nungsnote der Enteilte, die die ohnehin schwache Tendenz noch vervollständigte. Die finanziellen und wirtschaftlichen Aus­wirkungen der Ententenote bringen uns ungeheuren wirtschaft­lichen Schaden. Der Wert der zu zerstörenden Maschinen und Anlagen beträgt allein Milliarde Mark. Diese Bestimmun­gen lassen nur zu deutlich erkennen, daß es unseren Feinden nicht so sehr auf die Schwächung unserer Militärmacht, als vielmehr auf die Zerstörung der Konkurrenzfähigkeit unserer Industrie gegenüber der englischen und französischen ankommt. Neben den außenpolitischen Faktoren belasten die Börse ganz be­sonders Liquiditätsfragen in der Großindustrie. Von weittra­gendster Bedeutung waren die Vorfälle im Stinncskonzern, der mit etwa 120 Millionen Mark verschuldet ist. Der Bereini­gungsprozeß nach der aufblähenden Jnflationswirtschaft hat nunmehr auch die großen und größten Wirtschaftsbetriebe er­griffen, die nicht verstanden hatten, rechtzeitig ihren Betrieb um­zustellen, einzuschränken, auf ein ertragbares Maß entsprechend der eigenen Kapitaltraft und unwirtschaftliche Zweige aüzusto- ßen. In diese Zwangslage ist jetzt die Firma Stinnes, die größte in Deutschland, unter ihren Erben gekommen. Bei der großen nationalen und auch internationalen Bedeutung des Unternehmens hat zwar sofort eine Stützungsaktion der ange­sehensten Bankfirmen zusammen mit der Reichsbank eingesetzt. Aber die Lage im Stinneskonzern übt trotz der beruhigenden Erklärungen der Stützungsgruppe aus die ganze Wirtschaft eine unhellvolle Rückwirkung aus. Man betrachtet die Vorgänge im Stinneskonzern als symptomatisch für die ganze deutsche In­dustrie. So erfuhren die Kurse in der letzten Woche erneut eine scharfe Senkung; am Montanmarkt sielen die führenden Stinneswerte um 34 Prozent. Auch die heimischen Anleihen erlitten große Einbußen.

Geldmarkt. Infolge größerer Eingänge bei den Banken zeigte der Geldmarkt stärkere Erleichterung. Doch sind die Bör­senzinssätze unverändert: Tägliches Geld 7^9, Monatsgeld 911 Prozent. Der Geldmarkt zeigt immer noch die gleichen Kontraste: Flüssigkeit für kurzes Geld, Mangel an langfristi­gen Mitteln. Termingeld fehlt um so empfindlicher, als jetzt die Großbanken zur Liquidation der Stinnes-Engagements sich 12 Monate lang stark halten müssen. So beginnt die Wirt­schaftskrise auch auf den Geldmarkt ihre Schatten zu Wersen. Es ist möglich, daß das Jntevventionskonsortium für Stinnes noch erweitert wird, so daß die Verteilung ausgebreitet und die Mehrbelastung geringer würde.

Produktenmarkt. Das Geschäft an den Produkten- märkten hielt sich in den engsten Grenzen, doch blieben die Hausse-Berichte aus Amerika nicht ganz ohne Einfluß, so daß die Kurse anzogen. An der Stuttgarter Landesproduktenbörse blieben Heu und Stroh mit 7 bzw. 5. Mark pro Doppelzentner unverändert. An der Berliner Produktenbörse notierten Wei­zen 270 (4- 5), Roggen 22 (N 6), Sommergerste 242 (und.), Winter- und Futtergerste 216 (und.), Hafer 246 (4- 3) Mark je Pro Tonne und Mehl 36 (->14) Mark Pro Doppelzentner.

Warenmarkt. Die Wirtschaftskrise besteht in fast allen Zweigen fort. Der allgemeine Druck und die Unsicherheit auf den Warenmärkten hält weiter an. Trotz des fortdauernden Bereinigungsprozesses in der Wirtschaft, der vielen Konkurse und Geschäftsaufsichten ist es bis heute noch nicht gelungen, das Hauptübel unserer Wirtschaft, die Vielzahl der selbständigen Zwischenstufen auf dem Wege vom Erzeuger zum Verbraucher zu beseitigen.

Viehmarkt. Die Fleischpreise sind in allen Gattungen wieder sprunghaft in die Höhe gegangen. Die vielen Tagun­gen, Kongreße, Ausstellungen, die dieses Jahr in Württemberg und besonders in Stuttgart stattfinden, bringen wohl Geld in das Land, haben aber die bedauerliche Kehrseite einer Ver­teuerung der Lebenshaltung.

Holzmarkt. Die Tendenz auf den Rundholzmärkten geht langsam wieder nach oben. Dazu trug auch eine leichte Belebung des Baumarktes bei. Es ist nur auffallend, daß dieser Auf­schwung gerade am Schluß der Haupteinkaufszeit erfolgte.

MevMtz UlSckmchteM

Stuttgart, 12. Juni. Im Finanzausschuß des Landtags wurden heute die Kapitel 7173 der Finanzverwaltung genehmigt. Für die Erstellung von Beamtenwohnungen sind 2 Millionen vorgesehen. Bon der Regierung wurde mitgeteilt, daß infolge der eingetretenen Ueberteuerung diese Mittel schon aufgebraucht seien, ohne daß den Bedürfnissen auch nur einigermaßen Genüge geschehen konnte. Eine Erhöhung dieses Betrags von 2 Millionen lehnte der Finanzminister insolge Deckungsmangels ab. Die Erhöhungen der Bauarbeiterlöhne wirken sich dahin aus, daß der Lohnonteil am Rohbau zirka 50 Prozent beträgt Ein Zentrumsantrag, das Staatsministerium zu ersuchen, durch Abgabe von staatlichem Baugelände zu möglichst gün­stigem Kaufpreis, durch Erleichterung der Zahlungsbedingungen und durch entgegenkommende Behandlung von Tauschangeboten den Wohnungsbau möglichst zu fördern, ferner die Entwicklung der Bau­platz- und Baustoffpreise ernstlich zu verfolgen, sowie die Preistrei­bereien nachdrücklich zu bekämpfen, wurde einstimmig angenommen.

Stuttgart, 12. Juni. Eine Versammlung der Stuttgarter Ver­trauensleute des Deutschen Holzarbeiterverbandes, die am Donnerstag zu der Aussperrungsandrohung Stellung nahm, hat beschlossen, den Streikenden den Verzicht auf Unterstützung für die ersten acht Tage zu empfehlen. In der Begründung des Antrags wurde darauf ver­wiesen, daß der Fonds des Verbandes für einen möglichst langen Kampf zur Verfügung gehalten werden müsse.

München, 12. Juni. Das Plenum des Landtags stimmte dem Ausschutzbeschluß auf Genehmigung der Strafverfolgung des fraktions­losen Nürnberger Abgeordneten Streicher wegen fortgesetzter Beleidi­gung des dortigen Oberbürgermeisters Luppe zu. Weiter genehmigte das Landtagsplenum die Einleitung eines Disziplinarverfahrens gegen Streicher als Mitglied des Stadtrates Nürnberg wegen Verletzung der Pflicht der Amtsverschwiegenheit und wegen unehrenhaften Ver­haltens in seinem Amte.

Bochum, 13. Juni. Auf der ZecheKaroline" zwischen hier und Dortmund verunglückten auf noch nicht geklärte Art vier Bergleute tödlich. Zwei konnten nur als Leichen geborgen werden, während die beiden anderen noch vor ihrer Einlteferung 'ins Krankenhaus starben. Eine bergbehördliche Untersuchung ist eingeleitet.

Duisburg, 12. Juni. Nach einer Mitteilung derRheinhauser Zeitung" wird die Rheinbrücke in Duisburg-Hochfeld in den nächsten Tagen von der belgischen Besatzungsbehörde wieder den deutschen Behörden übergeben und der Fußgängerverkehr auf beiden Seiten der Brücke wieder gestattet werden.

Sonneberg, 12. Juni. In dem nahen Iüdenbach explodierte beim Ausfällen eines Spiritusbrenners die Spirttusflasche. Die Ehe­frau Elsa Fischer verbrannte. Die Haushälterin Berg erlitt tödliche Brandwunden.

Steinach, 12. Juni. In stark verwestem Zustande und mit Bu­chenlaub zugedeckt, wurde gestern abend in Boxberg an der Straße von Blechhammer nach Iüdenbach die Leiche der seit Pfingsten ver­mißten neunzehnjährigen Arbeiterin Alma Söllner aus Steinach aus­gefunden, in einer Lage, die einen Lustmord wahrscheinlich macht. Auf die Ermittlung des Täters sind 750 Mark Belohnung ausgesetzt.

Berlin, 12. Juni. Der Reichstagsausschuß für soziale Angelegen­heiten hat heute zu der Novelle Unfallversicherung beschlossen, die Pollrente an Stelle der in der ersten Instanz vorgesehenen zwei Zehntel des Iahresarbeitsverdienstes wieder auf zwei Drittel sest- zusetzen.

Berlin, 12. Juni. Heute mittag findet im Reichsministerium des Innern eine große Konferenz der Polizeireferenten der Innenmini­sterien der Länder unter dem Vorsitz des Reichskommissars Kuenzer statt. In dieser Besprechung werden die in der Ententenote enthal­

tenen Forderungen, die sich mit der Umorganisation der deutschen Polizeikrüfie beschäftigen, erörtert werden.

Berlin, 12 Juni. Der Reichspräsident hat auf die Einladung zur Iahrtausendseter der Stadt Köln geantwortet, daß es ihm zu seinem Bedauern unmöglich sei, persönlich zu erscheinen.

Berlin, 12. Juni. Nach einer Meldung aus Madrid hat der spanische Nationale Wirtschaftsrat die Diskussion über das deutsch­spanische Handelsabkommen noch nicht beendigt.' Die Verhandlungen werden am Freitag, den 12. Juni fortgesetzt. Die Annahme des Ab­kommens wird von den Vertretern ber spanischen Industrie auss heftigste bekämpft.

Neumünster iHolttein), 13. Juni. Auf dein Hauptbahnhof fuhr ein Kinderwagen, in dem sich ein I>, Jahre altes Mädchen befanb, in einen, unbewachten Augenblick aus das Gleis hinab. Der Schuh­macher Schüler aus Neumünsler sprang vom Bahnsteig herunter und ergriff den Wagen. In demselben Augenblick fuhr ein Zug in den Bahnhof ein und erfaßte Wagen und Retter. Schüler wurden beide Oberschenkel abgequetscht, während dem Kind der linke Fuß abge­fahren wurde.

Rom. 12. Juni. Die deutsche Schule erhielt das Eigentumsrecht an ihrem Gebäude, das sie seit 1922 wieder benützte, zurück.

Paris, 12. Juni. Auf dem Quai d'Orsay wurde heute aus eine Anfrage erklärt, daß die beiden deutschen DampferLeipzig" undDortmund", die in den marrokkanischen Gewässern ange­halten waren, weil man sie in Verdacht hatte, Waffenschmuggel zu betreiben, freigelassen seien. Es wurde festgestellt, daß sie nur eine Schiffsladung mit sich führten.

Paris, 13. Juni. Dieverfrühte" Veröffentlichung der deutschen Sicherheitsvorschläge hat in Paris Ueberraschung und starke Ver­wirrung hervorgerusen.

Paris, 12. Juni. Wie die Abendpresse mitteilt, wurden in Bordeaux mehrere Personen, die antimilitaristische Gerüchte verbrei­teten, verhaftet. In Straßburg wurde iu den Räumen der kommu­nistischenHumanite" infolge mehrerer Artikel, in denen die Soldaten zum Ungehorsam aufgefordert wurden, eine Haussuchung vorgenomen.

Paris, 12. Juni. Painleve hat gestern früh Fes verlaßen, um eine Inspektionsreise an die Front vorzunehmen: am Montag soll auch eine parlamentarische Kommission von Paris an die Marokko­front abreisen.

Paris, 12. Juni. Haoas berichtet, daß die franz. Note betr. den Abschluß eines Sicherheitspaktes anfangs nächster Woche in Berlin überreicht werde. Die belgische Regierung habe ihre Zustimmung bereits zu dem ihr übermittelten franz. Entwurf der Note gegeben.

Sidney, 12. Juni. Das vollständige Ergebnis der Wahlen im Kreise Neu-Südwales ergab für die Arbeiterpartei 46, für die Na­tionalisten 32, für die Progessisten 9 und für die Unabhängigen 3 Mandate.

Melbourne, 12. Juni. Der DampferGotha", der heute morgen in den hiesigen Hafen einlief, ist das erste deutsche Passagierschiff, das seit 1914 hier eingetroffen ist.

Innenpolitische Debatte im Reichstag.

Berlin, 12. Juni. Die seit Jahren in der Stille schmälende Gärung über die Reform der Weimarer Verfassung ist nun end­lich am Freitag bei der Beratung des Haushalts des Reichs­ministeriums des Innern zum Ausbruch gekommen. Schon die Ausschußverhandlungen über die verschiedenen verfassungsän­dernden Anträge haben einen kleinen Vorgeschmack von dem, was im Plenum zu erwarten ist, gegeben. In der Tat war auch das Haus fast vollzählig versammelt; ebenso waren die Tribünen gut besucht. Man bemerkte allseitig eine gewisse Spannung auf der Linken. Sie zeigte sogar eine nicht uner­hebliche Gereiztheit, die während der Debatte mehr als einmal zu erregten Zwischenrufen und Zusammenstößen führte. Es versteht sich von selbst, daß die Weimarer Parteien in geschlosse­ner Front aufmarschierten. Ms erster Redner erschien Herr Sollmann von der Sozialdemokratie am Rednerpult, um so­gleich gegen die vorliegenden Anträge über den Nationalfeier­tag, den Volkstrauertag und das republikanische Schutzgesetz vom Leder zu ziehen. Er geriet dabei allerdings mehrfach ins Ge­dränge, besonders durch kommunistische Zwischenrufe, die an vergangene Zeiten erinnerten, als . die Sozialdemokraten genau dieselben Wege gingen, die heute die Regierungsparteien ein­geschlagen haben. Er machte dann die Feststellung, daß seine Partei die vorliegenden Anträge ablehne und auch der Auf­hebung des Gesetzes zum Schutze der Republik nicht zustimmen werde, obwohl auch bei ihr mancherlei Bedenken gegen verschie­dene Bestimmungen dieses Gesetzes vorhanden wären. Ihm folgte Herr Berndt von den Deutschnationalen, der Herrn Soll­mann die Antwort nicht schuldig blieb und mit den Mängeln der Weimarer Verfassung scharf ins Gericht ging. Er ver­langte Vertiefung des Reichsgedankens und Entspannung des Zentralismus, machte aber die Feststellung, daß seine Freunde nur das eine Ziel im Auge hätten, die Rettung des Vaterlandes. Nun erschien wieder in der Reihe der Redner ein Weimaraner, der Zentrumsabgeordnete Schreiber, der eben­so wie Herr Sollmann gegen die vorliegenden Anträge Sturm lief und es ablehnte, dem Innenminister auf diesem Wege zu folgen. Der deutschvolksparteiliche Abg. v. Kardorff wies da­rauf hin, daß die innerpolitischen Fragen zurücktreten müssen gegenüber den großen Schicksalsfragen der Außenpolitik. Eine Reform des Reichstagswahlrechts sei zu erwägen, besonders die Frage der Hinaufsetzung des Wahlalters. (Zustimmung.) Eine Reform der Reichsverfassung müsse vorbereitet werden. Die Nervosität der Linken bei dieser Frage sei nicht zu verstehen, denn", so ruft er aus,wir wollen die Verfassung ja nicht ver­schlechtern, sondern verbessern". (Zustimmung rechts, Heiterkeit links). Solange der Feind im Lande sei, wolle man natürlich keine grundlegenden Verfassungsänderungen von heute auf mor­gen durchführen. Seit der Schaffung der Weimarer Verfassung hätten sich die politischen Mehrheitsverhältnisse geändert. Die Bestimmung der Verfassung, daß Verfassungsänderungen nur mit Zweidrittelmehrheit beschlossen werden könnten, bedeute praktisch, daß ohne Zustimmung der Sozialdemokraten und Kommunisten eine Verfassungsänderung auch dann beschlossen werden könne, wenn die überwiegende Mehrheit des Volkes sie verlange. Die Weimarer Verfassung sei ein Strauß von vielen Blumen, die auf den verschiedensten Feldern gewachsen seien, die wenigsten aber auf deutschen Feldern. Die Form, in der die Parlamentarischen Untersuchungsausschüsse arbeiten, sei ge­radezu zum groben Unfug geworden. (Zustimmung.) Eine Ver­fassungsreform sei auch notwendig hinsichtlich des Verhältnisses des Reiches zu den Ländern. Die Reichstreue werde in Bayern in dem Maße wachsen, in dem die formale Bindung gelockert Werde. Aus Achtung vor unserer großen Vergangenheit solle der 18. Januar als Nationalfeiertag begangen werden. Der Volkstrauertag wäre am besten auf den Bußtag zu legen. Schließlich kam auch noch der Kommunist Stöcker zu Wort, der das Lieblingspferd der K. P. D., die Amnestiefrage bestieg und am Schluß seiner Ausführungen einen Mißtrauensantrag gegen den Innenminister Schiele ankündigte. Darauf wurde die Be­ratung abgebrochen und Las Haus vertagte sich auf Samstag.

Der Ernährungsmimster über die Agrarzölle.

Berlin, 12. Juni. Reichsernährungsminister Graf Kanitz hielt im Reichswirtschaftsrat eine Rede, in der er erklärte:' Auf die Dauer ist das heutige System des Zollschutzes für die Industrie ohne entsprechender Schutz für die Landwirtschaft nicht haltbar. Immer deutlicher wird sich zeigen, daß zum Schaden der Gesamtwirtschaft die Landwirtschaft nur noch mit Mühe mitgeschleppt wird. Die Handelsvertragsverhandlungen der letzten Monate haben gezeigt, daß die handelspolitischen Tendenzen in fast allen Ländern auf eine Erhöhung der Zoll­

sätze Hinzielen. Deshalb werden wir zwangsläufig vorerst auf den Weg unserer Vertragsgegner gedrängt. Vornehmlich aber soll der agrarische Teil der Zollvorlage -der Produktionsförde­rung dienen. Wer Produktionssteigerung will, kann der Land­wirtschaft einen maßvollen Zollschutz nicht vorenthalten; den» überseeische Rekordernten können bei den teuren deutschen Pro­duktionskosten über Nacht eine Katastrophe herbeiführen. Würde der Zollschutz nur aus die Milchproduttion gelegt und nicht auch auf Getreide, so würde dadurch der gemischtwirtschaftliche Cha­rakter und damit der einzige Vorsprung, den die deutsche Land­wirtschaft gegenüber der Uebersee hat, geschädigt werden. Mit einem Steigen der Weltgetreidepreise ist nicht zu rechnen, da bereits das vorjährige Anziehen der Preise eine Vermehrung der Getreideanbaufläche in Amerika zur Folge gehabt hat. Be­reitschaftszölle sind abzulehnen, La sie handelspolitisch unmöglich sind und zudem Len innerdeutschen Kampf um die Zölle ver­ewigen. Mindestzölle find notwendig, weil wir wirtschaftlich und politisch zu schwach sind, um uns bei den Handelsvertrags­verhandlungen wirksam gegen ein zu starkes Herabdrücken der deutschen Getreidezölle wehren zu können. Daß die Einführung von Getreidezöllen die Erportfähigkeit der deutschen Industrie schädige, vermag ich nicht anzuerkennen. Die Entwicklung der deutschen Wirtschaft vor dem Kriege beweist das Gegenteil. Wenn auch unter Umständen durch Agrarzölle eine gewisse Ver­teuerung eintreten kann, so steht die Reichsregierung doch auf dem Standpunkt, daß auf die Dauer der deutsche Konsument am billigsten aus der eigenen Scholle ernährt wird, da ein maß­voller Zollschutz gesteigerte Produttion und vermehrtes Angebot bewirkt und das Massenangebot somit immer preisdrücklch > wirkt. Auch der verteuernde Leerlauf der an der Zwischen­spanne zwischen dem Bauern und dem Konsumenten beteiligten Wirtschaftskreise wird infolge der Produktionssteigerung erheb­lich ausgeschaltet werden. Nach der Einführung der Bülowzölle bewirkte seinerzeit die kaufkräftigere Landwirtschaft einen er­höhten Absatz von Jndustrieprodutten und hat somit erheblich zum Anwachsen der Industrie und schließlich zu der wirtschaft­lichen Aufbesserung der breiten Massen geführt. Die Freigabe der Ausfuhr für Getreide ist hinsichtlich ihrer Wirkungen Wer­schätzt worden, da im Ausland wenig Nachfrage nach deutschem Brotgetreide besteht wegen der geringeren Qualität desselben. Zusammensassend ist zu bemerken, daß nicht allein die fortschrei­tende Technisierung und Modernisierung durch Kreditattionen und Steuerermäßigungen eine Produktionssteigerung bewirken werde, wenn nicht die praktischen Vorbedingungen für die Ren- , Labilität auf längere Sicht geschaffen werden. Dies ist ohne Zollschutz nicht möglich. Die beste Konsumentenpolitik ist im­mer diejenige, die zu einer Steigerung der Produttion führt. Die Entwicklung der deutschen Gesamtwirtschaft in den letzten zehn Jahren vor dem Krieg hat gezeigt, daß die Agrarzölle

1. die agrarische Produktion tatsächlich erheblich gesteigert haben,

2. die Exportmöglichkeiten der Industrie in keiner -Weise be­hindert haben, 3. die Verarmung der breiten Massen nicht ge­zeigt haben und 4. ein handelspolitisches Instrument von größ­ter Wirkung waren. Die Verhältnisse nach dem Kriege sind nicht so grundlegend andere geworden, daß man annehme'n dürfte, was vor dem Kriege wirksam war, ist heute unwirksam.

Besuche beim Reichspräsidenten.

Berlin, 12. Juni. Der neue argentinische Gesandte in Ber­lin, Dr. Quintana, überreichte heute mittag dem Reichspräsi­denten mit einer kurzen Ansprache, in der er auf die freund­schaftlichen Beziehungen zwischen den beiden Ländern hinwies, sein Beglaubigungsschreiben. Reichspräsident von Hindenburg erwiderte u. a.:Es gereicht mir zur aufrichtigen Freude, in Ihnen den Vertreter einer Nation begrüßen zu können, die Deutschland tiefempfundene Freundschaft und warme Sym­pathie entgegenbringt. Seien Sie überzeugt, Herr Gesandter, daß das. deutsche Volk diese Gefühle aufs herzlichste erwidert und Laß es diese niemals getrübte Freundschaft, die es mit dem argentinischen Volk seit langen Jahren verbindet, als kostbares Gut bewahren wird. Der Wunsch, die Beziehungen zwischen den Ländern noch enger zn gestalten, findet meinen lebhaftesten Beifall, und Sie dürfen hierbei meiner und der Reichsregierung tatkräftiger Unterstützung versichert sein."

Berlin, 12. Juni. Der Reichspräsident empfing heute die Vertreter der Religionsgemeinschaften zur Entgegennahme ihrer Glückwünsche anläßlich seines Amtsantritts. Im Namen des Deutschen Evangelischen Kirchenrates überbrachte der Präsident des Evangelischen Oberkirchenrates Berlin, O- Dr. Kapler, die Wünsche der Gesamtheit der deutschen evangelischen Landes­kirche. Der fürstbischöfliche Delegat, Weihbifchof Dr. Deitmer, sprach dem Reichspräsidenten die Glückwürsche der katholischen Religionsgemeinschaft aus. Als Vertreter des Landesverban­des der jüdischen Gemeinden begrüßte Kammergerichtsrat L. .Wolfs den Reichspräsidenten. Der Reichspräsident erwiderte in einer kurzen Ansprache, in der er die Erhaltung der religiösen und sittlichen Kräfte für Staatswohl und Wiederaufbau würdigte.

Die Hindenburg-Amnestie.

Auf Anregung des Reichstags bestand die Absicht, im Zu­sammenhang mit dem Amtsantritt des neuen Reichspräsidenten eine Amnestie zu erlassen, die sich nicht nur auf politische, son­dern auch auf kriminelle Delikte geringfügiger Art bezog. Das hat sich leider nicht ermöglichen lassen, weil die Amnestie an sich kein Recht des Reichs, sondern der Länder ist und das Reich nur nur insoweit von sich aus amnestieren kann, als es sich um Ur­teile des Reichsgerichts in erster Instanz handelt. Deshalb war der Umweg über die Länder notwendig, der sich aber als recht langwierig erwies. Die Verhandlungen sind jetzt aber abge­schlossen. Das Justizministerium hat einen Entwurf ausgear­beitet, der dem Reichskabinett zugeht und dann wohl in schneller Frist Wer den Reichsrat an den Reichstag gelangt. Bei dem Entwurf wird es sich vermutlich Mehr um ein Rahmengesetz handeln, während gleichzeitig in den einzelnen Ländern zur Wahrung ihrer Konpetenz entsprechende Entwürfe den Land­tagen zugehen werden.

Sträfliche Sorglosigkeit.

Der Untersuchungsausschuß, den das Preußische Abgeord­netenhaus zur Aufklärung der Vorgänge bei dem Tod des früheren Reichspostministers Höfle eingesetzt hat, arbeitet seit Wochen, ohne daß es ihm bisher gelungen wäre. Wesentliches zur Aufklärung des bedauerlichen Vorfalles festzustellen. Jetzt beginnt sich allerdings langsam der Schleier zu lüften. Es scheint kein Zweifel mehr darüber, daß in dem Untersuchungsgefängnis Zustände herrschen, die jeder Vernunft Hohn sprechen. Durch Aussagen ist. festgestellt, daß die Pfleger nach Belieben über schwere narkotische Mittel verfügen konnten und je nach Gut­dünken selbständig verwendeten.' Jeder Pfleger hat allein 100 Morphiumpullen zu seiner Verfügung, Lazu noch Pantopon- und Luminaltabletten in fast unbegrenzten Mengen. Bei einem Pfleger hat man.eine Haussuchung vorgenommen und 20 Gr. Codein entdeckt, die er aus dem Gefängnislazarett mit nach, Hause genommen hatte, eine Menge Gift, die genügt, um 20 000 Menschen zu töten. Eine Aufstellung über die vom Ge­fängnislazarett innerhalb vier Wochen angekauften Mengen Narkotika ergab, daß man damit ein ganzes Armeekorps hätte betäuben können. Die Aufsichtsbehörden haben durch die Fest­stellung dieses Tatbestandes die nötigen Unterlagen zum Ein­greifen bekomme«.