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hilfenahme des Proporzes sein. Der Redner wandte sich auch gegen die Zurufe, die sich auf das Zusammengehen des Zentrums mit der Sozial­demokratie in Äayern bezogen. Abg. Liesching legte dar, daß die allgemeine Wahl, die auch im Programm des Zentrums enthalten sei und die Berufswahl Gegensätze bilde». Das Zentrum wolle eben die Verfassungsrevifion nicht. Minister v. Pischek betonte, v. Kiene sei der Beweis nicht gelungen, daß das Zentrum sein Programm nicht verlassen habe; eine berufsständische Vertretung könne nicht aus der allgemeinen Wahl hervorgchen. An sich würde er die berufsständische Vertretung für das richtige halten, sie sei aber heute aussichts­los. Der Abg. Gröber wies zahlenmäßig nach, daß in Württemberg die Gefahr der Sozialdemo­kratie doppelt so groß sei, als in Bayern und Baden und folgerte daraus die Notwendigkeit eines Ersatzes für die Privilegierten in Form der berufs­ständischen Vertretung. Abg. Keil hob hervor, daß die Vorlage auch nicht in minimaler Weise den sozialdemokratischen Forderungen entspreche und daß es deshalb gewagt sei, die Zustimmung der Sozial­demokratie zum Entwurf vorauszusetzen. Die Be­hauptung GröberS, daß die Sozialdemokratie wachsen werde und seine Forderung, den Ersatz für die Privilegierten alsdann gegen den Radikalismus zu schaffen, bezeichnet« er als für die Sozialdemo­kratie außerordentlich wertvoll. Auch der Abgeord­nete Hieber vertrat die Ansicht, daß die heutige St> llungnahme des Zentrums mit seinem Programm nicht übereinstimme; möge es doch sagen, daß es die Verfassungsrevifion nicht wünsche. Gröber habe heute das Selbstgefühl der Sozialdemokratie gestärkt. Haußmann- Gerabronn erwartete eine Kräftigung des link n Flügels, wenn der Entwurf durch die Stimmen des Zentrums und der Ritter falle. Kraut wies in einer Polemik gegen Keil darauf hin, daß seine Bedenken gegen die Vorlage haupt­sächlich auf die großsprecherischen Reden Keils und seiner Freunde zurückzuführen sei. Nachdem der Abg. Gröber nochmals einigen Vorrednern erwi­dert hatte, versicherte Kultminister v. Weizsäcker, daß die Forderungen des Kultetats nach seiner An­sicht auch bei der künftigen Gestaltung des Landtags eine Mehrheit finden werden. Er lud die Ritter ein, dem Vertrauen, das die evangelischen Prälaten und die Regierung dem Lande schenken, zu folgen. Rembold - Aalen bezeichnete die Ansicht des Kult- ministers als sehr bedenklich und wies dabei auf die Bewegung in Frankreich gegen die Kirche hin. Durch die Annahme des Entwurfs werde der Sturm gegen die erste Kammer erst recht losgehen und die Wunde nicht geschloffen, sondern offen gehalten werden. Alsdaun wurde die Beratung geschlossen und der Kommisfionsantrag auf Verweisung der Entwürfe an die Kommission einstimmig angenom­men. Morgen Wahl einer Verfassungskommisfion. Staatsvertrag zwischen Württemberg und Beyern, sowie Eisenbahnbaukreditgesetz.

Stuttgart, 30. Juni. Die led. Flaschner- und Jnstollateurgehilfcn haben, soweit sie organisiert sind, infolge der seitens des Metollarbeiterverbands über die hies. Flaschner- und Jnstollateurgeschäfte verhängten Sperre die Arbeit niedergelegt. Der Glas er streik dauert unverändert fort. Im

Ausstand befinden sich noch 38 Mann, meistens ver­heiratete, während die ledigen zum größten Teil abgereist find. Die verheirateten Ausständigen er­halten eine wöchentliche Streikunterstützung von 22 Mark.

Stuttgart, 30. Juni. Heute vormittag wurden einem Kaufmannslehrling von einem Fremden namens Köhler 400 weggenommen. Doch konnte sich der Dieb seines Raubes nicht lange er­freuen, da es gelang, ihn am Bahnhof festzunehmen.

Stuttgart, 30. Juni. Im Eiernest spielte gestern Abend ein Mechanikerkhiling mit einem scharfgeladenen Terzerol, welches sich entlud. Der Schuß traf einen in der Nähe stehenden Schüler unter dem rechten Auge und verletzte ihn schwer.

Nach einer Bekanntmachung der Kgl. Staatsanwaltschaft Heilbronn ist die auf die Er­greifung des Raubmörders Ernst Mogler aus Bückingen ausgesetzte Belohnung auf 1000 erhöht worden.

Cannstatt, 30. Juni. In einer Wirtschaft in der Wiesenstraßs erfolgte gestern abend gegen 11 Uhr eine Gasexplosion. Im Nebenzimmer war ein Gashahnen offen geblieben, was fiw durch den Geruch endlich bemerkbar machte. Die Wirtin betrat mit einem brennenden Licht das Zimmer und erlitt dann nicht unerhebliche Brandwunden.

Eßlingen, 30. Juni. Heute legt Schul­lehrer a. D. Kring er sein 94. Lebensjahr zurück; er ist der älteste evang. BolkSschullehrer des Landes. Kr. erfreut sich noch einer guten Gesundheit. Er war früher in Schlierbach, Dapfen und Unter- löhriugen ungestillt, lebt aber seit seiner Zuruhe- setzung im Jahr 1882 hier in seiner Vaterstadt.

Rottweil, 30. Juni. Die cndgiltige Gründung der Motorwagengesellschaft m. b. H. Rottweil-Schramberg kam gestern abend zu stände. Die Gesellschaft, an der sich außer den anliegenden Gemeinden auch Privatinteressenten von hier, Schramberg, Duningen, Locherhof, Sulgau, Sulgen und Lauterbach beteiligten, wurde mit 65 000 Stammkapital und jährlich 3900 Garantiezeichnung auf die Dauer von 10 Jahren gegründet. Drei Ibsitzige Wagen mit je 25 sollen um etwa 57000 ^ von der Daimler'schen Motorgesellschc.fr Cannstatt-llntertürkheim geliefert werden. Der Sitz der Gesellschaft ist Rottweil.

Der Aufstand in Deutsch-Südwest­afrika. Zu dem siegreichen Gefecht gegen die Morenga'sche Bande wird der Köln. Ztg. geschrieben: Der Gamtoop- oder Karibriver, an dem im Lauf dieses Monats erst Havptmann von Erckert, einer der Offiziere der alten, kleinen Schutz­truppe, dann Major v. Kamptz, früher Kommandeur der Kameruner Schutztruppe, größere Gefechte mit den Hottentotten hatten, liegt weitab im Süden des Namalandes, östlich von den großen KaraSbergeu. Er ist vielleicht 80 Kilometer lang und endet im Goub- oder Bakriver etwa 25 Kilometer von der Grerze nach dem britischen Betschuanalaud zu. Harptmann v. Kamptz wollte offenbar, wie aus der Meldung hervorgeht, daß er von Osten au die feind­liche Stellung hcranrückle, den Abzug des Feindes über die Grenze verlegen. Das ist nun durch das

und dadurch dem Landmann vermehrte Arbeit ver­ursacht. Eie befriedigte im allgemeinen je nach der Lage und Güte der Wiesen. Doch ist zu bemerken, daß der Ertrag der Wiesen ziemlich hinter dem des Vorjahrs zurückbleibt, was besonders der Kälte im Mai und der Trockenheit des Juni zuzuschreiben ist. Dagegen ist die Qualität des FutterS, besonders wenn es gut eingebracht wurde, eine weit bessere als die des vorigen Jahns. Es war ein feines, zartes Heu, das ein prächtiges Futter gab. Das Winterfell» steht im allgemeinen schön, besonders auf guten Aeckern, das Sommerfeld läßt etwas zu wünschen übrig; die Saaten stehen teilweise dünn und haben sich durch die anhaltende Trockenheit nicht gehörig bestockt. Die Obstbäume bieten allent­halben einen traurigen Anblick, denn sie stehen meist nicht nur ganz leer, sondern find von allerlei Un­geziefer teilweise bös zugerichtet.

Stuttgart, 30. Juni. Die Kammer der Abgeordneten hat heute die Generaldebatte zur Verfassungsrevifion beendigt. Zunächst sprach Ministerpräsident v. Breitling die Ansicht aus, daß die Debatte klärend gewirkt habe, daß Freund und Feind sich scheiden lasse. Das Zentrum werde in der Kommission sehen, wie die Regierung ernstlich bestrebt sei, znm Wohl des Vaterlandes die Wunde zu schließen, die in unserem VerfossungSlebcn seit Jahrzehnten klaffe. Er würde sich freuen, wenn die Ritter in der gleichen hochherzigen Weise, wie die Prälaten, sich entschließen würden, ein Opfer auf den Altar des Vaterlandes ntederzulegen. Die Einbringung des Entwurfs zu diesem Zeitpunkt sei notwendig gewesen; die Regierung gebe die Hoff­nung nicht auf, zum Ziel zu kommen. Das Zentrum habe an seinen Programmsätzen nicht festgehalten. Der Minister sprach dann die Ueberzeugung aus, daß die künftige zweite Kammer stark genug sein werde. Die Herabsetzung der Zahl der Mitglieder werde die Wähler veranlassen zur Wahl von Männern, die dem Arbeitsstoff gewachsen find. Die Regierung möchte an dem Entwurf festhalten, sei aber bereit, in der Kommission in eine Erörterung darüber einzutreten, ob sich ein Weg finden lasse, unter Festhalten des Grundgedankens des Entwurfs eine mäßige Erhöhung der Zahl der Abgeordneten herbeizuführen, ebenso auch bezüglich der Zusammen­setzung der erste» Kammer. Gerechte Forderungen erfüllen heiße gegen die Sozialdemokratie wirken und für die Monarchie eintreten. Im Fall des Scheiterns des Entwurfs lehne die Regierung die Verantwortung dafür ab, wenn die Wunde im Vcrfassungsleben des Landes noch lange Zeit offen bleibe. Möze jeder dos nötige Opfer bringen wie die Regierung. Graf v. Uxkull legte dar, wenn die Ritter den Entwurf in seiner jetzigen Gestalt für unannehmbar halten, so tun sie es in der Ueberzeugung, daß eine Zustimmung zum Entwurf nicht zum Wohl des Königs und des Vaterlandes sein könnte. Vizepräsident Dr. v. Kiene wandte sich in längeren Ausführungen, oftmals durch Zwischenrufe unterbrochen, gegen die Behauptung, daß das Zentrum nicht an seinem Programm festgehalten habe. Ein Ersatz für die Privilegierten mijsse gefordert werden angesichts der Gefahr des Wachsens des Radikalismus. Der richtige Ersatz würde eine berufsständische Vertretung mit Zu­

Die schwarze Dame.

Roman von Hans Wachenhusen.

(Fortsetzung.)

Er barg das kleine Röllchen vor den Augen des Raben an der gewohnten Stätte und der letztere schaute ihm so ernst und bi fi sten zu, als begre fr er vollständig, was ihm aufgetragen waid.

Der Alte hob jetzt den Vogel an seinen Hals, streichelte und küßte ihn noch ein letzte« Mal. s-tzte ihn dann von sich, nahm ein kleine«, zusammengeroll.es Bündel unter den Arm, drückte den Hut über die Stirn und trat mit feuchten Augen hinan«.

.Papa Lübke!* hört« er den schwarzen Kameraden so traurig hinter sich rufen, ol« soll« da« ein Lebewohl sein.

Niemand war in d>m weiten Hausflur de« Hotels, der ihn hätte sehen können. Di« Bedienung speist« um diese von ihm gewählte Stunde! die Portier­loge stand leer.

Dunkel war'« in der Straße, als der Scheidende durch das Portal in dasselbe trat. Er warf keinen Bück zurück auf das H u'. Niemand wußte in demselben, daß er ohne Abschied gegangen war. um nicht wiederzukehren.-

Frau Wallenthin verbracht« inzwischen den Tag in größter Unruhe.

Auf de« würdigen Pfarrers Meinung von dem rätselhaften Verschwinden der Mädchens erschien zunächst bei ihr ein Polizei-Beamter in Ciock. Derselbe begehrte von ihr eine genau« Personal-Beschreibung, da die von dem Pfarrer in so hoher Aufregung gemachte nicht genügend sei. Er verlangte danach auch die nötigen Ausschlüsse über d.n Namen, die Herkunft rc. der Verschwundenen, und das setzte die Frau in eine kaum zu bergende Verlegenheit.

Sie gestand endlich folgend«-:

Vor elf Jahrm sei ihr in den Anlagen vor dem Tore, in denen sie mit einem Freund ihre» verstorbenen Gatten spazierte, ein Mann mit einem aller­liebsten kleinen Mädchen begegnet, dos sich zu ihr auf die Bark gesetzt, um auS- zuruhen. Dabei seien sie mit dem ihnen fremden Manne in'S Gespräch gekommen.

Der Letzter« habe ihr auf die Frage geantwortet, er suche für das ihm

von auswärts zugesandte Mädchen, «in« Wais-, Unterkommen u-.d E-z«hung in einer achtbaren Familie. Das Kmd fei nicht mittellos, . s werde gut für dasselbe bezahlt werden. Da fis nun, Frau Wallenthin, durch den Tod ihres Gatten in kümmerliche Verhälrwfsi geraten sei, habe sie sich selbst bereit erklärt, das Mädchen zu übernehmen, und sie habe das nie zu bereuen gehabt, denn eS sei stet» prompt und gut für dasselbe bezahlt worden und das Mädchen habe sich musterhaft geführt.

Nur über ihre Herkunft Habs sie niemals Genaues erfahren können und auch nicht darum gedrängt, aus Furcht, daß man es wieder von ihr nihmr. Herr Lütke, der sich ihr als Kommissionär eines Hotels vorg-stellt, habe sie ge­beten. das Kind einstweilen für eine Angehörige ihrer Familie auszugeben, di« die des Mädchen» sich selbst melden werde, und dabei sei es geblieben. Sie, di« das Kmd bald wie ihr eigenes geliebt, habe rücksichtsvoll die Sache gehe» lassen dis vor wenigen Tagen, und da hob- ihr sitzt diese« Unglück passiere» müssen, an dem sie doch kerne Schuld trage.

Frau Wallenthin wurde für diese Gesetzwidrigkeit sofort zur Poüzei beschieden, um sich zu verantworten, und da man den Lübke ol» einen Gchirn- kcankm noch nicht verhören durfte, quälte man sie vergeblich, um über da« Her­kommen de» Mädchens etwa» zu erfahren.

Als olles Fragen nichts herousbrachte, ward dennoch zu Lübke gesandt; dieser aber ward weder am Abeude noch am nächsten Morgen gefunden und die Annahme lag uahe, daß dieser Mann, den man nach dem polizeilichen Rapport in der vorhergehenden Nacht als besinnungslos in der Straße ge­funden und auf der Polizeiwache bewahrt halte, ebenfalls heimlich verschwunden war vielleicht im Einverständnis mit dem Mädchen, was Frau Wallenthin auf's Nachdrücklichste als unwahrscheinlich darstellte.

Nachdem auch der Pfarrer Wehrend vernommen worden, entließ mau die Witwe uud den letzteren.

Die Zeitungen brachten inzwischen einen Sensations-Artikel über das rätselhafte Verschwinden eines jungen, kaum erwachsenen Mädchens und eine genaue Schilderung ihrer Persönlichkeit. Man sei besorgt, hieß es, daß die Unglückliche das Opfer eines Verbrechens gcwordeu sei. (Forts, folgt.)