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gehängte Garn in Brand, ohne sonst erheblichen Schaden anzulichten. Seit 1903 ist dies der vierte Blitzschlag im hiesigen Ort.
Stuttgart, 5. Juni. An der Jnselspitze gegenüber dem Rosensteinpark sprang gestern Abend 7 Uhr ein 28 Jahre alter Mann mutwilligerweise in den von einem Knaben geleiteten Kahn, daß dieser Umschlag und beide ins Wasser fielen. Der Knabe konnte sofort gerettet werden, während der Mann, Wilhelm Ott von Cleversulzbach, erst heute früh als Leiche aus dem Neckar gcländet werden konnte.
Stuttgart, 6. Juni. Die Finanzkommission hat in ihrer heutigen Sitzung die Beratung des Antrags Gröber und Genossen: die Kammer der Abgeordneten wolle beschließen: „Die K. StaatS- regierung zu ersuchen, für die mittleren und unteren Postbeamten die Dauer der Dienstzeit in der Weise herabzusetzen, daß sie in der Woche die Gesawt- dauer von 50 Stunden tunlichst nicht übersteigt", fortgesetzt und ist zu folgender Resolution gelangt: „Die Kammer der Abgeordneten wolle unter Anerkennung der auf Herabsetzung der Dienstzeit der Postbeamten und Postunterbeamten gerichteten Bemühungen des K. Ministeriums der auswärtigen Angelegenheiten, VerkehrSabteilung, dos K. Ministerium ersuchen: 1) die Dienstzeit der Postbeamten in der Regel auf 51 Wochenstunden, diejenige der Postunterbeamten in der Regel auf 60 Wochenstunden festzusetzen; 2) den Schluß der Postschalter allgemein auf 7 Uhr abends, für Massensendungen in der Regel auf 6'/-Uhr abends festzusetzen; 3) in eine Prüfung darüber einzutreten, in welcher Weise der Sonntagsdienst auf der Post bezüglich der Bestellungen der Pakete, Nachnahmen und Postanweisungen, der Zustellung von Briefen, der Leerung von Briefkasten und der Beförderung der Drucksachen tunlichst eingeschränkt werden kann." Die Finanzkommission ist sodann in die Beratung des Antrags Gröber, Nieder, Rembold-Aalen, Rem- bold-Gmünd und Genossen: „Die Kammer der Abgeordneten wolle beschließen, die Verfügung des K. Ministeriums der auswärtigen Angelegenheiten, Abteilung für die Verkehrsanstalten, vom 22. Nov. 1902 betr. die Bezüge für Stellvertretung und Dienstaushilfen (Amtsblatt 1902 Seite 583) der Finanzkommission zur Prüfung in der Richtung zu überweisen, ob die Bestimmungen dieser Verfügung Ausgaben veranlassen, welche das richtige Maß überschreiten", eingetreten und hat dann die weitere Beratung dieses Antrags vertagt.
Stuttgart, 6. Juni. (Strafkammer.) Der Verlagsbuchhändler Junginger hier gab nach dem Cannstatter Raubmord am 7. Dez. v. I. eine „Der Cannstatter Mädchenmord" betitelte Broschüre heraus, in der der Chauffeur Brüderlein, der kurz nach dem Mord als mutmaßlicher Täter in Untersuchungshaft genommen, jedoch später wieder frei gelassen wurde, als Mörder und verkommener Mensch bezeichnet wird. Das Titelbild der Broschüre zeigt einen Mann mit Chauffeurmütze, der eben im Begriff steht, einem Mädchen den Hals durchzu- fchneiden. Von der Broschüre, deren Inhalt im Ton einer Moralpredigt gehalten ist, wurden 10 000 Exemplare verkauft. Brüderlein stellte gegen Junginger Strafantrag wegen Beleidigung. Es wurde nun gegen Junginger öffentliche Anklage wegen Beleidigung, begangen durch Verbreitung von Schriften und Abbildungen, erhoben. Die Anklage
machte ihm znm Vorwurf, er habe Brüderlein tatsächlich als Mörder bezeichnet, während nur gewisse Verdachtsgründe gegen ihn Vorlagen, die ihn, den Angeklagten, zur Annahme nicht berechtigten, den Brüderlein als Mörder zu bezeichnen. Der Vertreter der Anklage beantragte angesichts des schweren Bezichts eine Geldstrafe von 150 DaS Urteil lautete auf 150 Geldstrafe. Auch wurde Brüderlein Publikationsbefugnis des verfügenden Teils des Urteils auf Kosten des Angeklagten zugesprochen. Die noch vorhandenen Broschüren und Platten werden unbrauchbar gemacht.
Stuttgart, 6. Jnni. Auf dem heutigen Engrosmarkt waren 350Körbe mit Kirschen zugeführt. Preis 18—30 das Pfd. Verkauf rasch.
Göppingen, 6. Juni. Das 20. Landesschützenfest ging gestern abend nach fünftägiger Dauer mit der Pceisverteilung zu Ende. Diese wurde durch eine kurze Ansprache das Landesausschußmitglieds Ehrmann — Heilbionn eingeleitet, welcher der Eöpptnger Schützengilde Dank und Anerkennung für die vorzügliche Veranstaltung des Landesschützenfestes aussprach. Der Oberschützenmeister der Göp- pinger Schützengilde, Fabr. B cky, verkündete hierauf die ersten Preise. Den Königspokal, der auf Feldfestscheibe (300w) ausgeschosssn wurde, erhielt Eugen Stückle-Ulm. für den der Oberschützenmeistsr der Ulmer Gilde, Baier, den Vokal unter einem Hoch auf den König in Empfang nahm. An dem Schießen haben ca. 400 Schützen tetlgenommen; über 700 Schützentaler wurden ausgeschossen. Dis finanziellen Ergebnisse dürfen als recht günstig bezeichnet werden.
Owen, 6. Juni. Schullehrer a. D. Boch- terle fuhr mit seinem Enkelkind am Samstag in der Nähe der Bahnlinie. Beim Herannchen des Zuges scheute das an einem in der Nähe befindlichen Wagen vorgespannte Pferd und rannte mit dem Gefährt in rasendem Tempo davon. Dabei wurde der Kinderwagen, in dem das Enkelkind des Bochterle saß, angefahren und das Kind herausgeschleudert. Während dieses unverletzt blieb, erlitt Bochterle so schwere Verletzungen, daß er heute starb.
Giengen a. Br , 5. Juni. Ein furchtbares Brandunglück ereignete sich in vergangener Nacht in dem benachbarten bayerischen Ort Burghaqel. Nachis 10 Uhr brach im Anwesen des Straßenwärters Göggcl Feuer aus, das rasend um sich griff und auch die Anwesen der Oekonomen Caspar Zeit und Anton Schön in Asche legte. Ein 5 Jahre altes Kind des Straßenwärters kam in den Flammen um, ein zweites jüngeres Kind erlitt so schwere Brandwunden, daß es heute früh starb. Bei den Rettungsarbeiten verunglückten 2 Feuerwehrleute tödlich, der Bauer Hartmann von Oberbechingen und Bauer Josef Zett, Sohn des Abgebrannten Kaspar Zett. Auf die Unglücklichen stürzte der brennende Giebel des Zettschen Hauses. — Wenige Stunden zuvor brannte in Hauns- heim das Anwesen dcS Soanenwirts Wachtel nieder und in der Nacht vom Samstag aus Sonntag wurden in Brenz die Anwesen des Schreinermeisters Oberglock und deS Ztegelknechts Mäule ein Raub der Flammen.
Berlin, 6. Juni. Zur heutigen Vermählung des Kronprinzen mit der Herzogin Cecilie war wiederum halb Berlin unterwegs. Von 3 Uhr ab begann die Auffahrt der geladenen Persönlichkeiten. Der Verkehr auf
dem Schloßplatz war zeitweise so kolossal, daß die Schutzmannschaft nur mit Mühe die Einfahrt in den Schloßhof regeln konnte. Um '/-5 Uhr fand im Kuifürstenztmmer des Schlosses die Vollziehung der Standesamtsakte durch den Minister des königlichen Hauses statt, der nur die engeren Familienangehörigen des hohen Brautpaares beiwohnten. 10 Minuten vor 5 Uhr setzte sich der Brautzug nach der Schloßkapelle in Bewegung. Als das Kaiserpaar, das Brautpaar und die übrigen Gäste ihre Plätze eingenommen hatten, begannen um 5 Uhr die Glocken des Domes zu läuten und sämtliche Glocken der Residenz setzten ein. Vom Lustgarten aus sah man in der zweiten Etage des königlichen Schlosses einen Artillerie-Offizier stehen, der das Zeichen zum Salutschießen gab. 20 Minuten nach 5 Uhr gab er das Zeichen und unmittelbar darauf feuerte die Artillerie 36 Salutschüsse ab. Oberhofprediger Diyavder vollzog die kirchliche Trauung. Nach derselben begaben sich die hohen Herrschaften nach dem Weißen Saale, wo um 6 Uhr Defiliercour stattfand. Später speisten die Fürstlichkeiten im Rittersaal nach der Zeremonie-Tafel, während die andern Geladenen an Buffets Erfrischungen ein- nahmen. Um 8 Uhr wurde im Weißen Saale der bet Hochzeiten im königlichen Hause übliche Fackeltanz aufgeführt. Um 9 Uhr war die Festlichkeit zu Ende.
Berlin, 6. Juni. Von den russischen Gästen verbreitet die „Ostpreuß. Z!g." folgende, bisher unbestäiigte Meldung: „Das Fernbleiben des Großfürsten Wladimir von den Berliner Hochzeitsfeierlichkeiten erfolgte auf besonderen Wunsch des Berliner Hofs. Es gingen an verschiedenen amtlichen Stellen so zahlreiche Drohbriefe, in denen ein Attentat auf seine Person angekündigt wurde, ein, daß man sich zu einer Aeußsrung nach Petersburg entschloß und um Entsendung eines anderen Vertreters der Zarenfamilie bat, da man das Lebe» des Großfürsten Wladimir für ernstlich bedroht hielt. Der Zar entsprach dieser Bitte und verfügte, daß Großfürst Michael den russischen Hof zu vertreten hat."
Berlin, 6. Juni. Der „Vorwärts" meldet aus Petersburg: Die Bewegung für die Beendigung des Krieges wächst täglich. Allenthalben werden Versammlungen abgehalten in denen Resolutionen gegen den Krieg und gegen die Einberufung von einer Notablen-Versammlung gefaßt werden. Heute findet in Moskau eine Versammlung der Vertreter der Semstwo und Stadtvertreter statt, um über die Beendigung des Krieges zu beraten.
Berlin, 6. Juni. Seine Maj. der Kaiser hat den Reichskanzler Grafen Bülow in den Fürstenstand erhoben.
Berlin, 6. Jnni. Nach einer Depesche des B. T. erhalte der Marokko-Konflikt eine friedliche Lösung. Diese bestehe in der Demission Delcassös, die in einem für heute früh 10 Uhr anberaumten Ministerrat definitiv erfolgen werde. Was die Verschärfung des Konfliktes herbeigeführt habe, war in erster Linie die entschiedene Weigerung DelcassSs, seine Zustimmung zu der vom Sultan von Marokko verlangten Konferenz zu geben. Del- cassö hatte bei dieser Haltung auf seiner Seite nur den Präsidenten Loubet, der ihn aber auch mehr aus persönlicher Haltung unterstützte. Dagegen waren alle Minister und gmz besonders Rouvier gegen Delcasss.
Vorbereitungen und BefreiungSplänr an, teilten mit, wo sie die nötigen Feilen finden würden, um sich der Ketten zu entledigen, und daß sie selbst um Mitternacht draußen hinter dem Hofe mit ihren Wagen warten würden.
Nach allen diesen Verabredungen ging man zur Ruhe.
Die Gefangenen erhielten das Zimmer mit den Betten und die Damen schloffen sich in ein anderes »in. Alles schien nach Wunsch zu gehen und alles wäre gelungen ohne einen fatalen Zwischenfall. Einige der Feilen wurden unbrauchbar, man mußte nach einander arbeiten, statt gleichzeitig.
WadkowSki kam erst zuletzt zu stände und glaubte mit Hast und Eile die versäumte Zeit einholen zu können.
Endlich war er fertig ufld mit lautem Krachen fielen seine Ketten zu Boden. Diese Unvorsichtigkeit wurde sein Verderben.
Zwar war die Tür zum großen Gastzimmer, wo die Gendarmen schliefen, sicher verriegelt, aber der Feldjäger, vom Klirren der Ketten aufmerksam gemacht, begehrte Einlaß. Inzwischen gelingt es den Anderen, durch das Fenster auf den Hof zu entkommen. WadkowSki läßt ihnen den Vortritt aus Noblesse. Im Moment, als er selbst daS Fenster erreicht, wird die Tür gesprengt. ES kommt zum Kampf. Einen der Schergen schlägt er mit einem Faustschlag zu Boden und den Feldjäger ersticht er mit dem Säbel deS Gendarmen, er selbst aber wird verwundet, überwältigt und zu Boden geschlagen.
Im nächsten Moment wären auch die anderen, welche sich bereits zu den rettenden Wagen geflüchtet hatten, verloren gewesen und mit ihnen die Damen. Sofortige Flucht war die einzige Rettung. So war rS gekommen, daß Bulgari in der Trlega TatianaS, mit de« Frau dt« Freundes, entfloh.
Zwar wurden sie einen Tag lang verfolgt und wären auch eingefangen worden, wenn nicht Bulgari den Kosaken niedergeschossrn hätte. Seitdem hielt Bulgari die gespannte Waffe allzeit schußftrtig in der Hand. Tag und Nacht flog die Telega auf emlegenen Straßen durch Steppen und Wälder nach Süden; aber was sollte nun geschehen, nachdem WadkowSki durch eigene Schuld im Stiche gelassen und rettungslos verloren schien.
Bulgari war bereit, die Frau de» Freundes mit in daS Ausland zu nehmen. Tatiana aber wies diesen Vorschlag zurück; sie hoffte noch, daß WadkowSki nur ungefährlich verwundet sei und wieder genesen werde. Dann wollte sie ihm nach Sibirien folgen, wie dies in der Folg« auch die Fürstin Narischkin, die Trubetzkoi und andere heldenmütige Frauen durchgefetzt haben. Einstweilen aber sollte sie Bulgari in die Heimat nach Taruffa bringen. Dort hoffte sie am ehesten unentdeckt in Sicherheit zu bleiben.
Und so war eS geschehen: sie hatte glücklich daS Vaterhaus erreicht und Bulgari war weiter entflohen — nach Polen.
Alles daS erzählte Tatiana zuerst abgebrochen und widerwillig auf meine Fragen antwortend, dann aber im Zusammenhang mit fliegendem Atem und blitzenden Augen. Ich muß gestehen, Laß mir die Entschlossenheit dieser Amazone nicht wenig imponierte. Ihr Mut und ihre Tatkraft wären wohl einer besseren Sache würdig gewesen, und nun war ein neues Verbrechen dazu gekommen, um ihre Lage zu einer bedenklichen zu machen.
Noch während wir über daS Letztere sprachen, tönt» plötzlich daS Glockenspiel der Schloßuhr durch die nächtliche Stille. Mitternacht war bereits heran- gekommen. (Schluß folgt.)