwas ganz Vornehmes möchte ich ihn nicht halten, indes darin täuscht man sich. Wie war doch sein Name?"
Blenke tat, als suchte er denselben. Leo schaute nachdenkend vor sich hin.
„Ich war überhaupt nur ganz vorübergehend einige Stunden in jenem Hotel," sagte er gleichgiltig. „Ich erinnere mich keiner Bekanntschaft."
„Nur einige Stunden!" wiederholte sich Blenke. „Alle- stimmt." Und plötzlich kam ihm ein Gedanke, der ihn selbst überraschte. Er schaute auf, als sinne er noch immer über den Name», und hocherfreut über sich selbst, setzte er hinzu: „ES lohnt sich wohl gar nicht, sich den Kopf über den Namen zu zerbrechen! Urteile ich recht, so möchte ich den Herrn eher für einen Portier oder Kommissionär halten, der sich zur Ruhe ges-tzt hat und den wohlhabenden Privatier spielt."
(Fortsetzung folgt.)