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damit Beschlußunfähigkeit dcS Hauses; eS mußte also die Sitzung abgebrochen werden. Morgen Rest der heutigen Tagesordnung. Staatsvertrag mit Baden und Gerichtskostenordnung.
Tübingen, 15. Juni. Bei dem heute hier abgehaltenen 20. Verbandstag der Wirte Württembergs wurde zur Umgeldfrage eine Resolution angenommen, die der tiefsten Entrüstung Ausdruck gibt über den Beschluß der Kammer der Etandesherrn vom 21. Oktober 1904 dahinlautend, dem Beschluß der 2. Kammer, die König!. Staatsregierung zu ersuchen, dem Landtag einen Gesetzentwurf zur Abänderung der durch das Gesetz vom 4. Juli 1900 in Art. 2 geschaffenen unverhältnis- mäßigen Belastung der billigen Weine vorzulegen, nicht beizutreten. Trotz des starken Widerstandes der ersten Kammer werden die Wirte des Landes in dem Kampf gegen das Umgeld nicht eher ruhen, bis seine Abschaffung, die schon bei Einführung der neuen Steuerreform in Aussicht gestellt wurde, vollzogene Tatsache ist. Zur Frage des Flaschenbierhandels wurde eine Resolution angenommen, worin der Verband die zuversichtliche Erwartung ausspricht, daß die K. Staatsregierung und die Kammer der Abgeordneten den von den Wirten in einer Denkschrift wiedergegebenen Wünschen entsprechen werden. Von den Brauereibesitzern erwartet der Verband aufs bestimmteste, daß sie Hand in Hand mit den Wirten dahin wirken, daß der Flaschenbierhandel eingeschränkt werde. Zur Ruhezeit- Verordnung wurde eine Eingabe an den Landtag beschlossen, die K. Regierung zu veranlassen, beim Bundesrat vorstellig zu werden, daß die Ruhezeitverordnung eine den süddeutschen Verhältnissen entsprechende Erweiterung erfahre, hauptsächlich dahin, daß die Verordnung des Reichskanzlers über 24stündige Ruhezeit in Wegfall komme in Anbetracht dessen, daß daS Hotel- und Restaurationswesen mit wenigen Ausnahmen bei kleinen Betrieben liege und somit das Personal nicht, wie in großen Städten übermäßig angestrengt werde. Der Beitritt zum deutschen Mittelstandsverein wurde abgelehnt und sodann eine Resolution zu dem Entwurf einer neuen Aichverordnung angenommen, die sich dahin ausspricht, daß der Antrag auf Einführung der österreichischen Aichordnung der Regierung zur weiteren Verfolgung übergeben und beim deutschen Landestag der Gastwirte in Karlsruhe zur Geltung gebracht werde. Zum Ort dcS nächsten Verbandstags wurde Rottweil bestimmt.
Freudenstadt, 15. Juni. Die Pfingst- feiertage brachten unserer Stadt wieder einen Strom von Fremden aus ollen Gauen. Die Hotels, die ja jedes Jahr an Zahl und Ausdehnung wachsen, waren wieder voll besetzt. — Am Pfingstmontag wurde hier unter dem Vorsitze des Bezirksobmanns Rektor Haug ein BeztrkSkriegertag abgehalten. Zuerst war Versammlung der Vorstände der militärischen Bezirksvereine im Rathaussaal, nachher Festzug und Vollversammlung in der Turnhalle. Präsidiumsvorstand Major v. Mauch-Stuttgart und BezirkSobmann Rektor Haug hielten Ansprachen. Auch zu der von Cannstatt ausgegangenen Anregung zu einer Veteranenstiftung wurde Stellung genommen.
Eßlingen, 16. Juni. Gestern erhielt ein 18 Jahre alter Laufbursche einer hiesigen Buch- drrckerei den Auftrag, bei einem hies. Bankgeschäft einen Wechsel im Betrag von gegen 200 auszulösen. Den Auftrag führte der Bursche pünktlich aus, suchte aber mit dem Geld das Weite.
Winnenden, 15. Juni. Die Kirschenernte ist jetzt in vollem Gang, von den Händlern wurden heute per 50 Kilo 13, 14 und 15 Mark bezahlt, im Kleinverkauf kostete das Pfund 15—18 Pfg. Ueber die O bst a uSs icht en im hiesigen Bezirk läßt sich wenig Erfreuliches berichten: bei Atpfeln läßt sich ein vollständiger Ausfall konstatieren; Birnbäume versprechen zwar einigen Ertrag. aber auch nicht so reichlich, wie man nach der günstig verlaufenen Blütezeit erwarten konnte. Steinobstbäume haben im allgemeinen gut angesetzt, werden aber sehr von Raupen heimgesucht. — Die Heuernte hat hier allgemein begonnen; der Ertrag ist in jeder Beziehung ein befriedigender.
Ulm, 16. Juni. Herzogin Wera stattete gestern dem Ulanenregiment 19, dessen 2. Chef sie ist, einen Besuch ab. Sie wohnte nachmittags den vom Regiment im Reithause veranstalteten Reiterspielen und Turnübungen an, gab den Offizieren ein Mahl und reiste um 7.46 abends wieder nach Stuttgart zurück. — Gestern Nachmittag 2 Uhr war der 40jähr. Hausdiener Schofer in der Droguerie von Hrn. Bäuerle mit Erwärmen von Terpentin beschäftigt, als die Masse in Brand geriet und rxplodierte. Schofer wurde hierbei ein Arm schrecklich verbrannt; außerdem geriet das Magazingebäude, in dem die Arbeit vorgenommen wurde, in Brand. Das Feuer wurde durch den Weckerlinielöschzug rasch gelöscht. — Dem gestrigen Wollmarkte gingen von auswärts etwa 85 000 Zentner zu, d. i. einige hundert Zentner weniger als im Vorjahr. Nach anfänglicher lustloser Haltung setzte nachmittags plötzlich ein äußerst lebhaftes Handeln ein, wodurch die Preise auf 138—146 ^ pro Zentner stiegen. Für heute erwartet man ein Sinken der Preise, da am Abend wieder eine Stockung Platz griff.
München, 16. Juni. Prinz Arnulf von Bayern, der kommandierende General des 1. bayrischen Armee-Korps hat wegen seines Magenleidens sein Abschiedsgesuch eingereicht. Sein Rücktritt wird nach dem Manöver erfolgen. Das Kommando des 1. Armeekorps wird dann Prinz Rupprecht von Bayern, der zur Zeit an der Spitze der ersten Division in München steht, übernehmen.
— In Essen begann am Donnerstag vormittag die Hauptversammlung der Deutschen Kolonialgesellschaft unter dem Vorsitz des Präsidenten Herzog Jchann Albrecht von Mecklenburg In seiner einleitenden Rede wies der Herzog zunächst auf die marokkanische Angelegenheit und den Besuch dcS Kaisers in Tanger hin. Er dankte dem Kaiser und der Regierung für die erzielten Erfolge. Er gab sodann einen Ueberblick über den Stand der deutschen Kolonien, wobei er auf die Lage in Deutsch-Südwestafrika eingtng. Dir Gewährung einer billigen Entschädigung an die betroffenen Ansiedler sei eine Vorbedingung für die wirtschaftliche Entwickelung der Kolonien und zugleich eine moralische Pflicht des Reiches. In ollen anderen Kolonien sei ein aufblühendes Leben zu vermerken. Vor Eintritt in die Tagesordnung berührte sodann v. Bartenwerffer die Angriffe verschiedener Zeitungen gegen den Konsul a. D. Äohseu. Dieser wies in einer längeren Rechtfertigung die Angriffe zurück. Nach Eintritt in die Tagesordnung wird sodann die vor 2 Jahren eingrsetzte Landkommission der Kolonialgeflllschaft auf den Antrag ihres Vorsitzenden aufgelöst. Zum Ort der nächsten
Tagung wurde Königsberg i. Pr. bestimmt; darauf trat die Mittagspause ein.
Berlin, 16. Juni. Der Afrikaforscher vr. Wißmann hat sich auf der Jagd inLiezeu (Steiermark) infolge eigener Unvorsichtigkeit durch einen Schuß ins linke Auge getötet.
Berlin, 16. Juni. Die „Norddeutsche Allgemeine Zeitung" widmet dem verstorbenen früheren Gouverneur v. Wißmann folgenden Nachruf: Hermann v. Wißmanns Name wird für immer auf das engste verknüpft bleiben mit der Geschichte der deutschen Kolonial-Politik und ehrend wird man seiner Tätigkeit gedenken, wenn von den harten Kämpfen die Rede sein wird, unter denen die Grundlagen geschaffen wurden für eine gedeihliche Entwickelung unseres so viel verheißenden Schutzgebietes in Ostafrika. Die deutsche Wissenschaft betrauert in ihm einen tatkräftigen und erfolgreichen Afrikaforscher.
London, 16. Juni. Die amerikanische Union hat sich nicht, wie man hier verbreitete, durch Englands Ablehnung, an der Marokko-Konferenz teilzunchmen, bestimmen lassen, seine Beteiligung ebenfalls zu verweigern, sondern vielmehr zugesagt. Zugestimmt haben darnach bisher: Italien, Deutschland, die Vereinigten Staaten und Oesterreich- Ungarn. Letzteres jedoch nur unter der Bedingung, daß auch Spanien und Frankreich an der Konferenz teilnehmen.
Paris, 16. Juni. Der offiziöse „Petit Porisien" schreibt: Frankreich habe keine persönlichen Gründe, die Konferenz abzulehnen. Wenn ober keine der beiden Lösungen durchdringeu sollte, würde Frankreich einfach zu dem Status zurück- kchren, der vor dem englisch-französischen Abkommen bestanden hat und es dem Sultan überlassen, sich in dem Wirrwarr zurechtzufinden.
Petersburg, 16. Juni. Dem „Rußkoje Slowo" sowie dem „Ruß" wird aus Guntschulin gemeldet, daß die Japaner in stetigem Vorrücken begriffen sind, daß dieselben im Zentrum wichtige strategische Stellungen besitzen und daß sich die Ereignisse für die Russen ungünstig zu entwickeln beginnen.
Paris, 16. Juni. Das Blatt Eclair berichtet aus Guntschulin. Es bestätigt sich, daß eine japanische Abteilung von 4500 Mann Infanterie, 3000 Mann Kavallerie mit 11 Geschützen am 12. Juni eine russische Stellung abends angegriffen hat. Die russischen Truppen des Oberst Wasstlikow umfaßte 8 Sotnien Kosaken, 5 Kompagnien Infanterie und 2 Geschütze. Die russischen Truppen waren sehr stark verschanzt und schlugen fünf Angriffe hintereinander zurück, mußten sich aber schließlich zmückziehen.
New-Aork, 16. Juni. Aus Washington wird gemeldet, daß Rußland die japanischen Bedingungen in Umrissen bekannt sind und annehmbar befunden werden, uämlich eine Kriegsentschädigung von 2 bis 4 Milliarden, Erwerb von Korea und Liaotung mit Port Arthur, Rückgabe der Mandschurei an China und eine japanische oder internationale Kontrolle der mandschurischen Bahn.
Er schaute seitwärts, wo sich ein Schatten am Fenster bewegte. Jakob war's, der auf dem den Rasenplatz umgebenden Draht, mit den altersschwachen Flügeln schlagend, zu balarcieren sucht« und schwerfällig von diesem ausflog. Auch Jakob hatte Langeweile, da er nicht einmal in die Küchenfenster schauen durfte; er war auf daß Fensterbrett geflogen, um den schlafenden Nachbar zu beobachten. Die Federn seiner Nasenlöcher aufblasend, schaute er eine Weile zu, dann begann er mit komischem Pathos auf dem Fensterbretts hin und her zu spazieren und „Papa Lübke, Papa Lübke"! vor sich hin zu sprechen. Plötzlich aber flog er auf und hüpfte zu der sich eben öffnenden Hoftüre.
„Tu, Jakobi" rief Zia'S glockenhelle Stimme. Sie beugte sich über den Raben, um ihm Kopf und Rücken zu streicheln, und Jakob zog den Kopf auf di« Flügel zurück, legte ihn zur Seite und schaute dankbar in deS Mädchens Gesicht hinauf.
„Laß mich gehe», ich habe mich schon verspätet," lächelte sie, als der Rabe sich mit dem dicken Schnabel an den Saum ihres Kleides hängt« und sie hüpfend begleite» wollte.
„Ich habe dich warten lassen, Papa!" Damit trat sie über di« Schwelle, auf der sich ihr schon die Hand deS Alte» reichte, um sie hinein zu ziehen. „ES war nicht mein« Schuld; du weißt, ich bin von fremdem Willen abhängig. Dafür habe ich aber heute Wichtiges mit dir zu besprechen."
Sie löste den Schleier, legte den Hut und den Paletot auf daS Bett und und sich zu ihm zurückwendend, bot sie ihm die Stirn zum Kuß. Ein liebe», fromme» Gesicht, zwei dunkle, tief«, seelenvoll« und doch so hell glSnzende Auge«
lächelten ihn an; sie legte ihm, als er ihre Stirn berührt hatte, den Arm um den Nacken und bot ihm auch die roten, frischen Lippen.
Er nahm ihre Hände in die seinen und schaute ihr gerührt in die Augen.
„Wichtiges?" fragte er fast furchtsam. „Wenn es nur Gute« ist, mein Kind! Du weißt, ich habe kein Vertrauen zu allem Neuen und am wenigsten zu etwas Wichtigem! Ich bin immer froh, wenn daS Schicksal mich hier in meinem verborgenen Winkel vergißt .... Du freilich! Du bist jung! Mit Dir mag eS noch manch' wichtiges Wort zu sprechen haben und Gott gebe, daß «S ein freundliche» und gutes sei I — ES ist Dir wohl ergangen, seit ich Dich nicht sah?"
Dem Alten schien «S, während er sie mit so väterlichem Wohlwollen betrachtete, als finde er mehr als den gewohnten Ernst in ihren Zügen; prüfend ruhte noch sein Blick auf denselben.
Zi« schien lang« unschlüssig, ob sie sprechen solle. Als er ihre Hände losgelaffen, wandt« sie sich, die ihrigen auf da» vom Hut derangierte Haar legend; dasselbe ordnend trat sie vor den kleinen Spiegel. Ihr Antlitz gewann im scharfen Wechsel der Hrrbstluft und der Zimmerwärme ein erhöhtes Inkarnat, das sich selbst unter die dunklen Augen legte, die Flügel ihrer zierlich geformte» Nase bcw'gten sich, ihre halb geöffneten Lippen zeigten di« weißen Zähn«, als sie sich lächelnd wieder zu dem Alten wandt«, der eben die Kaffeekanne hereintrug.
„Du weißt ja, mir verstreicht ein Tag wie der andere!" sagt« sie ein wenig beklommen, „aber wie e» später sein wird . . ."
(Fortsetzung folgt.)